SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
„Mein Gehör ist seit drei Jahren immer
schwächer geworden…“
Beethovens Taubheit und seine
Konversationshefte (4)
Von Susanne Herzog
Sendung:
Redaktion:
Donnerstag, 21. Juli 2016
(Wiederholung von 2013)
9.05 – 10.00 Uhr
Ulla Zierau
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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„Musikstunde“ mit Susanne Herzog
„Mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden…“
Beethovens Taubheit und seine Konversationshefte (4)
SWR 2, 18. Juli – 22. Juli 2016, 9h05 – 10h00
Ich bin Susanne Herzog und begrüße Sie am Mikrophon. Beethovens Taubheit
und seine Konversationshefte: das ist auch heute wieder unser Thema. 0„08
Titelmusik
„Ein Lump sind Sie, so sieht der Beethoven nicht aus“ – das soll die Polizei
Beethoven geantwortet haben, als sie ihn bei einem abendlichen Spaziergang
von Baden aus in die Wiener Neustadt aufgriff: er hatte sich verirrt und schaute
den Leuten in die Fenster. Der Komponist trug einen alten Mantel und keinen Hut:
die Polizei hielt den berühmten Mann, der da abends umher irrte und in fremde
Wohnungen starrte, schlichtweg für einen Bettler. Erst der Musikdirektor der
Wiener Neustadt half dann das peinliche Missverständnis aufzuklären. 1821 oder
1822 soll sich diese Begebenheit zugetragen haben. Beethoven war bereits
extrem schwerhörig und der Vorfall zeigt, dass sich der Komponist immer mehr in
seine eigene Welt zurück zog und mit der äußeren Welt immer größere Probleme
hatte. Eine der wenigen Brücken zu den Menschen da draußen bildeten die
Konversationshefte. 0„51
1. Musik
Ludwig van Beethoven
Allegro vivace, zweiter Satz aus:
Sonate in C-dur op. 102, Nr. 1
<2> 4„51
Nicolas Altstaedt, Cello
Francesco Piemontesi, Klavier
Titel CD: Nicolas Altstaedt: Works for cello and piano by Beethoven, Webern,
Bach, Ligeti and Stravinsky
Genuin, Deutschlandradio Kultur, GEN 87084, LC 12029
WDR 5144 588
Der Cellist Nicolas Altstaedt und der Pianist Francesco Piemontesi mit einem Satz
aus Beethovens Cellosonate in C-Dur op. 102 Nr. 1.
„Das Alleinleben ist wie Gift für dich bey deinem Gehörlosen Zustande, Argwohn
muß bey einem niedern Menschen um dich stets gehegt werden“ notierte
Beethoven in sein Tagebuch, das er in den Jahren zwischen 1812 und 1818 führte.
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Verheiratet war Beethoven ja nicht und folglich lebte er allein. Nun ja,
abgesehen natürlich von seinem Neffen, der zeitweise bei ihm lebte und den
Hausangestellten. Und eben die gehörten zu diesen „niedern Menschen“, wie
Beethoven sie titulierte, denen er mit Argwohn begegnete. Umso schlimmer
wurde sein Misstrauen natürlich mit der fortschreitenden Schwerhörigkeit:
besonders hatte er Sorge, von seinen Dienstboten bestohlen zu werden. Und so
mussten seine Haushälterinnen detailliert darüber Buch führen, wie viel sie für
welche Besorgungen ausgaben. Beethovens Kontrollbedürfnis ging so weit, dass
irgendwann sogar Lebensmittel am Kopfende seines Bettes aufbewahrt wurden.
Endlose Einträge finden sich in den Konversationsheften über die Unfähigkeit und
Unzulänglichkeit des Hauspersonals. Unter anderem von Beethovens Neffen Karl,
der ihm zeitweise im Alltag sehr behilflich war, und dessen Worte die Leerstellen
des Onkels als Bestätigung erraten lassen. Hier ein Beispiel:
Neffe: „Nicht einmahl die Bänder näht sie mir an die Westen an, obwohl ich es ihr
aufgeboten habe.“ Beethoven sinniert wohl über den Grund. Der Neffe:
„Faulheit“ und weiter: „Die Eine von den neuen Unterhosen ist ganz gesprengt,
weil sie sie nie geflickt hat;“ Beethoven fragt vielleicht warum. Neffe: „Sie redet
sich aus, daß sie keine Flecke zum Einnähen hat.“ Und Karl klagt weiter: „Schlecht
wäscht sie auch. Sie macht noch Flecke hinein, ehe sie die alten herausbringt.“
1„50
2. Musik
Ludwig van Beethoven
Der Liebende WoO 139
<4> 2„26
Stephan Genz, Bariton
Roger Vignoles, Klavier
Titel CD: Beethoven songs
Hyperion, CDA 67055, LC 7533
WDR 5035 262
„Der Liebende“ ein Lied von Ludwig van Beethoven gesungen von Stephan
Genz begleitet von Roger Vignoles.
Keine „Liebende“ war an Beethovens Seite, statt dessen Hausangestellte: die
Konversationshefte erzählen unglaublich viele Details über Beethovens Angst
bestohlen zu werden, die angebliche Unwilligkeit der Angestellten, das zu tun,
was er verlangte, die Unfähigkeit so zu kochen, wie es dem Maestro schmeckte
usw.
„Die Alte hat gesagt, es kann keine bey dir aushalten.“ lautet einer der zahllosen
Einträge von Karl gegenüber dem despotischen Onkel. Entweder gingen die
Dienstboten nach kurzer Zeit selbst oder Beethoven warf sie raus und suchte
dann natürlich jemand Neues. Zum Beispiel mit folgendem Anzeigentext:
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„Eine pensionirte Wittwe von moralischem Character, welche gut kochen, lesen
und schreiben kann, wird unter sehr vortheilhaften Bedingungen als Haushälterin
aufgenommen.“
Neben Kochen war Schreiben für Beethovens Angestellte natürlich eine wichtige
Bedingung: wie sonst sollten sie mit dem schwerhörigen später tauben Hausherrn
kommunizieren?
Eine, die es trotz wüsten Beschimpfungen und misstrauischen Kontrollen jahrelang
bei Beethoven als eine von mehreren Bediensteten ausgehalten hat, war „Frau
Schnaps“: so hatte Beethoven sie scherzhaft betitelt. „Meine schnell segelnde
Fragatte“ wurde Barbara Holtzmann, geboren 1755 auch genannt oder schlicht
und ergreifend die „Alte“. Frau Schnaps jedenfalls konnte schreiben, wenn auch
sehr fehlerhaft, wie in den Konversationsheften nachzulesen. Etwa folgender
Eintrag:
„Wier prauh kein Buhter dah zuh Ein suhben und wenieg Essieg“
Schreiben – wen wunderts – war nicht die Stärke von Frau Schnaps, Kochen
konnte sie hoffentlich besser. 1‟47
3. Musik
Franz Liszt [Ludwig van Beethoven]
Nimm„ sie hin denn meine Lieder aus:
An die ferne Geliebte, Liederkreis op. 98
1. <15> 3„26
Leslie Howard, Klavier
Titel CD: Liszt: Song Transcriptions
Hyperion, CDA 66481, LC 7533
WDR 5024 354
„Nimm„ sie hin denn meine Lieder“ aus Beethovens Liederkreis „An die ferne
Geliebte“ op. 98. Gespielt von dem Pianisten Leslie Howard in einer Bearbeitung
für Klavier von Franz Liszt.
Die Konversationshefte bieten nicht nur Einblick in Beethovens Haushalt, sondern
auch ins Wiener Musikleben. Zuweilen helfen sie auch Geschichten ins rechte
Licht zu rücken: ich denke an die, die sich um das Wunderkind Franz Liszt bei
seinem Aufenthalt in Wien ranken.
Liszt war sein Leben lang ein großer Bewunderer von Beethovens Musik:
Zahlreiche Stücke Beethovens hat Liszt bearbeitet, seine Werke auch heraus
gegeben, als Pianist und Dirigent seine Musik aufgeführt. Würde es nicht
wunderbar in diese Verehrung passen, wenn der große Meister dem Wunderkind
Franz Liszt schon in jungen Jahren seinen Segen gegeben hätte? So hat Liszt es
jedenfalls dargestellt: den „Weihekuss“ – Beethoven sollte ihn bei einem Konzert
in Wien auf die Stirn geküsst haben – diesen „Weihekuss“ kann man sogar auf
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einer Lithografie bestaunen. Allerdings hat er vermutlich nie stattgefunden. Denn
Beethoven hat das Konzert des „kleinen Liszt“ damals nicht besucht: erstens war
er 1823 bereits hochgradig schwerhörig, zweitens war er kaum interessiert an
Wunderkindern. In den Konversationsheften berichten sowohl Beethovens Bruder
Johann als auch Neffe Karl über das Konzert, Beethoven war also nicht da. Der
Neffe erzählt dem Onkel: „Jemand aus dem Institut war neulich im Concert des
jungen List, u. sagte, daß er viele Fehler im Spiel gemacht habe.“
Also wohl kein „Weihekuss“ und ob der elfjährige Liszt, damals Schüler von Carl
Czerny, der ja seinerseits wiederum Beethovens Schüler gewesen war, ob Liszt
damals Beethoven immerhin besucht hat, das ist auch nicht ganz klar. Die
Konversationshefte verzeichnen zwar einen Eintrag von Liszt, worin er Beethoven
bittet, in sein Konzert zu kommen. Aber es gibt keinen eindeutigen Beleg dafür,
dass es wirklich Liszt war, der das schrieb.
Fakt ist jedoch, dass Liszt und Beethoven fast am selben Projekt mitgewirkt hätten.
Fast, denn Beethoven machte dann doch sein eigenes Ding draus. Von den
Diabelli Variationen ist die Rede. Beethoven schrieb über Anton Diabellis Walzer
einen großen Variationszyklus, Liszt dagegen kam der ursprünglichen Forderung
Diabellis nach, nur eine Variation zu schreiben, genauso wie viele andere –
damals berühmte – Musiker. Hier das Thema und die Variationen von Carl Czerny,
dem elfjährigen Franz Liszt und Ignaz Moscheles. 2‟25
4. Musik
Carl Czerny, Franz Liszt, Ignaz Moscheles
aus: Diabelli Variationen
1. <35> 0‟55
1. <39> 0‟56
2. <15> 0„59
2. <17> 0„51
Ca. 3„40
Rudolf Buchbinder, Klavier
Titel CD: Diabelli‟s Waltz
Teldec, 0630-17388-2, LC 6019
WDR 5025 737
Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli: ein Großprojekt an dem sich
auch Carl Czerny, sein damaliger Schüler Franz Liszt und der Pianist und
Komponist Ignaz Moscheles beteiligten. Gespielt wurden das Thema und diese
drei Variationen von Rudolf Buchbinder.
Ignaz Moscheles lebte seit 1808 in Wien und stand bis er in den 1820er Jahren
nach London ging, immer mal wieder im persönlichen Kontakt mit Beethoven.
Was den Komponisten keineswegs davon abhielt, mit seinem Neffen oder
sonstigen Besuchern über Moscheles als Pianist ab zu lästern. Das lässt sich
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natürlich nur vermuten, denn Beethoven bleibt für uns ja stumm. Aber aus den
Antworten kann man keinen Widerspruch erkennen. So berichtete der Neffe
Beethovens über ein Konzert 1820 in München: „Von dem Moscheles stand in
Münchner Blättern eine unsinnige Lobrede; - es ist nicht möglich, daß man dort
allgemein das glaubt, was diese Beurtheilung enthält, ein niedriger Kunstgeist.“
Als Moscheles dann aber Ende 1823 für vier Konzerte nach Wien kam, da hat
Beethoven ihm sogar seinen englischen Broadwood, seinen Flügel, für eines der
Konzerte geliehen. Und Moscheles besuchte den Meister, berichtete über seinen
Aufenthalt in London, wie er gewohnt hatte, erklärte Beethoven die englische
Währung, erzählte über das englische Musikleben und die dortige Bewunderung
für Beethoven. Gleichzeitig ging es auch um ganz Alltägliches wie zum Beispiel:
„In London ist der Wein (der Verdauung wegen) sehr mit Rhum gemischt.“
Beethoven wird Moscheles gelöchert haben: denn die Londoner Verhältnisse
interessierten ihn sehr: noch immer geisterte die Idee einer Reise nach England
durch seinen Kopf. Die dortige Philharmonic Society hatte bereits einige Werke
von ihm gekauft und ihn auch nach England eingeladen. Moscheles nun erklärte
Beethoven bei seinem Besuch Ende 1823: „Ich gehe gegen Neujahr nach
London, und könnte Aufträge von Ihnen mit nehmen.“
Neben möglichen Arbeitsverbindungen nach England berichtete Moscheles
Beethoven aber auch den neusten Tratsch und zwar über Mälzel, denjenigen,
der das Metronom auf den Markt gebracht hatte. Offensichtlich war jetzt was
ganz anderes dran: Moscheles: „Der arme Maelzel ist in Paris und schickt Ihnen
1000 Grüße. Jetzt macht er Puppen die Papa und Mama aussprechen.“ 2‟16
5. Musik
Ignaz Moscheles
Allegro vivace aus:
Sonate concertante G-Dur op. 79
<1> aufblenden bei 11‟22 bis Ende [frei 3„51]
András Adorján, Flöte
Noël Lee, Klavier
WDR Kompilation
WDR 5039 847
Der letzte Satz aus der Sonate concertante in G-Dur op. 79 von Ignaz Moscheles.
Es spielten András Adorján, Flöte und Noël Lee, Klavier.
„Wird die C dur Sinfonie vielleicht bald fertig seyn?“ fragte Moscheles Beethoven
bei seinem Besuch. Gemeint war die 9. Sinfonie von Beethoven nicht in C-Dur
natürlich, sondern in d-moll, die der Komponist für die Philharmonic Society in
London schreiben sollte. Uraufgeführt wurde sie dennoch in Wien und zwar am 7.
Mai 1824. Die Vorbereitungen zu diesem Konzert – neben der 9. Sinfonie standen
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die Ouvertüre zu „Die Weihe des Hauses“ und Teile der Missa solemnis auf dem
Programm - waren ziemlich kompliziert, wie man in den Konversationsheften
eindrucksvoll nachlesen kann. Die Probleme waren zahlreich, nicht alle können
hier erwähnt werden. Nur einige: Chor- und Orchesterstimmen mussten von den
Kopisten in kürzester Zeit angefertigt werden, da die umfangreiche Partitur erst im
Februar fertig geworden war und Sänger und Instrumentalisten kämpften bei den
Proben mit den hohen Anforderungen von Beethovens 9. Sinfonie. Aber auch die
Fragen, wo die Akademie, also dieses Konzert, stattfinden sollte und wer Sänger
und Orchester leiten sollte, beschäftigten Beethoven intensiv. Bei den
Verhandlungen legte er einen ziemlichen Eigensinn an den Tag. Nachdem
Beethoven das Theater an der Wien nicht nehmen wollte, weil man den
Konzertmeister Clement nicht ohne weiteres gegen seinen Freund Ignaz
Schuppanzigh ersetzen wollte, wich der Komponist auf den großen Redoutensaal
aus. Allerdings gab es dort terminliche Schwierigkeiten, so dass sich Beethoven
nun mit dem kleineren Redoutensaal begnügen sollte. Da drohte Beethoven auf
einen ganz anderen Ort, einen relativ kleinen Saal in der Herren Gasse zurück zu
greifen. Die Emotionen kochten hoch.
Moritz von Lichnowsky versuchte ihn umzustimmen: „Lieber Beethoven blos für ihr
Wohl besorgt, muß ich Sie fragen, wie Sie denen Gründen ihre Academie in
einen so kleinen Locale geben, nachgeben konnten, wo aller Effect verloren
gehen muß.“ Der Komponist schien hart zu bleiben und Schindler bemerkte: „Die
Wiener wissen schon ein hübsches bon mot – daß der große Beethoven in einer
Nußschale Concert geben will.“
Letztendlich fand man doch einen geeigneten Aufführungsort: das
Kärntnertortheater. Erneut musste der Termin verschoben werden. Den Proben
kam das sicherlich zu Gute, denn Schuppanzigh stöhnte im Konversationsheft:
„Uiberhudeln läßt sich diese Musik nicht, es ist immer besser, wenn wir noch einige
Tage gewinnen.“ Und weiter: „Die Sängerinnen können noch keine Note.“
Trotz all dieser Schwierigkeiten: die Uraufführung der 9. Sinfonie wurde für
Beethoven ein großer Triumph: das Publikum reagierte mit Begeisterungsstürmen.
2‟37
6. Musik
Ludwig van Beethoven
Ausschnitt 4. Satz aus:
Sinfonie Nr. 9 d-moll op. 125
<6> 5„05
The London Classical Players
Roger Norrington, Ltg.
Titel CD: Beethoven Sinfonie 9
EMI, CDC 7492212, LC 0542
WDR 5004 845
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Ein Ausschnitt aus dem vierten Satz der Neunten Sinfonie von Ludwig van
Beethoven. Roger Norrington leitete The London Classical Players.
Kurz vor der Akademie mit der 9. Sinfonie saßen Schindler, Schuppanzigh und
Beethoven noch beim Essen beisammen und scherzten. Schindler über
Schuppanzigh im Konversationsheft: „Ein Mordkerl bei der Schüßel, wenn
Backhühner drauf sind.“ Schuppanzigh war ziemlich dick, aß also offensichtlich
gerne und viel. Am Ende des Essens sagte Schuppanzigh: „Schindler findet die
Rechnung zu stark, er vergießt aber, daß er 2 Maß Wein allein gesoffen hat.“ Die
Stimmung war nach den stressigen Wochen der Vorbereitung der Akademie
gelöst und Schindler bemerkte: „Ich hörte, daß ein gewisser Beethoven Freytag
Akademie geben wird u. es mit aller Gewalt gar nicht vorwärts gehen will – der
Teufl soll es hohlen es muß doch gehen sagt er – so höre ich!“ Da wurde also
schon über den schwierigen Fortgang der Proben gewitzelt.
Die gute Stimmung von „Freude, schöner Götterfunken“ und „alle Menschen
werden Brüder“ war allerdings bald nach dem Konzert vergessen: Obwohl ein
großer Erfolg für Beethoven, muss ihm doch die Kinnlade runter gefallen sein, als
er erfuhr, wie wenig Gewinn er dabei gemacht hatte: schuld waren vermutlich
unter anderem die hohen Kopierkosten. In Beethovens Augen jedoch gab es
ganz klar einen Schuldigen und das war Schindler. Kapellmeister Umlauf,
Schuppanzigh, Schindler, Beethoven und sein Neffe trafen sich einige Tage nach
dem Konzert zum Essen. Beethoven scheint Schindler beschimpft zu haben, denn
der schrieb ins Konversationsheft: „Wenn andere Säureyen machten, den Knoten
im höchsten Grade verwickelten, so konnte ich bey Gott nicht anders handeln,
als ich that.“ Zunächst plätscherte das Gespräch weiter, doch in Beethoven
kochte es. Schindler setzte zur Verteidigung an: „War ich nicht allein ursache, daß
diese großen Werke zur Aufführung kamen? Dieß muß mir jeder, der es mit Ihnen
gut meint, nachreden. Adieu Adieu! Also Gott befohlen“ Und weg war er. Da
nutzte auch Schuppanzighs Parteinahme nichts mehr: „Der arme Teufel kann
nichts dafür, er ist wirklich unschuldig.“ 2„05
7. Musik
Ludwig van Beethoven
Ausschnitt 4. Satz aus: Sinfonie Nr. 9 d-moll op. 125
<10> 2‟34 <11> 1‟59 <12> 1„43
Yvonne Kenny, Sopran
Sarah Walker, Mezzosopran
Patrick Power, Tenor Petteri Salomaa, Bass
The Schütz Choir of London The London Classical Players
Roger Norrington, Ltg.
Titel CD: Beethoven Sinfonie 9
EMI, CDC 7492212, LC 0542
WDR 5004 845
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Das Ende des Finales aus Beethovens 9. Sinfonie in d-moll op. 125 war das. Es
sang The Schütz Choir of London und es spielten noch einmal The London
Classical Players unter der Leitung von Roger Norrington. Solisten waren: Yvonne
Kenny, Sopran, Sarah Walker, Mezzosopran, Patrick Power, Tenor und Petteri
Salomaa, Bass.
Für den finanziellen Misserfolg musste sich Schindler in den Konversationsheften
schriftlich verteidigen, Beethoven konnte seiner Wut mündlich Luft machen. Wie
umständlich ein solcher Streit gewesen sein muss!
Selten, aber eben doch manchmal, griff Beethoven aber auch selbst zum Stift:
dann, wenn er befürchtete, belauscht zu werden: wenn es sehr privat wurde.
Das, was er vor den Ohren der Öffentlichkeit verbergen wollte, können wir heute
Lesen: welche Ironie des Schicksals!
Anfang 1823 etwa findet sich Beethovens Geständnis, dass er seine ehemalige
Klavierschülerin Giulietta geliebt habe. Auf Französisch schreibt er ins
Konversationsheft: „Ich wurde von ihr geliebt und mehr als je ihr Mann.” Er habe
seinem Rivalen sogar einmal finanziell geholfen, berichtet Beethoven weiter.
Noch bevor sie mit ihrem Ehemann Graf Gallenberg damals nach Italien
gegangen sei, habe sie ihn – Beethoven - besucht: „Sie suchte mich weinend
auf, aber ich verachtete sie.“
In Liebesdingen fand Beethoven nicht das Glück, das er suchte. Und auch als
„Vater“, als Ersatzvater seines Neffen, war ihm – trotz gutem Vorsatz und hohen
Idealen – nicht immer eine glückliche Hand beschieden. Auch bei privaten
Streitigkeiten mit Karl zückt Beethoven hin und wieder den Stift. Morgen lauschen
wir in der SWR 2 Musikstunde einer solchen Auseinandersetzung zwischen Neffe
und Onkel. Aber auch von den späten Quartetten, bei denen Beethoven nicht
mehr hörend, aber mit den Augen die Bögen der Streicher verfolgend
Anweisungen gab, wird die Rede sein. 1„52
8. Musik
Ludwig van Beethoven
Presto agitata, 3. Satz aus:
Sonate Nr. 14 op. 27 Nr. 2 in cis-moll „Mondschein“
<7> 7„40
Maria João Pires, Klavier
Titel CD: Beethoven: Sonatas “Quasi una fantasia”
DG, 453 457-2, LC 0173
WDR 5080 865
Der dritte Satz aus der Sonate op. 27 Nr. 2 in cis-moll, der sogenannten
Mondschein Sonate von Ludwig van Beethoven. Klavier spielte Maria João Pires.
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Ich bin Susanne Herzog und sage danke für‟s Zuhören. Bis morgen bei der letzten
Folge der SWR 2 Musikstundenwoche zu Beethovens Taubheit und seinen
Konversationsheften. 0„22