Die heiklen Themen ansprechen - Frankfurter Forschungszentrum

Frankfurt - 17.07.2016
ISLAMISMUS-EXPERTIN
„Die heiklen Themen ansprechen“
Von Hanning Voigts
Warum gibt es bei der Zusammenarbeit mit Moscheen bei Projekten
gegen Radikalisierung immer wieder Probleme? Die Islamismus-Expertin
Susanne Schröter sagt, was sich ändern muss.
Susanne Schröter (58) ist Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität
Frankfurt. Sie befasst sich vor allem mit Salafismus, dem politischen Islam
sowie mit Konstruktionen von Geschlecht, Sexualität und Moral in der
islamischen Welt. Sie leitet das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler
Islam“ (FFGI) am Exzellenzcluster Normative Ordnungen der Goethe-Uni.
Susanne Schröter: „Die Moscheegemeinden
haben eigentlich eine ganz andere Aufgabe“.
Foto: Christoph Boeckheler
Frau Schröter, erst verlassen drei Frankfurter Moscheen ein
Jugendprojekt, jetzt sperrt die Bundesregierung Geld für eine zweite
Präventionsinitiative. Warum gibt es bei diesen Projekten so viele
Probleme?
Eins der Kernprobleme ist, dass man bei der Präventionsarbeit unbedingt muslimische Gemeinschaften mit im Boot
haben möchte. Man will ihnen zeigen, dass man keine Maßnahmen über ihre Köpfe hinweg beginnt und nicht den Islam
an sich attackiert. Die Moscheegemeinden haben aber eigentlich eine ganz andere Aufgabe, nämlich für die religiösen
Bedürfnisse ihrer Gläubigen dazusein. Für politische und pädagogische Aufgaben, für Prävention und Integration, sind
deren Mitglieder gar nicht ausgebildet. Die Moscheen lassen sich trotzdem auf solche Projekte ein, weil sie hoffen, dass
damit ihre eigene Jugendarbeit finanziert wird. Aber was sie unter Jugendarbeit verstehen, ist etwas vollkommen
anderes als das, was sich säkulare Akteure vorstellen. Man spielt da von vorneherein nicht mit offenen Karten.
Generell ist es eine gute Idee, wenn Ideen aus der islamischen Community kommen, oder?
Das kommt darauf an, was genau die Ziele sind. Die Förderung religiöser Jugendarbeit, etwa geschlechtergetrennten
Schwimmens, ist im Rahmen des Förderprogramms „Demokratie leben“ gar nicht finanzierungswürdig. Es wird oft davon
ausgegangen, dass professionelle Jugendarbeit an sich schon Prävention sei. Und das bezweifle ich. Man kann auch
Jugendarbeit machen, die wenig mit Prävention und Demokratie zu tun hat. Leider wird oft angenommen, dass
Radikalisierung primär eine Folge mangelnder Partizipation oder Diskriminierung sei. Das ist aber nur ein Faktor unter
vielen, und bei vielen ist er gar nicht ausschlaggebend.
Sollen staatliche Strukturen denn überhaupt mit Akteuren kooperieren, die problematische Ansichten vertreten?
Es kommt auf die Voraussetzungen an. Wenn man mit ihnen arbeitet, muss man die heiklen Themen klar benennen. Und
das wird nicht gemacht. Man glaubt einfach, die Zusammenarbeit als solche werde etwas bewirken. Wenn man ganz klar
sagt, dass bestimmte Ideologien Radikalisierung begünstigen, würde man schnell unüberbrückbare Differenzen
feststellen – etwa bei Organisationen, die den Muslimbrüdern nahestehen. Die Lösung kann aber nicht sein, das deshalb
nicht zu thematisieren. Wenn man schon Steuergelder ausgibt, muss man sich sehr genau überlegen, was man
voneinander erwartet. Sonst produziert man lediglich Enttäuschungen auf allen Seiten.
Was wären aus Ihrer Sicht neben der Geschlechtertrennung andere wichtige Themen, die man offen ansprechen
müsste?
Man müsste sich sehr klar darüber verständigen, ob etwa die Einteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige behoben
werden sollte. In einem Programm, das demokratiefördernd sein soll, muss man das erwarten. Und sich von dieser
Einteilung zu verabschieden, hat eine ganze Reihe praktischer Konsequenzen: Das müsste bedeuten, dass eine
Muslima einen Nicht-Muslim heiraten kann, dass man den Islam verlassen kann und so weiter.
In Bezug auf den Deutsch-Islamischen Vereinsverband heißt es, man habe zu Projektbeginn nicht gewusst, dass
es dort problematische Mitglieder gebe. Ist der Staat schlecht informiert?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn man mit Gemeinden arbeitet – und die Integrationsämter machen das überall –,
dann muss dieses Wissen vorhanden sein.
Stimmen Sie der These des in Berlin lebenden arabisch-israelischen Psychologen Ahmad Mansour zu, dass man
auch den Mainstream-Islam verändern muss, wenn man Radikalisierung bekämpfen will?
Ja. Man muss im interreligiösen Dialog und in den muslimischen Communities die heiklen Themen ansprechen. Darum
drücken sich sowohl die Moscheevorstände als auch die Verbandsvorstände die ganze Zeit herum. Man attackiert
Übergriffe auf Muslime, man attackiert Islamfeindlichkeit, man geht aber nicht an die weit verbreitete religiöse Feindschaft
gegenüber sogenannten Ungläubigen heran oder an die Frage, ob ein Mädchen das Recht hat, selbst über ihr Leben zu
bestimmen. All diese Freiheitsrechte, die wir in dieser Gesellschaft für selbstverständlich erachten, müssen in den
muslimischen Communities behandelt werden, wenn sie als Dialogpartner wirklich ernstgenommen werden wollen. Denn
eins ist klar: Obwohl Dschihadismus nicht nur ein religiöses Phänomen ist, sondern vielfache Hintergründe hat, wäre er
ohne eine bestimmte konservative Auslegung des Islam nicht möglich.
Können Sie es verstehen, wenn islamische Verbände sagen, sie würden sowieso die ganze Zeit aufgefordert,
sich vom Terror zu distanzieren, und sie seien es leid, angegangen zu werden?
Ich kann es nachvollziehen, dass man keine Lust hat, ständig den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen. Aber
auf der anderen Seite lässt sich nun mal nicht bestreiten, dass wir in einer Zeit leben, in der es islamistischen Terror gibt.
Und man hat – auch da bin ich ganz bei Ahmad Mansour – in manchen muslimischen Milieus problematische
Einstellungen, die mit den Ideen der Rechte des Individuums und der Demokratie wenig zu tun haben. Und dabei gibt es
sehr kluge Köpfe aus der muslimischen Community, die zwar fromme Muslime sind, aber ihre Religion in einer Weise
deuten und leben, mit der wirklich niemand ein Problem haben kann. Die konservativen Verbände verteidigen einen
Islam, der von einem Großteil der in Deutschland lebenden Muslime längst ad acta gelegt wurde. Wir haben wenig
Grund, die Konservativen zu stärken und diejenigen links liegen zu lassen, die längst sehr gut hier angekommen sind.
Was kann man tun, um die Prävention voranzubringen?
Man sollte die muslimischen Gemeinden nicht überlasten. Moscheen haben keine politische Funktion, sie sind
seelsorgerische und spirituelle Instanzen. Von daher glaube ich, dass Prävention an die Schulen gehört. Da kann man
auch religiöse Akteure hinzuziehen, zum Beispiel Imame in die Schulen einladen. Aber religiöse Jugendarbeit zur
Präventionsarbeit umzudeuten, kann nicht der Weg sein. Ich bin überhaupt nicht dagegen, dass Moscheen ihre eigene
Jugendarbeit machen, das ist vollkommen in Ordnung. Aber das hat nichts mit Präventionsarbeit zu tun.
Interview: Hanning Voigts
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