12 Lehrbetriebe | Schwyz Preisträger: Karin Schwiter (ganz rechts) und ihr Forschungsteam durften den Coreched-Preis von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann entgegennehmen. Bild pd Untypische Berufe Auch Mädchen sollen Elektrikerinnen werden dürfen KANTON Karin Schwiter hat für ihre Forschungsarbeit den Coreched-Preis erhalten. Sie hat über geschlechtsuntypische Berufe geforscht und will Jugendliche dazu motivieren, Elektrikerin oder auch Pflegefachmann zu werden. ■ Mit Karin Schwiter sprach Laura Inderbitzin Worum geht es in Ihrer Studie? Das Forschungsteam und ich sind der Frage nachgegangen, wie geschlechtstypische und -untypische Berufseinstiege zustande kommen. Oder salopp gesagt haben wir untersucht, warum Elektrikerinnen und Pflegefachmänner in der Schweiz bisher noch selten sind. Wie sind Sie auf diese Frage gekommen? Man weiss heute, dass sich das Image von Berufen als sogenannte «Frauen- oder Männerberufe» nicht mit den Fähigkeiten von Frauen und Männern begründen lässt. So haben einige Berufe über die Zeit hinweg ihr Geschlecht gewechselt – beispielsweise verstand man Primarlehrpersonen und Sekretariatsmitarbeitende früher als männertypische Berufe. Ausserdem wer- Ist das auch in der Schweiz stark spürbar? Ja, in der Schweiz ist die berufliche Segregation, das heisst die Sortierung von Frauen und Männern in bestimmte Berufe, sogar noch stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Die Schwyzer Kantonsrätin Karin Schwiter. Bild pd den Berufe je nach Kultur unterschiedlich sortiert. In anderen Ländern gelten die körperlich anstrengende Feldarbeit in der Landwirtschaft und die technikaffine IT als frauentypische Arbeit. Was haben Sie herausgefunden? Wir konnten aufzeigen, wo Jugendliche mit Interesse an geschlechtsuntypischen Berufen – also zum Beispiel die Informatikerin und der Kinderbetreuer – zusätzliche Hürden überwinden müssen. Diese Hürden halten Jugendliche davon ab, untypische Berufe zu ergreifen, obwohl sie eigentlich die Fähigkeiten dafür mitbringen würden. Was sind solche Hürden? Jugendlichen fehlt von Anfang an der Zugang zu untypischen Berufen. In einem zweiten Schritt werden ihnen die Fähigkei- Lehrbetriebe | Schwyz ten abgesprochen. Obwohl sie oft überdurchschnittliche Voraussetzungen mitbringen, müssen sie andauernd beweisen, dass sie es ebenso gut können. Und drittens ist die Arbeit oft so organisiert, dass sich die Jugendlichen nur schwer vorstellen können, in diesen Berufen eine Familie zu gründen. Wieso ist Ihnen wichtig, dass sich das ändert? Jede Person soll ihr Talent einsetzen können. Solange Frauen und Männern mit untypischen Fähigkeiten Steine in den Weg gelegt werden, geht ihr Potenzial verloren. Das schadet unserer Gesellschaft. Wie kann man das ändern? Einerseits gilt es, den Blick von Jugendlichen auf geschlechtsuntypische Berufsfelder zu erweitern und sie darin zu bestär- «Viele Betriebe arbeiten an diesem Problem.» ken, allfällige Talente in diesen Bereichen zu verwirklichen. Andererseits müssen wir in der Arbeitswelt Bedingungen schaffen, dass eine Vielfalt an Lebensentwürfen möglich ist. Was heisst das für die Schule und Berufsbildung? Viele Jugendliche haben geschlechtsuntypische Berufe gar nicht auf dem Schirm. 13 Die Schule kann dazu beitragen, in ihren Geschichten, Bildern und Unterrichtsthemen vermehrt auch Elektrikerinnen, Pflegefachmänner usw. sichtbar zu machen. «Die Familienplanung hat einen grossen Einfluss.» Was muss sich in der Arbeitswelt ändern? Wie unsere Forschung zeigt, haben Jugendliche bei der Berufsfindung bereits die Familienplanung im Hinterkopf. Sie befürchten, geschlechtsuntypische Berufe seien schlecht mit ihren Familienplänen vereinbar. Hier gilt es, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die verschiedene Lebensentwürfe erlauben. Was heisst das konkret? In frauentypischen Berufsfeldern geht es primär um angemessene Verdienstmöglichkeiten und Weiterqualifikationswege. In männertypischen Berufsfeldern heisst das, beispielsweise Teilzeitarbeit oder Homeoffice zu ermöglichen – für Frauen ebenso wie für Männer. Wo gibt es konkrete Lösungsansätze im Kanton Schwyz? Viele Schulen und Berufsberatende sind bereits aktiv geworden. Unterrichts- und Beratungsmaterialien werden verbessert. Zudem gibt es spezifische Girls- bzw. Boys- Days, Informationsabende und Projektwochen, an denen Jugendliche in untypischen Berufen schnuppern können. Auch viele Betriebe arbeiten bereits daran, sich auf Mitarbeitende des untervertretenen Geschlechts besser auszurichten. Wie setzen Sie sich persönlich dafür ein? Ich habe immer wieder Gelegenheit, unsere Forschungsergebnisse an Workshops und Weiterbildungen von Schulen, Berufsberatenden und Fachverbänden vorzustellen. Zudem ist es mir ein grosses Anliegen, auch die Öffentlichkeit für die Problematik zu sensibilisieren – zum Beispiel mit Beiträgen in Zeitungen (lacht). Ausserdem bin ich bereits an einem weiteren Forschungsprojekt zum Thema beteiligt. Worum geht es bei dieser Arbeit? Wir besuchen dieselbe Untersuchungsgruppe fünf Jahre später erneut und fragen, wie Frauen und Männer in untypischen Berufen ihre Berufstätigkeit und Familienpläne zusammenführen. Was würde man erreichen, wenn sich die jetzige Situation ändert? Ziel ist, dass alle Jugendlichen jenen Beruf erlernen, für den sie die besten Fähigkeiten mitbringen – ganz unabhängig von ihrem Geschlecht. Was würden Sie Jugendlichen auf den Weg geben, die einen geschlechtsuntypischen Beruf erlernen wollen? Untypischer Beruf: Auch für Frauen soll es selbstverständlich sein, auf dem Bau zu arbeiten. Steckbrief Name: Karin Schwiter Wohnort: Lachen Geburtsdatum: 9. November 1977 Beruf: Wirtschaftsgeografin Hobbys: Politisieren und Diskutieren, Biken, Joggen und Lesen Lieblingsessen: Vegetarischer Wildteller Lieblingsberg: Grosser Mythen – immer wieder spektakulär Haltet an eurem Ziel fest! Unsere Forschung zeigt, dass junge Erwachsene in untypischen Berufen im Nachhinein häufig hervorheben, wie glücklich sie sind, dass sie diesen Weg gegangen sind. Was bedeutet Ihnen der Coreched-Preis, den Sie für die Arbeit erhalten haben? Er ist für unsere Arbeit eine grosse Anerkennung und hilft uns dabei, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und damit die Chancengleichheit für die nächste Generation Jugendlicher zu verbessern. HINWEIS Die Schweizerische Koordinationskonferenz Bildungsforschung (Coreched) hat dieses Jahr zum sechsten Mal den Forschungspreis vergeben. Der Preis richtet sich an Forscher, die im Bereich der Bildungswissenschaften tätig sind. Der Preis ist mit 25 000 Franken dotiert. Keystone
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