Erfolgsmodell Menschenrechte Historiker erforschen die

URL: http://www.uni-jena.de/Mitteilungen/PM160712_Menschenrechte_Stahl.pdf
Erfolgsmodell Menschenrechte
Historiker erforschen die Geschichte der Menschenrechte in
interdisziplinärem Arbeitskreis
Im September 1973 schrieben sowjetische Dissidenten einen Brief an Amnesty International. Die
"Gruppe 73" um Andrei Twerdochlebow und Wladimir Archangelski bestand überwiegend aus
Naturwissenschaftlern und setzte sich u. a. für den Schriftsteller Alexander Solschenizyn und den
Physiker Andrei Sacharow ein. Bei Amnesty International löste der Brief eine veritable Krise aus:
Einerseits wäre eine Amnesty-Filiale in Moskau ein unerhörtes politisches Signal im Kalten Krieg
gewesen, andererseits wären die mühevoll aufgebauten Kontakte zu sowjetischen Stellen wohl mit
einem Schlage zerstört worden. Schließlich erhielten die sowjetischen Dissidenten den Status
einer lokalen Gruppe von Amnesty.
"Wir möchten erklären, wie die Menschenrechte zu einem Schlagwort der politischen
Kommunikation im 20. Jahrhundert wurden", sagt Dr. Daniel Stahl von der Universität Jena. Der
Historiker ist Wissenschaftlicher Sekretär des Arbeitskreises "Menschenrechte im 20. Jahrhundert",
der auf Initiative der Fritz-Thyssen-Stiftung ins Leben gerufen wurde. Geleitet wird der Arbeitskreis
von Prof. Dr. Norbert Frei von der Universität Jena.
Dem Arbeitskreis gehören außerdem renommierte Historikerinnen und Historiker aus Deutschland
und Israel sowie Rechts- und Politikwissenschaftler an, die sich vorrangig mit Völkerrecht und
Konflikt- und Friedensforschung befassen. Darunter sind Prof. Dr. Dan Diner von der Hebrew
University of Jerusalem, Prof. Dr. Raphael Gross, der das Simon-Dubnow-Institut für Jüdische
Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig leitet, Dr. Miriam Rürup, die Direktorin des
Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und PD Dr. Annette Weinke von der
Universität Jena. Dem Arbeitskreis gehören zudem der Völkerrechtler Prof. Dr. Claus Kreß von der
Universität Köln an sowie die Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung an
der Universität Marburg, Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel.
Menschenrechtsaktivisten in lebensgeschichtlichen Interviews
Um den Aufstieg der Menschenrechte im 20. Jahrhundert zu erforschen, sollen u. a. die Quellen
neu betrachtet werden, erläutert Daniel Stahl. Als Grundlage neuer Bewertungen werden die
Schlüsseltexte der Menschenrechtsgeschichte historisierend kommentiert auf einer Homepage
veröffentlicht, die jüngst freigeschaltet wurde.
Unter www.geschichte-menschenrechte.de finden sich etwa die Einleitung zum Bericht der
chilenischen Wahrheitskommission, die die Verbrechen der Pinochet-Junta aufklären half, ein
Beitrag über das Weißbuch Menschenrechte in China sowie der Beitrag über den Brief
sowjetischer Menschenrechtler an Amnesty.
Gezielt geht der Blick der Wissenschaftler auch über Europa hinaus. Im Fokus stehen u. a.
Aktivitäten von Menschenrechtlern und Nichtregierungsorganisationen in Afrika und Südamerika
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oder Osteuropa. Dabei rücken Ereignisse und Initiativen ins Blickfeld, die sich abseits der "großen
Politik" abgespielt haben. So etwa die Entschließung deutscher Völkerrechtler, die 1947 auf die
Einhaltung der Menschenrechte drängte. Hintergrund war die Vertreibung der deutschen
Bevölkerung aus den Ostgebieten sowie die Internierungspraxis deutscher Kriegsgefangener.
Interessant sei die Rezeptionsgeschichte solcher Dokumente, sagt Dr. Stahl.
Noch befindet sich die Website des Arbeitskreises in ihren Anfängen, sie soll allmählich wachsen.
Dabei folgen die Texte einem Muster: Sie gliedern sich nach Entstehungsgeschichte, Inhalt,
Wirkungsgeschichte und Literaturangaben.
Gestalter der Menschenrechtspolitik des 20. Jahrhundert
Ein weiterer Schwerpunkt sind lebensgeschichtliche Interviews mit Personen, die die
Menschenrechtspolitik des 20. Jahrhundert mitgestaltet haben. Vertreten sind u. a. Ulrike Poppe
vom Arbeitskreis "Frieden und Menschenrechte", der FDP-Politiker Gerhart Baum sowie Benjamin
Ferencz, der letzte lebende Chefankläger in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.
Der Arbeitskreis "Menschenrechte im 20. Jahrhundert" trifft sich zwei Mal jährlich im Haus der
Fritz-Thyssen-Stiftung in Köln. Eingeladen werden dazu u. a. die Stipendiaten des Arbeitskreises:
Aktuell gibt es vier Stipendiaten, die sich mit den Themen Asyl, Amnesty International in Polen, der
Roma-Bewegung und der Menschenrechts-Kommission der UN befassen. Stipendien werden
gezielt an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, deren Arbeiten sich historisierend
mit Menschenrechten befassen.
Kontakt:
Dr. Daniel Stahl
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Zwätzengasse 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944449
E-Mail: [email protected]
Meldung vom: 12.07.2016 12:24 Uhr
Historiker erforschen die Geschichte der Menschenrechte ininterdisziplinärem Arbeitskreis
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