Kultur KRIMIS Charmanter Wonnegraus In „Röslein rot“, dem neuen Krimi der Erfolgsautorin Ingrid Noll, rechnet eine Frau lustvoll mit ihrem Mann ab. D B. BOSTELMANN / ARGUM er Ehemann gleicht nach all den Männern vernachlässigt, mit ausgeprägJahren einem müden, alten Gaul, tem Hang zur Neurose. Mit anderen Worund die beiden Kinder machen ten: Nolls Heldinnen sind ziemlich normeistens mehr Arbeit als Freude. Aber mal, häufig sogar nett. Ihre verbrecheriEhefrauen sind pragmatisch, ihre Kosten- schen Neigungen sind einem beängstigend Nutzen-Rechnung ist einfach: Die Ehe ist vertraut, daher rührt wohl der Wonnenun mal kein Lustspiel, und wenn einem graus, der einem beim Lesen ihrer Bücher die Männer nicht mehr scharenweise hin- überkommt. terherlaufen, hält man sich eben an die Auch „Röslein rot“ hat das, was einen vertraute Hausmannskost und sucht sich typischen Noll-Roman auszeichnet: ein nettes Hobby. schwarzen Humor, charmante Ironie, heiStilleben sind die Leidenschaft von Hel- tere Abgründigkeit. Die freche Geschichdin Annerose, sie betrachtet sie gern und te hat Tempo und eine ungewöhnliche malt traumverloren selbst welche. Das er- erzählerische Leichtigkeit. Darauf vereignislose Leben plätschert so dahin, bis steht sich die spätberufene Schreiberin – plötzlich eine junge Frau auftaucht, An- keines ihrer Provinzabenteuer vergißt neroses Gatten anschmachtet und ihm Blu- man leicht. Zu anschaulich, präzise und men schenkt. Von da an kommt – buchstäblich – Leben in Anneroses Bude. Und irgendwann liegt, unvermeidlich und sehr zur Freude des Lesers, eine Leiche im Bett. Krimi-Autorin Ingrid Noll, 62, hochgerühmt und millionenfach erfolgreich mit ihren hinterhältigtückischen Morden, hält sich in ihrem neuen Roman „Röslein rot“* erstaunlich zurück: Ich-Erzählerin Annerose ist weniger rigoros als Nolls bisherige Heldinnen, an die man sich gern erinnert: Da gibt es „Die Apothekerin“, die kaltblütig-hingebungsvoll mordet, und die biestigen Luder Schriftstellerin Noll: Spaß an genüßlichen Intrigen Cora und Mara, die in „Die Häupter meiner Lieben“ einige Herren erledi- farbig zeichnet sie ihre Geschöpfe, denen gen, ohne mit der getuschten Wimper zu man willig durch sämtliche Lebenskrisen zucken. Und unvergessen Rosemarie Hir- folgt und denen man, egal wie amoralisch te aus dem Erstling „Der Hahn ist tot“, ein sie sein mögen, von Herzen alles Gute resolutes Frauenzimmer, das, in verhee- wünscht. render Liebe zu einem Mann entbrannt, Ihr selbst gehe es weniger um Morde jeden aus dem Weg räumt, der da lästi- als um so schwierige Themen wie Ergerweise herumsteht. wachsenwerden oder die Unbill des Annerose ist sanfter, sie sei, erklärt Noll, Alters, erklärt Noll den Kollegen Jürgen „zu zaghaft für ein Verbrechen“. Macht Alberts und Frank Göhre in einem ausnichts, auch die gute Annerose hat es faust- führlichen Radiointerview, das im Rahdick hinter den Ohren und rächt sich, nach men der Sendereihe „Geschichte des anfänglichem Zaudern, auf raffinierte Art. deutschsprachigen Krimimalromans“ am Anders als andere Vielschreiber wird 31. Oktober im zweiten Programm von die Weinheimer Autorin Noll, die nahezu Radio Bremen zu hören sein wird. pro Jahr ein Buch abliefert, nicht schlechDort singt sie mit großem Vergnügen alter. Sie hat Spaß an genüßlichen Intrigen, lerlei Lieder, spricht über ihre entrückte und ihre Figuren ähneln sich: Es sind Kindheit in China, den Besuch einer vereigensinnige, manchmal spießige Frauen, haßten Nonnenschule, ihre Vorbilder Friedzu kurz gekommen, vom Leben und den rich Schiller und Heinrich Heine, ihre Ehe, die Sehnsucht nach einem Zimmer für sich allein – und schließlich ihre Romanideen. * Ingrid Noll: „Röslein rot“. Diogenes Verlag, Zürich; „Ich kenne meine Personen sehr gut“, sagt 273 Seiten; 39 Mark. 164 d e r s p i e g e l 3 3 / 1 9 9 8 Noll. „Ich nehme sie mit in meine Träume, und sie sitzen bei mir auf dem Sofa und trinken Tee.“ Gewalttätigkeit und grausame Blutbäder liegen der dreifachen Mutter nicht, wichtiger sind ihr genaue psychologische Porträts, die Beschreibung verlogener Bürgeridyllen, die Tücken der Harmonie. Noll gehört zu den besten deutschen Erzählern, und natürlich weiß sie das. „Es ist klug, im Alter zu schreiben“, sagt sie lakonisch. Darin lägen „höhere Erfolgschancen, als wenn ich jetzt mit Eislaufen anfangen würde“. Diese Bescheidenheit und Selbstironie hat sie mit ihrer Heldin Annerose gemeinsam. Angela Gatterburg Bestseller Im Auftrag des SPIEGEL wöchentlich ermittelt vom Fachmagazin „Buchreport“ Belletristik Sachbücher 1 (1) Donna Leon Sanft entschlafen 1 (1) Jon Krakauer In eisige Höhen Diogenes; 39 Mark Malik; 39,80 Mark 2 (2) Marianne Fredriksson Hannas Töchter W. Krüger; 39,80 Mark 2 (2) Stéphane Courtois und andere Das Schwarzbuch des Kommunismus Piper; 68 Mark 3 (3) John Grisham Der Partner 3 (4) Harriet Rubin Machiavelli für Frauen W. Krüger; 34 Mark Hoffmann und Campe; 48 Mark 4 (4) Ken Follett Der dritte Zwilling Lübbe; 46 Mark 5 (5) Benoîte Groult Leben heißt frei sein Droemer; 39,90 Mark 4 (3) Dale Carnegie Sorge dich nicht, lebe! Scherz; 46 Mark 5 (5) Ute Ehrhardt Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin W. Krüger; 32 Mark 6 (7) Peter Mayle Cézanne gesucht! 6 (6) Isabel Allende Aphrodite Blessing; 39,90 Mark Suhrkamp; 49,80 Mark 7 (6) Catherine Clément Theos Reise Hanser; 39,80 Mark 8 (9) Nicholas Sparks Weit wie das Meer 7 (8) Günter Ogger Absahnen und abhauen Droemer; 39,90 Mark Heyne; 32 Mark 8 (7) Monty Roberts Der mit den Pferden spricht Lübbe; 44 Mark 9 (8) Ingo Schulze Simple Storys 9 (9) Peter Kelder Die Fünf „Tibeter“ Berlin; 38 Mark Integral; 22 Mark 10 (12) Richard Preston Cobra 10 (11) Peter Scholl-Latour Lügen im Heiligen Land Droemer; 39,90 Mark 11 (10) Christian Jacq Ramses – Die Schlacht von Kadesch Wunderlich; 42 Mark Siedler; 49,90 Mark Leitfaden durch politischen Wahnwitz: Irrungen und Wirrungen im Nahen Osten 12 (11) Minette Walters Das Echo Goldmann; 42,90 Mark 13 (13) Paulo Coelho Der Alchimist Diogenes; 32 Mark 11 (12) Richard von Weizsäcker Vier Zeiten Siedler; 49,90 Mark 12 (14) Hans Herbert von Arnim Fetter Bauch regiert nicht gern Kindler; 44,90 Mark 14 (–) Arundhati Roy Der Gott der kleinen Dinge 13 (13) Marion Gräfin Dönhoff Der Effendi wünscht zu beten Blessing; 42,90 Mark Siedler; 39,90 Mark Erzähl-Parforceritt durch indischen Aberwitz: Glück und Verderben einer verbotenen Liebe 14 (10) Ed W. Marsh James Camerons Titanic Burgschmiet; 39 Mark 15 (15) Donna Leon Acqua alta 15 (15) Guido Knopp Hitlers Helfer – Täter und Vollstrecker Diogenes; 39 Mark C. Bertelsmann; 46,80 Mark d e r s p i e g e l 3 3 / 1 9 9 8 165
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