SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Sven Giegold (Grüne), finanzpolitischer Fraktions-Sprecher im Europa-Parlament, gab heute, 11.07.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Strafen für Defizitsünder Spanien und Portugal?“. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Pascal Fournier. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 11.07.2016 „Sanktionen gegen Spanien und Portugal sind richtig, aber einseitig“ Baden-Baden: Der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold hat sich grundsätzlich für EUSanktionen gegen die Defizit-Sünder Spanien und Portugal ausgesprochen. Es sei wichtig, die selbstgesetzten Regeln auch einzuhalten, so der Europaabgeordnete im Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR). Gleichzeitig kritisierte Giegold die einseitige Ausrichtung der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik auf Haushaltsdisziplin und Sparmaßnahmen. Im SWR-Tagesgespräch sagte er, die Verantwortung für die aktuellen Probleme liege nicht allein bei Spanien und Portugal. Giegold verwies auf die „großen Reformanstrengungen“ beider Länder. Das Problem sei eher „eine gemeinsame Arbeitsverweigerung aller Wirtschafts- und Finanzminister, eine gemeinsame Investitionspolitik in Europa auf die Beine zu stellen“. Als Beispiele nannte der Grünen-Finanzpolitiker gemeinsame große Investitionen in erneuerbare Energien, Bildung, Forschung und Entwicklung, in „unsere digitale Zukunft“ – all dies aber finde kaum statt. Solange dies sich nicht ändere, sei es „sehr schwer für Staaten, aus der Krise herauszukommen.“ Mit Blick auf den aktuellen Zustand der EU nach dem Brexit-Referendum räumte Giegold die Gefahr ein, dass Sanktionen Anti-EU-Stimmungen in den Mitgliedsstaaten weiter befeuern könnten. Giegold wörtlich: „Wenn Europa nur dafür zuständig ist, Sanktionen zu verteilen, und gleichzeitig bei gemeinsamen Investitionen nichts auf die Reihe bekommt, dann schürt das anti-europäische Ressentiments.“ Eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik mit gemeinsamen Investitionen aber sei „ein ganz anderes Signal“. Wortlaut des Live-Gesprächs: Fournier: Die Kommission scheint gewillt, diesmal tatsächlich Sanktionen gegen Spanien und Portugal zu verhängen und laut Insidern eine Mehrheit der Eurofinanzminister ebenfalls. Ist es das richtige Signal an Defizitsünder? Giegold: Zunächst mal ist richtig, was die EU-Kommission festgestellt hat. Beide Länder haben sich nicht an die Regeln gehalten, und deshalb ist auch konsequent, das jetzt festzustellen und damit auch das Verfahren zu den Sanktionen jetzt ernsthaft zu schalten. Aber es ist gleichzeitig einseitig. Denn die Verantwortung für diese Probleme liegt nicht alleine in Spanien und Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Portugal. Beide Länder haben große Reform-Anstrengungen unternommen, deshalb ist gerade diese Rede von Defizitsündern eine völlig falsche, religiöse Zuspitzung. Sondern wir haben eigentlich eine gemeinsame Arbeitsverweigerung aller Wirtschafts- und Finanzminister, eine gemeinsame Investitionspolitik in Europa auf die Beine zu stellen. Wir dürfen die Länder nicht mit Autoritätsmaßnahmen alleine lassen, sondern müssen endlich dafür sorgen, dass nachhaltige Investitionen in Gang kommen. Das ist auch in unserem eigenen Interesse. Wir sehen, wie derzeit schon in Italien die nächste Bankenkrise sich anbahnt. Das kann uns nicht egal sein, und das kann man mit Sanktionen alleine nicht bekämpfen. Fournier: Sie sagen, grundsätzlich ist es richtig, Portugal und Spanien auf die Finger zu schauen. Nur hatte Portugal auf dem Höhepunkt der Finanzkrise ein Defizit von 11,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Spanien von 11 Prozent. Jetzt liegt Portugal bei rund 4,5 Prozent und Spanien bei knapp über 5. Warum ausgerechnet jetzt Härte zeigen, wo die Dinge sich doch einzurenken scheinen? Giegold: Das Grundproblem ist, dass die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakt inzwischen völlig unglaubwürdig geworden sind. Zum ersten Mal, weil gegenüber Frankreich die Regeln von der EU-Kommission nicht eingehalten wurden, auch nach der Finanzkrise, und jetzt haben wir praktisch den nächsten Fall. Klar ist: Eine gemeinsame Währung bei gleichzeitig so wichtigen wirtschaftspolitischen Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten, ohne einen starken gemeinsamen Haushalt, kann nur funktionieren, wenn sich alle an die Spielregeln halten. Soweit ist das alles richtig. Da reicht es auch nicht, wenn man sagt, da gab es Verbesserungen, sondern da kommt es darauf an, dass die gemeinsamen Entscheidungen ernst genommen werden. Und das ist in Spanien nicht passiert. Zum Beispiel sind dort Steuersenkungen beschlossen worden, obwohl dafür überhaupt kein Haushaltsrahmen war. In Portugal gab es auch eine Reihe von fragwürdigen Maßnahmen, zuletzt auch wieder Steuersenkungen, obwohl das Land das nicht vertragen kann, und Arbeitszeitverkürzungen im öffentlichen Sektor, die zwar grundsätzlich wünschenswert sind, aber sich das Land derzeit nicht leisten kann. Also mit anderen Worten: Die Staaten haben zwar enorme Anstrengungen unternommen. Das hat auch, dass muss man ganz ehrlich dazu sagen, zu hoher Arbeitslosigkeit und Armut beigetragen. Aber es ist trotzdem falsch, jetzt die Regeln zu beugen. Richtig wäre aber, nicht einfach mit neuer Austerität zu reagieren, sondern mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das Problem ist nicht das Feststellen des Defizits. Das Problem ist die Einseitigkeit der Wirtschaftspolitik in Europa, und dafür trägt die Bundesregierung auch eine große Mitverantwortung. Fournier: Es sind unruhige Zeiten in Europa. Nach dem Brexit war vielfach zu hören, um dem weiteren Zerfall zu begegnen, müsse die EU unter anderem eben einfach auch ihre selbstgesetzten Regeln künftig wieder einhalten. Ist das jetzt hier der Präzedenzfall – der Umgang mit Spanien und Portugal? Giegold: Ja, wie gesagt – der Präzedenzfall war schon der Umgang mit Frankreich. Schon vor 3 Jahren hätte eigentlich dort das Verfahren scharf gestellt werden müssen, und das ist nicht gemacht worden. Und insofern sind die Regeln ohnehin in der Krise, und das, was dahinter steht ist allerdings: Die Regeln setzen einseitig auf die Sanierung des Staatshaushaltes in Einzelstaaten. Der Eurozone fehlt nach wie vor eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und diese gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, also gemeinsame große Investitionen, zum Beispiel in die Umstellung auf erneuerbaren Energien, in Bildung, in Forschung und Entwicklung, in unsere digitale Zukunft – all diese gemeinsamen Investitionen finden kaum statt. Und so lange ist es sehr schwer für Staaten, aus der Krise heraus zu kommen, ohne gleichzeitig zu einer Zunahme von Armut und Arbeitslosigkeit zu führen. Und das Problem müssen wir lösen, und dazu brauchen wir jetzt Maßnahmen und können nicht weiter zuwarten. Fournier: Aber schüren Sanktionen jetzt nicht eine sowieso schon grassierende Anti-EUStimmung? Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Giegold: Die Gefahr besteht fraglos. Vor allem dann, wenn es einfach nur bei dieser Sanktionsdrohung bleibt. Also, wenn Europa immer dafür zuständig ist, Sanktionen zu verteilen und gleichzeitig bei gemeinsamen Investitionen nichts auf die Reihe bekommt, dann schürt das natürlich anti-europäische Ressentiments. Wenn man aber gleichzeitig eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik beschließt, mit gemeinsamen Investitionen, das ist ja auch ein Angebot an diese Staaten, dann hat man ein ganz anderes Signal. Das ist eben die Verantwortung auch der deutschen Bundesregierung, dass man in Brüssel am liebsten als Sparkommissar auftritt, aber eben nichts auf die Reihe bekommt, wenn es darum geht, tatsächlich gemeinsame Investitionen auf die Reihe zu bringen. Deutschland hat Haushaltsüberschüsse und ist nicht bereit, die in die gemeinsame Zukunft mit zu investieren, von der wir ja auch profitieren würden. Das ist also kein Geschenk, sondern es geht um Investitionen. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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