Deutsche sehen Zustrom von Flüchtlingen relativ gelassen

DIENSTAG, 12. JULI 2016
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n Brüssel hat die 14. TTIPVerhandlungsrunde begonnen. Hunderte von belgischen Schreinereien hatten
wochenlang verschlossene Türen in die Hauptstadt geliefert,
hinter denen die Verhandlungen
stattfinden. Journalisten stehen
vier Tonnen Kaffeesatz zur
Verfügung, aus dem sie alles
herauslesen können. Mehr als
100 Satanisten, sieben VoodooPriester und 5000 Lobbyisten
werden den Gesprächen beiwohnen und am Ende über die
Beschlüsse abstimmen. Die
14. Verhandlungsrunde dient
hauptsächlich der Vorbereitung
der 15. Verhandlungsrunde. Ein
wichtiger Punkt ist der Zugang
europäischer Schreinereien
zum US-Markt sowie die Aufhebung von Handelsschranken
für die amerikanische Türenindustrie. Es wird befürchtet,
dass der Geschlossene-TürenMarkt in Europa zusammenbricht, weil sich Familienbetriebe nicht gegen die Billigkonkurrenz amerikanischer Türenfarmer durchsetzen könnten. Die
Verhandlungsergebnisse werden
mit Zaubertinte auf eine verschlossene Tür geschrieben; die
Schrift verschwindet, sobald
Sigmar Gabriel versucht, sich
das anzugucken.
FEUILLETON
Wumms!
Frankfurt würdigt
die Pioniere des Comics
Seite 21
POLITIK
Politik, unverdrossen:
Schwedens Elite
diskutiert mit dem Volk
Seite 8
FINANZEN
Bleiben die Nullzinsen
noch bis 2023?
Seite 13
WISSEN
Forschung bekommt
Aids besser in den Griff
Seite 20
DAX
Im Plus
Seite 15
Dax
Schluss
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Good luck,
Theresa May!
Schuhe der Macht
A
Leopardenmuster, Strasssteine – unauffällig
sieht anders aus. Markante Schuhe sind ein Markenzeichen von Theresa May. Die 59-Jährige wird
nach dem abrupten Rückzug ihrer Rivalin Andrea
Leadsom nun David Cameron als Chef der Konservativen Partei und britischen Premierminister
beerben. May ist seit 2010 Innenministerin – so
lange hat sich seit 100 Jahren niemand in diesem
Amt gehalten. Viele vergleichen die resolute und
ehrgeizige Politikerin bereits mit der „Eisernen
Lady“ Margaret Thatcher.
PA/CHRIS RADBURN; CLIFF STERRETT
Siehe Kommentar und Seite 6
Deutsche sehen Zustrom von
Flüchtlingen relativ gelassen
O
Bundesbürger haben weniger Angst vor wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Zuwanderung als die
Einwohner der meisten anderen EU-Länder. Wenn etwas Sorgen macht, ist es steigende Terrorgefahr
bwohl Deutschland in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa
aufgenommen hat, machen sich die Deutschen
am wenigsten Sorgen über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen
des Zustroms. Deutschland gehört auch
zu den Ländern mit den geringsten Vorbehalten gegenüber Muslimen.
VON ANSGAR GRAW
Allerdings fürchten die Bundesbürger
sich stärker als andere Länder vor einer
wachsenden Terrorgefahr durch die Zuwanderung von Flüchtlingen, wie aus einer Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew hervorgeht.
Die These „Flüchtlinge stellen eine
Belastung für unser Land dar, weil sie
uns Arbeitsplätze und Sozialleistungen
wegnehmen“ bejahen nur 31 Prozent der
Deutschen. Hingegen hat jeder zweite
Europäer diese Sorge. Besonders besorgt
ob der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Flüchtlingswelle sind die Menschen in Ungarn (82 Prozent), Polen
(75), Griechenland (72) und Italien (65).
Ähnlich entspannt wie in Deutschland
wird dieser Aspekt der Flüchtlingswelle
nur in Schweden (32 Prozent) gesehen,
das ebenfalls eine sehr hohe Zahl an Zuwanderern aufgenommen hat. Großbritannien liegt mit 46 Prozent ebenfalls
unter dem Durchschnitt, obwohl die Frage der Zuwanderung eine große Rolle
beim Votum für den EU-Austritt spielte.
In Frankreich, wo die Rechtspartei Front
National auch mit der Flüchtlingsfrage
großen Zulauf erhält, liegt der Wert bei
53 Prozent. Befragt wurden Menschen in
Italien, Griechenland, Ungarn, Frankreich, Spanien, Polen, Schweden, den
Niederlanden,
Großbritannien
und
Deutschland.
Größer als die Sorge über die wirtschaftlichen Folgen der Zuwanderung ist
die Angst vor Terror. Im Durchschnitt
glauben 59 Prozent der Menschen in den
zehn Ländern, dass die Terrorgefahr
durch die Zuwanderung steigt. Ungarn
(76 Prozent) und Polen (71) haben erneut
die größten Sorgen. Die Deutschen folgen diesmal mit 61 Prozent. Sie liegen
gleichauf mit den Niederlanden und
knapp vor Italien. Die Angst ist am geringsten bei Franzosen und Spaniern.
Steigende Kriminalität infolge des Zustroms befürchten die Europäer hingegen mehrheitlich nicht. Nur 30 Prozent
geben im Durchschnitt eine solche Sorge
an. In keinem der befragten Länder liegt
Merkel enttäuscht
von den Nachbarn
Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
hat mehr Solidarität innerhalb
Europas gefordert. Es sei eine
Enttäuschung gewesen, als im
vergangenen Jahr bei der Ankunft
der Flüchtlinge so viele europäische Länder „Uns geht das nichts
an“ gesagt hätten, betonte Merkel
auf einer Wahlkampfveranstaltung in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Türkei habe drei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen,
ganz Europa gerade mal knapp
eine Million.
der Wert über 50 Prozent. Italien (47
Prozent), Schweden (46) und Ungarn
(43) haben die größten Ängste, Franzosen (24) und Polen (13) die geringsten.
Deutschland rangiert mit 30 Prozent im
Mittelfeld.
Die Vorbehalte gegenüber Muslimen
sind am größten in Ost- und Südeuropa.
Eine negative Meinung über diese Religionsgruppe haben vor allem Ungarn (72
Prozent), Italiener (69), Polen (66) und
Griechen (65). Jeder zweite Spanier teilt
die Vorbehalte. Aber nur jeweils 29 Prozent der Franzosen und der Deutschen
haben laut der Erhebung eine negative
Haltung gegenüber Muslimen. In Großbritannien sind es 28 Prozent.
Juden stoßen laut dieser Umfrage vor
allem in Griechenland auf Ablehnung.
Dort liegt die Quote der negativen Meinungen über diese Religionsgruppe bei
55 Prozent. Ungarn (32 Prozent), Polen
und Italien ( jeweils 24) sowie Spanien
(21) folgen mit geringeren, aber ebenfalls
hohen antisemitischen Anteilen. In
Frankreich sind es zehn Prozent, in
Schweden und Deutschland fünf, in den
Niederlanden nur vier Prozent.
THOMAS KIELINGER
ngela Merkel kann schon einmal den Glückwunsch formulieren für Theresa May, die
nun schneller als erwartet Premierministerin des Vereinigten Königreichs wird. Mit dem Abschicken mag
sie sich noch bis Mittwoch gedulden,
dem „Krönungstag“, muss also nicht
mehr neun Wochen lang warten wie
ursprünglich befürchtet. Was gelten
noch Pläne in dem von Eruptionen
erschütterten London? Der Rückzug
der Mitbewerberin um die Downing
Street hat alles magisch vereinfacht.
Die Protagonisten der Brexit-Kampagne, Boris Johnson, Michael Gove
und Andrea Leadsom, sind nicht
mehr, so vergeht der Ruhm der Welt.
Zurückgeblieben ist eine eher versteckte Remain-Vertreterin, Innenministerin May, 59, die freilich nie einen Hehl daraus gemacht hatte, was
alles an der EU auch ihr nicht behagte, darunter die uneingeschränkte
Migration innerhalb der EU sowie die
Hoheit des Europäischen Gerichtshofs über englisches Recht.
Wird sie den Leadership-Test bestehen? Niemand bezweifelt es. Dabei entspricht sie nicht dem gängigen
Bild der Westminster-Elite mit deren
Seilschaften und Klubmitgliedschaften – von Letzterem hat sie sich bis
heute freigehalten. „Ich bin von Natur aus nicht plaudersüchtig“, sagte
sie einmal, „ich kümmere mich nur
um die Aufgabe, die vor mir liegt.“
Das hat sie mit Margaret Thatcher
gemeinsam, die ebenfalls keinen Sinn
hatte für Small Talk und für das Geschwätz der Medien über sie. Angela
Merkel wird sich in vielen Eigenschaften Mays wiedererkennen.
Aufsehen macht, wie die Künftige
gestern ihr Regierungsprogramm vorstellte für den Fall ihrer Wahl – der
Rücktritt von Frau Leadsom war zur
Zeit der Rede noch nicht bekannt.
Breit im Vordergrund stand die dringende Bekämpfung der sozialen Ungleichheit in Großbritannien. Politiker hätten „oft nicht bemerkt, wie
hart das Leben für die arbeitenden
Menschen geworden ist“. Die Liste
der Sünden, die sie aufzählte, las sich
wie ein Katalog versäumter Politik
unter wechselnden Regierungen. Eine
Strafpredigt. Die sozial Abgehängten
nämlich haben mehrheitlich für den
Brexit gestimmt, das heißt gegen die
Londoner Elite und ihre wachsende
Ferne von den Nöten im Lande. Wie
Schuppen fällt es jetzt dem politischen Establishment von den Augen.
Zu Europa vorerst nur dies: „Brexit
heißt Brexit, und wir werden ihn zum
Erfolg bringen. Es wird keinen Versuch geben, der EU durch die Hintertür wieder beizutreten.“ Eine formidable Agenda – die Heilung des britischen Patienten bei gleichzeitigem
Schritt in unbekanntes Gelände.
Good luck.
[email protected]
„Ich liebe dich“
A
Cristiano Ronaldo will den Pokal gar nicht mehr loslassen. Portugal feiert seine EM-Helden
uch den nächsten großen Auftritt mit der ersehnten Trophäe
ließ sich Cristiano Ronaldo nicht nehmen. Als Erster von
Portugals EM-Helden stieg der verletzte, aber glückliche Superstar neben Trainer Fernando Santos am Montagmittag in Lissabon aus dem Flugzeug und präsentierte den silbernen Pokal. Anschließend genoss das Team in offenen, rot-grünen Bussen den Jubel
Zehntausender Fans und wurde im Belém-Palast von Staatspräsident
Marcelo Rebelo de Sousa gewürdigt: „Die Seleção hat ein Beispiel
dafür gegeben, dass man mit Mut, Entschlossenheit, Kampfeswillen,
Bescheidenheit und Teamgeist zum Erfolg finden kann.“
Wie viel dieser erste Titel Portugals Ronaldo bedeutet, zeigt auch
ein Foto, auf dem er den Cup an Bord der Maschine wie ein Baby im
Arm hält und dies mit zwei Worten kommentiert: „Te amo“ (Ich liebe
dich). Nach dem 1:0 über Frankreich im Finale der Fußball-Europameisterschaft hatte Ronaldo bereits die Polonaise zur portugiesischen Titelparty angeführt. „Das ist einer der schönsten Momente
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THEMEN
Nr. 161
KOMMENTAR
Zippert zappt
Lic: Qualitätssteuerung
REUTERS/RAFAEL MARCHANTE
I
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Verletzung schon fast vergessen: Cristiano Ronaldo (r.) und Portugals
Trainer Fernando Santos bei der umjubelten Ankunft in Lissabon
meiner Karriere“, schwärmte der 31-Jährige. „Das ist ein einzigartiger
Tag.“ Einzigartig – auch weil Ronaldo das portugiesische Team nach
seinem Verletzungsdrama als Anpeitscher von der Seitenlinie zum
Titel trieb. „Fantastisch“ sei die Halbzeitansprache Ronaldos gewesen, berichtete Rechtsverteidiger Cédric. „Er hat immer daran geglaubt, dass heute die Nacht der Nächte, unsere Nacht wird“, lobte
Trainer Santos den Optimismus seines Kapitäns, der nach 25 Minuten weinend auf einer Trage vom Platz musste.
Den Silberpokal wollte Ronaldo gar nicht mehr hergeben. Immer
wieder küsste er die Trophäe. Ansonsten freute er sich wie ein Kind,
rüttelte seinen Trainer durch, warf Handküsse ins Publikum und
schüttelte fassungslos den Kopf. In der Stunde des Triumphs erinnerte er an das verlorene Endspiel gegen Griechenland bei der
Heim-EM vor zwölf Jahren. „Ich habe darauf so lange gewartet, seit
2004. Ich habe Gott um eine weitere Chance gebeten, weil ich glaube,
dass die Portugiesen das verdienen.“
Seite 17
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ISSN 0173-8437
161-28
ZKZ 7109