MEDIZIN DISKUSSION zu dem Beitrag Tonsillektomie mit Uvulopalatopharyngoplastik bei obstruktiver Schlafapnoe von PD Dr. med. J. Ulrich Sommer, Dr. med. Clemens Heiser, Dr. med. Constanze Gahleitner, Dipl. rer. soc. Raphael M. Herr, Prof. Dr. med. Karl Hörmann, Dr. med. Joachim T. Maurer, Prof. Dr. med. Boris A. Stuck in Heft 1–2/2016 LITERATUR 1. Sommer JU, Heiser C, Gahleitner C, Herr RM, Hörmann K, Maurer JT, Stuck BA: Tonsillectomy with uvulopalatopharyngoplasty in obstructive sleep apnea—a two-center randomized controlled trial. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 1–8. 2. Salepci B, Caglayan B, Kiral N, et al.: CPAP adherence of patients with obstructive sleep apnea. Respir Care 2013; 58: 1467–73. Dr. med. Matthias Boentert Universitätsklinikum Münster [email protected] Gründe für die Ablehnung fehlen In die vorliegende Studie wurden Erwachsene mit obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), Tonsillenhyperplasie und velopharyngealer Obstruktion eingeschlossen, die eine nächtliche „continous positive airway pressure“(CPAP)-Therapie entweder ablehnten oder nicht tolerierten (1). Die Autoren der Studie versäumen es, im Methodenteil auf die Gründe für die Ablehnung der CPAP-Therapie durch die Studienteilnehmer und im Diskussionsteil auf die Faktoren einzugehen, welche die Therapieadhärenz langfristig beeinflussen. Hierzu zählen ein guter Maskensitz, die Qualität des professionellen Supports, die Verbesserung der Schlafqualität und eine Reduktion der Tagesschläfrigkeit (2). Dementsprechend kann es durch Maskentraining oder Luftbefeuchtung gelingen, therapieassoziierte Probleme zu adressieren und ein Scheitern der CPAP-Therapie zu vermeiden. Diese oft aufwendigen Hilfen können in der Regel nicht innerhalb der ersten 1–2 Therapienächte zum Erfolg führen, so dass aus unserer Erfahrung eine realistische Gefahr besteht, das Etikett „CPAP-Versager“ zu früh zu vergeben. Die CPAP-Therapie ist als Goldstandard in der Behandlung des OSAS anzusehen und kann unter Schlaflaborbedingungen den Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) auf normale Werte absenken. Es steht außer Frage, dass dies bei vielen Patienten im häuslichen Umfeld nicht erreicht werden kann, so dass die Förderung einer optimalen Therapieadhärenz eine fortwährende therapeutische Aufgabe darstellt. Es besteht jedoch kein Anlass, sich hinsichtlich eines operativen Therapieverfahrens mit einer nur teilweisen Reduktion des AHI zufriedenzugeben. Ein postoperativer Durchschnitts-AHI von 15,4/h (Standardabweichung von 14,1/h!) sowie nichtsignifikante Veränderungen von Entsättigungsindex und -dauer stellen im Vergleich zur CPAP-Therapie keinen Behandlungserfolg dar, der Aufwand, Kosten und Risiken eines operativen Eingriffs rechtfertigen würde. Zudem wäre bei einem residualen AHI von 15/h oder höher davon auszugehen, dass das mit dem OSAS assoziierte kardiovaskuläre Morbiditätsrisiko weiterhin Bestand hätte. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0484a 484 Interessenkonflikt Dr. Boentert erhielt Gelder für ein von ihm initiiertes Forschungsvorhaben, Honorare für eine Co-Autorenschaft im Rahmen einer Publikation und für Vorträge von wissenschaftlichen Tagungen oder Fortbildungsveranstaltungen von Heinen & Löwenstein. Weitere Langzeitstudien erforderlich Die Autoren beschreiben die Ergebnisse einer kontrollierten randomisierten Studie zur kombinierten Tonsillektomie-Uvulopalatopharyngoplastik (TE-UPPP) bei Patienten mit obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) und Tonsillenhyperplasie mit velopharyngealer Obstruktion (1). Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass die TE-UPPP bei ausgewählten Patienten zu einer Reduktion des Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) und der Tagesschläfrigkeit führen kann. Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch mehrere Limitationen: Eine relevante Tonsillenhyperplasie kann bei Kindern und Erwachsenen mit OSAS zweifellos die Indikation zur Tonsillektomie begründen. Zusätzlich muss aber bedacht werden, dass das Risiko einer oropharyngealen Obstruktion auch von anderen statischen (Anatomie) und dynamischen Faktoren (pharyngealer Muskeltonus, Körperposition) determiniert wird. Vermutlich ist es der Komplexität dieser Zusammenhänge zuzuschreiben, dass bislang für kein operatives Behandlungsverfahren der OSA eine ähnlich effektive Reduktion des AHI gezeigt werden konnte wie für die CPAP-Therapie. Es muss offen bleiben, welcher Grad der Tonsillenhyperplasie relevant ist und bei welchen Patienten zuverlässig vorausgesagt werden kann, dass sie hinsichtlich AHI und Tagessymptomatik von einer Operation profitieren werden. Zudem kann die vorliegende Studie nicht zeigen, ob die zusätzliche UPPP gegenüber der alleinigen Tonsillektomie einen Vorteil bietet oder nicht. In dieser Studie betrug der Beobachtungszeitraum durchschnittlich 4,4 Monate. Wie die Autoren zu Recht konstatieren, können daraus keinerlei Aussagen zur langfristigen Wirksamkeit der operativen Behandlung abgeleitet werden. Da mehrere Follow-up-Studien vermuten lassen, dass mindestens ein Drittel der initial erfolgreich operierten Patienten die Schwelle zum therapiebedürftigen OSAS im Verlauf wieder überschreiten Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 27–28 | 11. Juli 2016 MEDIZIN wird (2, 3), sind weitere Langzeitstudien erforderlich, die den unterschiedlichen operativen Behandlungsverfahren Rechnung tragen und den Fokus auf die Stratifizierung geeigneter Patientengruppen legen. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0484b LITERATUR 1. Sommer JU, Heiser C, Gahleitner C, Herr RM, Hörmann K, Maurer JT, Stuck BA: Tonsillectomy with uvulopalatopharyngoplasty in obstructive sleep apnea—a two-center randomized controlled trial. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 1–8. 2. Boot H, van Wegen R, Poublon RM, Bogaard JM, Schmitz PI, van der Meché FG: Long-term results of uvulopalatopharyngoplasty for obstructive sleep apnea syndrome. Laryngoscope 2000; 110: 469–75. 3. Vährend M, Berg S, Andersson M: Long-term follow-up of patients operated with uvulopalatopharyngoplasty from 1985 to 1991. Respir Med 2012; 106:1788–93. Prof. Dr. med. Peter Young Universitätsklinikum Münster [email protected] Interessenkonflikt Prof. Young erhielt Gelder für ein von ihm initiiertes Forschungsvorhaben, Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten sowie Honorare für Vorträge bei wissenschaftlichen Tagungen oder Fortbildungsveranstaltungen von Heinen & Löwenstein. Schlusswort Die Autoren möchten sich für die konstruktive Kritik und die Möglichkeit zur Stellungnahme bedanken. Die Gründe für eine CPAP-Intoleranz sind vielfältig und die Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance sind den Autoren aufgrund jahrelanger Erfahrungen in der CPAP-Therapie hinlänglich bekannt. Wie bereits dargestellt, hatten die Patienten trotz Ausschöpfung dieser Maßnahmen die CPAP-Therapie abgelehnt. Die CPAP-Therapie im Allgemeinen beziehungsweise die Möglichkeiten der Compliance-Verbesserung im Besonderen waren nicht Gegenstand der Studie, so dass auf eine ausführliche Diskussion dieses Themas verzichtet wurde (1). Die Autoren stimmen zu, dass bei suffizienter CPAPVersorgung in der Regel keine Indikation zur Operation besteht. Auch die Tatsache, dass die OSA ein multifaktorielles Geschehen darstellt, ist hinlänglich bekannt und kann in der Tat die chirurgische Therapie erschweren. Umso wichtiger erscheint den Autoren die Durchführung von kontrollierten Studien zu chirurgischen Verfahren. Ein Vergleich verschiedener Therapieverfahren zur Behandlung der OSA kann nicht ausschließlich die im Schlaflabor erreichten respiratorischen Indizes zur Grundlage haben, sondern muss die Aspekte Akzeptanz, Adhärenz und Compliance mit berücksichtigen. Eine Reduktion des AHI durch einen operativen Eingriff kann daher im Einzelfall effektiver sein als eine CPAP-Therapie, die den AHI in der Polysomnographie zwar deutlicher reduziert, jedoch im Alltag nur unzureichend angewandt wird. Aufwand und Kosten einer jahrelangen CPAP-Therapie und einer einmaligen Operation wie der TE-UPPP wurden bisher nicht verglichen, dürften aber für die Operation vermutlich günstiger Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 27–28 | 11. Juli 2016 ausfallen. Die wenigen Studien, die die kardiovaskuläre Mortalität zwischen einer CPAP-Therapie und einer TE-UPPP verglichen haben, konnten keine Überlegenheit der CPAP-Therapie zeigen (2, 3). Die Feststellung, dass bislang für kein operatives Behandlungsverfahren der OSA eine ähnlich effektive Reduktion des AHI gezeigt werden konnte wie für die CPAP-Therapie, ist nicht zutreffend und kann daher nicht unkommentiert bleiben. Die effektivste Therapie der OSA ist vermutlich die Tracheotomie, auch wenn es hier keine vergleichenden Studien gibt und sie aufgrund der begleitenden Morbidität nur als ultima ratio empfohlen wird. Eine prospektiv randomisierte Studie zwischen der CPAP-Therapie und einer maxillomandibulären Vorverlagerung zeigte eine vergleichbare Wirksamkeit beider Verfahren (4, 5). Der Hinweis, dass die Studie nicht zeigen konnte, dass die TE-UPPP gegenüber der alleinigen Tonsillektomie einen Vorteil bietet, ist zwar zutreffend, ein derartiger Vergleich war jedoch auch nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Forderung nach Langzeitstudien ist zu unterstützen, in einem kontrollierten Studiendesign mit einer unbehandelten Kontrollgruppe jedoch nicht umsetzbar. Beide Verfahren, CPAP und Operationen, haben ihre spezifischen Indikationen, Limitationen und Vor- und Nachteile, die es in jedem Einzelfall abzuwägen gilt. Die Patienten sollten über die zur Verfügung stehenden Verfahren mit der gebotenen Sachlichkeit informiert und der Patientenwunsch in Bezug auf das Therapieverfahren in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, wie dies auch für anderen Erkrankungen und Therapieverfahren üblich ist. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0485 LITERATUR 1. Sommer JU, Heiser C, Gahleitner C, Herr RM, Hörmann K, Maurer JT, Stuck BA: Tonsillectomy with uvulopalatopharyngoplasty in obstructive sleep apnea—a two-center randomized controlled trial. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 1–8. 2. Marti S, Sampol G, Muñoz X, et al.: Mortality in severe sleep apnoea/ hypopnoea syndrome patients: impact of treatment. Eur Respir J 2002; 20: 1511–8. 3. Keenan SP, Burt H, Ryan CF, Fleetham JA: Long-term survival of patients with obstructive sleep apnea treated by uvulopalatopharyngoplasty or nasal CPAP. Chest 1994; 105: 155–9. 4. Vicini C, Dallan I, Campanini A: Surgery vs ventilation in adult severe obstructive sleep apnea syndrome. Am J Otolaryngol 2010; 31: 14–20. 5. Guilleminault C, Simmons FB, Motta J: Obstructive sleep apnea syndrome and tracheostomy. Long-term follow-up experience. Arch Intern Med 1981; 141: 985–8. PD Dr. med. J. Ulrich Sommer Universitäts-HNO-Klinik Mannheim [email protected] Interessenkonflikt PD Dr. Sommer erhielt Honorare für Beratertätigkeiten, Erstattung von Teilnahmegebühren für Kongresse, Reise- und Übernachtungskosten und Honorare für die Vorbereitung von wissenschaftlichen Tagungen oder von Fortbildungsveranstaltungen, Gelder für ein von ihm initiiertes Forschungsvorhaben sowie Gelder für die Durchführung von klinischen Studien, bei denen ein Bezug zum Thema besteht von: Neuwirth Medical, Thorax Medical, Fisher & Paykel, Healthcare, Heinen & Löwenstein, Medtronic, Revert Medical, MODEC, Phillips, Meda Pharma, Inspire Medical und Nyxoah. 485
© Copyright 2025 ExpyDoc