SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Interview der Woche – Manuskript Autor: Gesprächspartner: Redaktion: Sendung: Stephan Ueberbach Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin Samstag,09.07.2016, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR SWR Interview der Woche vom 09.07.2016 SWR: Herr Kauder, lassen Sie uns über Europa reden, über Großbritannien. Da haben die BrexitPopulisten erst kräftig getrommelt, sich dann aus dem Staub gemacht. In London herrscht politisches Chaos. Europa steckt in der Krise. Und in Deutschland ist die Politik ratlos wie nie, so hat jedenfalls „Die Zeit“ in dieser Woche einen Artikel überschrieben. Stimmt das, sind Sie ratlos, wie es mit Europa weitergeht? V. K.: Also, die Entscheidung in Großbritannien hat uns natürlich alle ins Mark getroffen. Das ist nicht schön für Europa. Aber wir sind überhaupt nicht ratlos, sondern wir sagen, jetzt muss erst mal Großbritannien sich sammeln. Die müssen wissen, was sie wollen. Und dann werden wir mit Großbritannien auch darüber sprechen, wie es weitergehen soll. Eins ist klar, das hat die Kanzlerin immer gesagt, wir werden mit Großbritannien gut zusammen arbeiten. Wir sind mit denen nach wie vor in der NATO. Wir treffen sie bei G20, G7. Und Großbritannien ist für uns ein wichtiger Markt. SWR: Jetzt ist über Großbritannien hinaus die große Frage, was sich in Europa ändern muss, damit die Leute dabei bleiben, damit sie sich mit der EU identifizieren können und sich nicht wie in Großbritannien passiert ist von der Gemeinschaft abwenden. Welchen Mehrwert muss Europa seinen Bürgern bieten? V. K.: Also, wir brauchen in Europa natürlich die Zustimmung einer jungen Generation. Denn diese junge Generation ist die Zukunft Europas. Und da haben wir in einigen Ländern eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Und das heißt, Perspektivlosigkeit. Und das macht Europa gerade bei jungen Leuten nicht besonders attraktiv. Aber dieses Thema hat gerade in Großbritannien keine Rolle gespielt. In Großbritannien waren es interne Abrechnungen, die da stattgefunden haben. Europa muss also Zukunftsperspektiven für eine junge Generation erarbeiten. Das heißt, wir brauchen auch in den einzelnen Mitgliedsländern Reformen. Ich sage ein Beispiel: In Spanien haben wir eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, weil wir keine wirklich gute Berufsausbildung haben. Und es kann nicht jeder ein Studium machen. Wir brauchen auch Facharbeiter. Und da muss das duale Ausbildungssystem voran gebracht werden. SWR: Brauchen wir auch mehr öffentliche Investitionen, so wie es die SPD verlangt, damit Wirtschaft und Wachstum in Europa angekurbelt werden können? Da sind die Sozialdemokraten ja sozusagen im Schulterschluss mit anderen linken Parteien und Regierungen in Europa. Was denken Sie? V. K.: Ich habe mehrfach im Deutschen Bundestag die Sozialdemokraten darauf hingewiesen, dass zunächst einmal Strukturreformen durchgeführt werden müssen. Und habe sie daran erinnert, sie sollen doch zu dem stehen, was sie gemacht haben, damals unter Gerhard Schröder. Das ist ein Teil der Interview der Woche : 2 guten Situation in Deutschland. Wenn sie nur in eine Struktur hinein Geld werfen, die nicht zukunftsfähig ist, dann führt das zu überhaupt nichts. Und deswegen bleibe ich dabei, wir müssen investieren, beispielsweise in Ausbildungssysteme in Spanien. Dafür stehen übrigens Mittel zur Verfügung, da braucht man kein neues Geld. Und eins ist auch klar, neue Schulden führen nicht zu einem richtigen Ergebnis. SWR: Nun wird in Deutschland auch immer wieder der Ruf nach mehr direkter Demokratie laut. Was können wir in Deutschland aus dem Referendum in Großbritannien lernen? V. K.: Ich kann da nur darauf hinweisen, dass wir mit unserer repräsentativen Demokratie in Deutschland wirklich gut gefahren sind. Und aus Großbritannien kann man lernen, wer Populisten nachläuft, der schadet sich selbst. SWR: Könnte eine Lehre aus dem Brexit-Referendum auch sein für Deutschland, dass es sich nicht lohnt Populisten wie denen aus der AfD hinterher zu laufen? V. K.: Wenn man anschaut was die AfD gerade in Baden-Württemberg vorführt, kann man nur sagen: Gottseidank haben die keine Verantwortung. Sonst wäre das Chaos perfekt. Mehr will ich dazu auch gar nicht sagen. SWR: Warum eigentlich? Die Partei ist ein Konkurrent von Ihnen, sie nimmt auch der Union Stimmen ab. V. K.: Die AfD nimmt Stimmen aus verschiedenen Lagern. Und ich finde, wir sollten darüber reden was wir vorhaben. Und wir sollten vor allem aber auch mal ein wenig innehalten, wenn auch nur kurz, und sagen. Noch nie ging es den Menschen in unserem Land so gut wie in dieser Zeit. SWR: Das SWR Interview der Woche, heute mit Unionfraktionschef Volker Kauder. In welcher Stimmung geht denn die Koalition in die Sommerpause? Man beobachtet da so etwas wie ein Auseinanderdriften. Erste Risse zwischen den Partnern. Der Ton wird rauer, so jedenfalls unser Eindruck. In der Außenpolitik zeigen sich Differenzen. Über Europa haben wir ja schon ein bisschen gesprochen. Wenn wir die Russlandpolitik in den Blick nehmen, oder die NATO, da klingt es bei der SPD doch ganz anders als zum Beispiel bei der Kanzlerin und bei Ihnen. V. K.: Also, zunächst einmal gehen wir in eine Sommerpause, wissend, dass wir große Herausforderungen haben, vor allem in der Außen-und Sicherheitspolitik. Wir sind in den Grundfragen einig in der Koalition. Es gibt aber tatsächlich ein paar Bewegungen. Und da kann ich nur sagen, wir haben in Europa gemeinsam auch mit den Stimmen von Sozialisten entschieden, die Sanktionen gegen Russland weiter aufrecht zu erhalten. Es ist eher ein Sozialdemokrat, der NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der darauf hinweist, dass die Gefahren aus Russland nicht zu übersehen sind. Und dass die NATO natürlich auch gerüstet sein muss. Wir wollen Verhandlungen, wir wollen Gespräche, aber auch da muss Augenhöhe herrschen, dass jedem klar ist, dass wir nicht aus einer Position der Schwäche miteinander reden. Die NATO ist ein defensives Bündnis, kein Kriegsbündnis. Aber die Russen müssen wissen, dass wir uns von ihnen nicht an der Nase herum führen lassen. Interview der Woche : 3 SWR: Deutschland ist ein starkes Mitglied der NATO, ein führendes Mitglied der NATO. Wie hilfreich ist es, wenn aus der Bundesregierung unterschiedlich Signale Richtung Moskau gesendet werden, wie es im Moment der Fall ist? V. K.: Auf die Frage gibt es eine ganz klare Antwort: Das ist nicht wirklich hilfreich. SWR: Herr Kauder, über CETA, also über das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada werden nun wohl doch die nationale Parlamente abstimmen dürfen oder abstimmen müssen, je nachdem wie man das sehen möchte. Welche Chancen geben Sie dem Abkommen noch? V. K.: Ich gehe davon aus, dass wir CETA im Deutschen Bundestag verabschieden. Der Bundesrat wird sich sicher auch noch damit befassen. Ich kann nur sagen, wir sind ein Exportland. Und Exportländer brauchen Märkte. Nur ein Beispiel: Fünfzig Prozent der in Großbritannien zugelassenen Autos sind aus Deutschland. SWR: Aber wie kommt das denn, dass der Freihandel gerade in Deutschland so einen schlechten Ruf hat? Sind die Gegner einfach besser organisiert? Oder haben sie womöglich die besseren Argumente? V. K.: Die besseren Argumente haben sie auf gar keinen Fall. Wir haben eine ganze Reihe von Freihandelsabkommen, die uns genützt haben in der Vergangenheit. Da hat kein Mensch sich groß unterhalten. Vielleich spielt jetzt auch die Mobilisierungsmöglichkeit im Internet eine große Rolle. Aber das, was ich in Großbritannien erlebt habe in den letzten Wochen, das erlebe ich auch da, dass da mit Verdächtigungen, Halbwahrheiten gearbeitet wird. Wenn ich nur daran denke, dass die Umweltstandards aufgelöst werden sollen, das ist alles Unsinn, alles Quatsch. Ich kann nur sagen, auch da gilt der Satz: Wer sich solchen Abkommen verweigert könnte es sehr bald im eigenen Land spüren. SWR: Sie haben es gerade erwähnt, auch der Bundesrat wird sich wohl mit CETA befassen. Das heißt Sie brauchen die Hilfe der Grünen. Wird es die geben? V. K.: Auch die Grünen sind in Landesregierungen beteiligt, wo große Unternehmen sitzen, die Exportmärkte brauchen. Wenn die Automobilindustrie nicht mehr exportieren schlägt es unmittelbar auf Arbeitsplätze in Deutschland zurück. Da bin mal gespannt, da bin ich mal wirklich gespannt. SWR: Wenn wir über die Grünen reden, reden wir ja womöglich über Ihren nächsten Koalitionspartner im Bund, oder? V. K.: Wir reden in der Bundestagswahl zunächst überhaupt nicht über Koalitionspartner, sondern wir reden darüber, dass wir der felsenfesten Überzeugung sind, gerade in einer Zeit von großen Herausforderungen, Schwierigkeiten, zeigt sich doch wie gut es ist, dass die Union eine Regierung führt. Und darauf werden wir im Bundestagswahlkampf hinweisen. Wir werden also nicht darüber reden mit wem, sondern wir werden darüber reden, was wir wollen. Interview der Woche : 4 SWR: Glauben Sie, dass die Bürger die Konsensdemokratie leid sind? Müssen Parteien wieder stärker polarisieren? V. K.: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten Antworten auf ihre Fragen. Und sie erwarten, dass das Land gut regiert wird. Für parteipolitischen Streit haben sie wenig Verständnis. Und das kann ich verstehen, da wird eine Regierung gewählt, die muss dann arbeiten und sie muss die Probleme lösen. Und es wird im Übrigen deutlich genug wo Unterschiede sind. Bei allen Meinungsumfragen sagen die Menschen: Wirtschaftskompetenz ist bei der Union, Kompetenz in Sicherheit bei der Union, bei Fragen des Sozialen ordnen sie mehr der SPD zu. Ist also gar nicht so wie immer behauptet wird, auch von Journalisten, dass alles Einheitsbrei sei. Ist nicht so.
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