SWR2 Interview der Woche

SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Interview der Woche – Manuskript
Autor:
Gesprächspartner:
Redaktion:
Sendung:
Stephan Ueberbach
Peter Altmaier, CDU, Kanzleramtsminister
Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin
Samstag, 2.7.2016, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR
SWR Interview der Woche vom 2.7.2016
SWR: Herr Altmaier, lassen Sie uns mit der Lage in Europa anfangen. Großbritannien bekommt jetzt
ein bisschen Zeit, um sich zu sortieren und die nächsten Schritte vorzubereiten. Ist das die richtige
Entscheidung?
P.A.: Eindeutig ja. Wir haben in den letzten Tagen gesehen, dass die politische Debatte in
Großbritannien sehr von Extremen geprägt ist, und dass viele auch in Großbritannien vom Ausgang
dieses Referendums überrascht sind. Wir respektieren das Ergebnis dieses Referendums. Das ist auch
in Brüssel deutlich geworden. Aber wir sollten das, was in den Europäischen Verträgen steht, auch
respektieren. Nämlich, dass es Sache von Großbritannien ist zu entscheiden, wie es mit diesem
Referendum umgeht. Wir haben Großbritannien signalisiert dass es diese Beratungen gründlich und mit
der erforderlichen Sorgfalt führen kann. Aber wir haben auch deutlich gemacht, dass es unsere Aufgabe
ist, in der Zwischenzeit dafür zu sorgen, dass die Interessen der Europäischen Union insgesamt so
gewahrt bleiben, dass wir dies vor unseren Bürgerinnen und Bürgern verantworten können. Und
deshalb haben wir gesagt, in der Zwischenzeit kann es keine informellen, vorgezogenen, wie auch
immer, Verhandlungen geben. Und es kann vor allen Dingen keine Rosinenpickere“ geben, weil das,
was wir mit Großbritannien vereinbaren, nicht anders und nicht besser und nicht vorteilhafter sein kann
als das, was wir mit Ländern wie Norwegen, der Schweiz, Island und anderen verhandelt haben. Und
ich glaube, dass niemand von uns heute absehen kann, wer der nächste Premierminister ist, wie die
Position dieser neuen Regierung aussehen wird, und wie das Parlament in London sich letzten Endes
dazu verhalten wird.
SWR: Es wird ja darüber spekuliert, ob die Briten vielleicht doch noch einen Rückzieher machen, weil
den Menschen es jetzt klar wird, was sie da „angerichtet“ haben. Halten Sie einen Exit aus dem Brexit
für eine realistische Möglichkeit?
P.A.: Das ist, Herr Ueberbach, ganz ehrlich gesagt, eine Frage, die in Großbritannien diskutiert werden
muss. Wir tun gut daran dass wir zwei Dinge deutlich machen. Erstens, auch wir respektieren solche
Entscheidungen und werden dann versuchen, daraus für Europa das Beste zu machen. Wir geben aber
dem englischen Parlament keine Ratschläge, so wie auch der Deutsche Bundestag in anderen
Situationen nicht unbedingt Ratschläge von befreundeten Parlamenten anderer Länder sehen möchte.
SWR: Nun ruft die SPD nach mehr Investitionen. Sie will Wirtschaft und Wachstum damit ankurbeln.
Das verlangen ja viele Südländer in der Europäischen Union ebenfalls und zwar schon seit längerem.
Und ganz offensichtlich ist es im Moment so, dass die linken Parteien und Regierungen die Chance
wittern, eine neue Europapolitik anzustoßen, für eine Sozialunion. Was denken Sie?
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P.A.: Ich glaube, dass wir in Europa in der Tat Wachstum brauchen. In Deutschland war und ist das
Wachstum seit einigen Jahren sehr erfreulich und auf stabilem Niveau. In anderen Ländern ist es ganz
anders. Deshalb brauchen wir mehr Wachstum. Die Frage ist nur, ob man dies durch noch mehr
öffentliche Gelder erreicht, durch noch mehr Brücken die gebaut werden und öffentliche Infrastruktur.
Oder, ob man es dadurch erreicht, dass diese europäischen Länder attraktiv werden für ausländische
Investitionen. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg. Deutschland war in einer großen Krise zu
Beginn des Jahrtausends. Wir hatten mehrere Millionen Arbeitsplätze verloren. Wir hatten fünf Millionen
Arbeitslose in Deutschland. Heute haben wir deutlich unter drei Millionen Arbeitslose. Wir haben so
viele Beschäftigungsverhältnisse wie noch nie zuvor in der deutschen Geschichte. Das haben wir nicht
erreicht durch öffentliche Ausgabenprogramme. Das haben wir nicht erreicht durch weniger Stabilität.
Wir haben es dadurch erreicht, dass Deutschland attraktiv geworden ist für ausländische Investoren und
das wir unseren Anteil an industriellen Arbeitsplätzen verteidigt haben. Und wir haben ein Interesse
daran, dass anderen Ländern das gelingt, was Deutschland bereits gelungen ist. Nämlich aus eigener
Kraft ein attraktiver Wirtschaftsstandort zu werden.
SWR: Was für Sie eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist, kommt anderswo als Austeritätspolitik
an, als deutsches Spardiktat.
P.A.: Überhaupt gar nicht. Stabilität ist eine Sache, die unverzichtbar ist wenn wir solide Haushalte,
solides staatliches Handeln wollen. Aber es geht längst nicht nur um das. Wenn wir attraktiv werden
wollen für Investitionen, wenn wir Arbeitsplätze nach Europa haben wollen, haben wir beispielsweise
auch ein Interesse daran, dass die Freihandelsabkommen TTIP und CETA zustande kommen mit den
USA und Kanada. Das ist eine ganz wichtige Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt. Die Bundesregierung
ist überzeugt, dass das Zustandekommen des Abkommens mit den USA, nach Möglichkeit noch vor
dem Ende der Präsidentschaft von Barack Obama, ein ganz wichtiges Signal wäre für den
Wirtschaftsstandort Europa. Und dass es uns gelingen könnte, damit einige zehntausend,
hunderttausend neue Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. Und deshalb arbeiten wir mit ganzer Kraft
daran, dass der Zeitplan eingehalten wird und dass dieses wichtige Abkommen zustande kommt, weil
wir nicht wollen, dass Europa im Vergleich zur pazifischen Region zurückfällt und seine Chancen auf
dem Weltmarkt vermindert.
SWR: Man hat aber den Eindruck, dass in Europa die Bundesregierung die einzige verbliebene
Regierung ist, die noch aktiv für TTIP kämpft.
P.A.: Ich glaube nicht. Wir haben eine große Bereitschaft in der Europäischen Kommission, für dieses
Ziel zu arbeiten. Wir haben die Unterstützung in vielen Mitgliedstaaten – übrigens auch in
Großbritannien, wo man daran immer sehr interessiert war, aber auch in den Niederlanden.
SWR: Was jetzt ja nicht mehr viel hilft, dass die Briten für TTIP sind.
P.A.: Ja, das ist richtig. Das bedeutet aber nicht, dass die Argumente für Europa weniger geworden
sind. Und ich würde mir dann auch wünschen, dass viele von denen, die hinter vorgehaltener Hand
sagen, dass sie TTIP für richtig halten, auch bereit wären, das in öffentlichen Debatten zu verteidigen.
Ich bin fest überzeugt, dass wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen können und dass wir sie in
vielen Bereichen entkräften können. Das wir den Menschen aber auch sagen müssen was auf dem
Spiel steht, wenn wir dieses Abkommen nicht erreichen. Das ist ganz ähnlich wie in der Diskussion um
das britische Referendum. Heute sagen viele Wählerinnen und Wähler in Großbritannien, wenn wir
gewusst hätten was an negativen Folgen auf uns zukommt, hätten wir möglicherweise noch einmal
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darüber nachgedacht, ob unsere Entscheidung die richtige ist. Und ich möchte eine solche Situation im
Hinblick auf TTIP vermeiden. Und deshalb müssen wir unsere politische Unterstützung für dieses
Projekt ganz zweifellos nach draußen zum Ausdruck bringen.
SWR: Sie hören das SWR Interview der Woche, heute mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Herr
Altmaier, vor dem Hintergrund der Brexit-Entscheidung tritt das kleine Karo der Innenpolitik naturgemäß
ein bisschen zurück. Und das gilt auch für das manchmal doch recht schwierige Verhältnis der beiden
schwarzen Schwesterparteien CDU und CSU. Sie haben sich ja innerhalb der Union ganz offensichtlich
inzwischen dazu entschlossen, diesen monatelangen Streit über die Flüchtlingspolitik einfach zu
vergessen und so zu tun, als ob es ihn nie gegeben hätte. Glauben Sie, dass Ihnen die Leute diese
neue traute Einigkeit abkaufen?
P.A.: Zunächst einmal erwarten nicht nur unser Wähler, sondern die Menschen in ganz Deutschland,
dass die Politik handlungsfähig ist. Dazu gehört auch, dass politische Parteien und Parteifamilien wie
die Union über ein Mindestmaß an Geschlossenheit verfügen. Wir haben uns zwischen CDU und CSU
entschieden, dass wir den Blick nicht in die Vergangenheit richten, in die unterschiedlichen
Bewertungen die es in der Flüchtlingskrise etwa gegeben hat, sondern dass wir den Blick nach vorne
richten und dass wir fest überzeugt sind, dass wir viel mehr Gemeinsamkeiten haben als Dinge, die uns
trennen. Das ist ein wichtiges Signal. Aber die Menschen werden sehr genau beobachten, ob wir im
Stande sind, bei großen und wichtigen Themen gemeinsame Positionen zu bestimmen. Die
gemeinsame Sitzung, die wir vor einer Woche unmittelbar nach dem Brexit-Referendum hier in der
Nähe von Berlin hatten, hat mich eigentlich sehr optimistisch gemacht. Wir sind etwa in der Frage, wie
wir mit dem britischen Referendum umgehen, etwa in der Frage, was die großen Themen in
Deutschland für die nächsten zwei, drei, vier Jahre sein werden, sind wir sehr, sehr nahe beieinander.
Und deshalb bin ich persönlich überzeugt, dass dieser Streit der Vergangenheit angehören wird, und
dass sich das auch herumsprechen wird.
SWR: Horst Seehofer wollte sich in der vergangenen Woche noch nicht einmal hinter eine erneute
Kanzlerkandidatur von Angela Merkel stellen. Er ist danach gefragt worden, er hat geantwortet: Wir
starten wie bei einer EM nicht mit dem Finale, sondern wir sind gerade erst in der Gruppenphase, und
dann sehen wir weiter, mit Blick auf die Kanzlerkandidatur – nett ist das nicht, oder?
P.A.: Ich glaube, dass wir in Deutschland so viele Probleme zu lösen haben, dass wir uns nicht an
irgendwelchen Spekulationen beteiligen sollten, sondern dass wir das tun, was die Menschen zu Recht
erwarten. Dafür sorgen, dass es Deutschland auch im nächsten Jahr gut geht. Dass die Wirtschaft
wächst, dass Arbeitsplätze neu entstehen. Die Frage nach personellen Konstellationen, das sind
Diskussionen, da kann man ganze Zeitungsseiten und ganze Interviewspalten im Radio mit füllen, aber
sie bringen uns keinen Schritt bei der Lösung der Probleme weiter. Ich stelle fest, dass die
Bundeskanzlerin das Vertrauen der allermeisten Menschen in Deutschland hat. Und deshalb sind wir
sehr zuversichtlich, dass wir so lange gute Regierungsarbeit abliefern sollten wie es irgendwie geht.
Und wir sollten den Wahlkampf so kurz und knackig führen, wie notwendig und geboten. Aber zunächst
einmal dafür sorgen, dass wir die Probleme in Deutschland lösen.
SWR: Horst Seehofer hätte ja auch einfach sagen können, klar fände ich es gut, wenn Angela Merkel
wieder für uns antritt. Hat er aber nicht gemacht.
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P.A.: Niemand bei uns hat ein Interesse daran, Personaldiskussionen anstelle von Sachdiskussionen zu
setzen. Und deshalb werde auch ich jetzt, Sie können das noch so häufig nachfragen, keinen weiteren
Beitrag dazu leisten, dass es anders wird.