in Zürich? - Viola Amherd

8 nachrichten
Schweiz am Sonntag
3. Juli 2016
«Jemand ohne Altlasten»
Der ehemalige GC- und Nati-Spieler Ramon Vega (45)
erhebt schwere Vorwürfe
gegen die Führung des
Weltfussballverbands Fifa.
Und äussert Ambitionen
aufs Präsidium.
VON THOMAS RENGGLI AUS LONDON
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Herr Vega, im vergangenen Herbst
tauchte Ihr Name unter den Kandidaten fürs Fifa-Präsidium auf. Was ist
aus diesen Ambitionen geworden?
Ramon Vega: Ich wurde damals von
erfahrenen Topdiplomaten aufgefordert, mich der Wahl zu stellen. Aber
bald musste ich einsehen, dass es für
jemanden von ausserhalb der geschützten Werkstatt des Fussballs unmöglich ist, ans Ziel zu kommen. Sowohl Uefa als auch nationale Verbände
blockierten meine Ambitionen.
Deshalb zogen Sie sich zurück?
Ich erhielt nie eine faire Chance. Dieses antidemokratische System muss
gesprengt werden. Heute beobachte
ich die Geschehnisse in der Fifa ganz
genau – und wundere mich. Da werden die einfachsten Regeln aus der Privatwirtschaft mit Füssen getreten. Die
Führungskräfte setzen sich über alle
Prinzipien hinweg. Die grossen Verbände müssen wie Weltkonzerne geführt werden – mit den bestmöglichen
Fachkräften aus allen Bereichen.
Blatter hat den Reformprozess ins Rollen gebracht. Doch sein grosses Problem war, dass er mit einer Regierung
(dem Exekutivkomitee; die Red.) zu arbeiten hatte, über deren Zusammensetzung er kein Mitspracherecht besass. In der Privatwirtschaft wäre eine
derartige Unternehmensstruktur nie
möglich.
gen und auf angebotene Privilegien
und Vorzüge verzichten können.
Ist eine solch heterogene Organisation wie die Fifa nach wirtschaftlichen Kriterien überhaupt
zu führen?
Das System begünstigt Seilschaften, gegenseitige Gefälligkeiten und Absprachen. Der Vereinsstatus für die Fifa ist
veraltet. Oder kennen Sie einen Verein
mit einem Vermögen von 1,5 Milliarden Dollar? Wenn selbst die Fussballklubs heute als Aktiengesellschaft organisiert sind, müsste das auch für die
grossen Verbände gelten – mit allen
Kontrollmechanismen und Verantwortlichkeiten.
Wäre es nicht sowieso das Beste,
der Fifa-Präsident käme von
ausserhalb des Systems?
Gegenfrage: Wie ist es möglich, dass
der engste Verbündete des von der
Fifa-Ethikkommission schuldig gesprochenen Uefa-Chefs (Michel Platini; die
Red.) plötzlich der Präsident der Fifa
ist? Dass er (Infantino; die Red.) mit
Platinis Unterstützung und Uefa-Geldern die Fifa erobert? Das entbehrt
jeglichem Rechtsempfinden und dem
gesunden Menschenverstand. Das
konnte doch nicht gutgehen. Infantino
liess sich den Wahlkampf von der Uefa
mit 500 000 Euro finanzieren. Er reiste auf seiner persönlichen Mission auf
Uefa-Kosten um die Welt. Infantino
spiegelt das faule, marode System. Die
Fifa braucht einen Präsidenten ohne
Altlasten – einen, der für Transparenz,
Leidenschaft, Ethik, Professionalität
und Moral steht.
Nach Jahren des finanziellen
Erfolgs droht der Fifa nun ein
Defizit von 550 Millionen Dollar.
Was tun?
Ein Schlüssel liegt in der Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit und der
Wiederherstellung des Vertrauens –
aber dazu ist ein konsequenter Neuanfang nötig. Nur mit neuem Personal –
vor allem im geschäftlichen Bereich –
kann das Vertrauen bei den Sponsoren
wieder hergestellt werden. Der Fussball bietet für jede Firma die perfekte
Plattform, sich weltweit präsentieren
zu können. Solange das Spiel aber mit
Korruption und Bestechung in Verbindung gebracht wird, funktioniert
das nicht.
Woher nehmen Sie die Legitimation für diese Kritik?
Ich war 20 Jahre im Fussball – und 18
Jahre in der Finanzbranche. Es geht in
einem modernen Sportverband um
dieselben Dinge wie in der Privatwirtschaft: Management, Kontrolle, Compliance. Ich kenne den Spitzensport –
und ich kenne die Geschäftswelt. Und
ich habe mich auf beiden Feldern
durchgesetzt – weil ich bereit war, hart
zu kämpfen.
Wie beurteilen Sie die Arbeit von
Gianni Infantino nach rund
100 Tagen als Fifa-Präsident?
Ich staune. Er trat das Amt in einer optimalen Startposition an. Er hätte
eigentlich nur gewinnen können –
wenn er den Reformprozess weiter vorangetrieben und sich selbst zurückgehalten hätte. Demut, Respekt und eine
Low-Profile-Strategie wären die richtigen Stilmittel gewesen. Doch Infantino
tat das Gegenteil. Zudem installierte er
in der Person von Fatma Samoura eine
Marionette als Generalsekretärin. In-
Mit dem Abgang von Sepp Blatter
waren die Hoffnungen verbunden,
dass der Reformprozess beschleunigt und der Ruf der
Fifa wiederhergestellt wird.
Es blieb beim Wunsch …
Immer wieder dringen Interna an
die Öffentlichkeit. Worauf führen
Sie das zurück?
Von Loyalität und Solidarität fehlt jede
Spur. Infantino ist es nicht gelungen,
die Angestellten hinter sich zu bringen.
Ramon Vega
Der ehemalige Fussballprofi ist heute
als Vermögensberater in London
tätig, wo er Inhaber der «Vega Swiss
Asset Management UK LLP» ist.
fantinos Weg ist der falsche Weg! Die
Gewaltentrennung muss zwingend
wieder eingeführt werden.
Wie denken Sie darüber, dass
Infantinos Spesenrechnungen an
die Medien gelangen?
Das macht vor allem deutlich, dass
sich der neue Präsident innert kurzer
Zeit im engsten Umfeld Gegner geschaffen hat. Und wer sich nicht mehr
auf seine Mitarbeiter verlassen kann,
ist als Chef faktisch gescheitert.
Hat ein Fifa-Präsident das Recht,
die Möblierung seines Apartments
dem Arbeitgeber mit 11 440 Franken
zu verrechnen oder den Kauf von
sechs Fussballschuhen mit 1256.70
Franken?
Ich kenne das Spesenreglement der
Fifa nicht. Aber ich weiss, dass Adidas
einer der Hauptsponsoren des Verbands ist. Es wäre mir neu, dass FifaMitarbeiter für Adidas-Fussballschuhe
den vollen Preis bezahlen müssen.
Offenbar liess sich Infantino Flüge
im Privatjet von Gönnern bezahlen.
Das ist ein absolutes No-Go. Wer sich
von involvierten Kreisen finanziell unterstützen lässt, begibt sich in eine
fahrlässige Abhängigkeit und einen gefährlichen Interessenskonflikt. In der
Privatwirtschaft würde das unter den
Strafbestand der Bestechung fallen.
Vor diesem Hintergrund kann man
nachvollziehen, weshalb Infantino die
Aufsichtsorgane köpfen liess. Als FifaPräsident muss man vor allem Nein sa-
Wären Sie unter den jetzigen
Bedingungen am Amt des FifaPräsidenten noch interessiert?
Wie eingangs erwähnt, haben mich die
letztjährigen Ereignisse irritiert, aber
gleichzeitig in meiner Überzeugung gestärkt, dass sich etwas ändern muss.
Ich verdanke dem Fussball sehr viel.
Und ich möchte ihm und der Fifa das
zurückgeben, was er mir geschenkt
hat. Eine Führungsaufgabe auf höchster sportpolitischer Bühne wäre eine
grosse Herausforderung. Und ja, sie
würde mich reizen – auch weil ich die
Erfahrungen aus meinen bisherigen
Karrieren optimal einbringen könnte.
Es scheint, das Fifa-Präsidium
führe unweigerlich zu einem
übersteigerten Machthunger und
erhöhtem Geltungsdrang. Wären
Sie vor solchen Auswüchsen gefeit?
Ich muss mich nicht mehr profilieren.
Das Scheinwerferlicht hatte ich als
Fussballer zur Genüge.
Weltfussballer-Wahl nicht mehr in Zürich?
Fifa plant ein neues Konzept für die Weltfussballer-Gala. Städte weltweit sollen den Goldenen Ball verleihen.
VON YANNICK NOCK
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Sein nächster Termin in Frankreich
steht bereits fest. Am Mittwoch spielt
Superstar Cristiano Ronaldo mit seinen
Portugiesen in Lyon gegen die tapferen
Waliser. Sein nächster Besuch in der
Schweiz dürfte hingegen ins Wasser fallen. Normalerweise reisen die besten
Fussballer der Welt jeweils im Januar
nach Zürich zur Verleihung des Ballon
d’Or. Doch wie lange noch?
Gemäss Informationen der «Schweiz
am Sonntag» will die Fifa die Weltfussballerwahl nicht mehr exklusiv in Zürich vergeben. Stattdessen soll die Gala
jedes Jahr in einem anderen Land stattfinden. Ein Turnus, wie ihn auch die
Weltmeisterschaft kennt. Auf Anfrage
lobt die Fifa zwar den Standort Zürich.
Die Stadt habe sich als hervorragender
Gastgeber verschiedener Fifa-Veranstaltungen bewährt, heisst es. Zürich bleibe eine Option. Doch der Weltverband
bestätigt neue Überlegungen. «Wir prüfen derzeit verschiedene Konzepte»,
sagt ein Sprecher. Weitere Angaben
wollte die Fifa nicht machen.
2010 wurde aus der Weltfussballerwahl offiziell der Ballon d’Or. Seither
versammelte sich die Fussball-Elite immer in Zürich. Ähnlich monoton wie
der Veranstaltungsort waren die Gewinner: Seit 2008 wurden nur Ronaldo
oder Lionel Messi ausgezeichnet.
Zwei Männer, ein Grinsen: Sepp Blatter überreicht Cristiano Ronaldo den Goldenen Ball 2014.
Reuters/Arnd Wiegmann
Gefunden: Paul
Kapo Solothurn
SEXUELLE BELÄSTIGUNG
Schweiz hinkt
bei Jugendschutz
hinterher
VON FABIENNE RIKLIN
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Der 12-jährige Paul ist seit einer Woche
wieder bei seinen Eltern in Gunzgen SO.
Der Fall wirft Fragen auf: Wie hätte man
Paul schützen können? Macht die
Schweiz genügend gegen Pädokriminalität im Netz? Vor rund einem Jahr kam
der Bundesrat in einem Bericht zum
Schluss: Der bestehende Kinder- und Jugendmedienschutz ist lückenhaft und
stark fragmentiert.
Allerdings ist seither wenig passiert.
Sämtliche Verschärfungen der Gesetze
hat das Parlament bachab geschickt.
Für Chantal Billaud, stellvertretende Geschäftsleiterin der Schweizerischen Kriminalprävention, ist das unverständlich.
Die Organisation hatte sich starkgemacht, dass sexuelle Belästigung von
Kindern ein Offizialdelikt wird. «Das
hätte unter anderem verdeckten Ermittlern ermöglicht, bei leicht sexualisierten
Übergriffen an Minderjährigen im Netz
Anzeige zu erstatten, und die Behörden
müssten von Amtes wegen ermitteln»,
sagt sie. Doch die Politiker entschieden
sich dagegen.
Dabei ist sexuelle Belästigung im Netz
für viele Jugendliche Alltag. Sandra
Muggli, die sich mit verdeckten Ermittlungen in geschlossenen Internetforen
auseinandergesetzt hat, schreibt in ihrer
Doktorarbeit dazu: Es muss davon ausgegangen werden, dass sexueller Missbrauch im Netz heute ein vergleichbares, wenn nicht gar grösseres Problem
darstellt als herkömmlicher sexueller
Kindesmissbrauch.
Strengere Gesetze im Ausland
Die Walliser CVP-Nationalrätin und Stiftungsrätin Kinderschutz Schweiz, Viola
Amherd, ist alarmiert. «Die Schweizer
Gesetzgebung hinkt in Bezug auf Online-Risiken massiv der Realität hinterher.» Insbesondere stört Amherd, dass
in der Schweiz die Polizei erst eingreifen
kann, wenn es zu einem Treffen
kommt, während in anderen Ländern
wie etwa Deutschland bereits die Annäherung über Internet geahndet werden
kann. «Grooming» heisst der Fachbegriff für die Kontaktaufnahme mit Minderjährigen im Internet durch Erwachsene mit sexuellen Absichten. Frankreich, Österreich, Liechtenstein, Schweden, Finnland, Grossbritannien, Australien, Kanada und die USA haben
Grooming als Straftatbestand verankert.
Amherd hatte dies ebenfalls probiert,
doch der Ständerat stimmte gegen das
Gesetz. Nun überlegt sie sich einen neuen Vorstoss.
Auch Pro Juventute hatte sich für das
Grooming-Gesetz starkgemacht, betont
aber gleichzeitig die Wichtigkeit der Prävention zum Schutz der Kinder. «Die
Kinder müssen in Medienkompetenz geschult sein», sagt Laurent Sédano, Programmverantwortlicher für Medienkompetenz bei Pro Juventute. «Nur so
lernen sie, wie man sich im Netz bewegt
und wie man sich in einem Spiel-Chat
verhält. Beispielsweise dass man nichts
preisgibt, was auf die eigene Identität
schliessen lässt.»
Zwar können heute bereits viele sogenannte Digital Natives Gefahren richtig
einschätzen, doch ein Restrisiko bleibe.
«Insbesondere Kinder, die wenig Freunde haben oder ein schlechtes Verhältnis
zu den Eltern aufweisen, sind gefährdet,
da sie niemanden haben, der sie stützt
und begleitet.» Für Sédano steht deshalb fest: Das Präventionsbudget müsste
erhöht werden. «Zwar hat Medienerziehung im Lehrplan 21 einen festen Platz,
doch das reicht nicht.»