14 BAYERISCHER BEZIRKETAG FREITAG, 8. JULI 2016 BAYERISCHE STAATSZEITUNG NR. 27 VERÖFFENTLICHUNG DES BAYERISCHEN BEZIRKETAGS LEITARTIKEL: „Ein klares Schüler der Berufsfachschule am kbo-Isar-Amper-Klinikum besuchen das NS-Dokumentationszentrum Ja zum Krisendienst“ Geschichte sensibel reflektiert Von Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags. Am Freitag, 8. Juli hält der Bayerische Bezirketag den zweiten Tag seine Vollversammlung im oberfränkischen Kloster Banz ab. Wir haben uns das Thema „Psychiatrie in Bayern – Auftrag der Bezirke – Gestern, Heute, Morgen“ gestellt. Vor dem Hintergrund des Beginns der großen Psychiatrie-Reform im Jahre 1975, deren 40-jähriges Bestehen wir im vergangenen Jahr in Erinnerung riefen, widmen wir uns nun der Frage, was aus den Veränderungen von damals wurde, auf welchem Stand sich die moderne Psychiatrie inzwischen befindet und vor welchen Herausforderungen die Bezirke in Zukunft stehen, um ein in Therapie und Betreuung weiterhin erstklassiges psychiatrisches Versorgungssystem flächendeckend im gesamten Freistaat anbieten zu können. Auch werden wir herausarbeiten, wie eine Vision der Psychiatrie von morgen aussehen kann. Schwerpunkte unserer Diskussionen werden dabei die Themen des psychiatrischen Krisendienstes und damit die Vorbereitungen zu einem Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG)sein. Wie also steht es derzeit um die gewaltige Aufgabe, einen für ganz Bayern funktionierenden Krisendienst nach und nach auf den Weg zu bringen? Hier gehen Oberbayern und auch Mittelfranken als „Pioniere“ voran und setzen erste Maßstäbe. So wird der Krisendienst beispielsweise in Oberbayern aktuell Schritt für Schritt flächendeckend ausgebaut. Vorbild hierzu war der bereits seit 2007 bestehende Krisendienst des Bezirks auf dem Gebiet der Landeshauptstadt München. Seit Juni ist nun der Landkreis München mit am Netz, im Herbst folgen die Landkreise um München und Südost-Oberbayern. Dieses Projekt ist ein Meilenstein für unsere Anstrengungen, Menschen in seelischen Notlagen schnell, zuverlässig und so wenig belastend wie möglich helfen und im Bedarfsfall sofort betreuen zu können. Große Kraftanstrengung Für den Bezirk Oberbayern ist das – wie in Mittelfranken auch – eine große Kraftanstrengung. Krisenanrufe aus ganz Oberbayern gehen zentral bei der Leitstelle im kbo-Atriumhaus in München ein. Je nach Bedarf erfolgt danach eine direkte Weitervermittlung oder aufsuchende Krisenhilfe in der Region. Der Münchner Krisen- dienst hatte 2013 allein 13 000 Telefonkontakte. Das zeigt die Dringlichkeit, dieses Angebot auszubauen. Dabei möchte ich den Präventionscharakter der Leitstelle ausdrücklich hervorheben: Helfen, bevor sich Krisen zuspitzen, Wege aufzeigen, bevor es keinen anderen Ausweg als eine Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen mehr gibt. Das alles kostet Geld Das alles aber kostet Geld. Der Bezirk Oberbayern nimmt dafür bis zu 7,4 Millionen Euro im Jahr in die Hand. Aber ich sage auch ganz klar: Das können wir allein nicht schultern. Der Bayerische Bezirketag wird deshalb in der Vollversammlung in Banz den Freistaat Bayern auffordern, mindestens die Hälfte der ungedeckten Kosten zu tragen. Insgesamt haben wir uns in den Gesetzgebungsprozess des künftigen PsychKHG intensiv eingebracht. Nicht nur der Krisendienst ist aus unserer Sicht ein wichtiger Baustein dieses neuen Gesetzes. Darüber hinaus soll und muss das neue Gesetz die Unterbringung betroffener Menschen in den psychiatrischen Kliniken so regeln, dass Unterbringungen wieder häufiger auf dieser Rechtsgrundlage angeordnet werden und so unnötige Betreuungen vermieden werden können. Denn das bisherige Gesetz erfüllt diesen Anspruch nicht. Der Bezirketag hat schon in 2014 ein Eckpunktepapier in das Verfahren eingebracht. Die wesentlichen Elemente wurden vom Runden Tisch, der im Auftrag des Bayerischen Landtags Eckpunkte für ein PsychKHG konsentiert hat, übernommen. Ein weiterer mir wichtiger Punkt ist die Einführung eines zentralen Zwangsregisters, in das alle Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Pflege und der Eingliederungshilfe erfolgte Zwangsmaßnahmen melden. Noch aber ist unklar, wie notwendige Neuregelungen und konkrete Qualitätsforderungen finanziert werden können. Der Freistaat bleibt hier aufgefordert, klare Aufgabenzuweisungen vorzulegen, mit denen der Anspruch an das Gesetz auch eingelöst werden kann. Das betrifft auch die Frage nach einer Beteiligung an der Finanzierung des Krisendienstes. Im Herbst will die Staatsregierung ein eigenes Eckpunktepapier zu den Inhalten eines PsychKHG vorlegen. Mit diesem werden wir uns mit Leidenschaft und Kompetenz auseinandersetzen. Vieles wurde in den vergangenen Jahrzehnten erreicht, vieles aber bleibt weiter zu tun. Starke Bezirke werden auf diesem Weg weiterhin mit klaren Positionen und ihrem schon heute hervorragenden psychiatrischen Angebot vorangehen. G eschichte bleibt Theorie, wenn sie nicht erlebbar wird. Gerade die NS-Zeit mit allen grauenhaften Facetten ist allen eine Mahnung, Geschichte niemals zu vergessen, sondern sie als Lehre der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Im Rahmen des Sozialkundeunterrichtes setzen sich vor diesem Hintergrund die Schüler der Berufsfachschule für Krankenpflege am kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost mit der Zeit von 1933 bis 1945 auseinander. Doch vieles bleibt im Unterricht dann oft doch zu theoretisch und zu abstrakt. Auch wenn viele der Schüler bereits während ihrer Regelschule die NS-Diktatur besprochen hatten: Für viele fehlt der ganz unmittelbare Bezug zu dieser Zeit. Geschichte erlebbar und erfahrbar zu machen, ist dabei der besondere Anspruch des NS-Dokumentationszentrums in München, das 2015 eröffnet wurde. Vier Stunden hatten die Schüler der Klasse 15 A Zeit, jene Zeit des Nationalsozialismus vertieft kennenzulernen. Aufgeteilt in zwei Gruppen, wurden sie durch die Ausstellung geführt und konnten sich in Diskussionen einbringen. Klassenleiterin Gertraud Mayer erläuterte, warum der Besuch wichtig ist: „Ein Besuch des NS-Zentrums soll es den Auszubildenden ermöglichen, sich kritisch mit dem Themenbereich Ausgrenzung und Verfolgung auseinanderzusetzen. Besonders in der Krankenpflege, welche sich von Berufs wegen mit Behinderungen und Krankheiten beschäftigt, ist eine Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch – Das NS-Dokumentationszentrum wurde im vergangenen Jahr eröffnet. auch unter geschichtlichem Kontext – geboten. Außerdem wurde in der Ausstellung ersichtlich, wie sich Menschenbilder und der Wert des Lebens in der NS-Zeit definierten. Sie bot ferner den Auszubildenden viele Denkanstöße und ermöglichte eine reflektierte Debatte über diesen Teil deutscher Geschichte.“ Auch die Schüler waren angetan vom Besuch: „Wichtig war für uns, dass die Nazizeit nicht mit einem Schlag in 1933 begann und im Jahr 1945 endete, sondern dass sie lange vorher ihre Anfänge hatte und lange nach dem Zweiten Weltkrieg erst endete“, so ein Schüler. Mayer betont noch einen anderen Aspekt des Besuchs: „Den Schülern wurden Impulse gegeben, die eigene Haltung bewusster wahrzunehmen, diese zu hinterfragen und sich darüber auszutauschen. Insgesamt war der Ausflug eine sinnvolle Ergänzung der his- Niedrigerer Energieverbrauch Deutlich weniger Energie haben trotz hoher Belegungszahlen im vergangenen Jahr die Krankenhäuser und Heime des Bezirks Unterfranken verbraucht. Diese klimapolitisch positive Bilanz stellte Rainer Klingert, der Geschäftsleiter der Krankenhäuser und Heime, vor Kurzem bei der Vorlage des Ressourcenberichts der Liegenschaften des Bezirk Unterfranken vor. Rückläufig war unter anderem der Gesamt-Stromverbrauch für alle Einrichtungen, wobei Klingert betonte, dass dies insbesondere auch für den Strom aus dem öffentlichen Netz gelte, während gleichzeitig der Anteil regenerativ erzeugten Stroms zulegte. So lieferte zum Beispiel im Jahr 2014 das Blockheizkraftwerk (BHKW) in Schloss Werneck noch 847 000 Kilowattstunden (kWh), im Jahr 2015 waren es bereits 1,01 Millionen kWh. Insgesamt bezogen die BezirksKliniken im Jahr 2015 noch 23 Prozent des Stroms aus dem Netz. Weniger eindeutig war die Tendenz beim Wärmeverbrauch. Hier beobachtete Klingert „bei der Hälfte unserer Einrichtungen einen Anstieg des Gesamt-Wärmeverbrauchs“. Einen der Gründe dafür sah der Geschäftsleiter in den klimati- schen Wechselfällen: „Auf den warmen Winter 2014/2015 folgte ein kaltes Frühjahr.“ Dennoch seien zum Beispiel beim KönigLudwig-Haus die Verbrauchswerte trotz hoher Belegungszahlen sehr konstant geblieben. Andererseits verdreifachte sich zum Beispiel die Wärme-Erzeugung der Das Blockheizkraftwerk im Krankenhaus Schloss Werneck lieferte im Jahr 2015 mehr als eine Million Kilowattstunden. FOTO E.B. betrachte die Menschen „zunächst wie ein weißes Blatt Papier. Dann beobachten wir sie und sammeln so eigene Erfahrungen und Eindrücke. Im Austausch mit den anderen Berufsgruppen und aufgrund der Informationen, die uns vorliegen, entwickeln wir einen Weg, den wir gemeinsam mit dem Betroffenen gehen wollen“, beschreibt Maier die ersten Tage nach der stationären Aufnahme. Niedrigschwelligkeit Niederschwelligkeit sei die Grundhaltung der Arbeit. Die 35 Mitarbeiter des ZPH würden den ihnen anvertrauten Menschen dabei auf Augenhöhe begegnen. „Unsere Patienten sind anders. Wir wollen sie erst verstehen und dann mit ihnen arbeiten“, sagte Chefärztin Hoppstock. Dabei ist die Vernetzung von stationärer und ambulanter Tätigkeit ein großes Thema. Ungewöhnlich ist, dass das 30-jährige Bestehen das erste Geburtstagsfest überhaupt war, das das ZPH gefeiert hat. Die Verantwortlichen nutzten die Gelegenheit, einen Blick zurück zu werfen. So habe sein Vorgänger Professor Michael von Cranach die Abteilung sehr gefördert, betonte der Ärztliche Direktor. Auch der langjährige Leiter Professor Vitalij Kazin habe ihr „eine wichtige Prägung“ mitgegeben. Der „eigentliche Gründungsvater“ sei jedoch Christian Schanze. Der ehemalige Leiter des ZPH sagte, derImpuls für die Gründung dieser psychiatrischen Spezialstation sei von der Lebenshilfe Kaufbeuren gekom- Wernecker Biogasanlage im selben Zeitraum von 1,03 Millionen KWh auf 3,39 Millionen kWh. Auch bei der Entwicklung des Wasserverbrauchs sprach Klingert von einem „uneinheitlichen Bild“ . So sei der Wasserverbrauch an den Standorten Würzburg und Schweinfurt gesunken, in Münnerstadt gleich geblieben und in Aschaffenburg, Werneck und Römershag sogar leicht gestiegen. Den höheren Wasserverbrauch im BKH Lohr führte Klingert auf strengere Anforderungen der Trinkwasserverordnung zurück, wonach das Rohrleitungsnetz regelmäßig gespült werden müsse. Zudem stünden Wasserverbrauch und Belegungszahlen in direktem Zusammenhang, betonte der Geschäftsleiter. Das gelte auch für das Abfall-Aufkommen. Auch die Menge des zu entsorgenden Mülls nehme mit der Zahl der Patienten zu. > MARKUS MAURITZ Olaf Heinrich sieht die Europaregion „am Scheideweg“ Medizinische Einrichtung mit Seltenheitswert näre Behandlung von Menschen mit Intelligenzminderung und schwerwiegenden Entwicklungsstörungen. Die Abteilung mit dem Namen ZP01, die es in Deutschland eher selten gibt, verfügt über 20 stationäre Betten. Die dazugehörige Ambulanz betreut zirka 750 Patienten pro Quartal. „Die besondere Patient-Arzt-Beziehung erfordert von uns ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität“, berichtete Fachärztin Mariethres Hibbeln-Braunbart. Behandelt würden Menschen mit (organisch) wahnhaften oder affektiven Störungen, Demenz sowie mit Persönlichkeits- und Sexualstörungen. 15 Prozent sind Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Stationsleiter Max Maier sieht die Eigenheiten der Patienten, die zu ihm kommen, als „liebenswerten Teil ihrer Persönlichkeit“. Man torisch-politischen Bildungsarbeit.“ Zukünftig sollen weitere Klassen des Bildungszentrums das NS-Dokumentationszentrum besichtigen. Aktuell lädt das Dokumentationszentrum zur Sonderausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“ ein, in der auch die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Haar während der NS-Diktatur beleuchtet wird. > HENNER LÜTTECKE Positive Energiebilanz in den Kliniken des Bezirks Unterfranken Das Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Heilpädagogik (ZPH) Kaufbeuren wird 30 Jahre alt Für das Bezirkskrankenhaus (BKH) Kaufbeuren ist das Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Heilpädagogik (ZPH) etwas Besonderes. Der Leitende Ärztliche Direktor des BKH, Albert Putzhammer: „Das ZPH findet bundesweite Beachtung. Es gibt auch Anfragen aus Österreich und der Schweiz. Das spricht für sich und macht uns stolz“, so Putzhammer unlängst vor 200 Gästen im Festsaal des BKH. Anlass war das 30-jährige Bestehen der Abteilung. Zu diesem Jubiläum richteten Chefärztin Sandra Hoppstock und ihr Team ein Symposium aus. Es war eine beeindruckende, höchst informative Veranstaltung, gespickt mit hervorragenden Vorträgen, die man nur selten zu hören bekommt. Das ZPH ist spezialisiert auf die ambulante und statio- FOTO DPA men. Schanze, heute niedergelassener Facharzt in Landsberg: „Die gute medizinische und personelle Ausstattung des heutigen ZPH lassen mich beinahe vor Neid erblassen. Ich schicke gerne Patienten zu Euch.“ Es sei eminent wichtig gewesen, für die Betroffenen einen Platz außerhalb der Klinik zu finden und ihnen beispielsweise in Heimen und Wohngruppen einen gewissen Alltag zu ermöglichen, so Schanze. „Neben der Enthospitalisierung ist die Spezialisierung genauso entscheidend. Sie ist Voraussetzung für das Gelingen von Inklusion.“ Der Mediziner wünscht sich, dass die Ambulanzen bundesweit mit diesen Kompetenzen ausgestattet werden und dass die „geistige Behinderung“ als Zusatzbezeichnung im Fach Psychiatrie eingeführt wird. > GEORG SCHALK Niederbayerns Bezirkstagspräsident Olaf Heinrich, Vertreter des Freistaats in der Europaregion Donau-Moldau, sieht die EDM heuer an einem Scheideweg: „In den bayerischen Regionen wurde die Personaldecke für grenzüberschreitende Zusammenarbeit erheblich aufgestockt. Nun sollte auch in den anderen Regionen eine verbindliche Vergleichbarkeit der Strukturen geschaffen werden. Einrichtungen der Medizintechnik, die Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sollen vorangetrieben werden, so Heinrich. > E.B. VERANTWORTLICH für beide Seiten: Bayerischer Bezirketag, Redaktion: Ulrich Lechleitner
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