Bürgernah Ein wirklicher Demokrat: Vor 40 Jahren starb Gustav Heinemann, Bundespräsident von 1969 bis 1974 und entschiedener Gegner der Aufrüstung in der BRD. Auch für Antikommunismus war er unempfänglich. Von Dieter Frielinghaus SEITE 3 GEGRÜNDET 1947 · DONNERSTAG, 7. JULI 2016 · NR. 156 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Gespalten Kriegerisch Transhuman Desorientiert 4 7 10 12 Polen verspricht sich von einem möglichst aggressiven NATO-Gipfel seine eigene Aufwertung Macht und Herrschaft in der digitalen Welt. Eine neue Kolumne von Thomas Wagner Wie ist das mit dem Feind meines Feindes? In memoriam Robert Steigerwald Blairs blutige Lügen London: Kommission des Unterhauses legt Bericht zu Verwicklungen des Königreichs in den Irak-Krieg vor. Britischer Expremier schwer belastet. Von Karin Leukefeld R Damaskus. Das syrische Militär hat eine befristete und einseitige Waffenruhe für das gesamte Land angekündigt. Sie soll am Mittwoch beginnen und bis Freitag um Mitternacht gelten, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur SANA. Die Bekanntmachung kommt zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan und zum Fest des Fastenbrechens. Bereits im Februar hatten sich die USA und Russland auf einen dauerhaften Waffenstillstand für Syrien geeinigt, der jedoch immer wieder gebrochen wurde. Eine neue Waffenruhe gilt als Voraussetzung für die Wiederaufnahme der ausgesetzten Genfer Friedensgespräche. In Syrien herrscht seit 2011 Bürgerkrieg, in dem verschiedene Gruppen von Aufständischen gegen die Regierung und gegeneinander kämpfen. Ein Teil des Landes wird von der Terrormiliz »Islamischer Staat« beherrscht. (dpa/jW) PETER NICHOLLS/REUTERS und 2,6 Millionen Wörter und 12 Kapitel umfasst der Bericht der Chilcot-Kommission, in dem die Rolle Großbritanniens im Irak-Krieg 2003 analysiert wird. Seine Veröffentlichung am Mittwoch in London markiert das Ende einer sieben Jahre währenden Untersuchung. Mehr als 100 Zeugen wurden gehört und mehr als 1.000 bisher geheime Dokumente ausgewertet. Unter den Befragten waren Angehörige gefallener Soldaten, aber auch der damalige Chef der UN-Waffenkontrolleure im Irak, Hans Blix, und der frühere britische Premierminister Anthony Blair. Letzterer habe die Soldaten in den Irak geschickt, ohne alle Möglichkeiten für eine friedliche Konfliktlösung in dem Land abgewartet zu haben, sagte der Kommissionsvorsitzende John Chilcot nun bei der Vorstellung des Berichts. Es sei »äußerst schwerwiegend«, dass Großbritannien zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg einen souveränen Staat angegriffen und besetzt habe. »Viele Lektionen« seien aus dem Bericht zu lernen. Vor allem müssten zukünftige Kriege im Vorfeld einer »sorgfältigeren Analyse und politischen Bewertung« unterzogen werden. Er hoffe, der Bericht beantworte Fragen der Angehörigen aller im Irak getöteten britischen Soldaten. Ginge es nach Jeremy Corbyn, dem amtierenden Vorsitzenden der oppositionellen Labour-Partei, und vielen Briten, müsste sich Blair für seine damalige Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, juristisch verantworten. Anders als behauptet, befanden sich keine Massenvernichtungswaffen im Irak. Blair war damals bekannt, dass es grundlegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des einzigen Zeugen für die Protest am Mittwoch in London: Anthony Blair ließ den Irak besetzen – und lässt sich heute als »Vermittler« bezahlen Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gab. Ein Mann mit dem Codenamen »Curveball« befand sich im Gewahrsam des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und wollte sich mit Angaben über unerlaubte Programme zur Produktion von chemischen und biologischen Kampfstoffen im Irak den Aufenthaltsstatus in Deutschland erkaufen. Blair ficht nicht an, dass die Kriegs allianz die Welt mit Lügen und Halbwahrheiten getäuscht hat. Bis heute hält er die Entscheidung, in den IrakKrieg zu ziehen, für richtig. »Er widert mich an«, meinte Rose Gentle über den heute für seine »Vermittlungstätig- keit« im Nahen Osten hochbezahlten ehemaligen Premierminister. Ihr Sohn war 2004, nur drei Wochen nach seiner Stationierung im Irak, getötet worden. »Wenn wir heute den Irak sehen, ist es dort schlimmer, als es war, bevor wir dort einmarschiert sind. Er (Blair) zeigt keine Reue, für nichts und niemanden. Er wollte mit George W. Bush in diesen Krieg ziehen, und das hat er gemacht. Egal, was andere sagten.« Drei Tage vor Beginn des Krieges im März 2003 hatte das britische Unterhaus den Einmarsch britischer Truppen in den Irak gebilligt. 217 der 650 Abgeordneten stimmten dagegen, darunter 139 der Labour-Partei, der auch Blair angehört. Der damalige Außenminister Robin Cook und drei weitere Minister traten aus Protest gegen die britische Irak-Politik zurück. Millionen Briten hatten in den Tagen zuvor in London und anderen Städten gegen den Kriegskurs der Regierung demonstriert. Im Ergebnis der sechsjährigen Besatzung (2003 bis 2009) starben 179 britische Soldaten. Das Unrecht und Leid, das in dieser Zeit den Irakern zugefügt wurde, war aber auch diesmal nicht Gegenstand der Untersuchung. Der Bericht im Wortlaut: kurzlink.de/chilcot-bericht Dinner für deutsche Dynastien Familienunternehmen verzeichnen mehr als eine Billion Euro Umsatz I m vergangenen Jahr erzielten die 50 größten Familienunternehmen in Deutschland einen Rekordumsatz von 1.022 Milliarden Euro und damit ein Wachstum von 6,9 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Familienunternehmen in Stuttgart, es wurde am Mittwoch veröffentlicht. »Eine der Ursachen des kräftigen Wachstums waren Zukäufe«, heißt es in der Studie. »2015 war erstmals nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 zu beobachten, dass die großen Familienunternehmen wieder aktiver auf dem Markt für Unterneh- Syrien: Dreitägige Waffenruhe ausgerufen BASSAM KHABIEH/REUTERS Ende der »Ära Petry« zeichnet sich ab. Profitieren könnte der deutschvölkische Flügel der Partei menskäufe tätig waren.« Dies sei »ein Zeichen für das gewachsene Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die Zukunft«. Bosch habe beispielsweise 100 Prozent der Hausgerätefirma BSH und die ZF- Lenksysteme übernommen und dadurch seine Warenverkäufe um 44 Prozent statt 10 Prozent steigern können. Merck habe für 17 Milliarden US-Dollar den Laborausrüster SigmaAldrich übernommen und Theo Müller (»Müller-Milch«) mit Dairy Crest, einem Lebensmittelkonzern auf den Britischen Inseln, rund eine Milliarde Euro an Umsatz zugekauft. Sechzehn Unternehmen verzeichneten Zuwächse von mehr als zehn Prozent. Vier von ihnen bereits das zweite Jahr in Folge. Demgegenüber stellten die Konzerne lediglich 2,7 Prozent mehr Mitarbeiter ein – »Produktivitätsfortschritte« nennen das die Autoren. Der umsatzstärkste »Familienbetrieb« ist Volkswagen mit 213,3 Milliarden Euro, vor BMW (92,16 Milliarden Euro) und der SchwarzGruppe (79,3 Milliarden Euro). Die Unternehmen in Familienhand sitzen über ganz Westdeutschland verteilt. Schwerpunkte sind dort Ostwestfalen, Hamburg und Düsseldorf. Die Einkaufstour der Konzerne kommt nicht von ungefähr. Die Bundesregierung hat sich auf eine »Reform« der Erbschaftssteuer geeinigt, die Betriebsvermögen von Familienerben in Millionenhöhe unangetastet lässt. Am kommenden Freitag werden ver. di, ATTAC und Campact den Ministerpräsidenten der Länder 150.000 Unterschriften für eine gerechtere Besteuerung von Ererbtem übergeben. Im Bundesrat steht dann die Abstimmung der Erbschaftssteuer auf der Tagesordnung. Simon Zeise Kaum Jobs für Langzeitarbeitslose Nürnberg/Berlin. Kaum jeder siebte Langzeitarbeitslose findet wieder Arbeit. So hätten von den 1,4 Millionen Männern und Frauen, die im vergangenen Jahr angaben, nicht mehr auf Jobsuche zu sein, nur 197.000 tatsächlich eine reguläre Stelle gefunden. Das geht aus einer aktuellen Analyse der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor. Insgesamt gab es offiziell 2015 im Schnitt 1,039 Millionen Langzeitarbeitslose; damit war jeder dritte registrierte Erwerbslose ein Jahr oder länger auf Stellensuche. Die Zahl verharrt seit 2011 etwa auf diesem Niveau. Rund 871.000 Personen (62 Prozent) sollen sich wegen Krankheit oder Verrentung nicht länger als Arbeitslose registriert haben. Hartz-IV-Bezieher können von Jobcentern vorzeitig in Rente geschickt werden und müssen Abschläge bei der Altersrente akzeptieren. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel fällte 2015 ein entsprechendes Grundsatzurteil wird herausgegeben von 1.862 Genossinnen und Genossen (Stand 4.7.2016) ■ www.jungewelt.de/lpg
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