Realfakes im Internet

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Realfakes im Internet
Wie erfundene Personen Herzen brechen
Mit Viktoria Schwartz spricht Petra Stalbus
Sendung: Freitag, 8. Juli 2016, 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2016
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REALFAKES IM INTERNET
Petra Stalbus:
Victoria Schwartz, Sie haben sich im Internet in einen Mann verliebt, den es so gar
nicht gab: Kai. Angeblich war Kai ein Physiotherapeut aus Deutschland und
angeblich hielt er sich zur Zeit Ihres Kennenlernens auf Jamaika, bei seinem Vater,
auf, später dann in den USA und dann in Münster.
Sie haben gemailt, gechattet, auch telefoniert, aber Sie haben sich nie gesehen, nie
berührt, Sie haben sich nie live erlebt.
Wie würden Sie diese Art von Liebe, diese Internetliebe beschreiben? Was zeichnete
sie aus?
Victoria Schwartz:
Als ich die Person kennen lernte, im Internet, das war nicht auf einer DatingPlattform, sondern bei Twitter, es begann wie eine Freundschaft und nicht wie eine
Liebe und aus dieser Freundschaft und intensiven Gesprächen entstand dann eine
emotionale Verbindung irgendwann.
Aber von Anfang an bin ich davon ausgegangen, dass wir uns treffen. Man hofft ja,
dass diese Liebe im wahren Leben weitergeführt wird.
Er hat auch von Anfang an gesagt, er ist vier Monate später in Deutschland und das
Erste was er tun wird, ist mich treffen zu wollen. Ich hätte mich nie auf etwas
Emotionaleres eingelassen, wenn ich gewusst hätte, dass es nie zu einem Treffen
kommen wird.
Petra Stalbus:
Das war für Sie offenbar nicht abzusehen, dass das eine Fantasiefigur war, so
perfekt wie diese Inszenierung war, das schauen wir uns später mal noch an.
Sie haben für die Form dieser Fantasiefigur den Begriff Realfake geprägt, so auch
der Untertitel Ihres Buchs „Das Phänomen Realfakes“.
Was bedeutet der Begriff genau?
Victoria Schwartz:
Der Begriff Realfakes wird schon seit langer Zeit verwendet für perfekt gemachte
Fälschungen, zum Beispiel von Designertaschen oder Designerschmuck, aber auch
für virtuelle Welten in Film und Design.
Und ich empfinde ihn sehr passend auch für diese Art von Menschen, die perfekt
gemacht sind, die ein ganzes Netzwerk von Freunden und Verwandten haben im
Internet aus Fake-Accounts, die mit tausenden von Bildern alles belegen können und
die einfach wahnsinnig realistisch sind.
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Petra Stalbus:
Im Grunde genommen ist ja Ihre Geschichte eine Geschichte von Liebe und Lüge,
Vertrauen und Betrug - und das Ganze aber im Internetzeitalter.
Macht es das Internet Menschen besonders einfach, sich komplett neu zu erfinden
und andere da an der Nase herumzuführen?
Victoria Schwartz:
Natürlich macht das Internet es den Menschen einfach, eine falsche Identität
anzunehmen, innerhalb von ein paar Klicks hat man einen Fake-Account gebaut.
Wie gut und überzeugend dieser allerdings ist, das ist natürlich ein Spektrum von
Schwarz nach Weiß.
Und wenn ich von Realfakes rede, rede ich nicht von einem Fake, der einen falschen
Namen nimmt und ein Foto hat, sondern ich rede wirklich von den falschen
Identitäten, die zig Fake-Accounts bemühen, um damit eine einzige Identität echt
erscheinen zu lassen.
Petra Stalbus:
So war das bei Ihrem Kai, bei Ihrem Internet-Fake.
Können Sie mal beschreiben, was waren da sonst noch für Nebenfiguren, die er da
noch inszeniert hat, im Internet?
Victoria Schwartz:
Ja, da gab’s diverse Familienangehörige, seine Schwester, einen Bruder, noch eine
kleine Schwester, seinen besten Freund Chris. Insgesamt waren es, wenn ich alle
Accounts mitzähle, fast 35 Stück bis 40 Stück, alleine bei Facebook waren es
unzählig viele. Und er selber hatte in seinem Account zum Beispiel auch täglich neue
Fotos, konnte alles belegen, was er gemacht hat. Wenn er sagte, er ging an den
Strand, dann hatte er abends Bilder von sich am Strand, wo dann auch noch
Freunde getaggt waren, also die auch mit Accounts da waren, bei Facebook, sodass
es absolut realistisch erschien.
Es gab auch Videos. Wenn er mir erzählte „Wir haben hier eine Unwetterwarnung“,
dann postete er abends ein Video vom Sturm und sich dann winkend in die Kamera.
Es gab für alles Beweise. Da wurden mir irgendwelche medizinischen Atteste gemailt
oder Gerichtsbeschlüsse gemailt. Es wirkte absolut realistisch.
Petra Stalbus:
Das ist ja ein wahnsinniger Aufwand, der da betrieben wurde. Mir kommt es vor wie
auf einer Theaterbühne, Figuren, die auf und ab gehen. Die haben ja auch alle
miteinander und auch mit Ihnen ja auch noch kommuniziert.
Victoria Schwartz:
Genau. Der beste Freund kommunizierte auch mit mir, ein sehr unsympathischer
Mensch, fand ich von Anfang an. Dieser Freund, Chris hieß er …
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Petra Stalbus:
Christ Rakete.
Victoria Schwartz:
Ja, Chris Schneider Kennedy nannte er sich.
Petra Stalbus:
Ja, da habe ich mir ein Zitat aufgeschrieben: „Du bist ganz schön undankbar, statt
dich glücklich zu schätzen willst du immer noch mehr. Aber Kai nimmt das alles hin,
weil er dich liebt.“
Also das klingt ja schon auch nach schlechtem Gewissen und Provokation.
Victoria Schwartz:
Ja, natürlich. Die Freunde und auch Familienangehörigen, wenn ich kritisch wurde
und gesagt habe „Ja, so geht es nicht weiter, Kai, wir müssen uns jetzt treffen“, dann
wurde mir ein schlechtes Gewissen eingeredet, von den anderen Accounts. Und das
teilweise massiv. Und ich habe immer gedacht, wenn das einen Menschen trifft, der
labil ist oder wenig soziale Kontakte im wahren Leben, im Real Life, hat, dann kann
der massivst manipuliert werden.
Petra Stalbus:
Jetzt war Kai, am Anfang zumindest, ja wahnsinnig charmant und sensibel und
aufmerksam.
Wenn Sie uns dazu mal bitte eine Passage aus Ihrem Buch vorlesen.
Victoria Schwartz:
„Man konnte sich mit ihm über alles unterhalten, von ‚Bauer sucht Frau‘ über Politik,
bis hin zu Philosophie und Weltreligion. Natürlich sprachen wir auch über
Persönliches. Er war interessiert an meinem Leben, fragte nach, redete offen von
sich selbst ohne dabei ein Schwätzer zu sein.
Wir erzählten uns, was wir tagsüber erlebt, worüber wir uns gefreut oder geärgert
hatten. Seinen feinen Antennen entging nie, wenn ich einen schlechten Tag gehabt
hatte und dann gelang es Kai in kürzester Zeit mich wieder aufzuheitern.
Er spürte regelrecht, obwohl ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, wenn es
mir nicht gut ging und sprach mich dann darauf an. Ich wunderte mich darüber, aber
er fand das ganz normal. `Ich habe vom ersten Moment an eine starke Verbindung
zu dir gespürt, ich weiß nicht was es ist, aber diese Connection ist nun mal da.´“
Petra Stalbus:
Also das hört sich ja nun wirklich nach einem absoluten Traummann an, sensibel,
interessant und noch dazu zeigten seine Fotos ja auch einen umwerfend
gutaussehenden Mann, einen Surfer aus Jamaika. War das nicht doch auch alles ein
bisschen zu schön, um wahr zu sein? Haben Sie da nicht so kleine Alarmglöckchen
im Kopf manchmal gehabt?
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Victoria Schwartz:
Also umwerfend gut sah dieser Mann nicht aus.
Petra Stalbus:
„Ein schöner Mensch“ haben Sie geschrieben.
Victoria Schwartz:
Ja, ich fand das war ein schöner Mensch, aber umwerfend gut hört sich für mich
anders an. Ich finde ihn auch immer noch schön. Wir sind seitdem befreundet, ich
habe ihn damals angeschrieben und wir Video-Skypen öfter mal, das ist sehr lustig.
Petra Stalbus:
Also den Echten, das müssen wir jetzt kurz mal erklären. Also der Echte, von dem Ihr
Internet-Fake sämtliche Bilder und Videos und auch die ganze Lebensgeschichte
gestohlen hat, also rauskopiert aus dem Internet.
Victoria Schwartz:
Genau, eins zu eins, das komplette Leben.
Petra Stalbus:
Ja, und so getan hat als wäre er er.
Victoria Schwartz:
Genau.
Ich weiß nicht, zu schön um wahr zu sein – ich höre das ehrlich gesagt öfter mal von
Journalisten, die dann sagen: „Ja, haben Sie denn da nicht gedacht, der Mann ist zu
schön für Sie?“ Und das habe ich mit dem Echten mal besprochen und er konnte es
nicht nachvollziehen. Also so viel nur dazu.
Weiß ich nicht, dazu kann ich gar nicht so richtig was sagen.
Petra Stalbus:
Ich hatte beim Lesen Ihres Buches doch auch, so zwischen den Zeilen, mal gedacht,
da war doch von Anfang an schon eine gewisse Vorsicht.
Wann war für Sie so der Moment, wo Sie zum ersten Mal ganz deutlich gespürt
haben: Irgendetwas stimmt doch hier nicht.
Victoria Schwartz:
Dieser Moment kam nach vier Monaten. Man muss wirklich sagen, die ersten vier
Monate waren super, das war eine Traumzeit, sonst würde man sich auch nicht
darauf einlassen etwas so lange laufen zu lassen, obwohl der andere im Ausland ist.
Dass er im Ausland war, dafür bekam ich ständig Beweise, denn er schickte immer
Pakete und Briefe aus den USA.
Nach diesen vier Monaten sollte er nun nach Deutschland kommen, die erste
Absage, sehr gut gemacht, kam. Aber ich war da zum ersten Mal so, dass ich
gedacht habe: Ach Mensch, das ist jetzt komisch, weil, ja, keiner der wirklich
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wahnsinnig verliebt ist, würde jetzt wegen einem Sorgerechtsstreit in der Familie
nicht zumindest mal für eine Woche nach Deutschland kommen, um seine
Angebetete zu sehen.
Dann zog sich das immer länger hin und es wurde immer schwieriger mit ihm. Sobald
ich unzufrieden wurde und gesagt habe: „Jetzt müssen wir uns aber mal treffen“, da
zog er sich dann zurück oder machte so Zuckerbrot-und-Peitsche-Spielchen.
Und ich fing dann irgendwann an zu denken: Das ist eine Person, die so große
psychische Störungen hat, oder psychische Probleme hat, dass die eine andere
Person im Real Life nicht an sich ranlassen möchte.
Ich muss aber gestehen, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass diese Person, so
wie sie war, nicht existiert hat.
Petra Stalbus:
Kai hat ja oft auch große Dramen inszeniert, gerade wenn es darum ging, geplante
Treffen abzusagen – Familiendramen und Krankheiten.
Sie beschreiben an einer Stelle, wie er sogar am Telefon weinte. Inwiefern war dieser
Kai dann doch irgendwie auch real?
Victoria Schwartz:
Also, man muss sich einfach vor Augen führen: die Person, mit der man es zu tun
hat, ist ja in erster Linie Mensch, und auch die Betroffenen fallen ja nicht auf einen
Fake rein, in erster Linie, sondern kommunizieren mit einem anderen Menschen. Und
dieser andere Mensch hat natürlich auch Gefühle und ist bestimmt an vielen Punkten
in dieser Story, die er durchlebt, verzweifelt, weil er auch nicht wirklich weiß, wie er
weitermachen soll.
Und man merkte zum Beispiel bei Kai, dass viel aus dem wahren Leben da
mitreinspielte, in die Story. Das machte es ja auch so glaubwürdig, dass dieses
Leben vermischt wurde von dem echten Menschen dahinter und von den geklauten
Bildern. Ich habe schon den Menschen, mit dem ich zu tun hatte, ein Stück weit, also
Monate, durch sein Leben begleitet, und Dinge, die ihm, die Probleme, die er da
hatte, mir angehört. Und das waren natürlich die Probleme eines echten Menschen.
Es treffen zwei Menschen aufeinander und die Umstände sind natürlich unglücklich
und natürlich sind auch, wenn der Fake psychisch gestört ist, hat er vielleicht auch
häufig das Bedürfnis zu manipulieren und muss seinen Masterplan durchbringen und
spielt auch mit der anderen Person wie in einem realistischen Second Life. Dennoch
ist es ein anderer Mensch, dem es vielleicht auch nicht gut geht in dem Moment.
Und für mich ist es immer ganz wichtig: auch viele Opfer, mit denen ich zu tun habe,
haben wahnsinnige Rachegedanken und wollen den anderen auffliegen lassen und
fertig machen, und aus dem Grunde wissen, wer die andere Person ist.
Und ich rate immer von Rache ganz stark ab. Also auch wenn man groß verletzt
wurde, denke ich immer, letzten Endes ist die Person am anderen Ende ein Mensch.
Und man muss auch versuchen, für die Täter, zumindest geringfügig, Verständnis
aufzubringen.
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Petra Stalbus:
Am Ende war es dann ja eine Freundin von Ihnen, die Kontakt hatte mit dem besten
Freund von Kai, also auch einem virtuellen Freund, die dann nachforschte, beim
Einwohnermeldeamt, bei Krankenhäusern und Schulen und: sie fand dann heraus,
dass dieser Kai Cruz nirgends gemeldet ist und nirgends bekannt ist.
Und Sie haben dann Ihren Schmerz in dem Buch beschrieben, aber Ihnen wurde
auch unheimlich. Und wenn Sie dazu bitte noch eine Passage vorlesen würden.
Victoria Schwartz:
„Langsam beschlich mich die Angst vor diesem unbekannten Menschen, der so viel
von mir wusste, für mich aber ein Phantom war. Würde er plötzlich vor meiner Tür
stehen, wenn er merkte, dass er aufgeflogen war? Theoretisch konnte jeder
dahinterstecken. Vielleicht handelt es sich gar nicht um einen Fremden, sondern um
jemanden, den ich kannte. Konnte es sein, dass ich beobachtet wurde? Waren
meine Kinder in Gefahr?“
Petra Stalbus:
Das hört sich ja wirklich gruselig an, wenn man überhaupt nicht weiß, mit wem man
es da zu tun hat. Aber Sie waren auch erleichtert, weil Sie jetzt doch auch eine
Erklärung hatten für diese abgesagten Treffen und dieses seltsame Verhalten.
Victoria Schwartz:
Ja, erleichtert war ich in dem Moment noch nicht, sondern erst nachdem ich mit ihm
gesprochen hatte, direkt, mit dem vermeintlichen Kai.
Ich stellte Kai zur Rede und sagte, ich wüsste, dass er nicht die Person auf den
Bildern ist und dass er nicht existiert, also sein Name nicht existiert, in Münster und
er auch nicht in Münster wohnt. Er leugnete das dann ein wenig und rückte dann
aber nahtlos in die nächste Identität. Hat mir dann erzählt, er hätte das gemacht, er
hätte sich unter einem falschen Namen angemeldet bei Twitter wegen seines Jobs,
weil er anonym hätte bleiben wollen im Internet. Das ist ja auch eine plausible
Erklärung.
Ich bat ihn dann mir umgehend ein Bild von sich zu schicken, das tat er dann auch
nach einiger Zeit. Ich hatte ihm gesagt, er soll einen Zettel in die Hand nehmen, da
seinen Namen, meinen Namen und den Ort draufschreiben und das Datum. Er stand
dann stattdessen neben einer Tafel, wie sie so vor Restaurants stehen, und auf
diese Tafel waren die Wörter geschrieben, um die ich gebeten hatte.
Also es war ein vermeintlicher Beweis, aber ich bestand in den nächsten Tagen
immer mehr darauf, weitere Fotos zu kriegen. Und mir war in der ersten Woche
eigentlich schon klar, dass die Person nicht echt sein kann.
Petra Stalbus:
Und wie war das mit der Tafel, das hat er mit Photoshop gemacht, oder?
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Victoria Schwartz:
Genau, das wurde mit, hat die Person mit Photoshop gemacht. Und, ja, hatte einfach
ein Bild eines Mannes gefunden, neben dem so eine Tafel steht.
Und von diesem Mann hatte der Fake wohl nicht so viel Bildmaterial, deswegen
bekam ich viel spärlicher als vorher Bilder, und sah dann sofort: ach, am Mittwoch ist
das Haar auf einmal 6 Zentimeter länger, obwohl er, der nun auf einmal Daniel hieß,
beteuert es wäre garantiert gerade aufgenommen.
Und in dem Moment beschloss ich, dass ich auf jeden Fall rausfinden will, wer die
Person dahinter ist.
Petra Stalbus:
Sie sind dann richtig zur Kommissarin geworden.
Victoria Schwartz:
Genau. Ich habe weiter dann dieser Person die sehr große Liebe vorgespielt, immer
Liebesschwüre geschickt, weil ich ja die Person bei der Stange halten musste,
konnte aber auch nicht immer meinen Mund halten, ich deckte dann immer mehr
Sachen auf, die nicht stimmten.
Er, Daniel, hatte dann auch ein Facebook-Account und da waren wieder Freunde
und Familienmitglieder. Ich stellte dann aber fest, dass die Account-Fotos
meinetwegen geändert worden waren alle, von allen Accounts, nachts um 4 Uhr. Und
es war völlig klar, dass all diese Accounts auch Fake waren.
Und ich habe dann versucht, möglichst viele Informationen aus dem wahren Leben
des Menschen zu bekommen, mit dem ich es zu tun hatte. Und es hat sehr lange
gedauert, aber irgendwann kristallisierte sich eine Adresse raus, wo die Person
vermutlich leben würde.
Petra Stalbus:
Und da ist dann auch jemand hingeflogen, der Journalist Tin Fischer, für die
Zeitschrift „Neon“.
Victoria Schwartz:
Genau.
Petra Stalbus:
Und der hat dann diesen, Ihren Internet-Fake getroffen.
Wer steckte hinter Ihrem Fake, wer war das?
Victoria Schwartz:
Ja, hinter dem Fake steckte eine Doktorin der Psychologie und Aushilfsprofessorin
an der Universität dort in der Stadt.
Und im Interview wurde sie gefragt, warum sie das getan hat und sie erzählte dann,
sie würde sich als Mann im falschen Körper fühlen und da sie in den Südstaaten lebt,
wäre das die einzige Möglichkeit für sie, ihre Sexualität oder so auszuleben.
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Ich hatte aber soweit recherchiert, dass ich weiß, dass sie zum Beispiel seit dem
Jahre 2000 schon Fake-Accounts hatte und da noch gar nicht in diesem Bundesstaat
dort lebte.
Und die Ausrede, die sie benutzt hat, ist perfekt, weil eigentlich jeder Mitgefühl dann
hat und sagt: ach ja, Mensch, der arme Mensch, der kann sich sonst gar nicht
ausleben.
Aber ich nehm´ ihr diese Geschichte so nicht ab.
Petra Stalbus:
Gab’s denn eine Einsicht oder sagen wir mal Mitleid für das, was sie anderen
Menschen antut, wenn sie so mit ihren Gefühlen spielt und sich das Vertrauen
erschleicht?
Victoria Schwartz:
Also, man muss dazu noch sagen, dass sie als Chris mit wahnsinnig viel anderen
Frauen auch Kontakt hatte, die ich dann alle gewarnt habe und mit denen ich in
Kontakt stand, und einige von denen hat sie sehr verletzt, viel mehr als ich verletzt
wurde bei der Sache.
Aber die Entschuldigung, die sie hatte, oder als sie gefragt wurde, ob’s ihr leid tut,
war: „Es tut mir leid, dass ich nicht ich sein konnte.“
Petra Stalbus:
Also sehr auf sich bezogen.
Victoria Schwartz:
Ja, total.
Petra Stalbus:
Kurz noch als Erklärung für unsere Zuhörer: Also, diese Frau hat einen
Stimmenverzerrer benutzt, sie hat sich als Mann ausgegeben am Telefon bei Ihnen
und hatte auch in der Rolle anderer Freunde und Verwandte auch mit Ihnen
gesprochen. Das war also alles mit einem Stimmenverzerrer, so war das möglich.
Victoria Schwartz:
Genau.
Petra Stalbus:
Wie geht es Ihnen denn jetzt heute, vier Jahre später, wenn Sie an Ihren InternetFake zurückdenken?
Victoria Schwartz:
Also für mich war, damals als ich rausfand, dass Kai nicht existiert, das war natürlich
ein ganz schlimmer, trauriger Zeitpunkt in der Geschichte. Die Zeit mit Daniel war
dann schon so eine gefühlsmäßige Abnabelung, wo ich dann auch so einen
detektivischen Spürsinn halt immer merkte, sodass ich Gott sei Dank emotional da
ziemlich unbeschadet rausgegangen bin.
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Heute, mit Abstand von vier Jahren, habe ich manchmal das Gefühl, dieses Thema
Fakes hat mich so ein bisschen gesucht und gefunden. Dadurch, dass ich seit 2013
andere Menschen berate und in diese Rolle auch so reingerutscht bin im Grunde, ich
werde damit täglich konfrontiert, durch die Schicksale anderer Menschen, die mich
anschreiben.
Petra Stalbus:
Täglich, ja, sind das so viele, die sich da melden bei Ihnen?
Victoria Schwartz:
Ja. Es ist ziemlich schrecklich, wie verbreitet dieses Phänomen ist. Ich hatte darüber
gebloggt und gebeten, wenn jemandem etwas Ähnliches passiert ist, er soll mich
doch mal anschreiben. Und ich bekomme noch heute täglich eigentlich ein bis zwei
Mails.
Petra Stalbus:
Das sind ja dann Hunderte, seitdem.
Victoria Schwartz:
Ja. Also ich habe bei 500 dann irgendwann aufgehört zu zählen, weil, ja, es war
einfach zu viel. Und ich zähle da nicht Geschichten mit von Scammern, also von
Fällen, wo’s um Geld geht, wo einfach ein krimineller Hintergrund dahinter ist.
Sondern ich zähle wirklich nur Real-Fake-Fälle mit, wo die Identitäten wahnsinnig gut
gemacht sind und wo es teilweise in manchen dieser Geschichten fanden virtuelle
Beziehungen von bis zu 10 Jahren statt.
Petra Stalbus:
Und da ist kein finanzielles Interesse, bei diesen Realfakes, denen geht es um,
darum neue Identitäten einfach zu leben oder Manipulation, Größenwahn,
emotionale Erpressung?
Victoria Schwartz:
Genau. Ja.
Petra Stalbus:
Was hat sich da so gezeigt an Motiven bisher?
Victoria Schwartz:
Also ich habe mittlerweile auch mit vielen Fakes gesprochen und die Motive sind
schon unterschiedlich, aber bei denen, die das langjährig und in großem Stil machen,
kann man davon ausgehen, dass da ernsthafte psychische Erkrankungen
dahinterstecken.
Petra Stalbus:
Ah, ja.
Victoria Schwartz:
Es gibt noch keine Studien dazu im deutschsprachigen Raum, ich habe aber mit
Psychologen gesprochen und Borderline, Störungen des Selbstwertgefühls, also es
gibt ganz unterschiedlichen Ansätze da.
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Viele rutschen einfach so rein, haben gute Gespräche mit einem anderen Menschen
geführt, dafür, von Anfang an einen falschen Account gehabt, sich gar nichts dabei
gedacht, dann entwickeln sie Gefühle und kommen aus der Nummer vermeintlich
nicht mehr raus, weil sie den anderen nicht verlieren wollen. Und irgendwann
bekommt das was Zwanghaftes und auch so eine Art Suchtgefühl entsteht dann bei
den Fakes.
Ja, manche leben ihre Sexualität aus, sie können lesbisch sein nur im Internet
meinetwegen. Oder bei männlichen Tätern geht’s leider dann doch häufig darum
Nacktbilder zu bekommen von ihren Opfern. Also die männlichen Fälle sind häufig
dann doch sexuell motiviert.
Aber die Welt ist auch für einige Menschen ganz schön schwierig geworden. Zum
Beispiel habe ich häufig mit Fakes zu tun, die in echt einfach nicht dem gängigen
Schönheitsideal entsprechen. Und die meinen, sie finden nur Kontakt zur Außenwelt,
wenn sie dann ein hübscheres Profilbild nehmen.
Und da kann man jetzt sagen, ja, total fies und gemein und die hat uns da getäuscht
oder der hat mich getäuscht, hat er auch, letzten Endes ist es aber ja auch aus einer
Notsituation heraus entstanden.
Und wenn wir alle mehr auf das Innere von Menschen hören würden, müssten wir
vielleicht nicht so am Äußeren kleben.
Petra Stalbus:
Und die Opfer, was sind das so für Menschen und wie wirken sich die RealfakeErlebnisse auf sie aus?
Victoria Schwartz:
Die Opfer sind keiner so, dass man sagen würde: oh, das sind jetzt typische
Opfertypen. Das sind Menschen von 14 bis aufwärts quasi unendlich. Die
Hauptzielgruppe ist aber 20 bis 30, also doch eine junge Zielgruppe, von der man
denken würde, die sind alle mit dem Netz ja aufgewachsen.
Und das ist so ein bisschen der Punkt, Real Life und Internet verschmelzen
heutzutage so miteinander.
Jeder arbeitet mit dem Internet, man macht ganz natürlich Kontakte zu anderen
Menschen im Internet, baut man auf, es werden auch Freundschaften geschlossen
im Internet, die dann im Real Life fortgesetzt werden.
Und es ist tatsächlich so: es kommt darauf an, wie die psychische Konstitution war,
als man hineingegangen ist. Natürlich gibt’s auch Opfer, die sehr traurig vorher
waren, die auch tatsächlich einsam waren. Wenn dann auffliegt, dass sie einem
großen Fake aufgesessen sind, dann reißt es denen natürlich total den Boden unter
den Füßen weg.
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Petra Stalbus:
Sie sind ja jetzt in Liebesdingen wieder im Real Life so komplett mit Haut und Haar
angekommen. Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie sind wieder zusammen mit dem
Vater Ihrer Kinder.
Wie ist jetzt heute so das Verhältnis zu Internet-Bekanntschaften, wie gehen Sie
damit um? Sind Sie da jetzt misstrauischer wie vorher?
Victoria Schwartz:
Also ich muss tatsächlich sagen, dass ich von Beginn des Internets im Grunde im
Internet bin und wahnsinnig gute Freundschaften und Kontakte geschlossen habe,
die auch ins Real Life sich reinziehen. Und diese Person des Kai war das einzig
negative Erlebnis, was ich gehabt habe.
Petra Stalbus:
Und dann aber richtig...
Victoria Schwartz:
Und dann aber richtig, also aus allen Rohren.
Ich kann auch wirklich nicht sagen, dass ich jetzt mich anderes im Internet verhalte.
Natürlich ist es so, ich werde viel kontaktiert von fremden Menschen, auch durch
meine Arbeit, so durch die Arbeit mit Fakes. Da sind dann immer wieder auch Fakes
dabei, die mich so testen wollen und …
Petra Stalbus:
Ah, okay. Aber da wissen Sie, da kennen Sie alle Tricks, um die zu enttarnen, oder?
– Computerprogramme, die man …
Victoria Schwartz:
Ja, das ist, dann weiß man langsam, worauf man gucken muss und, ja.
Petra Stalbus:
Ja, und Sie können es auch mit Computerprogrammen zum Teil testen: ist das Bild
jetzt echt oder geklaut?
Victoria Schwartz:
Ja, mit der Google-Bilderrückwärtssuche kann man natürlich Bilder angucken, das
rate ich auch jedem. Andererseits: zum Beispiel die Bilder von meinem Kai ließen
sich dadurch nicht finden, die musste ich dann auf anderem Wege suchen.
Aber man hat trotzdem, kann immer mal wieder Glück haben. Und wenn man sich
jetzt im Netz in jemanden verliebt oder auf eine Dating-Plattform mit jemandem zu
tun hat, der sich nicht treffen will, möglichst schnell, dann macht es durchaus Sinn,
mal die Rückwärtssuche anzuschmeißen und dann findet man eventuell interessante
Ergebnisse.
Petra Stalbus:
Okay.
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Victoria Schwartz, vielen Dank für dieses Gespräch.
Noch mal der Titel Ihres Buchs „Wie meine Internetliebe zum Albtraum wurde – Das
Phänomen Realfakes“. Es ist erschienen beim Verlag Blanvalet.
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