06.07.2016 Neue Berliner Bauordnung: Die wichtigsten Änderungen Am 01.01.2017 tritt das Dritte Gesetz zur Änderung der Bauordnung für Berlin vom 17.06.2016 in Kraft. Executive Summary > Vorhaben müssen künftig nach Ablauf von sieben Jahren nach Erteilung der Baugenehmigung oder Teilbaugenehmigung fertiggestellt sein, anderenfalls erlischt die Baugenehmigung. > Im Abstandsflächenrecht gibt es Vereinfachungen bei der Ermittlung der Abstandsflächen der Dächer sowie Erleichterungen für Maßnahmen der energetischen Sanierung und den nachträglichen Anbau von Aufzügen und Treppenräumen im Gebäudebestand. > Die Anforderungen an die Barrierefreiheit werden erhöht. > Anträge an die Behörde können künftig elektronisch gestellt werden. I. Einführung Die Bauordnung für Berlin (BauO Bln) vom 29.09.2005 wurde zuletzt im Jahr 2011 geändert. Am 09.06.2016 hat das Abgeordnetenhaus nun das Dritte Gesetz zur Änderung der Bauordnung für Berlin verabschiedet, das nach der Gesetzesbegründung vom 09.02.2016 (Drs. 17/2713, S. 39) im Wesentlichen drei Ziele verfolgt: • • • Anpassung an die Musterbauordnung vom 21.09.2012 (MBO), die zugleich auch auf die europäische Rechtsentwicklung reagiert Vereinheitlichung bauordnungsrechtlicher Anforderungen in der Region Berlin/Brandenburg anlässlich der Anpassung der Brandenburgischen Bauordnung an die MBO Nachsteuerung unter Berücksichtigung berlinspezifischer Belange. Das Gesetz tritt am 01.01.2017 in Kraft (GVBl. vom 28.06.2016, S. 361). Die vor dem 01.01.2017 eingeleiteten Verfahren sind nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften fortzuführen. Die nach diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften sind mit Ausnahme des Fünften Teils (Bauaufsichtsbehörden, Verfahren) jedoch anzuwenden, soweit diese für den Bauherrn günstiger sind. II. Neuregelungen im Einzelnen 1. Abstandsflächen Die Abstandsflächenvorschrift (§ 6 BauO Bln) wurde maßgeblich geändert. Erstens wurde die Bemessungsregel für Abstandsflächen in § 6 Abs. 4 BauO Bln neu gefasst. Ziel der Neuregelung ist, die Bemessung der Abstandsflächen von Dächern zu vereinfachen. Nach § 6 Abs. 4 BauO Bln alte Fassung (a.F.) wurde die Tiefe der Abstandsfläche für Dächer und Wände nach der Wandhöhe bemessen. Die Höhe eines Daches wurde – abhängig von dessen Neigungswinkel – der Wandhöhe voll oder anteilmäßig hinzugerechnet. Nach § 6 Abs. 4 BauO Bln neue Fassung (n.F.) erhält die Höhe der Punkte der Dachhaut über der Geländeoberfläche eine eigene Bemessungsregel, die von der Wandhöhe unabhängig ist. Dadurch soll die nach geltendem Recht bestehende abstandsflächenrechtliche „Schlechterstellung“ des Daches gegenüber dem Staffelgeschoss beseitigt werden. Zweitens enthält die neue Bauordnung in § 6 Abs. 6 BauO Bln n.F. abstandsflächenrechtliche Erleichterungen für bestimmte vor die Außenwand vortretende Bauteile wie Gesimse und Dachüberstände sowie Vorbauten und Dachaufbauten. Dadurch soll die Nachverdichtung erleichtert werden. Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Nutzung erneuerbarer Energien und das Erfordernis der Energieeinsparung, auch im Hinblick auf die Regelungen der Energieeinsparverordnung (EnEV), sieht – drittens – § 6 Abs. 7 BauO Bln n.F. im Gebäudebestand eine abstandsflächenrechtliche Privilegierung von Maßnahmen der Wärmedämmung und von Solaranlagen vor. Mit dem neuen § 4 Abs. 2 S. 2, 3 BauO Bln wird zudem das nachträgliche Anbringen von Außenwand- und Dachdämmungen bei bestehenden Gebäuden dahin vereinfacht, 1 Neue Berliner Bauordnung: Die wichtigsten Änderungen dass eine Überbauung des Nachbargrundstücks an der Grundstücksgrenze durch die Dämmmaßnahmen zulässig ist und dies somit keiner Baulasteintragung bedarf. Viertens erleichtert § 6 Abs. 9 BauO Bln n.F. Veränderungen an rechtmäßig bestehenden Gebäuden, die den aktuellen Regelungen des Abstandsflächenrechts nicht entsprechen, aber Bestandsschutz genießen. Zudem wird die Neuerrichtung eines abgerissenen Gebäudes an demselben Ort in der Kubatur des beseitigten Gebäudes privilegiert. Veränderungen in oder an den genannten Gebäuden führen in den Fällen des § 6 Abs. 9 BauO Bln n.F. künftig nicht mehr dazu, dass die Abstandsflächenfrage für das jeweilige Gebäude neu aufgeworfen wird, weil durch diese Veränderungen der Bestandsschutz aufgehoben würde. Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (bspw. B. v. 27.01.2011 – OVG S 50.10 = juris), wonach Vorbauten, auch wenn sie für sich selbst die Abstandsflächen einhalten, die Abstandsflächenfrage des Gebäudes, an das sie angebaut werden, neu aufwerfen, wird durch die Neuregelung des § 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 3 BauO Bln gegenstandslos. Diesen Erleichterungen kommt in der Praxis eine hohe Bedeutung zu. § 6 Abs. 10 BauO Bln n.F. erleichtert – fünftens – den nachträglichen Anbau von Aufzügen, Treppen und Treppenräumen im Gebäudebestand. Mit dieser Regelung soll ausweislich der Gesetzesbegründung vom 09.02.2016 (Drs. 17/2713, S. 51) auf den demografischen Wandel reagiert werden. 2. Barrierefreies Bauen Nicht nur durch die letztgenannte Änderung des Abstandsflächenrechts sondern auch durch weitere Neuregelungen soll der Anteil an barrierefreien Gebäuden erhöht und dem demografischen Wandel Rechnung getragen werden. In Gebäuden mit mehr als zwei – statt bislang mehr als vier – Wohnungen müssen gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 BauO Bln n.F. mindestens die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei nutzbar und über den üblichen Hauptzugang barrierefrei erreichbar sein. Bei Wohnungsneubauten mit mehr als zwei Wohnungen, die bis Ende 2019 angezeigt werden oder deren Genehmigung beantragt wird und in denen die Errichtung eines Aufzuges Pflicht ist, muss zudem insgesamt ein Drittel der Wohnungen barrierefrei nutzbar sein. Ab 2020 liegt dieser Anteil bei 50 Prozent. GSK Update / 06.07.2016 3. Rauchmelder Zur Verbesserung der Sicherheit im Brandfall wird in § 48 Abs. 4 BauO Bln n.F. vorgeschrieben, dass in Wohnungen alle Aufenthaltsräume und Flure, über die Rettungswege von Aufenthaltsräumen führen, künftig jeweils mit mindestens einem Rauchwarnmelder auszustatten sind. Ausgenommen werden Küchen. Nicht umfasst werden zudem Bäder, da diese keine Aufenthaltsräume sind. Spätestens bis zum 31.12.2020 müssen auch bestehende Wohnungen mit Rauchwarnmeldern ausgestattet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat am 08.12.2015 (Az. 1 BvR 2921/15 = juris) entschieden, dass Mieter auch den Einbau von Funk-Rauchmeldern, die sich aus der Ferne warten lassen, dulden müssen. 4. Teilung von Grundstücken Bislang konnten unrechtmäßige Grundstücksteilungen nur nachträglich durch repressives Vorgehen der Bauaufsichtsbehörden korrigiert werden. Durch die Neuregelung des § 7 BauO Bln sollen rechtswidrige Grundstücksteilungen von vornherein vermieden und Rechtssicherheit geschaffen werden. Eine die Grundstücksteilung vorbereitende Liegenschaftsvermessung darf nach der Neuregelung nur vorgenommen werden, wenn die Bauaufsichtsbehörde erforderliche bauordnungsrechtliche Abweichungen zugelassen oder planungsrechtliche Befreiungen erteilt hat. Bisher konnten die Vermessungsstellen nur auf die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Teilung hinweisen, hatten jedoch keinen Einfluss auf die Teilungserklärung beim Grundbuchamt. 5. Verfahrenserleichterungen und -beschleunigungen Durch die neue Bauordung wird es ermöglicht, Anträge und Erklärungen an die Bauaufsichtsbehörden elektronisch abzugeben. In § 65 Abs. 1 BauO Bln n.F. wird die Verpflichtung der Entwurfsverfasser aufgehoben, die von ihnen erstellten Bauvorlagen für die nicht verfahrensfreie Errichtung und Änderung von Gebäuden zu unterschreiben. Auch wird in § 68 Abs. 1 BauO Bln n.F. auf das Schriftformerfordernis für den Bauantrag verzichtet. Gleiches gilt für den Antrag auf Teilbaugenehmigung, auf Verlängerung der Baugenehmigung und auf Erteilung eines Vorbescheides. Dadurch können der (Bau-)Antrag, die Bauvorlagen sowie die Unterlagen, die von Fachplanern erarbei- 2 Neue Berliner Bauordnung: Die wichtigsten Änderungen tet wurden, elektronisch erstellt und zusammen mit den Formulardaten direkt über das Fachverfahren „Elektronisches Bau- und Genehmigungsverfahren (eBG)“ den Bauaufsichtsbehörden zugeleitet werden. Dieses Verfahren regelt die Rechtsverordnung nach § 86 Abs. 3 Nrn. 1-3 BauO Bln n.F. Durch Neuregelung des § 69 Abs. 2 S. 4 BauO Bln soll zudem das Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung beschleunigt werden. Neben der bestehenden Monatsfrist zur Erteilung der Zustimmung oder des Einvernehmens wird auch eine Frist für andere Beteiligungsarten eingeführt, insbesondere für die Beteiligung der Stadtplanungsämter zur Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens. Die Stadtplanungsämter sollen nun – wie andere Stellen – innerhalb eines Monates eine Stellungnahme abgeben, da ansonsten vermutet wird, ihre Belange seien nicht berührt. Damit soll die Baugenehmigungsbehörde in die Lage versetzt werden, in jedem Fall innerhalb eines Monates entweder eine Stellungnahme der Stadtplanung zu erhalten oder aufgrund der fingierten positiven Stellungnahme den Bauantrag trotzdem weiter bearbeiten zu können. Die Bauaufsichtsbehörde kann die Stellungnahmefrist für die Beurteilung des Bauplanungsrechts jedoch um einen Monat verlängern. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Stadtplanungsamt selbst noch andere Stellen beteiligen muss. 6. Geltungsdauer der Baugenehmigung § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauO Bln n.F. führt eine Höchstfrist zur Fertigstellung eines Bauvorhabens ein. Künftig muss das Vorhaben nach Ablauf von sieben Jahren nach Erteilung der Baugenehmigung oder der Teilbaugenehmigung fertiggestellt sein, anderenfalls erlischt die Baugenehmigung. Für die Fortsetzung der Bauausführung ist dann eine neue Baugenehmigung erforderlich. Dadurch wird der „Realisierungsdruck“ für Bauvorhaben erhöht. Als Folge dieser Höchstfrist kann die Frist des § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauO Bln n.F., nach dem Baugenehmigung und Teilbaugenehmigung erlöschen, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen wurde, nur noch dreimal für jeweils bis zu einem Jahr verlängert werden. Die Regelung, dass Baugenehmigung und Teilbaugenehmigung erlöschen, sobald die Bauausführung länger als ein Jahr unterbrochen worden ist, wurde hingegen aufgehoben. Wie lange das Bauvorhaben GSK Update / 06.07.2016 in dem 7-Jahres-Zeitraum unterbrochen wird, ist daher zukünftig unerheblich. 7. Vorbescheid Mit der Neuregelung des § 75 BauO Bln werden Unklarheiten bei der Erteilung eines Vorbescheides beseitigt. Die neue Regelung sieht vor, dass tatsächlich nur im Fall einer vorgeschriebenen Baugenehmigung (oder einer Befreiung, Abweichung oder eines sonstigen isolierten, den Bau frei gebenden Bescheides) ein Vorbescheid möglich sein soll. Damit ist für Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes – oder auch des Baunutzungsplanes – die Erteilung eines Vorbescheides ausgeschlossen. Bezüglich des in einem Vorbescheid abfragbaren Inhaltes wird durch die neue Regelung klargestellt, dass der Vorbescheid nur den Inhalt des auf den Vorbescheid folgenden „Hauptbescheides“ betreffen kann. Dies entspricht der bisherigen Praxis. III. Fazit Die verfahrensrechtlichen Neuregelungen tragen der technischen Entwicklung Rechnung. Zudem werden die Erleichterungen bei den Abstandsflächen die Nachverdichtung vereinfachen. Allerdings werden die aufgrund der neuen Berliner Bauordnung einzuhaltenden Vorgaben zur Barrierefreiheit – neben den weiteren Verschärfungen bei der Energieeinsparung – das Bauen weiter verteuern. Damit wird letztlich auch die Herstellung von bezahlbarem Wohnraum erschwert. Wichtig: Neben den (landesrechtlichen) Neuregelungen des Bauordnungsrechts für das Land Berlin durch die Änderungen der Bauordnung, die am 01.01.2017 in Kraft treten, soll auch das Bauplanungsrecht des Bundes mit einer BauGB-/BauNVONovelle geändert werden. Geplant ist mit dieser unter anderem die Ergänzung der Baunutzungsverordnung (BauNVO) durch eine neue Baugebietskategorie, das „Urbane Gebiet“, mit höherer Baudichte, aber vergleichsweise niedrigeren Lärmschutzanforderungen. Dr. Frank-Florian Seifert Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht Standort Berlin [email protected] 3 Urheberrecht GSK Stockmann + Kollegen - Alle Rechte vorbehalten. 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