SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Vom Überleben 22 Monate als Al-Kaida-Geisel in Syrien Von Susanne Sporrer und Klaus Heymach Sendung: Redaktion: Produktion: Mittwoch, 06.Juli 2016, um 10.05 Uhr Petra Mallwitz SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Meist spricht Theo Padnos Englisch, doch ab und zu auch deutsch: Das hat er vor mehr als 20 Jahren beim Jobben in einer Brauerei in Donaueschingen gelernt. O-Ton Theo 1 NEU In den ersten sechs Monaten fragten sie mich immer wieder: „Wie willst du sterben? Sollen wir dich erschießen, dich hängen oder dir die Kehle durchschneiden?” Sie sagten mir oft, du weißt doch, dass Ungläubige nicht in den Himmel kommen. Warum konvertierst du nicht? Es wurde so viel über den Tod und das Jenseits gesprochen, an einem gewissen Punkt hatte ich mich damit abgefunden, dass sie mich irgendwann umbringen werden. (O-Ton länger stehen lassen zum unterlegen unter Erzählertext plus Kreuzblende in Kaffee-Atmo) Atmo Kaffeetrinken Erzählerin Theo Padnos sitzt bei uns in Berlin am Küchentisch und erzählt. Er trägt ein syrisches Fußballtrikot, eine verbeulte Jeans und zwei unterschiedliche Socken. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass wir ihn treffen. Seine Locken sind grau geworden. Er ist inzwischen 47 Jahre alt. Lange dachten wir, wir würden unseren amerikanischen Freund nie wieder sehen. O-Ton Theo 2 Ich hatte meine Entführer in Antakya in der Türkei kennengelernt. „Komm, trink Tee mit uns“, sagten sie. Okay, dachte ich, das sind syrische Studenten. Während all der Jahre, die ich in Syrien gelebt hatte, waren Studenten immer diejenigen, mit denen ich am besten klarkam. Atmo Sanaa (Regie: Schon in Theo einblenden, aber nur sehr leise verwenden, wie aus Erinnerung.) Erzählerin Wir kennen Theo seit 2005, aus dem Jemen. Ihn, den promovierten Literaturwissenschaftler und Autor, und uns, die deutschen Journalisten, hatte es aus demselben Grund dorthin gezogen: Wir wollten die arabische Welt kennen lernen. 15 Monate lebten wir als Nachbarn in der Altstadt von Sanaa. Theo ging zum Arabischlernen in die Moschee, wir suchten uns lieber einen Sprachlehrer. Viele Abende verbrachten wir in Theos Wohnzimmer mit dem fantastischen Blick über die Dächer. Auch nachdem wir längst wieder zurück in Deutschland waren, riss der 2 Kontakt nicht ab. Doch nach dem 5. Oktober 2012 hörten wir nichts mehr von Theo. “Bin jetzt an der syrischen Grenze und will in ein paar Tagen Richtung Aleppo”, war sein letztes Lebenszeichen auf Twitter. O-Ton Theo 3 Ich wollte keine Rebellen interviewen, ich hatte viel zu viel Angst vor Gewalt und Konflikt. Ich bin kein Krisenberichterstatter, ich wollte nicht ins Kriegsgebiet. Aber ich dachte, ich k nnte vielleicht ein Lager weit hinter der Front besuchen und mit den Leuten dort sprechen. In Antakya waren zu dieser Zeit viele Journalisten, und sie alle gingen für ein oder zwei Tage rüber nach Syrien, alle machten das, die ganze Zeit, und verdienten so ihr Geld. Erzählerin Theo hatte im Jemen begonnen, auch als Journalist zu arbeiten. Später zog er nach Damaskus und berichtete von dort für amerikanische Zeitungen. Als der Bürgerkrieg begann, versuchte Theo von den USA aus weiter über die kulturellen und religiösen Hintergründe des Konflikts zu schreiben. Doch er fand kaum Abnehmer für seine Essays und Analysen. Ich muss wieder direkt aus Syrien berichten, dachte er. Die angeblichen syrischen Studenten im türkischen Antakya versprachen Theo, ihn sicher auf die andere Seite der Grenze zu bringen. O-Ton Theo 4 Wir fuhren auf einer unbefestigten Straße durch Olivenhaine und Felder, dann hielten wir. “Schnell, lauf!”, sagte der Fahrer. Wir rannten so schnell wir konnten durch das Feld, sprangen über einen Stacheldrahtzaun und – waren in Syrien. Erzählerin “Hat irgend jemand in den vergangen zwei Wochen etwas von Theo geh rt? Wir sind dankbar für jeden Hinweis”, schrieb Theos Mutter am 4. November auf Facebook. Ist Theo wieder auf verdeckter Recherche unterwegs? fragten wir uns. So wie damals im Jemen, als er sich als Konvertit ausgab und wochenlang in einer salafistischen Koranschule lebte? 3 Musik Nusra-Hymne O-Ton Theo 5 Sie traten mir ins Gesicht, sie schlugen mich mit Fäusten, trampelten und sprangen auf mir rum. Und ich h rte jemanden sagen: “Bring die Handschellen!” Pl tzlich war ich gefesselt, die Hände auf dem Rücken, und Blut lief aus meinem Auge. Und dann fingen sie an zu lachen. Einer sagte: “Wir sind von Al Kaida. Wusstest du das nicht?” weiter Musik Nusra-Hymne Erzählerin Der syrische Ableger von Al Kaida nennt sich Al Nusra-Front. 22 Monate lang hielten die Islamisten Theo gefangen. „Die Nusra-Front bezwingt die Ungläubigen“, heißt es in ihrer Hymne, die uns Theo auf Youtube vorspielt, und: „Sagt den Kreuzrittern: Amerika, dein Grab ist Syrien. Unsere Front ist siegreich.“ O-Ton Theo 6 Und sie steckten mich in dieses Zimmer mit der Scheiße und der Pisse auf dem Boden. Ich denke, das war in der Augenklinik von Aleppo. In dieser ersten Zelle habe ich drei Monate lang gelebt. Sie sagten mir nicht, warum sie mich festhielten. “Halt’s Maul!”, sagten sie. Morgens kamen sie rein und warfen ein bisschen Brot und Sesampaste auf den Boden und dann schlugen sie die Tür wieder zu. Sie schlugen sie so fest zu, dass nach einem Monat der Türknauf abfiel. So fest schlugen sie diese blöde Türe zu. Atmo Zwielicht: Theo liest Gedicht auf Deutsch “Hast ein Reh du lieb vor andern / Lass es nicht alleine grasen” sollte zu h ren sein Erzählerin In seiner Verzweiflung kommt Theo ein düsteres Eichendorff-Gedicht in den Sinn, das seine Mutter früher immer in der Vertonung von Schumann gehört hat. Musik Zwielicht, Dietrich Fischer-Dieskau/Günther Weißenborn „Hast ein Reh…“ h rbar O-Ton Theo 7 Es heißt Zwielicht. Es ging um das Gefühl, wenn du weißt, dass etwas Schlimmes kommt. Als mir diese Zeilen in den Kopf kamen, dachte ich, ich bin das Reh. Als ich durch die Olivenhaine nach Syrien reinkam, da dämmerte es, Zwielicht. Das ist es, woran ich mich erinnere. Etwas Böses im Herzen eines anderen. Sinnt er Krieg im tück’schen Frieden. Ich wusste auch, dass das Gedicht etwas über Feinde sagte, die man für Freunde hielt. 4 Evtl. Atmo Theo liest Zwielicht O-Ton Theo 8 Diese Menschen waren so verrückt, so wütend, völlig außer Kontrolle, und so hasserfüllt mir gegenüber, dass ich einfach still liegen musste, um das Leiden so weit wie möglich zu reduzieren. Ich versuchte, keinen Widerstand zu leisten, sie tun zu lassen, was immer sie mit meinem Körper machen wollten. Mit der Zeit lernte ich, wenn ich Angst hatte – und ich hatte oft Angst – einfach still dazuliegen, und darauf zu warten, dass sie kommen. Musik Teho Teardo & Blixa Bargeld: “Axolotl” (Anfang) O-Ton Theo 9 Ich glaube, es waren vier Mal … Ich wurde oft bestraft, aber gefoltert wurde ich vielleicht fünf oder sechs Mal. Sie benutzen spezielle Werkzeuge und sie haben spezielle Folterknechte, sie verwenden auch Strom. Ich hatte das Gefühl, sie benutzen Äxte oder Messer. Gleichzeitig gossen sie Wasser auf mich, und ich dachte, das wäre Blut. Ich war mir sicher, ich würde nie wieder laufen können und hatte solche Angst, dass sie mich einfach abschlachten. Es war die Angst, die den Schmerz schlimmer macht. Du hast solche Panik. Und sie wollen auch, dass die Kinder mitmachen ... Die sind vielleicht acht, neun Jahre alt. … Während der Vernehmer mir Fragen stellte, kitzelten die Kinder mich mit ihren Ketten und Kabeln an den Füßen. Musik Teho Teardo & Blixa Bargeld: “Axolotl” Erzählerin Dass er so gut Arabisch spricht, das Land kennt und mit dem Islam vertraut ist, half Theo nicht, im Gegenteil. Das machte ihn verdächtig, ein Spion der CIA zu sein. “Die haben dich aber gut ausgebildet”, sagten sie ihm immer wieder. Unter der Qual der Folter sagte Theo schließlich zu allen Vorwürfen Ja. Aber auch das änderte nichts. O-Ton Theo 10 Ihre Folter gleicht in vielerlei Hinsicht einem religiösen Ritual. Sie glauben, dass sie das näher zu Gott bringt. Oft beten sie auch richtig vor der Folter. Wenn sie wirklich laut und energisch beteten, dann wusste ich, jetzt wird gleich gefoltert. Das war für mich, als würden sie Gott fragen, ist es in Ordnung, wenn wir diese Typen foltern? Und er antwortet immer: Ja, kein Problem. O-Ton Theo 11 Einer meiner Bewacher war Schüler am Goethe-Institut in Aleppo gewesen. Ich lief mit verbundenen Augen und Handschellen den Flur runter, plötzlich sagte jemand „Was für eine Überraschung.“ Das war ein Syrer, der deutsch reden wollte. Aber erst musste er Leute foltern. Danach kam er zurück und sagte: „K nnen wir unser Deutsch üben?“ 5 Erzählerin Die Nusra-Front schleppte Theo von Aleppo im Norden durch die Wüste im Osten – auf der Flucht vor den Truppen Assads, aber auch vor den verfeindeten Kämpfern des Islamischen Staats. 13 verschiedene Gefängnisse hat Theo gezählt. Oft lebte er in völliger Dunkelheit, Körper und Kleider voller Läuse, der Bart reichte ihm bald bis zur Brust. Meist war Theo allein eingesperrt, mal mit 30 Offizieren der syrischen Armee zusammengepfercht. Einige Monate teilte er sich die Zelle mit einem anderen Amerikaner, dem Fotografen Matt Schrier. Obwohl sie sich nicht ausstehen konnten, planten die beiden gemeinsam die Flucht, als sie merkten, dass das Gitter vor dem Kellerfenster brüchig war. O-Ton Theo 12 Er bestand darauf, dass er als erster rauskriechen durfte. Ich wollte mich nicht mit ihm anlegen, also kletterte er auf meinen Rücken und ich schob ihn nach draußen. Nach drei Minuten war er frei. Ich reichte ihm seine Schuhe, sein Hemd und sagte “Jetzt zieh mich raus.“ Ich steckte meinen Kopf durch, meine Brust. Aber er meinte: „Du schaffst es nicht. Bye.“ Daraufhin verlegten sie mich in die Wüste, in einen heißen Raum, sehr wenig Wasser. Sie fesselten meine Hände und Füße, sechs Wochen lang, rund um die Uhr. Musik “Lesh” unter dem O-Ton beginnt Gitarrenintro von “Lesh” Elizabeth Ayoub, Lesh, Album Prelude, 2006 O-Ton Theo 13 Ich war oft träge und deprimiert, manchmal habe ich für die anderen Gefangenen gesungen. Ich sang dieses Lied von meiner arabischen Lieblingssängerin. Sie singt: “Lesh?” (sprich läisch), “Warum?” (singt auf Arabisch) überblenden in Musik “Lesh” Theo singt zuerst eine Textzeile, die im Lied bei 2:41 kommt, dann eine weitere Zeile, im Lied ab 0:31 O-Ton Theo 14 Normalerweise fahre ich Fahrrad, wenn ich Angst habe oder gestresst bin, das beruhigt mich. Aber im Al-Kaida-Gefängnis kannst du nicht Radfahren. Ich stellte mir manchmal vor, ich würde auf meinem Rad sitzen. Wenn du Radrennen fährst, versuchst du, im Feld zu bleiben, mit den anderen mitzuhalten. Selbst wenn du weit 6 abgeschlagen bist und müde und hungrig, dann kannst du dich nicht an den Straßenrand setzen. Du musst weiter in die Pedale treten, weil du nach Hause willst. Erzählerin Fahrradfahren ist für Theo lebenswichtig. Egal wohin er reist, sein Rennrad ist immer dabei. Selbst in Sanaa radelte er durch den mörderischen Verkehr und brachte uns von seinen Touren Croissants aus der einzigen westlichen Bäckerei der Stadt mit. In Berlin steht er morgens um fünf auf und fährt Rad – auch, weil das ein bisschen gegen die schlimmen Rückenschmerzen hilft, die ihn seit der Gefangenschaft quälen. O-Ton Theo 15 Gestern war ich auf einem Friedhof, auf dem Opfer der Nazis liegen. Ich hatte das Gefühl als wären diese Menschen in den Gräbern meine Brüder, sie wurden im Gefängnis getötet. Ich würde gern mit ihnen sprechen. Ihr Leben, ihr Leiden, erscheint mir jetzt viel wirklicher als vorher. Erzählerin Nach seinen Fahrradtouren sitzt Theo dann wieder am Küchentisch und erzählt. O-Ton Theo 16 Das ist ja wie beim Therapeuten. Ihr fragt mich nach meinen Gefühlen, ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und über meine Gefühle sprechen. Das tut mir nicht weh, das ist wunderbar. Wisst ihr, ich wollte meine Mutter wieder sehen. Ich sagte mir, ich kann mein Leben weiterführen, wenn die mich wieder rauslassen, so lange meine Mutter noch lebt. Dann schaffe ich das. Wenn sie nicht mehr am Leben gewesen wäre – damit wäre ich nicht fertig geworden. Atmo Skype: Wählen, Läuten, Gespräch Erzählerin: Theo und seine Mutter Nancy stehen sich sehr nah. Mama und ihr Holzhaus in Vermont – wenn Theo davon im Jemen erzählte, klang das immer nach einem kleinen Paradies. Manchmal schreiben sich die beiden täglich Mails und wann immer es geht, besucht er sie. Als wir Theo fragen, warum er überstanden hat, woran die 7 meisten anderen zerbrechen würden, sagt er: Das müsst ihr meine Mutter fragen. Also rufen wir sie an. Mutter: Hello. Theo: Hello Mum. Here is Susanne, I knew Susanne in Yemen, and Klaus, her husband, I knew him in Yemen, ... Mutter: Hey, hello everybody! Susanne: How could Theo survive this? Mutter: Interesting question ... O-Ton Mutter Theo ist schlau, er ist sehr sympathisch, er findet leicht Freunde. Ich denke, seine Disziplin im Sport half ihm, und ich wusste auch, dass er viele Gefängnistagebücher gelesen hatte, Bücher von Menschen unter extremen Umständen, wie Viktor Klemperer ... weiter Mutter (nicht übersetzt) ... and the wonderful Russian woman that you don’t like, Theo, what’s her name? ... No, the other one ... Yewgeni or somebody who was in the Gulag for 18 years ... weiter O-Ton Mutter ... Ich wusste, er hat viel innere Kraft, und auch dass er älter ist, half, er ist kein Kind. Gedichte, die man in der Grundschule auswendig gelernt hat, sind dann wieder da, wenn man im Gefängnis sitzt, wie für andere Bibelverse oder Gebete. Man geht in sich, um so etwas zu überleben. O-Ton Theo 17 Nach einem Jahr gaben sie mir einen Koran, eine englisch-arabische Ausgabe. Ich las ihn so oft, bis ich genug davon hatte. Ich hab die Nase voll gehabt. Sie gaben mir auch einen Sprachführer und ein Wörterbuch, sonst hatte ich nichts, womit ich mich beschäftigen konnte. Nach 19 oder 20 Monaten bekam ich endlich Papier und konnte meine eigene Geschichte schreiben. 8 Erzählerin In winziger Schrift begann Theo auf einem alten Kalender mit einem Roman. Er schrieb auf, was um ihn herum geschah, verlegte die Handlung aber ins 19. Jahrhundert, in seine Heimat Vermont. Statt um Islamisten geht es in dem Roman um fundamentalistische Christen zur Zeit der Erweckungsbewegung. O-Ton Theo 18 Das ist vergleichbar mit dem, was gerade bei den Muslimen in Syrien passiert: Sie haben das Gefühl, der Geist Gottes sei über ihnen, und alles, was sie tun, wird von Gott bestimmt. Über diese Stimmung wollte ich schreiben. Dabei dachte ich nie, dass ich jemals raus käme. Trotzdem schrieb ich jeden Tag, weil ich dachte, mir bleiben die nächsten fünf Minuten oder die nächste Stunde, also mach ich’s. Du lebst für die nächsten fünf Minuten. Ein Gefängnis ist ein großartiger Ort, einen Roman zu schreiben. Erzählerin In seinen Texten sucht Theo nach Erklärungen für das, was in Syrien passiert. O-Ton Theo 19 Was für ein Land ist das, wo sie Menschen die Köpfe abschneiden, warum tun sie das? Wenn du vor fünf Jahren nach Syrien gereist bist, dann empfingen sie dich so warmherzig, so respektvoll und so großzügig. Es war manchmal schwierig, ins Hotel zu gehen, weil die Leute wollten, dass man bei ihnen zu Hause übernachtet. Das Land hat sich radikal verändert, irgendwas ist passiert. Musik Naschid Erzählerin Theo klappt seinen Laptop auf. Darauf hat er ein Archiv des Grauens in Syrien angelegt: Folterszenen, Propagandavideos, öffentliche Hinrichtung – für jeden zugängliche Dokumente aus dem Internet. Theo spielt ein Video ab, das im Kampf getötete Dschihadisten zeigt. Dazu läuft religiöser Gesang – auf Arabisch Naschid: O-Ton Theo 20: Hier ist mein Lieblings-Naschid. Musik Naschid weiter O-Ton Theo 20 Ich kenne so viele Leute aus diesem Video. Der hier wurde für die Nusra-Front zum Märtyrer. Der Islamische Staat tötete ihn. 9 Musik Naschid weiter O-Ton Theo 20 Diese religiösen Lieder treiben dort wirklich das Geschehen voran. Das ist ihre ganze Ideologie. Die kennen diese Songs beinahe besser als den Koran. Manche kann ich inzwischen auch auswendig, die gehen so: “Vernichtet die Juden, die Brüder der Affen. / Ins Paradies, wir k nnen nicht warten.” Musik Naschid O-Ton Theo 21 Jeder sagt ihnen, ihr müsst den Tod lieben – und nach einer Weile sagen sie, wir lieben den Tod, wir wollen in den Himmel. Aber wenn du sie dann fragst: Willst du wirklich sterben? Dann sagen sie: Nein, ich möchte lieber nach Deutschland. Doch ein Ticket nach Deutschland gibt ihnen keiner. Musik Naschid O-Ton Theo 22 Ich habe einen blinden Scheich kennengelernt, der von seinem vielleicht Jahre alten Sohn herumgeführt wurde. Der Vater war blind, weil das Assad-Regime ihn so schlimm gefoltert hat. Der Sohn macht mit beim Dschihad, ein zweiter Sohn wurde bereits zum Märtyrer. Der Scheich sagte, dieses Kind hier wird auch zum Märtyrer, so Gott will. Der Junge war seit er neun ist nicht mehr in der Schule. Alles, was er kennt, ist der Dschihad und seinen Vater, der vom Regime zum Krüppel gemacht wurde. Erzählerin In Gefangenschaft hat Theo einige solcher Geschichten gehört. Viele, die nun foltern, wurden früher selbst gequält. O-Ton Theo 23 NEU Sie und ihre Familien wurden vierzig Jahre lang wegen ihrer Religion verfolgt. Sie haben sich Al Kaida angeschlossen, weil sie glauben, dass die sie erfolgreich gegen Assad verteidigt. Je mehr man sie versteht, desto mehr vergibt man ihnen. Ich weiß, das ist nicht richtig. Aber ich bin nicht mehr wütend auf sie. Ich hasste sie, als sie mir das antaten. Aber diese Wut ist weg, ich weiß auch nicht warum. Erzählerin Zu manchen Kämpfern und Wärtern der Nusra-Front hält Theo über Facebook und Twitter immer noch Kontakt: Aus journalistischer Neugier, aber er auch, weil er die Hoffnung nicht aufgibt, durch seine Beziehungen vielleicht anderen Geiseln einmal helfen zu können. 10 O-Ton Theo 23 b Sie glaubten, ich sei Christ. Ich sagte ihnen, ich habe die Bibel gar nicht richtig gelesen, ich kenne den Koran besser. Aber ich glaube an eine wichtige christliche Lehre: Liebe deinen Feind. Ich glaubte das damals und ich glaube das heute. Ich weiß, das klingt naiv, aber das ist der einzige Weg. Wir müssen anständig mit der arabischen Welt umgehen. Wir müssen Frieden mit ihnen schließen. Erzählerin Terror und Gewalt ließen sich nicht mit Krieg bekämpfen, ist Theo überzeugt. Jede Drohne, die die USA abfeuern, jede Bombe, die auf Syrien fällt, erzeuge nur noch mehr Gewalt. Tulip, eine Freundin von Theo aus Damaskus, ist vor dieser Gewalt geflohen. Sie lebt jetzt in Berlin. Als erstes organisiert Theo ein Fahrrad für sie und übt mit ihr bei uns vorm Haus. Atmo Fahrrad Erzählerin Neben Tulip bringt Theo noch einen geflüchteten Kurden mit, den er am Kottbusser Tor kennen gelernt hat. Wir sitzen zusammen in der Frühlingssonne, unterhalten uns in einem Mischmasch aus Englisch, Arabisch und Deutsch. Wir lachen viel. weiter Atmo Fahrrad O-Ton Theo 24 Ich war in den letzten Monaten so glücklich, wie auf einer Wolke. Das war die glücklichste eit meines Lebens. Ich habe keine Freundin, nicht mal einen richtigen Job, trotzdem bin ich glücklich. Ich glaube nicht, dass ich unter einer Posttraumatischen Belastungsst rung leide. Ich denke, ich bin einfach kreativer geworden. Ich arbeite an einem Film, einem Theaterstück, einem Roman. Ich kann all diese kreativen Dinge tun, die ich vorher nicht machen konnte. Erzählerin Seit er frei ist, hält Theo Vorträge und reist um die Welt: nach Katar, zu syrischen Flüchtlingen nach Lesbos, dann wieder zu seiner Mutter nach Vermont. Jetzt ist er seit einer Woche in Deutschland. Vor ein paar Jahren war Theo schon einmal in 11 Berlin gewesen, um an seinem Jemen-Buch zu schreiben: “The Undercover Muslim”. Damals vergaß er ein Kissen in unserer Wohnung, “made in Syria” steht auf dem Etikett. Dieses Kissen erinnerte uns immer wieder an ihn. Irgendwann verloren wir die Hoffnung, dass er noch am Leben sein könnte. O-Ton Theo 25 Sie haben mir jeden Tag gesagt, es gebe Verhandlungen. Aber dann verging ein Monat, ein zweiter, ein dritter. Irgendwann glaubte ich nicht mehr daran. Erzählerin Im Sommer 2014, nach 21 Monaten Gefangenschaft, wird Theo in eine Villa in einem Vorort von Dara’a gebracht, in der auch Anführer der Nusra-Front wohnen. O-Ton Theo 26 Wenn die Al-Kaida-Leute tagsüber rausgingen, um das Land zu terrorisieren, hing ich mit dem Frisör, meinem Bewacher, im Haus herum. Seine Verwandten haben es irgendwie nach Deutschland geschafft. Er wollte da auch hin. “Dann musst du Deutsch lernen”, sagte ich ihm. Also brachte er alle seine Kinder und wir saßen morgens zusammen. ... „eins, zwei, drei. Ich heiße Mohammed, wie heißt du? Wie heißen Sie?” Er war gut, aber seine Kinder waren noch besser. Abu Kinan war der netteste Mensch, den ich in den zwei Jahren getroffen habe. Erzählerin Theo ahnte nicht, dass in den USA seit Monaten sieben Frauen unermüdlich für seine Freilassung kämpften: seine Mutter, drei Cousinen mit guten Beziehungen nach Washington, eine FBI-Agentin sowie die UN-Botschafterinnen der USA und Katars. Ein Medienunternehmer gewann schließlich Katar als Vermittler. Das reiche Golfemirat verfügt über einigen Einfluss bei den syrischen Rebellen und hat schon öfter geholfen, Geiseln frei zu bekommen. O-Ton Theo 27 Eines Tages kam der Al-Kaida-Boss rein und sagte: “Ich schicke dich nach Hause zu deiner Mutter. Hol deine Sachen.” Ich versteckte den Roman in meiner Hose, wir stiegen in ein Auto und fuhren nach Süden, Richtung Jordanien. Ich dachte, vielleicht bringen sie mich um. Wir machten ein kleines Video im Auto, ich sollte mich von den Al-Kaida-Leuten verabschieden. Ich sang ihnen ihr Lied, ihre Hymne. «Sallami ala Nusra, Dschabatna mansura ...» (singt) 12 Wir fuhren bis zu einem großen Wachposten der Nusra-Front an der israelischen Grenze, mit großer Al-Kaida-Flagge. Und plötzlich sah ich diese großen UNLastwagen. Da drehten sie sich zu mir um und sagten: raus mit dir. Und, mein Gott, sobald ich in dem Uno-Wagen saß, fing ich an zu weinen. Und dann brachten sie mich rüber zu den Leuten vom FBI und bei denen weinte ich weiter. In Tel Aviv steckten sie mich in ein Fünf-Sterne-Hotel, ich setzte mich aufs Bett, schaltete den Fernseher ein und dachte, wow, das ist ja wirklich die größte Zelle, in der ich je war. Was für eine komische Gefängniszelle: Wenn man die Tür aufmacht, kann man rausgehen. Und als mir dieser Gedanke kam, sagte ich mir, was zum Teufel mache ich hier, und ich öffnete die Tür, ging raus zum Strand und fing an zu joggen: Freiheit. Es war wunderschön. 13
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