SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger“ „Concerti “ (3) Von Wolfgang Scherer Sendung: Mittwoch, 29. Juni 2016 Redaktion: Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 „Musikstunde“ mit Wolfgang Scherer „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger“ „Concerti “ (3) SWR 2, 27. Juni – 01. Juli 2016, 9h05 – 10h00 Signet: SWR2 Musikstunde Am Mikrophon ist Wolfgang Scherer: Guten Morgen! Und darum geht es in dieser Musikstundenwoche: „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger.“ Hören Sie heute den dritten Teil: „Concerti “ (Ca.: 0´14) Musikstunde Anfangsmusik: Capriccio 2„15 Er war der berühmteste, aber auch der produktivste Geiger der Bologneser Schule. Fünf Jahre jünger als Arcangelo Corelli, war er doch der erste, der seine Concerti musicali auch in den Druck gab und so für die Verbreitung des italienischen Instrumentalkonzerts in ganz Europa sorgte: Giuseppe Torelli, jener „brave Violinist und Komponist“ – wie er in Hillers musikalischer Wochenzeitschrift vom 3. März 1767 beschrieben wird, „der teils durch verschiedene gedruckte Instrumentalwerke, teils auch dadurch bekannt ist, dass er den InstrumentalKonzerten die erste, jetzo noch gebräuchliche Form gegeben, welche hernach besonders Vivaldi fortgesetzt hat.“Torellis sieben Opusreihen – darunter sonate a tre, sinfonie, concerti grossi und natürlich capricci – erschienen zumeist in Bologna, wurden aber ausnahmslos in Amsterdam bei Estienne Roger im modernen Stichverfahren nachgedruckt und haben daher die Musiker nördlich der Alpen maßgeblich beeinflusst; einige Instrumentalsätze fanden sogar ihren Weg in diverse Londoner Sammeldrucke. Torellis Musik bereitete Corellis Concerti grossi Opus 6 den Weg, die ja erst nach dem Tod des nuovo orfeo der Violinkunst in Amsterdam bei eben dem Roger erscheinen konnten und jene Corellimania auslösten, die das Musikleben vor allem in England bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts prägen sollte. Im Frühjahr 1695, der Markgraf Georg Friedrich von Ansbach ist mit Gefolge unterwegs in Italien, wird Giuseppe Torelli von ihm als Konzertmeister für die Ansbacher Hofkapelle engagiert; mit dabei: Torellis Freund, der bekannte Altist und Komponist Francesco Antonio Pistocchi. Der soll als Kapellmeister in der fernen Residenz die italienische Oper etablieren. Hier ist ein Ausschnitt aus seiner Kantate Dolorosa partenza. (Ca.: 2´01) 3 Musik 2 ams M053080 / 007 Francesco Antonio Pistocchi Schluss von Dolorosa partenza. Kantate für Sopran und Basso continuo Doerthe-Maria Sandmann, Sopran Lautten Compagney, Leitung: Wolfgang Katschner 2´37 Doerthe-Maria Sandmann und Wolfgang Katschners Lautten Compagney mit dem Schluss der Kantate Dolorosa partenza von Francesco Antonio Pistocchi. Nun, ganz so schmerzlich wird die Abreise nach Ansbach für die beiden Freunde Torelli und Pistocchi nicht gewesen sein. Zumal sie in Ansbach Landsleute wiedersehen werden. Zum Beispiel Pietro Bettinozzi, Torellis ehemaligen Schüler aus Bologna. Seit einem Jahr musiziert der nun schon in der Hofkapelle des Markgrafen. Zusammen werden die drei nach Wien reisen, wo eine Oper von Pistocchi aufgeführt wird… überhaupt sind der Kapellmeister und sein erster Geiger häufig unterwegs, nicht nur um weitere Musiker zu engagieren, sondern auch um selbst zu konzertieren. Der Kurfürstin Sophie Charlotte in Berlin, der die beiden ihre Aufwartung machen, wird Torelli sein Opus 6 widmen, das 1698 im nahen Augsburg erscheint und noch im selben Jahr in Amsterdam, drei Jahre später in Venedig nachgedruckt wird: 12 Concerti musicali a quattro, in denen sich die ersten Solokonzert-Sätze finden. Das folgende Concerto Nr. 10 gehört zu diesen Werken aus Torellis Opus 6, die – hier im ersten Satz – einige Passagen enthalten, die in den Noten mit der Bezeichnung „Solo“ überschrieben sind. (Ca.: 1´21) Musik 3 4´55 ams M0034904 / 017 - 019 Giuseppe Torelli Concerto à quattro für 2 Violinen, Viola und Basso continuo d-Moll op. 6 Nr. 10 Berliner Barock-Compagney Das Concerto d-Moll opus 6 Nr. 10 von Giuseppe Torelli war das, mit der Berliner Barock-Compagney. Anders als Corelli hält Torelli in seinen Concerti musicali die Tutti-Ritornelle und die Solo-Episoden, die nur von einer Violine gespielt werden sollen - wie er im Vorwort zu Opus 6 - schreibt, auch motivisch strikt auseinander. Mit dem Effekt, das die Solo-Passagen noch deutlicher hervorstechen. Damit tritt der Violinist nach vorne, gleichsam an den Rand der Bühne. Vivaldi wird daraus die Position des Teufelsgeigers machen. Wie dem auch sei: im Frühjahr 1701 4 reisen Torelli und sein Gefährte Pistocchi nach Italien. Wiener Ärzte hätten ihm wegen seiner „verfluchten Hypochondrie und Melancholie“ eine Kur in Loreto empfohlen, lässt Torelli seinen Lehrer Perti in Bologna wissen. Nach Ansbach wird er eben so wenig wie Pistocchi zurückkehren. Beteiligte sich doch der Markgraf von Anfang an am Spanischen Erbfolgekrieg. Aber erst als der in der Schlacht von Schmidmühlen fällt, wird das Dienstverhältnis der Italiener von seinem Nachfolger beendet. (Ca.: 1´08) Musik 4 Ams M0306132 / 028 Giuseppe Torello 4. Satz „Allegro” aus Concerto grosso für Streicher und Basso continuo op. 6 Nr. 1 Concerto italieno, Leitung: Rinaldo Alessandrini 1´39 Rinaldo Alessandrini und Concerto italiano spielten den letzten Satz aus dem Concerto opus 6 Nr. 1 von Giuseppe Torelli. Während der vier Jahre, die Torelli in der Hofkapelle zu Ansbach als Konzertmeister wirkte, unterrichtete er auch einen Jungen im Violinspiel, den Sohn eines Kantors, der mit zehn Jahren als „Discantist“ und Kapellknabe an den Hof des Markgrafen gekommen war. Er war nicht der einzige, dem Torelli in Ansbach Geigenunterricht gegeben und den er mit den neuen Spielarten der italienischen Concerti musicali bekannt gemacht hat. Aber er war der einzige, der nach dem Stimmbruch umstandslos als Violinist in die Hofkapelle aufgenommen wurde. Und er war der einzige, der Ansbach bald den Rücken kehrte, um in den Musikzentren Leipzig und Dresden als Violinvirtuose und Konzertmeister eine steile Karriere zu machen. Wobei ihm der Ruf vorauseilte, ein in der italienischen Schule ausgebildeter Geiger zu sein. Sein Name: Johann Georg Pisendel. Sein Debüt bei dem von Georg Philipp Telemann ins Leben gerufenen Collegium musicum in Leipzig geriet zu einer bravourösen Demonstration italienischer Violinkunst. Ein Concerto - natürlich von Torelli - soll er derart furios zum Besten gegeben haben, dass den Musikern des Collegium musicum die Spucke wegblieb. Der Cellist – so berichtet ein Chronist – „riss sich vor Begeisterung die Perücke vom Kopfe, warf sie auf die Erde, und konnte kaum das Ende erwarten, um Pisendeln voll Entzücken zu umarmen, und ihn seiner Hochachtung zu versichern.“ Ein spektakulärer Einstand! Von nun an musiziert der junge Virtuose mit dem Collegium musicum in den berühmten Leipziger Kaffehaus-Konzerten. Aber nicht lange. Denn dort entdeckt ihn bald der Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle, damals immerhin das führende Orchester der musikalischen Welt, und engagiert ihn als Premier Violiste und 5 Kammer-Musicus für das Spitzenensemble am Hof Augusts des Starken. Weil er der Jüngste ist, bezieht er zunächst „nur“ einen Jahressold von 400 Talern. Bald schreibt er eigene Concerti, die er als Solist und später auch als Konzertmeister zusammen mit der vorzüglichen Dresdner Hofkapelle aufführt. Etwa dieses Concerto in G-Dur für Violine, Hörner, Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo. (Ca.: 2´24) Musik 5 CD take 18 4´42 Johann Georg Pisendel 3.Satz “Allegro” aus Concerto in G-Dur für Violine, Hörner, Oboen Fagott, Streicher und Basso continuo Johannes Pramsohler, Violine International Baroque Players Raumklang, RK 3105, LC 05068 Das war der letzte Satz aus dem Concerto in G-Dur von Johann Georg Pisendel mit Johannes Pramsohler und den International Baroque Players. Pisendel, der übrigens wie einige andere Dresdner Kollegen auf einem Instrument von Antonio Stradivari aus Cremona musizierte -, er verband höchste Virtuosität und technische Raffinesse mit ausdrucksstarkem Spiel, aber auch mit großer orchesterpädagogischer Verve. Er hatte entscheidenden Anteil an der damals vielgerühmten Spielkultur der Dresdner Hofkapelle. Fast ein Vierteljahrhundert sollte er das Orchester im Elbflorenz leiten. Eng befreundet mit Kollegen wie Telemann, Fasch, Graupner oder Förster bestellte, sammelte, kopierte, arrangierte und organisierte der rastlos fleißige Konzertmeister das Repertoire des Dresdner Spitzenorchesters, in dem die besten Instrumentalisten ihrer Zeit musizierten: die Oboisten Francois Le Riche und Johann Christian Richter; die Flötisten Pierre-Gabriel Buffardin und Johann Joachim Quantz; der berühmte schlesische Lautenist Silvius Leopold Weiß, der tschechische Bassist Jan Dismas Zelenka oder der Hackbrettvirtuose Pantaleon Hebenstreit. Anfang 1716 reist Pisendel zusammen mit zwei Dresdner Musikerkollegen in der Entourage seiner Königlichen Hoheit, des Kurprinzen Friedrich August, zum Karneval nach Venedig. Eine folgenschwere Reise. Denn nach seiner Rückkehr avanciert Dresden zu einer Hochburg der Vivaldi-Pflege und zu einem Zentrum der italienischen ConcertoMode. Von hier aus wird die Musik des Roten Priesters und Teufelsgeigers Vivaldi das Europa nördlich der Alpen erobern. (Ca.: 1´41) 6 Musik 6 CD take 22 Antonio Vivaldi 3.Satz „Allegro“ aus Concerto op. 3 Nr. 12 E-Dur RV 265 Pablo Valetti, Violine Café Zimmermann Alpha 193, LC 00516 2´22 Pablo Valetti und Café Zimmermann mit dem Concerto Nr. 12 aus dem L´Estro armonico opus 3 von Antonio Vivaldi. Als Pisendel im Gefolge des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen in der Serenissima Repubblica ankommt, wo man keine Kosten gescheut und für den hohen Besuch eigens den direkt am Canal Grande gelegenen Palazzo Michieli hergerichtet hat -, da ist Antonio Vivaldi, der prete rosso, der Rote Priester, wie er wegen seiner Haarpracht genannt wird, längst eine europäische Berühmtheit. Bereits vor fünf Jahren war – natürlich bei keinem anderen als Estienne Roger in Amsterdam - seine Konzertsammlung L´Estro armonico erschienen. Vivaldis Violinkonzerte sind inzwischen der letzte Schrei der italienischen Concerto-Mode. Und gerade war er – mit nur einer Gegenstimme - zum maestro de´ concerti am Ospedale della Pietà berufen worden, wo er nun schon seit über zehn Jahren ein Orchester leitete, das mittlerweile einen legendären Ruf genoss und zahlreiche Italienreisende anzog: ein Orchester, in dem jene jungen Frauen spielten, die im Waisenhaus der Congregazione della Pietà untergebracht waren: in einem der vier Heime, die es damals in Venedig gab, wo Waisenmädchen Musik – und Instrumentalunterricht erhielten und zu veritablen Orchester-Musikerinnen ausgebildet wurden. Und dort war sie seine Lieblingsschülerin: Anna Maria, die als Waise in den Büchern des Ospedale nur mit ihrem Vornamen genannt wird. An die dreißig Violinkonzerte und mindestens zwei Konzerte für die Viola d`amore schrieb Vivaldi für seine Konzertmeisterin und notierte dazu – mit großem A und großem M: AMore. Sie spielte zwar auch noch Laute, Cello, Cembalo und Oboe, aber die Musikwelt Europas kannte sie bald als Anna Maria dal Violon. Hier ist der letzte Satz aus dem Concerto a-Moll für Viola d´amore, das Vivaldi für sie geschrieben hat. (Ca.: 1´49) 7 Musik 7 3´09 CD take 13 Antonio Vivaldi 3. Satz “Allegro” aus: Concerto a-Moll für Viola d´amore, Streicher und Basso continuo RV 397 Annegret Siedel, Viola d´amore und Leitung Bell`arte Salzburg Berlin Classics, 001671BC, LC 06203 Der dritte Satz aus dem Concerto a-Moll für Viola d´amore von Antonio Vivaldi mit Annegret Siedel und Bell´arte Salzburg. Wer damals in Venedig mit wem Kontakt aufgenommen hat, der Violin-Virtuose aus Dresden mit Vivaldi oder Maestro Vivaldi mit Pisendel, das lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Jedenfalls freunden sich die beiden an. Für Vivaldi war es zudem ein einträgliches Geschäft, reisenden Virtuosen seine Musik zu verkaufen und ihnen dann auch noch die für ihre Ausführung notwendigen Lektionen zu erteilen. So nimmt Pisendel also Geigenunterricht bei Vivaldi und lernt zum Beispiel, jene Stücke zu spielen, die ihm Vivaldi später ausdrücklich widmet: die Zehn Suonate a Solo, fatto per il Maestro Pisendel del Vivaldi. Und Pisendel brilliert im Teatro San Angelo. Und zwar am 23. Januar 1717. Vivaldi leitet gerade die Uraufführung seiner Oper Incoronazione di Dario. Auf Veranlassung des Kurprinzen aus Sachsen soll nun Pisendel zwischen zwei Akten ein Violinkonzert zum Besten geben. Keine Frage: Friedrich August will die im Teatro San Angelo versammelten venezianischen Musikliebhaber und die ausländischen Diplomaten mit seinem Teufelsgeiger aus Dresden beeindrucken. Und Pisendel spielt. Ein festlich-virtuoses Konzert für Violine, zwei Oboen, zwei Hörner, Fagott, Streicher und Basso continuo. Es stammt aus der Feder seines Freundes Vivaldi. Das venezianische Publikum ist beeindruckt. Die italienischen Musiker im Orchester sind es auch. Mehr noch. Sie sind neidisch. Also versuchen sie im letzten Satz, immer schneller und schneller zu spielen, um Pisendel aus dem Takt zu bringen. Aber der ließ sich – wie es heißt – „ihr Eilen nicht im geringsten anfechten, sondern erhielt jene, die ihm eine Grube graben wollten, durch Stampfen mit den Füßen so feste im Takt, dass sie alle beschämt wurden.“ Worüber sich wiederum der Kurprinz köstlich amüsierte. Hier ist dieser Satz aus dem Concerto F-Dur Ryom-Verzeichnis 571 von Antonio Vivaldi. (Ca.: 2´17) 8 Musik 8 CD take 12 3´18 Antonio Vivaldi 3. Satz„Allegro“ aus Concerto F-Dur für Solovioline, 2 Oboen, 2 Hörner, Fagott, Streicher und Basso continuo RV 571 Zefira Valova, Violine Les Ambassadeurs, Leitung: Alexis Kossenko Alpha 190, LC 00516 Zefira Valova war die Solistin in dem Concerto F-Dur Ryom-Verzeichnis 571 von Antonio Vivaldi. Begleitet wurde sie vom Ensemble Les Ambassadeurs unter der Leitung von Alexis Kossenko. Mit diesem Concerto seines Freundes Vivaldi hat sich Pisendel dem Publikum in Venedig vorgestellt. Normalerweise war es Vivaldi selbst, der zwischen den Akten oder in der Pause seiner Opernaufführungen seine Violine zückte, auf die Bühne sprang, um noch die atemberaubendsten Pirouetten und wildesten Kapriolen seiner Stücke mit einer so unerhörten Leichtigkeit auszuführen, wie man sie zuvor noch nie erlebt hatte. Der Frankfurter Italienreisende Johann Friedrich von Uffenbach hat just im Teatro San Angelo so ein violonistisches Herxenfeuerwerk vdes prete rosso einmal erlebt und meint: „Gegen Ende spielte Vivaldi ein Accompagnement Solo, admirabel, woran er zuletzt eine Fantasie anhing, die mich recht erschreket, denn dergleichen ohnmöglich so jemals ist gespielt worden, noch kann gespielt werden, denn er kam mit den Fingern nur einen Strohhalm breit an den Steg, dass der Bogen keinen Platz hatte, und das auf allen vier Saiten mit Fugen und einer Geschwindigkeit, die unglaublich war.“ Da ist er: der Teufelsgeiger Vivaldi, mit seiner dämonischen Ausstrahlung, der Rote Priester, der keine Messe, sondern ein unerhörtes Concerto zelebriert und mit seiner rasenden Virtuosität „erschrecken“ lässt, weil er spielt, was eigentlich „ohnmöglich“ ist. (Ca.: 1´30) Musik 9 CD take 12 Antonio Vivaldi 3.Satz„Allegro (fantasia du concerto RV 212) aus Concerto D-Dur für Violine, Streicher und Basso continuo RV 228 Amandine Beyer, Violine Gli incogniti Harmonia mundi, HMC 902221, LC 7045 4´26 9 Amandine Beyer war das, begleitet von Gli Incogniti mit dem letzten Satz aus Vivaldis Virtuosen-Konzert RV 228 – ein Satz, der ganz darauf abzielt, auf der Bühne – salopp gesagt – eine Show abzuziehen und jedermann in Erstaunen zu versetzen durch technische Überlegenheit, Klangstärke und Geschwindigkeit, durch die Inszenierung musikalische Grenzgänge, die das auf dem Instrument gerade noch Machbare effektvoll ausloten. Jedenfalls, als Pisendel Venedig verlässt, um auch noch das Musikleben in Neapel, in Rom und in Florenz kennen zu lernen, hat er dreizehn Werke von Vivaldis Hand im Reisegepäck. Und insgesamt achtundzwanzig weitere, die er selbst in den 9 Monaten seines Aufenthalts in der Lagunenstadt abgeschrieben hat. Zurück in Dresden, wird er sie seiner Notenbibliothek einverleiben, die bis heute – neben Vivaldis eigenem Nachlass in Turin – die größte Sammlung mit Werken des Roten Priesters darstellt. Auch später sollte die Verbindung zu seinem Freund in Venedig nicht abreißen und Vivaldi wird eine ganze Reihe von Concerti per l´orchestra du Dresda an Pisendel schicken. Als Pisendel in Rom eintrifft, war der große Corelli seit vier Jahren tot, aber seine Concerti grossi sorgten nördlich der Alpen für wachsende Begeisterung. Und Pisendel nahm auch in Rom noch einmal Unterricht. Und zwar bei dem seinerzeit berühmten römischen Geiger Antonio Maria Montanari, der noch unter Corelli gespielt hatte. Seine Concerti stehen denjenigen des Roten Priesters kaum nach. (Ca: 1´34) Musik 10 CD take 7 Antonio Maria Montanari 4. Satz „Allegro“ aus Concerto Es-Dur op. 1 Nr. 6 Johannes Pramsohler, Violine Ensemble Diderot Audax Records, ADX 13704, LC 30527 4´20 Johannes Pramsohler und das Ensemble Diderot spielten den Schlusssatz aus dem Concerto Es-Dur opus 1 Nr. 6 von Antonio Maria Montanari. Wie Arcangelo Corelli hat Montanari Rom Zeit seines Lebens nie verlassen. Er war eben so wenig wie Corelli einer jener reisenden Virtuosen aus Italien, die mit ihrer Musik kreuz und quer durch Europa zogen. Das gilt auch für den Roten Priester Antonio Vivaldi, der – abgesehen von seiner allerletzten Reise nach Wien, wo er fernab der Serenissima in ärmlichen Verhältnissen sterben sollte - Venedig nie für längere Konzert-Tourneen verlassen hat. Corelli und Vivaldi – es war ihre Musik, die auf Reisen ging und das Konzertleben Europas eroberte. Dafür sorgten die mit 10 modernen Stichdruck-Verfahren arbeitenden Verleger mit ihren weltweit vernetzten Geschäftspartnern. Und dafür sorgten aber auch Musikerkollegen, Kapell- und Konzertmeister aus dem Norden, die – wie Pisendel – die Musik der italienischen Meister an ihre Wirkungsstätten exportierten. Einer von ihnen war Johann Melchior Molter, Geiger in Diensten des badischen Markgrafen Carl Wilhelm, der im kurz zuvor gegründeten Carols-Ruhe, in sicherer Entfernung von seiner Gemahlin residierte, um dort ungestört mit seinen zahlreichen Mätressen seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen zu können. Warum der junge Geiger so schnell die Gunst seines Dienstherrn erlangte, das wissen wir nicht. Jedenfalls ist er so großzügig, seinem Geiger Molter bei vollem Gehalt für zwei Jahre einen Aufenthalt in Italien zu finanzieren, wo er den italienischen Gusto studieren soll. In Venedig geht Molter bei Vivaldi in die Lehre. Als er aus dem Süden nach Karlsruhe zurückkehrt, nennt er sich Professore di Violino e Musico und wird umgehend zum badischen Hofkapellmeister ernannt. Und sein Gehalt? – das stockt der spendable Markgraft ebenso umgehend um einhundert Gulden auf. So beeindruckt ist er davon, wie erfolgreich sein Musicus die italienische Manier erlernt hat. Und mit einem mal klingt es in Karlsruhe ganz so, als sei Antonio Vivaldi höchstpersönlich zu Besuch. Hier kommt – mit Martin Jopp und dem MainBarockorchester Frankfurt – ein „Allegro“ aus dem Konzert für Violine, Streicher und Basso continuo von Johann Melchior Molter (Ca.: 2´31) Musik 11 CD take 16 Johann Melchior Molter 3.Satz „Allegro“ aus Concerto für Violine, Streicher und Basso continuo F-Dur Martin Jopp, Violine Main-Barockorchester Frankfurt AEOLUS, AE-10037, LC 02232 2´41 Martin Jopp und das Main-Barockorchester Frankfurt waren das, mit dem dritten Satz aus dem Concerto für Violine, Streicher und basso continuo F-Dur des badischen Hofkapellmeisters Johann Melchior Molter, heute zum Schluss der Musikstunde. Ihnen wünsche ich noch einen angenehmen Tag, „Tschüss“ und – wenn Sie mögen – „Bis morgen!“ sagt: Wolfgang Scherer. (Ca.: 0´22)
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