Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
„Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das
Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger“
„Concerti “ (3)
Von Wolfgang Scherer
Sendung:
Mittwoch, 29. Juni 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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„Musikstunde“ mit Wolfgang Scherer
„Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der
Teufelsgeiger“
„Concerti “ (3)
SWR 2, 27. Juni – 01. Juli 2016, 9h05 – 10h00
Signet: SWR2 Musikstunde
Am Mikrophon ist Wolfgang Scherer: Guten Morgen! Und darum geht es in dieser
Musikstundenwoche: „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der
Teufelsgeiger.“ Hören Sie heute den dritten Teil: „Concerti “
(Ca.: 0´14)
Musikstunde Anfangsmusik: Capriccio
2„15
Er war der berühmteste, aber auch der produktivste Geiger der Bologneser
Schule. Fünf Jahre jünger als Arcangelo Corelli, war er doch der erste, der seine
Concerti musicali auch in den Druck gab und so für die Verbreitung des
italienischen Instrumentalkonzerts in ganz Europa sorgte: Giuseppe Torelli, jener
„brave Violinist und Komponist“ – wie er in Hillers musikalischer Wochenzeitschrift
vom 3. März 1767 beschrieben wird, „der teils durch verschiedene gedruckte
Instrumentalwerke, teils auch dadurch bekannt ist, dass er den InstrumentalKonzerten die erste, jetzo noch gebräuchliche Form gegeben, welche hernach
besonders Vivaldi fortgesetzt hat.“Torellis sieben Opusreihen – darunter sonate a
tre, sinfonie, concerti grossi und natürlich capricci – erschienen zumeist in
Bologna, wurden aber ausnahmslos in Amsterdam bei Estienne Roger im
modernen Stichverfahren nachgedruckt und haben daher die Musiker nördlich
der Alpen maßgeblich beeinflusst; einige Instrumentalsätze fanden sogar ihren
Weg in diverse Londoner Sammeldrucke. Torellis Musik bereitete Corellis Concerti
grossi Opus 6 den Weg, die ja erst nach dem Tod des nuovo orfeo der Violinkunst
in Amsterdam bei eben dem Roger erscheinen konnten und jene Corellimania
auslösten, die das Musikleben vor allem in England bis in die Mitte des 18.
Jahrhunderts prägen sollte. Im Frühjahr 1695, der Markgraf Georg Friedrich von
Ansbach ist mit Gefolge unterwegs in Italien, wird Giuseppe Torelli von ihm als
Konzertmeister für die Ansbacher Hofkapelle engagiert; mit dabei: Torellis Freund,
der bekannte Altist und Komponist Francesco Antonio Pistocchi. Der soll als
Kapellmeister in der fernen Residenz die italienische Oper etablieren. Hier ist ein
Ausschnitt aus seiner Kantate Dolorosa partenza.
(Ca.: 2´01)
3
Musik 2
ams M053080 / 007
Francesco Antonio Pistocchi
Schluss von
Dolorosa partenza. Kantate für Sopran und Basso continuo
Doerthe-Maria Sandmann, Sopran
Lautten Compagney, Leitung: Wolfgang Katschner
2´37
Doerthe-Maria Sandmann und Wolfgang Katschners Lautten Compagney mit
dem Schluss der Kantate Dolorosa partenza von Francesco Antonio Pistocchi.
Nun, ganz so schmerzlich wird die Abreise nach Ansbach für die beiden Freunde
Torelli und Pistocchi nicht gewesen sein. Zumal sie in Ansbach Landsleute
wiedersehen werden. Zum Beispiel Pietro Bettinozzi, Torellis ehemaligen Schüler
aus Bologna. Seit einem Jahr musiziert der nun schon in der Hofkapelle des
Markgrafen. Zusammen werden die drei nach Wien reisen, wo eine Oper von
Pistocchi aufgeführt wird… überhaupt sind der Kapellmeister und sein erster
Geiger häufig unterwegs, nicht nur um weitere Musiker zu engagieren, sondern
auch um selbst zu konzertieren. Der Kurfürstin Sophie Charlotte in Berlin, der die
beiden ihre Aufwartung machen, wird Torelli sein Opus 6 widmen, das 1698 im
nahen Augsburg erscheint und noch im selben Jahr in Amsterdam, drei Jahre
später in Venedig nachgedruckt wird: 12 Concerti musicali a quattro, in denen
sich die ersten Solokonzert-Sätze finden. Das folgende Concerto Nr. 10 gehört zu
diesen Werken aus Torellis Opus 6, die – hier im ersten Satz – einige Passagen
enthalten, die in den Noten mit der Bezeichnung „Solo“ überschrieben sind.
(Ca.: 1´21)
Musik 3
4´55
ams M0034904 / 017 - 019
Giuseppe Torelli
Concerto à quattro für 2 Violinen, Viola und Basso continuo d-Moll op. 6 Nr. 10
Berliner Barock-Compagney
Das Concerto d-Moll opus 6 Nr. 10 von Giuseppe Torelli war das, mit der Berliner
Barock-Compagney. Anders als Corelli hält Torelli in seinen Concerti musicali die
Tutti-Ritornelle und die Solo-Episoden, die nur von einer Violine gespielt werden
sollen - wie er im Vorwort zu Opus 6 - schreibt, auch motivisch strikt auseinander.
Mit dem Effekt, das die Solo-Passagen noch deutlicher hervorstechen. Damit tritt
der Violinist nach vorne, gleichsam an den Rand der Bühne. Vivaldi wird daraus
die Position des Teufelsgeigers machen. Wie dem auch sei: im Frühjahr 1701
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reisen Torelli und sein Gefährte Pistocchi nach Italien. Wiener Ärzte hätten ihm
wegen seiner „verfluchten Hypochondrie und Melancholie“ eine Kur in Loreto
empfohlen, lässt Torelli seinen Lehrer Perti in Bologna wissen. Nach Ansbach wird
er eben so wenig wie Pistocchi zurückkehren. Beteiligte sich doch der Markgraf
von Anfang an am Spanischen Erbfolgekrieg. Aber erst als der in der Schlacht
von Schmidmühlen fällt, wird das Dienstverhältnis der Italiener von seinem
Nachfolger beendet.
(Ca.: 1´08)
Musik 4
Ams M0306132 / 028
Giuseppe Torello
4. Satz „Allegro” aus
Concerto grosso für Streicher und Basso continuo op. 6 Nr. 1
Concerto italieno, Leitung: Rinaldo Alessandrini
1´39
Rinaldo Alessandrini und Concerto italiano spielten den letzten Satz aus dem
Concerto opus 6 Nr. 1 von Giuseppe Torelli. Während der vier Jahre, die Torelli in
der Hofkapelle zu Ansbach als Konzertmeister wirkte, unterrichtete er auch einen
Jungen im Violinspiel, den Sohn eines Kantors, der mit zehn Jahren als „Discantist“
und Kapellknabe an den Hof des Markgrafen gekommen war. Er war nicht der
einzige, dem Torelli in Ansbach Geigenunterricht gegeben und den er mit den
neuen Spielarten der italienischen Concerti musicali bekannt gemacht hat. Aber
er war der einzige, der nach dem Stimmbruch umstandslos als Violinist in die
Hofkapelle aufgenommen wurde. Und er war der einzige, der Ansbach bald den
Rücken kehrte, um in den Musikzentren Leipzig und Dresden als Violinvirtuose und
Konzertmeister eine steile Karriere zu machen. Wobei ihm der Ruf vorauseilte, ein
in der italienischen Schule ausgebildeter Geiger zu sein. Sein Name: Johann
Georg Pisendel. Sein Debüt bei dem von Georg Philipp Telemann ins Leben
gerufenen Collegium musicum in Leipzig geriet zu einer bravourösen
Demonstration italienischer Violinkunst. Ein Concerto - natürlich von Torelli - soll er
derart furios zum Besten gegeben haben, dass den Musikern des Collegium
musicum die Spucke wegblieb. Der Cellist – so berichtet ein Chronist – „riss sich
vor Begeisterung die Perücke vom Kopfe, warf sie auf die Erde, und konnte kaum
das Ende erwarten, um Pisendeln voll Entzücken zu umarmen, und ihn seiner
Hochachtung zu versichern.“ Ein spektakulärer Einstand! Von nun an musiziert der
junge Virtuose mit dem Collegium musicum in den berühmten Leipziger
Kaffehaus-Konzerten. Aber nicht lange. Denn dort entdeckt ihn bald der
Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle, damals immerhin das führende
Orchester der musikalischen Welt, und engagiert ihn als Premier Violiste und
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Kammer-Musicus für das Spitzenensemble am Hof Augusts des Starken. Weil er
der Jüngste ist, bezieht er zunächst „nur“ einen Jahressold von 400 Talern. Bald
schreibt er eigene Concerti, die er als Solist und später auch als Konzertmeister
zusammen mit der vorzüglichen Dresdner Hofkapelle aufführt. Etwa dieses
Concerto in G-Dur für Violine, Hörner, Oboen, Fagott, Streicher und Basso
continuo.
(Ca.: 2´24)
Musik 5
CD take 18
4´42
Johann Georg Pisendel
3.Satz “Allegro” aus
Concerto in G-Dur für Violine, Hörner, Oboen Fagott, Streicher und Basso
continuo
Johannes Pramsohler, Violine
International Baroque Players
Raumklang, RK 3105, LC 05068
Das war der letzte Satz aus dem Concerto in G-Dur von Johann Georg Pisendel
mit Johannes Pramsohler und den International Baroque Players. Pisendel, der
übrigens wie einige andere Dresdner Kollegen auf einem Instrument von Antonio
Stradivari aus Cremona musizierte -, er verband höchste Virtuosität und
technische Raffinesse mit ausdrucksstarkem Spiel, aber auch mit großer
orchesterpädagogischer Verve. Er hatte entscheidenden Anteil an der damals
vielgerühmten Spielkultur der Dresdner Hofkapelle. Fast ein Vierteljahrhundert
sollte er das Orchester im Elbflorenz leiten. Eng befreundet mit Kollegen wie
Telemann, Fasch, Graupner oder Förster bestellte, sammelte, kopierte,
arrangierte und organisierte der rastlos fleißige Konzertmeister das Repertoire des
Dresdner Spitzenorchesters, in dem die besten Instrumentalisten ihrer Zeit
musizierten: die Oboisten Francois Le Riche und Johann Christian Richter; die
Flötisten Pierre-Gabriel Buffardin und Johann Joachim Quantz; der berühmte
schlesische Lautenist Silvius Leopold Weiß, der tschechische Bassist Jan Dismas
Zelenka oder der Hackbrettvirtuose Pantaleon Hebenstreit. Anfang 1716 reist
Pisendel zusammen mit zwei Dresdner Musikerkollegen in der Entourage seiner
Königlichen Hoheit, des Kurprinzen Friedrich August, zum Karneval nach Venedig.
Eine folgenschwere Reise. Denn nach seiner Rückkehr avanciert Dresden zu einer
Hochburg der Vivaldi-Pflege und zu einem Zentrum der italienischen ConcertoMode. Von hier aus wird die Musik des Roten Priesters und Teufelsgeigers Vivaldi
das Europa nördlich der Alpen erobern.
(Ca.: 1´41)
6
Musik 6
CD take 22
Antonio Vivaldi
3.Satz „Allegro“ aus
Concerto op. 3 Nr. 12 E-Dur RV 265
Pablo Valetti, Violine
Café Zimmermann
Alpha 193, LC 00516
2´22
Pablo Valetti und Café Zimmermann mit dem Concerto Nr. 12 aus dem L´Estro
armonico opus 3 von Antonio Vivaldi. Als Pisendel im Gefolge des Kurfürsten
Friedrich August von Sachsen in der Serenissima Repubblica ankommt, wo man
keine Kosten gescheut und für den hohen Besuch eigens den direkt am Canal
Grande gelegenen Palazzo Michieli hergerichtet hat -, da ist Antonio Vivaldi, der
prete rosso, der Rote Priester, wie er wegen seiner Haarpracht genannt wird,
längst eine europäische Berühmtheit. Bereits vor fünf Jahren war – natürlich bei
keinem anderen als Estienne Roger in Amsterdam - seine Konzertsammlung
L´Estro armonico erschienen.
Vivaldis Violinkonzerte sind inzwischen der letzte Schrei der italienischen
Concerto-Mode. Und gerade war er – mit nur einer Gegenstimme - zum maestro
de´ concerti am Ospedale della Pietà berufen worden, wo er nun schon seit
über zehn Jahren ein Orchester leitete, das mittlerweile einen legendären Ruf
genoss und zahlreiche Italienreisende anzog: ein Orchester, in dem jene jungen
Frauen spielten, die im Waisenhaus der Congregazione della Pietà
untergebracht waren: in einem der vier Heime, die es damals in Venedig gab,
wo Waisenmädchen Musik – und Instrumentalunterricht erhielten und zu
veritablen Orchester-Musikerinnen ausgebildet wurden. Und dort war sie seine
Lieblingsschülerin: Anna Maria, die als Waise in den Büchern des Ospedale nur
mit ihrem Vornamen genannt wird. An die dreißig Violinkonzerte und mindestens
zwei Konzerte für die Viola d`amore schrieb Vivaldi für seine Konzertmeisterin und
notierte dazu – mit großem A und großem M: AMore. Sie spielte zwar auch noch
Laute, Cello, Cembalo und Oboe, aber die Musikwelt Europas kannte sie bald als
Anna Maria dal Violon. Hier ist der letzte Satz aus dem Concerto a-Moll für Viola
d´amore, das Vivaldi für sie geschrieben hat.
(Ca.: 1´49)
7
Musik 7
3´09
CD take 13
Antonio Vivaldi
3. Satz “Allegro” aus:
Concerto a-Moll für Viola d´amore, Streicher und Basso continuo RV 397
Annegret Siedel, Viola d´amore und Leitung
Bell`arte Salzburg
Berlin Classics, 001671BC, LC 06203
Der dritte Satz aus dem Concerto a-Moll für Viola d´amore von Antonio Vivaldi
mit Annegret Siedel und Bell´arte Salzburg. Wer damals in Venedig mit wem
Kontakt aufgenommen hat, der Violin-Virtuose aus Dresden mit Vivaldi oder
Maestro Vivaldi mit Pisendel, das lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Jedenfalls
freunden sich die beiden an. Für Vivaldi war es zudem ein einträgliches Geschäft,
reisenden Virtuosen seine Musik zu verkaufen und ihnen dann auch noch die für
ihre Ausführung notwendigen Lektionen zu erteilen. So nimmt Pisendel also
Geigenunterricht bei Vivaldi und lernt zum Beispiel, jene Stücke zu spielen, die
ihm Vivaldi später ausdrücklich widmet: die Zehn Suonate a Solo, fatto per il
Maestro Pisendel del Vivaldi. Und Pisendel brilliert im Teatro San Angelo. Und zwar
am 23. Januar 1717. Vivaldi leitet gerade die Uraufführung seiner Oper
Incoronazione di Dario. Auf Veranlassung des Kurprinzen aus Sachsen soll nun
Pisendel zwischen zwei Akten ein Violinkonzert zum Besten geben. Keine Frage:
Friedrich August will die im Teatro San Angelo versammelten venezianischen
Musikliebhaber und die ausländischen Diplomaten mit seinem Teufelsgeiger aus
Dresden beeindrucken. Und Pisendel spielt. Ein festlich-virtuoses Konzert für
Violine, zwei Oboen, zwei Hörner, Fagott, Streicher und Basso continuo. Es stammt
aus der Feder seines Freundes Vivaldi. Das venezianische Publikum ist
beeindruckt. Die italienischen Musiker im Orchester sind es auch.
Mehr noch. Sie sind neidisch. Also versuchen sie im letzten Satz, immer schneller
und schneller zu spielen, um Pisendel aus dem Takt zu bringen. Aber der ließ sich –
wie es heißt – „ihr Eilen nicht im geringsten anfechten, sondern erhielt jene, die
ihm eine Grube graben wollten, durch Stampfen mit den Füßen so feste im Takt,
dass sie alle beschämt wurden.“ Worüber sich wiederum der Kurprinz köstlich
amüsierte. Hier ist dieser Satz aus dem Concerto F-Dur Ryom-Verzeichnis 571 von
Antonio Vivaldi.
(Ca.: 2´17)
8
Musik 8
CD take 12
3´18
Antonio Vivaldi
3. Satz„Allegro“ aus
Concerto F-Dur für Solovioline, 2 Oboen, 2 Hörner, Fagott, Streicher und Basso
continuo RV 571
Zefira Valova, Violine
Les Ambassadeurs, Leitung: Alexis Kossenko
Alpha 190, LC 00516
Zefira Valova war die Solistin in dem Concerto F-Dur Ryom-Verzeichnis 571 von
Antonio Vivaldi. Begleitet wurde sie vom Ensemble Les Ambassadeurs unter der
Leitung von Alexis Kossenko. Mit diesem Concerto seines Freundes Vivaldi hat sich
Pisendel dem Publikum in Venedig vorgestellt. Normalerweise war es Vivaldi
selbst, der zwischen den Akten oder in der Pause seiner Opernaufführungen seine
Violine zückte, auf die Bühne sprang, um noch die atemberaubendsten
Pirouetten und wildesten Kapriolen seiner Stücke mit einer so unerhörten
Leichtigkeit auszuführen, wie man sie zuvor noch nie erlebt hatte. Der Frankfurter
Italienreisende Johann Friedrich von Uffenbach hat just im Teatro San Angelo so
ein violonistisches Herxenfeuerwerk vdes prete rosso einmal erlebt und meint:
„Gegen Ende spielte Vivaldi ein Accompagnement Solo, admirabel, woran er
zuletzt eine Fantasie anhing, die mich recht erschreket, denn dergleichen
ohnmöglich so jemals ist gespielt worden, noch kann gespielt werden, denn er
kam mit den Fingern nur einen Strohhalm breit an den Steg, dass der Bogen
keinen Platz hatte, und das auf allen vier Saiten mit Fugen und einer
Geschwindigkeit, die unglaublich war.“ Da ist er: der Teufelsgeiger Vivaldi, mit
seiner dämonischen Ausstrahlung, der Rote Priester, der keine Messe, sondern ein
unerhörtes Concerto zelebriert und mit seiner rasenden Virtuosität „erschrecken“
lässt, weil er spielt, was eigentlich „ohnmöglich“ ist.
(Ca.: 1´30)
Musik 9
CD take 12
Antonio Vivaldi
3.Satz„Allegro (fantasia du concerto RV 212) aus
Concerto D-Dur für Violine, Streicher und Basso continuo RV 228
Amandine Beyer, Violine
Gli incogniti
Harmonia mundi, HMC 902221, LC 7045
4´26
9
Amandine Beyer war das, begleitet von Gli Incogniti mit dem letzten Satz aus
Vivaldis Virtuosen-Konzert RV 228 – ein Satz, der ganz darauf abzielt, auf der
Bühne – salopp gesagt – eine Show abzuziehen und jedermann in Erstaunen zu
versetzen durch technische Überlegenheit, Klangstärke und Geschwindigkeit,
durch die Inszenierung musikalische Grenzgänge, die das auf dem Instrument
gerade noch Machbare effektvoll ausloten. Jedenfalls, als Pisendel Venedig
verlässt, um auch noch das Musikleben in Neapel, in Rom und in Florenz kennen
zu lernen, hat er dreizehn Werke von Vivaldis Hand im Reisegepäck. Und
insgesamt achtundzwanzig weitere, die er selbst in den 9 Monaten seines
Aufenthalts in der Lagunenstadt abgeschrieben hat. Zurück in Dresden, wird er
sie seiner Notenbibliothek einverleiben, die bis heute – neben Vivaldis eigenem
Nachlass in Turin – die größte Sammlung mit Werken des Roten Priesters darstellt.
Auch später sollte die Verbindung zu seinem Freund in Venedig nicht abreißen
und Vivaldi wird eine ganze Reihe von Concerti per l´orchestra du Dresda an
Pisendel schicken. Als Pisendel in Rom eintrifft, war der große Corelli seit vier
Jahren tot, aber seine Concerti grossi sorgten nördlich der Alpen für wachsende
Begeisterung. Und Pisendel nahm auch in Rom noch einmal Unterricht. Und zwar
bei dem seinerzeit berühmten römischen Geiger Antonio Maria Montanari, der
noch unter Corelli gespielt hatte. Seine Concerti stehen denjenigen des Roten
Priesters kaum nach.
(Ca: 1´34)
Musik 10
CD take 7
Antonio Maria Montanari
4. Satz „Allegro“ aus
Concerto Es-Dur op. 1 Nr. 6
Johannes Pramsohler, Violine
Ensemble Diderot
Audax Records, ADX 13704, LC 30527
4´20
Johannes Pramsohler und das Ensemble Diderot spielten den Schlusssatz aus
dem Concerto Es-Dur opus 1 Nr. 6 von Antonio Maria Montanari. Wie Arcangelo
Corelli hat Montanari Rom Zeit seines Lebens nie verlassen. Er war eben so wenig
wie Corelli einer jener reisenden Virtuosen aus Italien, die mit ihrer Musik kreuz und
quer durch Europa zogen. Das gilt auch für den Roten Priester Antonio Vivaldi,
der – abgesehen von seiner allerletzten Reise nach Wien, wo er fernab der
Serenissima in ärmlichen Verhältnissen sterben sollte - Venedig nie für längere
Konzert-Tourneen verlassen hat. Corelli und Vivaldi – es war ihre Musik, die auf
Reisen ging und das Konzertleben Europas eroberte. Dafür sorgten die mit
10
modernen Stichdruck-Verfahren arbeitenden Verleger mit ihren weltweit
vernetzten Geschäftspartnern. Und dafür sorgten aber auch Musikerkollegen,
Kapell- und Konzertmeister aus dem Norden, die – wie Pisendel – die Musik der
italienischen Meister an ihre Wirkungsstätten exportierten. Einer von ihnen war
Johann Melchior Molter, Geiger in Diensten des badischen Markgrafen Carl
Wilhelm, der im kurz zuvor gegründeten Carols-Ruhe, in sicherer Entfernung von
seiner Gemahlin residierte, um dort ungestört mit seinen zahlreichen Mätressen
seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen zu können. Warum der junge Geiger so
schnell die Gunst seines Dienstherrn erlangte, das wissen wir nicht. Jedenfalls ist er
so großzügig, seinem Geiger Molter bei vollem Gehalt für zwei Jahre einen
Aufenthalt in Italien zu finanzieren, wo er den italienischen Gusto studieren soll. In
Venedig geht Molter bei Vivaldi in die Lehre. Als er aus dem Süden nach
Karlsruhe zurückkehrt, nennt er sich Professore di Violino e Musico und wird
umgehend zum badischen Hofkapellmeister ernannt. Und sein Gehalt? – das
stockt der spendable Markgraft ebenso umgehend um einhundert Gulden auf.
So beeindruckt ist er davon, wie erfolgreich sein Musicus die italienische Manier
erlernt hat. Und mit einem mal klingt es in Karlsruhe ganz so, als sei Antonio Vivaldi
höchstpersönlich zu Besuch. Hier kommt – mit Martin Jopp und dem MainBarockorchester Frankfurt – ein „Allegro“ aus dem Konzert für Violine, Streicher
und Basso continuo von Johann Melchior Molter
(Ca.: 2´31)
Musik 11
CD take 16
Johann Melchior Molter
3.Satz „Allegro“ aus
Concerto für Violine, Streicher und Basso continuo F-Dur
Martin Jopp, Violine
Main-Barockorchester Frankfurt
AEOLUS, AE-10037, LC 02232
2´41
Martin Jopp und das Main-Barockorchester Frankfurt waren das, mit dem dritten
Satz aus dem Concerto für Violine, Streicher und basso continuo F-Dur des
badischen Hofkapellmeisters Johann Melchior Molter, heute zum Schluss der
Musikstunde. Ihnen wünsche ich noch einen angenehmen Tag, „Tschüss“ und –
wenn Sie mögen – „Bis morgen!“ sagt: Wolfgang Scherer.
(Ca.: 0´22)