Religiöse Vielfalt in den Streitkräften

IV. Neuer Auftrag der Bundeswehr
1. Legitimation und Akzeptanz
Annette von Hoiningen
Religiöse Vielfalt in den Streitkräften
„Bundeswehr sucht den ersten Imam für die Truppe“, berichtete die BILD-Zeitung am 23.
Mai 2015. Am 26. April 2016 informierte SPIEGEL-ONLINE über ehemalige
Bundeswehrsoldaten, die ihre Ausbildung und Kenntnisse für Terrorgruppen wie dem
Islamischen Staat (IS) einsetzen. Nach den Angaben der SPIEGEL-Redaktion sollen
mittlerweile 25 ehemalige Soldaten in diesem Konflikt agieren.
Wenn die Bundeswehr mit ihrer Attraktivitätsoffensive Erfolg hat und durch die
Erweiterung der Militärseelsorge auch für Muslime als attraktiver Arbeitgeber
wahrgenommen wird, stellt sich die Frage, ob die Angehörigen der Bundeswehr damit
der wachsenden Gefahr einer Einflussnahme oder Radikalisierung von Islamisten
ausgesetzt werden. Im Rahmen der Gefängnisseelsorge wurde bereits versucht, einer
Radikalisierung muslimischer Insassen mit Hilfe von Imamen entgegen zu wirken.
(Reader Sicherheitspolitik, Ausgabe 7/2016)
Spiegelbild der Gesellschaft
Die Bundeswehr beansprucht für sich ein Spiegel der Gesellschaft zu sein. Mittlerweile
leben etwa 4 Millionen bekennende muslimische Bürgerinnen und Bürger in der
Bundesrepublik Deutschland, für die die Bundeswehr auch ein potentieller Arbeitgeber
sein kann. Valide Daten über die Anzahl der sich zum islamischen Glauben
bekennenden Soldatinnen und Soldaten sind nicht vorhanden. Die Angaben schwanken
zwischen 1.400 und 1.600 Soldatinnen und Soldaten. Dies liegt daran, dass eine Angabe
zum religiösen Bekenntnis – mit Ausnahme der der Kirchensteuerpflicht unterliegenden
Religionsgemeinschaften – grundsätzlich freiwillig ist. Herkunft oder Religion sind für
den Dienst in der Bundeswehr ohne Bedeutung.
Soldaten beim Gottesdienst im
Zeltlager in Lourdes.
Foto: Christina Lux
1
Bislang besteht in der Bundeswehr neben der individuellen Möglichkeit zur
Religionsausübung nur eine organisierte Militärseelsorge für die Angehörigen der
evangelischen und römisch-katholischen Religionsgemeinschaften. Zwar werden von
den Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorgern auch Andersgläubige betreut, aber
gerade in religiösen Einzelfragen sind hier Grenzen gesetzt.
Rechte, Grenzen, Angebote und Forderungen im Themenfeld religiöse Vielfalt
„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung
wird gewährleistet.“ so lautet der Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland (GG). In den Vorschriften der Bundeswehr wird dieses
Grundrecht in der Ziffer 674 der Zentralen Dienstvorschrift A-2600/1 - Innere Führung
konkret für die Bundeswehr mit folgendem Wortlaut festgelegt: „In der Bundeswehr
sind Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit für alle Religionsgesellschaften und
Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet. […] Die Vorgesetzten sind verpflichtet,
allen Soldatinnen und Soldaten freie und ungestörte Religionsausübung zu
gewährleisten, gleich welcher Glaubensgemeinschaft diese angehören“. Das beinhaltet,
dass die Religionsangehörigkeit des Einzelnen für den Dienst in der Bundeswehr ohne
Bedeutung ist. Einstellungen und Beförderungen sind davon unabhängig. Auf die
Ausübung der unterschiedlichen religiösen Gebräuche ist Rücksicht zu nehmen.
Verstöße gegen das Recht auf Religionsfreiheit sind durch die Vorgesetzten aufzuklären
und disziplinarrechtlich zu werten. Nachteile, die sich aus der jeweiligen
Religionszugehörigkeit ergeben können, sind zu vermeiden.
Damit besteht für den Einzelnen, der sich der Riten und Auslegungen seiner Religion
bewusst ist und diese ausübt, die größtmögliche Freiheit, die der Staat ihm einräumen
kann. Beschränkt wird diese nur dort, wo es mit der Pflicht der Soldatinnen und
Soldaten zum Dienst kollidiert. Die Neutralität des Staates und seiner Bediensteten ist
zu gewährleisten.
Gottesdienst auf dem Oberdeck.
Foto: JS-Magazin/Marc Wittkowski (EKA)
Was aber passiert, wenn die Soldatinnen und Soldaten gerade durch ihre
Dienstpflichten – insbesondere im Einsatz – in Konflikt mit ihren religiösen Regeln
kommen? Wer hilft den Vorgesetzten, wenn es zu Vorgängen kommt, die nur in
Kenntnis der jeweiligen religiösen Regeln und Riten gelöst werden können?
2
Mit den Inhalten, die hinter diesen Fragen stehen, der Auseinandersetzung und
Wertung von außerhalb der Befehlsordnung der Bundeswehr stehenden anerkannten
Ordnungen und Vorgaben, beschäftigten sich schon die Gründungsväter der
Bundeswehr. Wenn auch zum damaligen Zeitpunkt unter einem anderen Fokus. Denn
damals spielten die Erfahrungen der agierenden Generation eine wesentlichere Rolle.
Seinerzeit war die deutsche Gesellschaft durch die Historie mit einem eigenständigen
Militär, das vor dem Ersten Weltkrieg als Staat im Staate agierte, und durch die
Instrumentalisierung des Militärs im Zweiten Weltkrieg durch den
nationalsozialistischen Diktator geprägt.
Parallel zur Gründung der Bundeswehr wurde bei der Erarbeitung der Konzeption der
Inneren Führung deshalb die Seelsorge und die freie Religionsausübung als
Gestaltungsfeld der Inneren Führung aufgenommen. Zur damaligen Zeit – aufgrund der
Zugehörigkeit von etwa 96 Prozent der Bevölkerung – beschränkte sie sich auf die
Angehörigen des christlichen Glaubensbekenntnisses.
Die Militärseelsorge wurde 1957 zwei Jahre nach Gründung der Bundeswehr
eingerichtet. Im Vordergrund stand dabei aufgrund der Einbindung in die Konzeption
der Inneren Führung nicht nur eine reine religiöse Betreuung der Angehörigen der
jungen Bundeswehr, sondern auch deren Unterweisung in ethischen Fragen und
Werten. Getragen wurde dies vom Vorbild des Staatsbürgers in Uniform, der im
Einklang mit den Werten der deutschen Gesellschaft und Rechtsordnung steht. So
wurde das Aufgabengebiet der Militärseelsorge von einer passiven sakralen Betreuung
von Anfang an um die Unterweisung zur aktiven und persönliche Auseinandersetzung
des Einzelnen mit ethischen Fragestellungen erweitert.
Mit den Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorgern in den Militärpfarrämtern an den
Standorten stehen seitdem den Angehörigen der Streitkräfte direkte Ansprechpersonen
für religiöse Fragen zur Verfügung, die sich aus dem täglichen Dienstbetrieb ergeben
und ihre Grundlage in den christlichen Glaubensbekenntnissen haben. Indem die
Einsatzkontingente durch die Militärseelsorge in den Einsatzgebieten vor Ort betreut
werden, ist diese seelsorgerische Betreuung umfassend. Dabei können die Angehörigen
der Bundeswehr im Einsatz auf Grundlage der Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit
den verbündeten Streitkräften auch deren Angebote zur Militärseelsorge nutzen.
Andersgläubige werden von den Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger im
Rahmen ihrer Möglichkeiten mitbetreut. Fragen von Vorgesetzten zu anderen
Religionen stehen die Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger der Bundeswehr
ebenso offen gegenüber. Doch sind diesen durch die Organisation und Auslegung der
Militärseelsorge dabei Grenzen gesetzt. Denn deren Stärke und Auftrag begrenzt sie
auf die Angehörigen der christlichen Religionen.
Außerhalb der Militärseelsorge wurde – zeitgleich zu den vermehrten Einsätzen der
Bundeswehr im Ausland – eine Zentrale Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz
(ZKIkK) am Zentrum Innere Führung eingerichtet. Dort werden seit über 20 Jahren
begleitend Unterlagen zu den kulturellen Eigenheiten der Bewohnerinnen und
Bewohner in den Einsatzgebieten erstellt. Für den Dienstbetrieb im Inland wurden
zudem am Zentrum schon 2010 und 2011 Arbeitspapiere zum Umgang mit Angehörigen
von Glaubensrichtungen außerhalb des christlichen Glaubensbekenntnisses in den
Streitkräften erarbeitet1. Damit stehen den Vorgesetzen Unterlagen zur Information zur
Verfügung, um sich auf die Besonderheiten im Umgang mit Soldatinnen und Soldaten
1
Vgl. Zentrum Innere Führung: Deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens in der Bundeswehr
(Arbeitspapier II/2010); Zentrum Innere Führung: Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens
in der Bundeswehr (Arbeitspapier 1/2011). Beide Papiere werden zurzeit aktualisiert.
3
dieser Glaubensrichtungen insbesondere in Extremsituationen wie Todesfällen
einstellen zu können.
Militärpfarrer Andreas
Vogelmeier im Gespräch
mit einem Soldaten.
Foto: KMBA/Marlene Beyel
Veränderungen in der Gesellschaft – Veränderungen in der Bundeswehr?
Im Oktober 2012 wurde auf Antrag der SPD-Fraktion im Verteidigungsausschuss
beschlossen, das Bundesministerium der Verteidigung zu beauftragen, „dafür zu sorgen,
dass im Rahmen der Militärseelsorge den Soldatinnen und Soldaten neben den
katholischen und evangelischen Militärgeistlichen auch Vertreter anderer
Glaubensrichtungen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Hierfür muss ein Bedarf
ermittelt und anschließend Planstellen vorgesehen werden“2.
Mit diesem Beschluss wurde die damalige andauernde Diskussion, ob der Islam zu
Deutschland gehört, aufgegriffen. Durch den Anspruch der Bundeswehr ein Spiegel der
Gesellschaft zu sein sowie durch entsprechende Anfragen beim Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestages ergab sich die Frage zum Betreuungsangebot für Soldatinnen
und Soldaten, die sich zu Religionen außerhalb des christlichen Glaubensbekenntnis
bekennen.
Gibt es in der Bundeswehr eine religiöse Vielfalt?
Angaben über das religiöse Bekenntnis werden aus datenschutzrechtlichen Gründen in
der Bundeswehr grundsätzlich nicht erhoben. Eine Ausnahme davon besteht für die
Angehörigen des christlichen Glaubensbekenntnisses, für die die Bundeswehr als
Arbeitgeber im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens zur Abführung der
Kirchensteuer verpflichtet ist.
Deshalb wurde in einem ersten Schritt zur Bedarfsfeststellung das Zentrum für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit einer internen Studie
zur Militärseelsorge beauftragt3. Neben Fragen, ob das bestehende Angebot der
2
Ausschussdrucksache 17(12)1062 vom 16. Oktober 2012.
3
Vgl. Maike Wanner/ Klaus Ebeling: Militärseelsorge – Ergebnisse der Bundeswehrbefragung
2013, Strausberg 2013.
4
Militärseelsorge als ausreichend erachtet wird oder ein Bedarf an einer Erweiterung für
andere Religionsgemeinschaften gesehen wird, wurde auch das angebotene Spektrum
der Militärseelsorge hinterfragt. Angaben zum religiösen Bekenntnis der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgten auf freiwilliger Basis.
An dieser Studie beteiligten sich etwa 7.400 Soldatinnen und Soldaten. Im Ergebnis
wurde das Angebot der bestehenden Militärseelsorge sowohl in seinen Inhalten als
auch seiner Breite als ausreichend beurteilt. Hinsichtlich der in der Bundeswehr
vertretenen Religion ergab sich, dass in der Bundeswehr Angehörige der evangelischen,
römisch-katholischen, orthodoxen und neuapostolischen Kirche sowie Juden und
Muslime dienen. Sehr hoch, aber aufgrund der freiwilligen Angabe als Datum nicht
valide, war der Anteil der Konfessionslosen.
Besteht ein Bedarf an einer Erweiterung der Militärseelsorge?
Weder durch die mittels Hochrechnung berechnete Anzahl von Angehörigen anderer
Glaubensrichtungen noch durch die mehrheitlichen Antworten der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer konnte ein nachvollziehbarer und nachhaltiger Bedarf an der
Erweiterung der Militärseelsorge festgestellt werden. Deshalb wurde ein dreistufiges
Konzept zur Ermittlung des seelsorgerischen Bedarfs durch das Bundesministerium der
Verteidigung erarbeitet und durch den damaligen Staatssekretär Rüdiger Wolf im
Dezember 2013 gebilligt.
Danach soll in einem ersten Schritt der Bedarf an seelsorgerischer Betreuung für
Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen durch die Einrichtung einer
Ansprechstelle weiter ermittelt werden. Weiter soll ein Netzwerk aufgebaut werden,
auf das, soweit sich ein Bedarf an religiöser Beratung ergibt, zurückgegriffen werden
kann. Neben der Vermittlung einer seelsorgerischen Beratung soll diese Ansprechstelle
auch den Vorgesetzten als beratende Stelle im täglichen Umgang mit Soldatinnen und
Soldaten anderer Glaubensrichtungen zur Seite stehen.
Soweit sich aus der Evaluierung ein nachhaltiger Bedarf an seelsorgerischer Betreuung
ableiten lässt, soll in einem zweiten Schritt eine nebenamtliche Seelsorge für diese
Glaubensrichtung eingerichtet werden.
In einem dritten Schritt, soweit sich der Bedarf durch das Angebot oder in anderer
Weise dauerhaft und entsprechend umfangreich darstellt, wird eine hauptamtliche
Militärseelsorge für die entsprechende Glaubensrichtung eingerichtet werden.
Seit dem 1. Juli 2015 besteht die Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten
anderer Glaubensrichtungen (ZASaG) am Zentrum Innere Führung. Damit wurde der
erste Schritt im oben genannten Konzept umgesetzt. Diese Ansprechstelle steht gewollt
außerhalb der Militärseelsorge, da sie keine direkte seelsorgerische Betreuung, sondern
nur eine Vermittlung dieser Betreuungsleistung leistet.
Damit steht den Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen und
Vorgesetzten, die diesen Soldatinnen und Soldaten vorstehen, eine Zentrale
Ansprechstelle zur Verfügung. Für die Soldatinnen und Soldaten besteht dieses
Angebot des Dienstherrn neben der Möglichkeit, als Mitglieder einer jüdischen
Gemeinde oder eines örtlichen Moscheevereines sich auch an die dortigen Seelsorger zu
wenden.
Problematisch ist im Rahmen dieser Seelsorgegespräche der Austausch von
Informationen. Denn die Ratsuchenden müssen dabei immer ihre Verpflichtung zu
Verschwiegenheit über sicherheitsrelevante Informationen beachten. Insbesondere
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fehlen den Seelsorgern außerhalb der Bundeswehr die Erfahrungen aus dem täglichen
Dienstbetrieb oder die Erlebnisses aus den Einsätzen, in denen die
Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger die Soldatinnen und Soldaten begleiten.
Ferner haben diese Seelsorgerinnen und Seelsorger nicht die Möglichkeit, Probleme im
Dienstbetrieb mit den verantwortlichen Personen oder verantwortlichen Stellen
anzusprechen, wie dies die der Bundeswehr angehörigen Militärseelsorgerinnen und
Militärseelsorger können.
Die Jugendkirche Samuel
und die Yavuz Sultan Selim Moschee
am Luisenring in Mannheim sind
Nachbarn.
Foto: mannheim.de
Auch ist es für die Bundeswehr nicht möglich, auf die Inhalte, die diese Seelsorger den
Soldatinnen und Soldaten vermitteln, Einfluss zu nehmen, noch nicht einmal diese
einheitlich zu gestalten. Da gerade diese seelsorgerischen Gespräche unter den
besonderen Schutz der Religionsfreiheit aufgrund des oben zitierten Artikels 4 GG
fallen. Diese Bedenken scheinen mit Hinweis auf die bestehende Struktur der
Militärseelsorge nicht in allen Punkten gerechtfertigt.
Militärseelsorge in den Streitkräften
Als die Bundesregierung 1957 mit der Evangelischen Kirche in Deutschland den noch
heute in Kraft befindlichen und per Gesetz nachfolgend als allgemein gültigen
Militärseelsorgevertrag geschlossen hatte, folgte dieser ihrer in Artikel 140 GG in
Verbindung mit Artikel 136 der Weimarer Reichsverfassung gebotenen Verpflichtung
für den Bedarf an Seelsorge in den Streitkräften die Religionsgesellschaften unabhängig
gewähren zu lassen. Mit der Katholischen Kirche bestand schon durch das fortgeltende
Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich von 1933 eine
rechtliche Grundlage für eine Katholische Militärseelsorge, die 1957 durch das
Bundesverfassungsgericht als völkerrechtlich verbindlich erklärt wurde4.
Aufbau der Militärseelsorgeorganisation
Aufgrund der damaligen Struktur und der Stärke der Bundeswehr wurde ein
dreistufiger Aufbau für die Militärseelsorge gewählt, der zwischenzeitlich entsprechend
der Reduzierung der Streitkräfte in seinem Umfang angepasst wurde.
4
Vgl. BVerfGE 6, 309 – 367.
6
Als Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung
agieren das Evangelische Bundesamt für die Bundeswehr (EKA) und das Katholische
Militärbischofsamt (KMBA). Deren Behördenleiter (Militärgeneraldekan (EKA) und
Militärgeneralvikar (KMBA) haben eine Doppelstellung. Sie sind neben ihrer Funktion
als Behördenleiter die Vertreter der jeweiligen Militärbischöfe, die nicht in einem
Beschäftigungsverhältnis zur Bundeswehr stehen. Die Militärbischöfe sind die Vertreter
der Kirchen und haben die Dienstaufsicht über die Militärseelsorgerinnen und
Militärseelsorger inne, soweit es um sakrale Themen geht. Sie werden durch die Kirchen
benannt und sind somit keine Angehörigen der Bundeswehr.
Den Bundesoberbehörden EKA und KMBA sind jeweils vier Militärdekanate (Standorte
Kiel, Berlin, Köln, München) nachgeordnet. Von dort wird die Fachaufsicht über heute
insgesamt 164 Militärpfarrämter wahrgenommen, die für mehrere Standorte
verantwortlich sind. Die Militärpfarrämter bestehen aus jeweils zwei Personen. Einer
Militärseelsorgerin bzw. einem Militärseelsorger, die zugleich Dienststellenleiter sind
und einer Pfarrhelferin bzw. Pfarrhelfer. Sie sind in der Regel aufgrund der
Personenanzahl an den Standorten für mehrere Standorte zuständig.
Das Personal in diesen Behörden und Dienststellen steht in seiner Gesamtheit in einem
zivilen Beschäftigungsverhältnis zur Bundeswehr. Die Angehörigen der Militärseelsorge
in der Bundeswehr unterstehen damit den gleichen Gesetzen, Vorgaben, Rechten und
Pflichten wie jeder zivile Angehörige der Bundeswehr.
Segen für die Gemeinde
Militärdekan Peter Schmidt vom
Evangelischen Militärpfarramt
Berlin I.
Foto: Ev. Militärseelsorge/Sven Weigert
Mit Ausnahme der Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger stehen alle weiteren
Angehörigen der Militärseelsorge in einem Dauerbeschäftigungsverhältnis. Die
Seelsorgerinnen und Seelsorger sind Beamtinnen und Beamte auf Zeit, die für die Dauer
von sechs oder bis zu maximal zwölf Jahren Angehörige der Bundeswehr sind. Danach
gehen diese wieder in ihre jeweiligen Kirchen in zivile Gemeinden zurück. Während
ihrer Tätigkeit in der Bundeswehr, soweit sich diese auf ihre seelsorgerische Tätigkeit
bezieht, sind diese weiterhin an die Vorgaben ihrer Religionsgesellschaften gebunden
und haben die gleichen Rechte und Pflichten wie Seelsorgerinnen und Seelsorger in den
zivilen Gemeinden.
Mit ihrem zivilen Status stellt die Militärseelsorge in der Bundeswehr im Vergleich zu
anderen europäischen Streitkräften eine Besonderheit dar, da sie dort in der Regel in
die Streitkräfte integriert sind. Der aktuelle Aufbau der Militärseelsorge wurde als gute
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Organisation mit einem bedarfsgerechten Angebot durch den Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestages in seinem Jahresbericht 2015 besonders hervorgehoben.
Erweiterung der Militärseelsorge
Aufgrund der Veränderungen in der Gesellschaft ist absehbar, dass sich ein nachhaltiger
Bedarf an der Erweiterung der Militärseelsorge ergeben wird. Voraussichtlich wird es
sich dabei um die Religionsgemeinschaft des Islam handeln.
Die Herausforderungen bestehen darin, dass zum einen die innerhalb dieser Religion
bestehenden Glaubensströmungen schwerlich in einer einheitlichen Organisation nach
dem Vorbild der bestehenden Militärseelsorge zusammengefasst werden könnten. Zu
weit entfernt sind in der Wahrnehmung von außen allein die Glaubensströmungen der
Schiiten und Sunniten.
Die Verbände und Vereine, in denen sich die Moscheevereine zusammengeschlossen
haben, haben keine gemeinsame Dachorganisation, die die unterschiedlichen
Glaubensströmungen für die Muslime in Deutschland – vergleichbar mit der
Evangelischen Kirche in Deutschland – zusammenführt. Damit fehlt diesen die
Organisation, die als Anerkennung für eine Religionsgemeinschaft maßgeblich ist und
der Bundeswehr fehlt ein einheitlich agierender Ansprechpartner.
Soldaten aller Glaubensrichtungen
melden sich zum Dienstantritt.
Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke
Weiter ist der Begriff der Seelsorge im Islam nicht eindeutig definiert. Die Seelsorge in
der Art und Weise wie sie im Christentum durchgeführt wird, befindet sich im Islam erst
im Entstehen. Dabei basiert sie auf Einflüssen, die der Islam aus dem Christentum
übernimmt. So erfahren Muslime beispielsweise durch die aktive christliche Seelsorge in
den Krankenhäusern über die christliche Art der Religionsausübung und fordern eine
solche Betreuung auch von ihren Moscheevereinen ein.
Wären die Voraussetzungen für die Einrichtung einer nebenamtlichen Militärseelsorge
gegeben (2. Stufe zur Erweiterung der Militärseelsorge), dann müssten auch für die
Inhalte der islamischen Seelsorge – nicht für die Ausübung der Riten oder
Glaubensinhalte – möglichst einheitliche Standards für alle Glaubensströmungen
innerhalb des Islam entwickelt werden. Dies wäre erstrebenswert, damit – unter
Berücksichtigung der Eigenheiten der Glaubensströmungen – unter den Soldatinnen
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und Soldaten islamischen Glaubens in der Bundeswehr eine einheitliche Werteordnung
besteht.
Außerdem sollten einheitliche Voraussetzungen für die Einstellung der islamischen
Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger geschaffen werden, die an diejenigen der
bestehenden Militärseelsorge angepasst sind und so innerhalb der Militärseelsorge ein
Gleichgewicht gewahrt bleibt. Dabei sind vorrangig die beamtenrechtlichen Vorgaben
zu berücksichtigen.
Aussichten
Die Bundeswehr hat im Februar 2012 die Charta der Vielfalt unterzeichnet. Sie hat sich
damit auch verpflichtet, die religiöse Vielfalt in der Bundeswehr zu fördern und allen
Gruppierungen in der Bundeswehr die gleichen Möglichkeiten und
Betreuungsmaßnahmen zukommen zu lassen.
Deshalb ist es nur folgerichtig, dass sich die Bundeswehr in der Deutschen Islam
Konferenz (DIK) bei der derzeitig behandelten Thematik der Seelsorge aktiv einbringt.
In der DIK werden in dieser Legislaturperiode die Themen Wohlfahrt und Seelsorge
behandelt. Nachdem das Thema Wohlfahrt Ende 2015 abgeschlossen wurde, beginnt
der Arbeitsausschuss der DIK nunmehr die Thematik der Seelsorge zu diskutieren.
Dabei steht neben der Seelsorge in Anstalten und Krankenhäusern auch die
Militärseelsorge im Fokus. Es wäre erstrebenswert, wenn die in den Sitzungen des
Arbeitsausschusses teilnehmenden muslimischen Verbände und Vereine nach Abschluss
der Thematik einen gemeinsamen Ansprechpartner für die Bundeswehr zur Einrichtung
einer islamischen Militärseelsorge benennen könnten.
Indem die Diskussion zwischen der Bundeswehr und den muslimischen Vereinen und
Verbänden in diesem Forum ermöglicht wird, kann die Grundlage für eine gemeinsame
Verständigung über die Organisation und die Standards einer muslimischen
Militärseelsorge gelegt werden. Deren Einrichtung würde für die Integration der
Muslime sowohl in der Bundeswehr als auch in der Gesellschaft, einen wesentlichen
Beitrag leisten.
Die Bundeswehr hat in ihren Bestrebungen, sich als attraktiver Arbeitgeber für alle
Gruppen unserer Gesellschaft darzustellen, bereits aktiv rechtliches Neuland betreten.
Es wäre wünschenswert, wenn diese Bestrebungen auch von anderer Seite ernst
genommen und unterstützt würden und nicht in einer rein emotional geführten
Diskussion untergehen.
Autorin
Annette Freiin von Hoiningen, Jahrgang 1970, ist Rechtsassessorin und als Referentin im
Referat FüSK III 3 - Innere Führung und Militärseelsorge im Bundesministerium der
Verteidigung tätig.
Literatur
Bundesministerium der Verteidigung (Pol II 2), Impulspapier zur Gestaltung der Vielfalt
(Diversität) in der Bundeswehr (IGVBw) vom 28. Januar 2016
Ines Michalowski, Der Umgang mit religiöser Diversität im Militär. Deutschland und die
USA im Vergleich. In: Gerhard Kümmel (Hrsg.): Die Truppe wird bunter, Baden-Baden
2012, S. 111-124
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Angelika Dörfler-Dierken, Zur Entstehung der Militärseelsorge und zur Aufgabe der
Militärgeistlichen in der Bundeswehr. Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr,
Forschungsbericht 83, Straußberg 2008
Muslime in Deutschland. In: Politik & Unterricht. Zeitschrift für die Praxis der politischen
Bildung, Heft 3/4 - 2012, Nachdruck Mai 2013
(http://www.politikundunterricht.de/3_4_12/muslime_nachdruck.pdf)
Riem Spielhaus/ Martin Herzog, Die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland.
Ein Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2015
Weiterführende Links
www.dik.de
Deutsche Islam Konferenz
www.innerefuehrung.bundeswehr.de
Zentrum Innere Führung
www.bmvg.de
Hinweise auf die Internationale Konferenz zu Diversity und Inklusion in den
Streitkräften 2015 unter der Schirmherrschaft der Bundesministerin der Verteidigung
www.bpb.de/politik/extremismus/islamismus/
Bundeszentale für Politische Bildung - Islamismus
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