HOAI-Vertragsverletzungsverfahren - Sachstand und Ausblick- Dr. Florian Hartmann Geschäftsführer AKNW Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht 1 Sachstand (Hintergründe) 2 Mit Aufforderungsschreiben vom 18.06.2015 hat die EU-Kommission (KOM) ein Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland eröffnet. Vorwurf der KOM: Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI verstoßen gegen Europäisches Recht, nämlich gegen • Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) • Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie (DLRL, 2006/123/EG) 3 Sachstand im Juni 2016 4 Die Bundesregierung (BReg) ist, unterstützt von den Kammern und Verbänden, der KOM entgegengetreten. Am 25.02.2016 hat die KOM der BReg mit einer sog. „begründeten Stellungnahme“ geantwortet. Dort wird der BReg genau aufgegeben, wie und bis wann sie den aus Sicht der KOM europarechtswidrigen Zustand beseitigen kann. Folgt BReg KOM nicht – wahrscheinlich Klage vor dem EuGH (ca. zwei Jahre bis Urteil). 5 Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am 20. April 2016: „Übrigens, Deutschland wird auch eine Debatte darüber führen müssen, was bei uns an Strukturreformen da ist. Wir sind das Land, das die Öffnung des Dienstleistungssektors mit Hinweis auf alle möglichen Schutzfunktionen für Architekten, für Freie Berufe ständig verweigert. Ich glaube, auch wir werden uns solchen Reformmaßnahmen nicht verschließen können, wenn wir den Dienstleistungssektor bei uns, der sich mit am schlechtesten entwickelt im Vergleich zur Europäischen Union, in Zukunft besser entwickeln wollen. Aber gleichzeitig darf man nicht auf Investitionen verzichten.“ 6 Stand Juni 2016: BReg verteidigt HOAI! 7 Zur Rechtslage 8 Art. 49 AEUV lautet: Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. 9 § 15 DLRL lautet: (1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. (2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht: g) der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer; 10 3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen: a) Nicht-Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen; b) Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein; c) Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen. 11 Sind die Mindest- und Höchstsätze der HOAI überhaupt Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit iSv Art. 15 DLRL, Art. 49 AEUV? 12 EuGH Beschränkungen = Maßnahmen, die die Ausübungen der Grundfreiheiten verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen. Beschränkungen liegen jedenfalls dann vor, wenn ausländischen Anbietern die Möglichkeit genommen wird, unter Bedingungen eines normalen und wirksamen Wettbewerbs in den Markt des Aufnahmemitgliedstaates einzutreten. 13 Mindestsätze = Beschränkung, weil sie es Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten verwehren, sich in Deutschland niederzulassen und in Deutschland in den Preiswettbewerb mit anderen Anbietern zu treten. Höchstsätze = Beschränkung, weil sie es Anbietern von besonders hochwertigen Leistungen aus anderen Mitgliedstaaten verwehren, sich in Deutschland niederzulassen, weil sie nicht ausreichend bezahlt werden. KOM = Entsprechend wird die Niederlassung interner Anbieter in Deutschland erschwert. Art. 15 DLRL gilt für grenzüberschreitende und Inlandsniederlassung! 14 Keine Beschränkungen wegen Abweichungsmöglichkeiten nach § 7 Abs. 3 und Abs. 4 HOAI? Höchstsätze: Mit der Regelung des § 7 Abs. 4 HOAI ist gewährleistet, dass besonders hochwertige Planungsleistungen höher vergütet werden können. Mindestsätze: Unterschreitung in Ausnahmefällen (BGH: „enge Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder persönlicher Art“) nach § 7 Abs. 3 HOAI. 15 „Knackpunkte“ der rechtlichen Prüfung nach Art. 15 Abs. 3 DLRL: Sind die Mindest- und Höchstsätze: • Nicht-diskriminierend? • Erforderlich? • Verhältnismäßig? 16 Nicht-diskriminierend – vgl. § 1 HOAI. Anwendung der HOAI auf sämtliche Anbieter mit Sitz mit Inland (a.A. KOM). 17 Erforderlichkeit: Zwingende Gründe des Allgemeininteresses: • Verhinderung eines ruinösen Preiswettbewerbs (Mindestsatz) • Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Verbraucher (Höchstsatz) • Qualitätssicherung (Mindestsatz) • Schutz vor Sach- und Personenschäden, Bewahrung von Baukultur (Mindestsatz) 18 Geeignetheit EuGH wird fragen: • Sind die vorgenannten geschützten Rechtsgüter in Gefahr? • Tragen die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze dazu bei, die Gefahr zu vermeiden? • Es ist streitig, ob und inwieweit Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zukommt. 19 „Empirisches Gutachten“: • Empirischer Nachweis zwischen Mindestsatz und Qualität bzw. • Höchstsatz und Verbraucherschutz (Informationsasymmetrie). 20 Empirisches Gutachten untersucht insbesondere folgende Fragen : • Gibt es auf dem deutschen Markt einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen bindenden Mindestsätzen und der Leistungsqualität? • Gibt es einen Zusammenhang zwischen verbindlichen Honorarsätzen und Verbraucherschutz unter dem Aspekt einer Informationsasymmetrie? • Stellen verbindliche Honorare ein (tatsächliches) Niederlassungshindernis für ausländische Planer dar? (kein juristisches Argument) 21 Mildere Mittel, um die Ziele zu erreichen? • Berufszugang strenger regulieren? • Berufsrechtliche Aufsicht intensivieren? • Stärkere Haftung? • Informationsasymmetrie kann auf anderem Wege begegnet werden? 22 Ausblick 23 Zusammenzufassend ist, Stand Juni 2016, festzuhalten: • Juristische Seite des Vertragsverletzungsverfahrens: (+) • (Berufs-) Politische Seite des Vertragsverletzungsverfahrens: (+) • Empirische Seite des Vertragsverletzungsverfahrens: (?) • Entscheidung des EuGH: (?) 24 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 25
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