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Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
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28.06.2016
Von: Michael Neubauer
Arbeitsmarktreform in Frankreich
Auf den Barrikaden
Seit Wochen sorgt die geplante Arbeitsmarktreform in Frankreich für Proteste und Streiks. Doch worum geht
es dabei eigentlich genau? Und was sagen die Gewerkschaften?
Mitglieder der CGt demonstrieren am 14. Juni 2016 in Paris gegen die geplante Arbeitsmarktreform.
Blockierte Autobahnen und Raffinerien, Tankstellen ohne Benzin, Atomkraftwerke mit gedrosselter
Leistung, Zug- und Flugausfälle, Müllberge in den Straßen von Paris: Frankreich erlebt seit Wochen eine
Streik- und Demonstrationswelle.
Teilweise geht es dabei um Arbeitslöhne und Arbeitsbedingungen einzelner Branchen und Unternehmen.
Doch der Großteil der Proteste richtet sich gegen die Reform des Arbeitsrechts. Für den sozialistischen
Präsidenten François Hollande ist es die letzte große Reform seiner Amtszeit – 2017 finden in Frankreich
Wahlen statt. Präsident und Regierung sehen ihr „Loi travail“ als Chance im Kampf gegen die hohe
Arbeitslosigkeit von zehn Prozent (Deutschland: sechs Prozent).
Zu Beginn waren die Gewerkschaften geschlossen gegen diese Arbeitsmarktreform. Selbst Politiker vom
linken Flügen der Sozialistischen Partei (PS) bezeichneten sie als Bedrohung für die Arbeitnehmerrechte und
als reines Geschenk an die Unternehmer, etwa weil Abfindungssummen gedeckelt und der Kündigungsschutz
gelockert werden sollten. Studenten und Schüler gingen auf die Straße, weil sie fürchteten, dass unbefristete
Verträge noch seltener werden.
„Das Land braucht mehr Flexibilität in den Betrieben.“
Nach ersten Protesten und Gesprächen mit den Gewerkschaften entschärfte die Regierung Eckpunkte der
Reform. Seitdem geben reformorientierte Gewerkschaften wie die CFDT ihre Zustimmung, radikalere linke
„Syndicats“ wie die CGT protestieren aber weiter.
Bei der CFDT stößt das auf Unverständnis. „Denn das neue Gesetz stärkt die Gewerkschaften, die
Verhandlungen und den sozialen Dialog innerhalb der Betriebe“, sagt Dominique Bousquenaud,
Generalsekretär der Gewerkschaft FCE-CFDT. In Deutschland sei das längst üblich, in Frankreich nicht.
Tatsächlich soll Artikel 2 des Gesetzes die derzeitige Hierarchie abschaffen: Handeln bisher die 700
Branchen Überstunden, Arbeitszeit und Lohnzuschläge aus, soll in Zukunft auch auf Betriebsebene darüber
entschieden werden können – mit dem Einverständnis der Gewerkschaften, die die Mehrheit der Belegschaft
repräsentieren. Bousquenaud wirbt für diese „sozialdemokratische Reform“: „Das Land braucht mehr
Flexibilität in den Betrieben.“
Was die Wochenarbeitszeit angeht, bleibt es bei 35 Stunden. Maximal sind 48 Stunden Arbeitszeit möglich,
bei „außergewöhnlichen Umständen“ sieht der Gesetzentwurf für eine befristete Zeit bis zu 60
Arbeitsstunden vor. Arbeitnehmer sollen zudem individuelle Ausbildungskonten erhalten, die sie beim
Jobwechsel in die neue Firma mitnehmen können. „Gerade für junge Arbeitsnehmer sind diese Rechte
wichtig“, sagt Bousquenaud.
Das soziale Klima im Land war zeitweise explosiv.
Dennoch forderte CGT-Generalsekretär Philippe Martinez zeitweise die komplette Rücknahme der Reform.
Seine Gewerkschaft und die Regierung setzen beide auf Konfrontation. In Frankreich sind Streiks ein
normaler Teil der politischen Streitkultur. Aber nur acht Prozent der Arbeitnehmer sind noch
gewerkschaftlich organisiert (EU-Durchschnitt: 23 Prozent). Dass Frankreichs älteste,
kommunistisch-orientierte Gewerkschaft CGT trotzdem zeitweise einige Regionen lähmen konnte, liegt
daran, dass sie in Häfen, Raffinerien, bei der SNCF, der Post oder dem Stromkonzern EDF am meisten
Mitglieder hat.
Das soziale Klima im Land war zeitweise explosiv. Die CGT bestimme nicht den Inhalt von Gesetzen, sagte
Präsident Hollande. Premier Manuel Valls wetterte, man lasse sich nicht von einer kleinen Minderheit
erpressen.
Auf Arbeitgeberseite bezeichnete der Präsident des Arbeitgeberverbands Medef die CGT als Gauner, gar als
Terroristen. Sozialistische Politiker wiederum bekamen Droh-E-Mails, auf Parteibüros wurden Schüsse
abgefeuert. Auch Büros der CFDT wurden verwüstet, Arbeiter in Betrieben beschimpft. „Diese verbalen und
gewalttätigen Übergriffe waren unerträglich und haben nichts mehr zu tun mit den Werten, für die wir als
Gewerkschaft stehen“, sagt Bousquenaud.
Ein Wirtschaftsmagazin titelte bereits „Der Endkampf“. Denn einerseits hängt von den Ergebnissen der
Streiks ab, wie stark CGT-Chef Martinez noch sein wird. Die CGT beklagt schon lange einen
Mitgliederschwund, bei den nächsten Delegiertenwahlen für die Betriebsvertretungen könnte sie von der
CFDT abgelöst werden. Was die Mitgliederzahl betrifft, hat die CFDT (860000) die CGT (680000) bereits
überholt.
Andererseits bangen der geschwächte Präsident und der Premier im ihre Zukunft. Beide hätten enorme Fehler
gemacht, kommentierte die Zeitung „Le Monde“. Sie hätten mit dieser schwierigen Reform bis zum Ende der
Amtszeit gewartet, sie zu wenig erklärt und autoritär durchgeboxt. Noch im Juli soll das Gesetz verabschiedet
werden. Laut Umfragen wollen inzwischen zwei Drittel der Franzosen die Reform nicht mehr.
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