VOLTURNIA 2016 VORTRAGENDE: CHRISTINA ABENSTEIN (MÜNCHEN) OLGA CHERNYAKHOVSKAYA (BAMBERG) 4. TREFFEN CHRISTOPHER DIEZ (ERLANGEN) DER KLASSISCHEN PHILOLOGEN AUS BAYERN, INNSBRUCK LUKAS EGGER (INNSBRUCK) VICENTE FLORES MILITELLO (MÜNCHEN) MARKUS HAFNER (MÜNCHEN) UND SALZBURG JAN KÖNIG (MÜNCHEN) AM 1./2. JULI 2016 IN MÜNCHEN ALFRED LINDL (REGENSBURG) VERENA SCHULZ (MÜNCHEN) STEPHANIE SEIBOLD (MÜNCHEN) JOHANNES SINGER (MÜNCHEN) JANJA SOLDO (MÜNCHEN) ANNA TASCHLER (INNSBRUCK) VOLTURNIA 2016 IN MÜNCHEN: 4. TREFFEN DER KLASSISCHEN PHILOLOGEN AUS BAYERN, INNSBRUCK UND SALZBURG AM 1./2. JULI 2016 FREITAG, 1. JULI 2016 (HÖRSAAL A 017, HAUPTGEBÄUDE) 14:00 - 14:15 Begrüßung 14:15 - 14:45 CHRISTOPHER DIEZ (ERLANGEN): Überlegungen zur Velleius-Rede in Ciceros De natura deorum 14:45 - 15:15 JOHANNES SINGER (MÜNCHEN): 'Gute' Dido - 'Böse' Kleopatra? Zwei Königinnen in der Perspektive frühaugusteischer Diskurse KAFFEEPAUSE (M 003) 15:35 - 16:15 JAN KÖNIG (MÜNCHEN): Rollenspiele. Die komplexe Kommunikation in Ovids Ars amatoria 16:15 - 16:45 LUKAS EGGER (INNSBRUCK): Überlegungen zur narrativen Funktion von Landschaftsbeschreibungen in Ovids Metamorphosen am Beispiel der Scylla-Glaucus-Episode (Met. 13,898–968) 16:45 - 17:15 ANNA TASCHLER: (INNSBRUCK): Eine gattungstheoretische Untersuchung der Nussbaumelegie KAFFEEPAUSE (M 003) 17:35 - 18:15 ALFRED LINDL (REGENSBURG): nunc ad temporum ordinem redeo (12,40,5) – Die Polyvalenz anachronistischer Elemente in Tacitus’ ‘Annales’ 18:15 - 18:45 STEPHANIE SEIBOLD (MÜNCHEN): Cuius non fugio mortem – Die sokratische Aufwertung der äsopischen Tradition bei Phaedrus (Phaedr. 3,9) 19:00 ABENDVORTRAG: VERENA SCHULZ (MÜNCHEN): Strategien des ,Vergessens‘ in der römischen Historiographie ABENDESSEN 1 SAMSTAG, 2. JULI 2016 (HÖRSAAL M 109, HAUPTGEBÄUDE) 9:00 - 9:45 CHRISTINA ABENSTEIN (MÜNCHEN): Tradierte Autoritäten. Zur intentionalen Weitergabe von spätantiken Subskriptionen 9:45 - 10:15 VICENTE FLORES MILITELLO (MÜNCHEN): Eine Plautinische Auseinandersetzung: Sind clientes Parasiten? Die Menaechmi und Juvenal KAFFEEPAUSE (M 003) 10:30 - 11:00 OLGA CHERNYAKHOVSKAYA (BAMBERG): Warum Menschen ihre Haut nicht wie Schlangen abwerfen: Wissen und Tod in Nikanders Theriaka 11:00 - 11:30 MARKUS HAFNER (MÜNCHEN): Überlegungen zur Präsenz des Autors als einer Grundsignatur frühgriechischer Textualität - am Beispiel der Proömien bei Homer und Hesiod KAFFEEPAUSE (M 003) 11:45 - 12:15 JANJA SOLDO (MÜNCHEN): Gruß- und Abschiedsformeln in Senecas Briefen 12:15 Abschluss 2 Abenstein, Christina (München): Tradierte Autoritäten. Zur intentionalen Weitergabe von spätantiken Subskriptionen. Zwischen dem 4. und dem 6. Jh. n. Chr. tauchen in verstärktem Maße Subskriptionen zu Werken klassischer lateinischer Autoren auf. Dieses Phänomen dürfte sowohl mit dem Übergang von der Papyrusrolle zum Codex als auch – wenigstens zum Teil – mit der Auflehnung paganer Eliten gegen das expandierende Christentum zu tun haben. Die Forschungsliteratur, die sich mit diesen Buchunterschriften befasst, geht erstaunlicherweise nur auf die Subskriptionen selbst ein; die Tatsache, dass nur eine einzige in einer Handschrift aus dem 4. Jh. direkt überliefert ist, die übrigen sämtlich in späteren Kopien mitüberliefert sind, wird jedoch meistens nur beiläufig erwähnt. Mehr noch: Die mitunter fehlerhafte Abschrift der Subskriptionen durch mittelalterliche Schreiber wird oft ausschließlich als Problem angesehen, das eine korrekte Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlauts erschwert, das Vorhandensein einer älteren Subskription als Quelle von Fehldatierungen problematisiert. Dabei stellt gerade die stillschweigende Übernahme vorgefundener Subskriptionen einen Anachronismus dar, den es zu erklären gilt. Für eine solche Erklärung dürfte es allerdings nicht ausreichen, die Praxis, Subskriptionen mitzukopieren, als ‘üblich’ zu bezeichnen. Auch Otto Jahns Erklärung des Phänomens wird der Sache nicht gerecht. In seiner Abhandlung ‘Über die Subscriptionen in den Handschriften römischer Classiker’, die 1851 in den ‘Berichten über die Verhandlungen der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig’ der Philologisch-Historischen Klasse erschien, bezeichnet er das wiederholte Abschreiben von Subskriptionen durch die Kopisten als «mechanisch». Es sei «Zufall», bei welchem Buch sie abgeschrieben worden seien; auch seien später «gedankenlos» Titel und Subskription zusammen, mitunter «nach Gutdünken» in einzelne Zeilen aufgelöst worden. Dass es Schreiber gab, die ihre Profession als reines Handwerk verstanden und sie auch so ausführten, ist bekannt und wird bei der Kollation von Handschriften allenthalben deutlich. Mitunter jedoch dürften Kopisten den Rezensenten und Emendatoren, die Subkriptionen hinterließen, in puncto Bildung nicht nachgestanden haben, und dennoch schrieben sie deren Subskriptionen mit ab. Was hier also gewissermaßen sehenden Auges geschieht, kann nicht mehr als mechanisch, zufällig, gedankenlos oder arbiträr bezeichnet, sondern muss vielmehr als bewusste, absichtliche, willent- und wissentliche Vorgehensweise betrachtet und gedeutet werden. Die These, die diesbezüglich vertreten wird, geht dahin, die Geisteshaltung, die hinter der wiederholten Abschrift der Subskriptionen steht, mit dem Auftrag in Verbindung zu bringen, der sich in einer Bamberger Handschrift des 8. Jh. findet, die Cassiodors Institutiones überliefert: Die Handschrift, so heißt es dort, sei der codex archetypus, nach dessen Abschriften alle übrigen zu korrigieren seien. Indem eben diese Handschrift gleichwohl nicht mit dem darin bezeichneten Archetypus identisch ist, sondern es sich gerade bei ihr um eine Abschrift handelt, liegt mit der erwähnten Bemerkung, die diese Handschrift überliefert, nicht nur der Ausgangspunkt, sondern zugleich ein Anwendungsfall der These vor. * Chernyakhovskaya, Olga (München): Warum Menschen ihre Haut nicht wie Schlangen abwerfen. Wissen und Tod in Nikanders Theriaka. In den Theriaka, 343–358 erzählt Nikander folgenden Mythos: Als Prometheus das Feuer geraubt hatte, suchte Zeus nach dem Dieb und, nachdem die Menschen ihn ihm verrieten, schenkte er ihnen die ewige Jugend. Die Menschen vertrauten das Geschenk dem Esel an, der aber quälenden Durst leidend die Schlange um Hilfe bat. Und sie verlangte dafür die Last von seinem Rücken: So fiel die den Menschen gegebene Jugend der Schlange zu. Seitdem lastet das unentrinnbare Alter auf ihnen, während die Schlangen die alte Haut abwerfen und ihre Jugend immer wieder bekommen. Dieser ätiologische Mythos erklärt auf einmal mehrere Dinge: warum die Schlange, in deren Beschreibung in den Theriaka Nikander diese Geschichte einfügt, διψάς heißt; warum der von ihr gebissene Mensch unter schrecklichem Durst leidet; warum diese Schlange träge ist; schließlich warum die Schlangen ihre Haut abwerfen und die Menschen alt werden und folglich auch sterben. Andererseits gehört dieser Mythos zu den sogenannten Dekadenzmythen, die für die Lehrdichtung bereits seit Hesiod kennzeichnend sind: Sie erklären den kläglichen Zustand der heutigen Menschen im Vergleich zu ihren Vorfahren in der Goldenen Zeit. Welche Bedeutung kann dieser Mythos in den Theriaka haben? Bestimmt soll diese Erzählung – wie alle Exkurse in der hellenistischen Dichtung – den Leser unterhalten. Sie hat aber auch eine andere, wichtigere Funktion: Nach Nikander war es aus Dummheit und vor Müdigkeit, dass die Menschen ihr unschätzbares Geschenk dem Esel übergaben: So betont der Autor den großen Wert des Wissens sowie der Ausdauer – beide Motive sind aus anderen didaktischen Dichtern, besonders Hesiod und Arat, gut bekannt. Es ist bemerkenswert, dass gerade in dieser Passage Nikander ein Akrostichon seines Namens ΝΙΚΑΝΔΡΟΣ (345–353) eingesetzt hat. Ist es nur noch eine feine Sphragis zusätzlich zu den letzten Versen in seinen beiden 3 Gedichten: ‘mögest du Nikander für immer in Erinnerung behalten’, oder wird hier etwas mehr verborgen? Der in den letzten Versen explizit ausgesprochene Gedanke, dass seine Dichtung für das Weiterleben seines Namens bei den künftigen Generationen sorgen wird, wird hier mit großer Feinheit ausgedrückt: Indem Nikander das Akrostichon einsetzt, flicht er seinen Namen in das Motiv der ewigen Jugend oder, letzten Endes, der Unsterblichkeit ein. Es ist die Natur der Menschen, dass sie alt werden, aber die Erinnerung an den Verfasser der Theriaka wird zeitlos bleiben. * Diez, Christopher (Erlangen): Überlegungen zur Velleius-Rede in Ciceros De natura deorum. Die Rede des Epikureers Velleius im ersten Buch von Ciceros De natura deorum ist in der Vergangenheit mehrfach zum Zielobjekt der Kritik geworden. Ihre besondere Gestalt versuchte man damit zu erklären, dass Cicero selbst die epikureische Position nicht hinlänglich verstanden und kein geeigneteres Quellenmaterial zur Verfügung gehabt habe (Kompilationsvorwurf) oder er die Rede des Epikureers von vorneherein absichtlich schwach konzipiert habe, um sie später umso leichter widerlegen zu können (Manipulationsvorwurf). Der erste Vorwurf steht in der Tradition eines Cicerobildes, das in ihm einen schnell arbeitenden Dilettanten sah, und ist einem mechanistischen Quellenverständnis verpflichtet. Der zweite Vorwurf weist der Velleius-Rede nur e negativo eine Funktion zu und unterstellt Cicero, es (entgegen der Ankündigung in verschiedenen Proömien) mit der unvoreingenommenen Wahrheitssuche nicht allzu ernst zu nehmen. In meinem Vortrag möchte ich zeigen, wieso beide Vorwürfe dem Text nicht gerecht werden und wie man mit Blick auf den Aufbau und die Argumentationstechniken innerhalb der Rede, auf die Charakterisierung des Velleius in den dialogischen Rahmenpartien und auf das Proömium als Leseanweisung zu einer differenzierteren Beurteilung der VelleiusRede und ihrer Funktion innerhalb des Werks gelangen kann. * Egger Lukas (Innsbruck): Überlegungen zur narrativen Funktion von Landschaftsbeschreibungen in Ovids Metamorphosen am Beispiel der Scylla-Glaucus-Episode (Met. 13,898–968). Die häufig konstatierte Anschaulichkeit und Lebendigkeit von Ovids Metamorphosen resultiert nicht zuletzt aus einer spezifischen Darstellungsstrategie des Autors. Insbesondere Landschaftsbeschreibungen kommt dabei eine gewisse Bedeutung zu, weil damit die visuelle Eindrücklichkeit einer ästhetischen Landschaftswahrnehmung geradezu imitiert wird. Ihr Umfang und ihre Detailliertheit sind in den Metamorphosen allerdings meist so weit reduziert, dass sie nicht als um ihrer selbst Willen konzipiert und als Abbild einer möglichst realen und einzigartigen Landschaft verstanden werden können. Vielmehr sind diese Schilderungen als impressionistisch-textfunktionale Entwürfe aus stilisierten und immer wiederkehrenden Elementen zu verstehen. Der Vortrag zeigt am Beispiel der Scylla-Glaucus-Episode, dass eine auf diese Weise typisierte ‘Landschaft’ dabei aber weit mehr als eine starre Kulisse für das Handlungsgeschehen ist, sondern dynamisch dieses Geschehen begleitet, es räumlich strukturiert und damit ständig neue Bezugsebenen generiert. * Flores Militello, Vicente (München): Eine Plautinische Auseinandersetzung: Sind clientes Parasiten? Die Menaechmi und Juvenal. Die Figur des parasitus, die aus der griechischen Komödien-Tradition stammt, sowie die Inszenierung der eher römischen cliens-Vorstellung soll anhand von Plautus’ Menaechmi vergleichend analysiert werden. Anders als bisher in der Forschung angenommen (etwa von Damon 1997 oder Ganter 2015), ist zumindest in dieser Komödie eine klare Unterscheidung zwischen beiden Typen zu beobachten. Während bei Plautus parasiti tatsächlich dem Wortsinn entsprechend immer in Verbindung zum Essen eingesetzt sind, werden die clientes durch die Verbindung mit der Tätigkeit auf dem Forum in rechtlichen Prozessen als genuin römisch präsentiert. Dies kann an einer Interpretation der ersten Peniculus-Szene (V. 135–181) im Vergleich mit dem MenaechmusMonolog (V. 571–601) gezeigt werden. Die Trennung erweist sich für die Charakterisierung des Menaechmus 4 und für den mos Romanus unerlässlich, wie weit aber die populärphilosophische Kritik am patronus-cliensVerhältnis, mit der Menaechmus seinen Monolog beginnt, tatsächlich eine gesellschafts-kritische Tendenz hat, muss untersucht werden. Die Gesellschaftskritik ist dagegen wesentlich deutlicher in späteren Werken, etwa bei Juvenal, greifbar, wo die Tendenz festzustellen ist, beide Typen wieder in eine enge Verbindung zu bringen, ja sogar gleichzusetzen. Welche Funktionen diese Überschneidung beider Typen erfüllen, ist in diesem Beitrag zu diskutieren. * Hafner, Markus (München): Überlegungen zur Präsenz des Autors als einer Grundsignatur frühgriechischer Textualität – am Beispiel der Proömien bei Homer und Hesiod. Wie dem bildenden Künstler ist auch dem Dichter die Möglichkeit gegeben, mittels ästhetischer ‘Spuren’ weiterhin in einem Werk präsent zu sein. Im Bereich der Literatur ist eine Autor- oder Dichterstimme als personifizierte erzählende oder dichtende Instanz und somit als ‚Textfunktion‘ bzw. textuelles Artefakt wahrnehmbar, nicht als mentales Zeugnis des empirischen Autors. Diese ‘Stimmen’ variieren mit Blick auf ihre zeitliche und örtliche Positionierung zum dargestellten Geschehen sowie ihr Verhältnis zur Text- und Figurenwelt. Eine Dichter-Instanz kann sich explizit (z. B. durch Nennung), implizit (durch Intensität und Nähe, Dichtersprache) oder metapoetisch (durch Sprechen über Dichter und Dichtung) selbst im Text positionieren und nobilitieren. Entsprechend werden Rezipienten auch antiker Literatur mit einem breiten Spektrum an Dichter-Stimmen konfrontiert: Diese können offen oder subtil hervortreten, stark konturiert oder schwer fassbar, ja sogar trügerisch sein. Relevant ist diese Fragestellung besonders im Kontext der frühen griechischen Literatur. Deren Entstehung ist das Resultat einer kulturellen und medialen Revolution: des Wandels von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. Gleichwohl bezeugt auch die Schrift- und (ab dem 5. Jh. v. Chr.) Buchkultur die grundlegende Präsenz einer Autor-Stimme: Der bei Festen und Dichterwettbewerben erlebbare, rezitierende Dichter blieb im zirkulierenden Text durch eine Stimme anwesend, die den Hörern oder Lesern ein kraft spezifischer Ästhetik modelliertes Autor-Profil vermittelte. Über solche ‘Text-Spuren’ konnte eine örtlich und/oder zeitlich distanzierte Rezeption unter veränderten kommunikativen wie performativen Situationen ermöglicht und gewissermaßen ‘kontrolliert’ werden. Entsprechend diesen leitenden Fragen und Überlegungen sollen die auktorialen ‘Stimmen’ in den Proömien der Homer und Hesiod zugeschriebenen Epen in ihren Eigenarten analysiert und verglichen werden. * König, Jan (München): Rollenspiele. Die komplexe Kommunikation in Ovids Ars amatoria. Die Forschungsgeschichte zu Ovids Ars amatoria hat immer wieder zu widerstreitenden Ansichten in Grundfragen der Deutung geführt: Man sieht sich einem Werk gegenüber, das sich jeder umfassenden Interpretation zu entziehen scheint, sodass die einen sich erfreuen an seiner «stilistischen Wendigkeit, mit der sich der Standpunkt von Halbvers zu Halbvers verschiebt» (M. von Albrecht: ‘P. Ovidius Naso. Ars amatoria. Liebeskunst’, Stuttgart 1992, 269) und die anderen die praecepta als «confusing contradictory or unconvincing advice» (V. Rimell: ‘Ovid’s Lovers. Desire, Difference and the Poetic Imagination’, Cambridge 2006, 94) tadeln. Neben verschiedenen Modeströmungen in der Forschung liegt das sicher an der ganz speziellen Natur des Werkes selbst. Diese gründet in dem sich ständigen wandelnden Ich des Lehrgedichts, das zu einem ebenso dem Wandel unterzogenen Du spricht. Um eine solche sich komplex entwickelnde Kommunikationssituation untersuchen zu können, bedarf es eines Instrumentariums, das es so für Lehrgedicht noch nicht gibt. Dafür spaltet die Promotionsarbeit, die dem Vortrag zu Grunde liegt, die Ich-Stimme experimentell in drei Ebenen auf: Das Ich ‘bedient’ die extra-textuellen Leser mit literarischen Spielereien, metapoetischen Überlegungen und zeitpolitischen Anspielungen; das nenne ich die Ebene des Poeta. Auf der anderen Seite gibt es sozusagen im tiefsten Kern der textinternen Szenerie die Magister-Ebene. Hier wird der junge unerfahrene, man möchte fast sagen, tapsige Liebesschüler vorgeführt. Die Praeceptor-Ebene fungiert als Schnittstelle zwischen text-externen und text-internen Adressaten. Hier werden die Leser auch tatsächlich zu Schülern in Liebesdingen. Gerade diese letzte Ebene wurde in der Vergangenheit im Werk meist übersehen, obwohl der der Text durchaus signalisiert, dass Ratschläge ernst gemeint sein können: Dies gilt v.a. für Buch II, in dem der Lehrgang Bereiche berührt, die den durchschnittlichen Leser des Werks (also Stadtrömer im mittleren bis reiferen Alter, 5 v.a. Männer) inhaltlich direkt angehen – und entsprechend auch den Autor. Diesen ernsteren Passagen stehen solche gegenüber, die uns in Buch I den Liebesanfänger fast Slapstick-artig vorführen – oder auch die unerfahrene puella in Buch III. Mit der Spaltung der Ebenen kann nun deutlich gezeigt werden, an welchen Stellen welche Zielsetzung des ovidischen Werkes (Unterhaltung, Belehrung, …) überwiegt – und wo verschiedene Kommunikationsebenen besonders geschickt in einander verwoben sind. Dadurch erscheinen auch manche Stellen in neuem, in klarerem Licht, die bisher widersprüchlich interpretiert wurden. Dies möchte der Vortrag – nach skizzierender Präsentation der o.g. Thesen – anhand von Interpretation exemplarisch ausgewählter Stellen zeigen. * Lindl, Alfred (Regensburg): nunc ad temporum ordinem redeo (12,40,5). Die Polyvalenz anachronistischer Elemente in Tacitus’ Annales. Die Unzufriedenheit des taciteischen Narrators mit den Restriktionen der annalistischen Gliederung, die er im vierten Buch seiner ‘Annales’ ausdrückt (4,71,1), wie auch seine mehrfachen offensichtlichen Verstöße gegen die basale jahrweise Werkchronologie (6,38,1, 12,40,5, 13,9,3) regen eine kritische Analyse der zeitlichen Erzählordnung an. Eine solche Untersuchung stellt bisher ein Forschungsdesiderat dar. Die mit Hilfe moderner narratologischer Erfassungs-methoden gewonnenen Ergebnisse und daraus resultierende Folgerungen sollen im Vortrag vorgestellt und diskutiert werden. Eine regelmäßige Verwendung von analeptischen Elementen ist bei Tacitus zu Beginn von innen- und außenpolitischen Handlungseinheiten, thematischen Digressionen sowie vor allem in personenbezogenen Kontexten zu konstatieren. Während mittels aufbauender Analepsen Bezüge zu den vorausgehenden Handlungssträngen hergestellt und dem Leser vor allem notwendige Hintergrundinformationen präsentiert werden, erzeugen analeptisch gestaltete Exkurse oftmals zur Basiserzählung dissonante Atmosphären sowie Kontrastfolien. Demgegenüber dienen protagonistenspezifische retrospektive Einlagen der Charakterisierung bei erstmaligen Auftritten sowie Nachrufen respektive der individuellen Motivzuschreibung bei Handlungsbegründungen. Ferner vollziehen die seniores als intradiegetische Sprecher in ihren Erin-nerungen eine analytisch-komparative Geschichtsbetrachtung, uetera et praesentia contendere (13,3,2), und erfüllen somit modellhaft ein didaktisches Vermittlungsziel des extradiegetischen Narrators. Explizite Rückgriffe setzen außerdem einerseits punktuelle Akzente auf einfache, aber symbolisch zu interpretierende Requisiten; anderseits verbinden sie die Nerobücher intern mittels systematischer Querverweise. Hingegen sind kompletive Prolepsen gerade dann implementiert, wenn Protagonisten die Handlungsbühne verlassen. Hier zielt die prospektivische Darstellung neben einer Informationsfunktion vor allem auf die Gegenüberstellung des häufig glücklichen zukünftigen Daseins der Täter und des bedauernswerten Endes von deren Opfern ab. Während ferner die Wiedergabe von zukunftsbezogenen Plänen einen subjektiv nuancierten, potenziellen Handlungsweitergang expliziert, kommt den prodigialen und pseudoprodigialen Elementen mit ihren oftmals verklausulierten Andeutungen, die eine sinistre, erwartungsvolle Atmosphäre generieren, tendenziell ein zukunftsgewisser, determinierender Charakter zu. Zahlreiche allusive Vorgriffe verweisen auf im späteren Handlungsverlauf relevante Figuren, iterative Prolepsen werden vorwiegend dazu eingesetzt, den Beginn oder baldigen Abschluss kontinuierlicher Begleithandlungen zu markieren. Indes tragen alle proleptischen Formen wesentlich zur Spannungserzeugung und -entwicklung bei. Dies manifestiert sich insbesondere in ihrer augenfälligen Kumulation an den jeweiligen Buchenden, wo sie den Rezipienten zur Lektürefortsetzung anregen sollen. Abschließend sind die deiktischen Vorausblicke mit metanarrativem Gehalt anzuführen. Sie sind einerseits von grundlegender Bedeutung für die Erzählgliederung, andererseits sollen sie die Leseraufmerksamkeit fokussieren und als implizierte Rezeptionshinweise fungieren. Insgesamt lässt sich aus diesen mannigfachen Facetten der Anachronismen im taciteischen Diskurs zum einen deren positiver Beitrag zur Kohäsionsbildung wie auch zur Re- und Prästrukturierung längerer Erzähleinheiten erkennen. Zum anderen ist die variationsreiche und kurzweilige Rhythmisierung durch regelmäßige Interruptionen und deren kognitiv aktivierendes Potenzial hervorzuheben. Denn der Rezipient muss die hinsichtlich Umfang und Reich-weite differierenden Anachronismen, die immerhin eine Zeitspanne von der mythischen Vorzeit Didos bis zur Erzählergegenwart umfassen, in ein mentales chronologisches Raster einordnen. Zugleich bieten ihm diese teilweise sogar mehrstufig angelegten Querverweise eine werkinterne Orientierung sowie möglicherweise eine darauf basierende selektive Lektüreoption. Zudem eröffnen die genannten Befunde der Analyse der temporalen Erzählordnung neue Erklärungsansätze zu den umstrittenen Forschungsfragen einer separaten Publikation, zum inneren Aufbau der Nerobücher und zur Gesamtanzahl der Annalenbücher. 6 Seibold, Stephanie (München): Cuius non fugio mortem. Die sokratische Aufwertung der äsopischen Tradition bei Phaedrus (Phaedr. 3,9). Vulgare amici nomen, sed rara est fides (Phaedr. 3,9,1) – Diese zeitlose, durchaus betrübliche Lebenserfahrung illustriert Phaedrus mithilfe einer kleinen Anekdote aus dem Leben des Sokrates. Dass der große Philosoph als Akteur in einer antiken Fabelsammlung einzig und ausgerechnet bei Phaedrus begegnet, geschieht nicht zufällig. Der Vortrag will die Bedeutung der Sokrates-Episode für die Sammlung des Phaedrus und dessen Selbstverständnis als eines neuen und besseren Äsop näher untersuchen. Hierzu werden das Gedicht 3,9 und das darin enthaltene phaedrianische Bekenntnis, Cuius non fugio mortem, si famam assequar (V. 3), zum einen intertextuell im Rückgriff auf seinen wichtigen Prätext betrachtet, Platons Phaidon (60b1 – 61c1), der erstmals die beiden Archegeten Äsop und Sokrates literarisch zueinander in Beziehung setzt. Zum anderen gilt es, die Sokrates-Episode des Dichters auch intratextuell im Kontext des dritten Pro- und Epilogs der Fabelsammlung zu verorten. Auf diese Weise soll ersichtlich werden, wie Phaedrus als poeta doctus et ludens – dessen persona selbst in einem Spannungsfeld zwischen sejanischer Verurteilung und dem erhofften fides-Urteil seines Widmungsadressaten Eutychus steht – sich stets vor der Folie des mythischen Äsop mit dem sokratischen Schicksal des verkannten, aber von der Nachwelt rehabilitieren Weisen identifiziert und so gleichsam apologetisch das Schicksal seiner eigenen Dichtung, seines Aesopus, aufzuwerten sucht. * Singer, Johannes (München): ‘Gute’ Dido ‘böse’ Kleopatra? Zwei Königinnen in der Perspektive frühaugusteischer Diskurse. Der Vortrag will zeigen, wie frühaugusteische Diskurse für eine Interpretation der karthagischen Königin Dido und der alexandrinischen Königin Kleopatra in der Aeneis fruchtbar gemacht werden können. Dazu wird zuerst die Darstellung der beiden Figuren in der Aeneis untersucht werden. In einem zweiten Schritt soll die Frage beantwortet werden, inwiefern Dido als Typus für Kleopatra fungieren kann, um in einem dritten Schritt den zeitgenössischen Kontext die Schlacht von Actium und die Neugründung Karthagos unter Octavian in die Interpretation mit einzubeziehen. Dabei wird deutlich gemacht werden, dass das häufig bemühte Interpretationsmuster: ‘böse’ Dido ‘böse’ Kleopatra bzw. ‘gute’ Dido ‘gute’ Kleopatra zu sehr vereinfacht und gerade vor dem Hintergrund der Neukonstituierung der römischen Gesellschaft nach den Bürgerkriegen einer Erweiterung bedarf. * Soldo, Janja (München): Gesundheit! Gruß- und Abschiedsformeln in Senecas Briefen. Nicht anders als die meisten Prosabriefe, beginnen auch die Epistulae Morales mit einer standardisierten Anrede, Seneca Lucilio suo salutem, und enden mit dem knappen Abschiedsgruß vale. In Brief 15 wird zudem eine weitere Briefformel explizit diskutiert, die Seneca in seinen Briefen allerdings nicht verwendet: si vales bene est, ego valeo bzw. s.v.b.e., e.v. Die Formel wird als Teil einer veralteten, etwa durch Cicero repräsentierten Brieftradition, gekennzeichnet, von der sich Seneca deutlich abgrenzt. In meinem Vortrag möchte ich ausgehend von Brief 15 zeigen, wie Seneca diese traditionellen Briefformeln und die in ihnen enthaltene Gesundheitsmetaphorik umdeutet und aktualisiert: In den Epistulae Morales wird Gesundheit nicht mehr als körperlicher, sondern als mentaler Zustand und Besserung als ein Bemühen um philosophischen Fortschritt verstanden. Vor allem die Schlussformel vale bzw. das Verb valere erfährt dadurch eine neue, tiefere Bedeutung, da sie nicht mehr bloße Konvention ist, sondern eine substanzielle Botschaft vermittelt. Durch ihre prominente Stellung am Ende des 15. Briefes wird die Formel vale als Schlusspointe und eindringliche Ermahnung an Lucilius eingesetzt, sich um seine moralische ‘Gesundheit’ zu kümmern. Gleichzeitig trifft Seneca mit seiner Neu-Interpretation der Formel eine wichtige metapoetische Aussage, indem er sich als Modernisierer der römischen Briefliteratur präsentiert und den innovativen Charakter seines Briefcorpus unterstreicht. Im Verlauf der folgenden Briefe, unter anderem in ep. 17, 18 und 20, etabliert Seneca sein Verständnis von Gesundheit und seine neue Lesart der Abschiedsformel, die ich ebenfalls in meinen Vortrag einbeziehen möchte. 7 Taschler, Anna (Innsbruck): Eine gattungstheoretische Untersuchung der Nussbaumelegie. Bei dem Gedicht Nux, welches lange Zeit dem Dichter Ovid zugeschrieben wurde, handelt es sich um ein 182 Verse langes Gedicht im elegischen Distichon eines uns unbekannten Autors aus dem 1. Jh. n. Chr. Im Vortrag soll die so genannte Nussbaumelegie zunächst kurz vorgestellt werden, bevor näher auf die Gattungsfrage eingegangen wird. Die dabei erfolgende Analyse soll aufzeigen, dass es sich bei diesem Gedicht nicht um eine Elegie im klassischen Sinn handelt, sondern Merkmale von anderen Gattungen – insbesondere dem Grabepigramm – miteinfließen. Abschließend wird die in der Nux vorliegende Gattungsmischung literaturgeschichtlich eingeordnet. 8
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