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Nordfriesenkönig
Markus Walz
Fantasy
Magiejäger bei der Arbeit
Professor Doktor Doktor Henning Pascal Meyenbläuer
sprang begeistert aus seinem Bus, den er mitten auf der
Straße, gleich links neben der Kirche abgestellt hatte.
Seine Begeisterung schlug um, als er bemerkte, wie warm
es außerhalb seines klimatisierten Fahrzeugs war. Die Luft
an der Nordsee kam meistens mit einer leichten Brise
daher, doch die Luftfeuchtigkeit war viel höher, als er es
gewohnt war. Die drückende Luft würde ihm die Arbeit
erschweren.
Aus dem Heck holte er Absperrband und einige
Edelstahlspieße samt Metallplatten als Halterung dafür.
A m A n f a n g d e r S t r a ß e h at t e e r b e re i t s e i n
Umleitungsschild und zwei Sperrschilder aufgestellt. Ein
Schild mit der Aufschrift »Wissenschaftliche Arbeiten!
Zutritt streng verboten!« würde die Polizei wahrscheinlich
so lange ablenken, bis sie merkte, dass er keine
Genehmigung dafür hatte. Die Zeit sollte für seine
Untersuchungen ausreichen. Sicherheit am Arbeitsplatz
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war ihm wichtig. Besonders wenn er an den Arbeiten
maßgeblich beteiligt war.
Die Straße vor sich sperrte er ebenso ab und kehrte
anschließend zum Bus zurück. Vor der Kirche hatte sich
eine Menschenmenge versammelt, die unterschiedliche
Gesänge anstimmte und Sprüche skandierte. Sie wirkten
irgendwie merkwürdig. Doch für Eindrücke und Gefühle
war in seiner Welt kein Platz. Es ging nur um Fakten,
Zahlen und Messergebnisse. Deswegen suchte er auch die
Koffer mit den Geräten.
In der letzten Stunde hatte er die Magiequelle mit dem
Bus trianguliert und festgestellt, dass sie sich aufgespalten
hatte. Ein Teil war vom Ort des Auftauchens – einem
alten Gebäude mit dem Namen »Scharfrichterhaus« – zur
Stadtkirche gewandert. Die Strahlung am
Scharfrichterhaus war immer noch in ursprünglicher
Stärke vorhanden, doch die neueren aktiven Signaturen
konzentrierten sich um Kirche und Marktplatz herum.
Mit den Instrumenten wollte er nun weitere Messungen
durchführen, um die Quelle einwandfrei festzustellen und
zu ergründen. Dafür benötigte er noch zwei Helfer, denn
es waren drei Koffer, die jeder einen Bediener benötigten.
Bisher hatte er es noch nicht geschafft, die Apparate zu
vernetzen. Sie waren erst drei Wochen alt und er hatte sie
noch nicht einmal richtig testen können. Eigentlich
brauchte man seine Apparate nicht zu testen, denn
schließlich hatte er sie höchstpersönlich gebaut und sie
funktionierten immer. Da sie seinem Geist entsprangen,
mussten sie einfach funktionieren. Eine fiese leise Stimme
in seinem Hinterkopf flüsterte jedes Mal, wenn er diesen
Gedanken hatte, dass es irgendwann einmal in einer sehr
wichtigen Situation dazu kommen würde, dass sich sein
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Hochmut rächte. Doch er ignorierte diese Stimme
geflissentlich, tat sie als Nörgelei seines Verstandes ab.
Jemand mit einem so großartigen Gehirn wie dem seinen,
brauchte sich um solcherlei Nichtigkeiten nicht zu sorgen,
ebenso wenig wie um die Tatsache, dass er noch zwei
Assistenten benötigte. Denn wie immer würden sich zwei
Dumme finden, die für wenig Geld gerne aushalfen. Oft
traf er sogar Fans, die ohne Lohn für ihn arbeiteten. Das
war der Vorteil eines eigenen Youtube-Kanals und seiner
Werbung im Internet.
Frohgemut machte er sich auf den Weg zur Menge, die
vor der Kirche wartete, und schaute sie sich kurz an. Ach
wie toll, freute er sich. Da stand ein dicklicher Junge mit
Aknekratern im Gesicht und einer so blassen Haut, dass
man davon ausgehen konnte, dass er kaum das Tageslicht
außerhalb eines Raumes zu Gesicht bekam. Ein typischer
Geek oder Nerd. Den Unterschied zwischen beiden hatte
er nie wirklich begriffen. Die halfen immer gern, wenn
man die Phrase »im Namen der Wissenschaft« und
»Forschung für das Allgemeinwohl« fallen ließ. Kurz
entschlossen schlich er sich von hinten an. »Junger Mann,
willst du dir die Ehre erweisen und einen weltberühmten
Wissenschaftler bei der Arbeit unterstützen?«
»Heil unserem König, Gesundheit und langes Leben«,
schrie der Junge, drehte sich jedoch nicht um. Henning
zog ihn kurzerhand an den Schultern zu sich herum,
wobei der Junge enormen Widerstand leistete. Seine
Augen leuchteten freudig und auch ein wenig grün. Das
war merkwürdig, weil der Junge eigentlich braune Augen
besaß und das Weiße ebenfalls grünlich schimmerte. Die
Pupillen schlupften immer wieder in Richtung Kirchentür
und dann zurück zu Henning. Er schien ihn jedoch nicht
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wahrzunehmen und schaute durch ihn hindurch. Eine
seltsame Reaktion. Kurz entschlossen zog der Professor
einen kleinen quadratischen Apparat aus seiner
Hosentasche und schaltete ihn ein. Kleine LEDs
leuchteten der Reihe nach auf und ein winziges Display
zeigte ein sich bewegendes Balkendiagramm an. Er
fuchtelte mit dem Gerät vor dem Gesicht des Jungen
herum und führte es dann weiter nach unten bis zu den
Füßen. Das grenzte an eine akrobatische Glanzleistung,
da er sein Gegenüber ständig festhalten musste. Ein Blick
auf die Anzeige ließ ihn die Stirn runzeln. »Faszinierend.
Hätte ich mir denken können.« Als er den Jungen losließ,
schnellte dieser in seine Ausgangsposition zurück. Der
Professor tippte der Frau daneben auf die Schulter.
»Heil unserem König, Gesundheit und langes Leben«,
schrie sie aus Leibeskräften, ohne sich umzudrehen. Sie
ignorierte ihn. Also scannte er ihre Kehrseite. Das
Ergebnis ähnelte dem ersten. In den nächsten Minuten
umrundete er die Menge und stupste wahllos Leute an,
die ihm entweder eine Art Schlachtruf vorsangen oder
einen Spruch aufsagten. Je nach Standort etwas anderes.
Die Werte der Balken auf dem Display waren überall
beinahe identisch. Mit einem Mal bemerkte er einen
Druck in seinem Kopf, der stetig zunahm. Er widmete
ihm seine Aufmerksamkeit und stellte fest, dass etwas
versuchte, in sein Gehirn einzudringen. Es fühlte sich an,
als wolle etwas sein Bewusstsein vom Steuer seines Daseins
lösen und es in eine Ecke schubsen.
»So was, so was«, murmelte Pascal leise vor sich hin.
»Es ist doch schon schlimmer als gedacht.«
Dann steckte er das Gerät wieder weg und nahm
schnell Abstand von der Menge. Der Druck verminderte
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sich. Er sah sich genau um. Auf einer Treppe stand eine
Fotografin und behielt die Tür der Kirche im Auge. Die
würde ihm nicht helfen wollen, zumindest nicht für
schmales Geld. Ansonsten war nicht viel los um den
Marktplatz herum, so schien es. Ein neugieriger Passant,
der ein paar Meter weiter stehen blieb, um die Menge zu
bestaunen, versteifte sich mit einem Mal und stellte sich
direkt zu den Leuten in seiner Nähe. Jetzt sang er
ebenfalls eines der Lieder. Jeder, der dem Kreis der Leute
zu nahe kam, schien sich ihm fasziniert anzuschließen,
stellte der Professor fest.
Seine extrem hohe Intelligenz schützte ihn davor, in den
Bann des Zaubers zu geraten. Außerdem wäre es sinnlos
von seinem Unterbewusstsein gewesen, sich selbst zu einer
wehrlosen Puppe zu degradieren. Das hätte für die
Entwicklung seiner Lebensgeschichte keinen Sinn
ergeben. Noch dazu brauchte es schon sehr viel mehr, um
ihn aus der geistigen Mitte zu schubsen, dank der
indischen und chinesischen Mönche, bei denen er seit
geraumer Zeit Unterricht in verschiedenen Disziplinen
der geistigen Festigung nahm. Die transzendenten
Meditationsformen waren dabei nur der Einstieg gewesen.
Dafür hatte er sie extra mit einem Laptop samt
Satelliteninternet ausgerüstet. Das Ganze hatte er
natürlich aus seinem Studienbudget abgezweigt. Es
wunderte ihn bereits seit Längerem, dass die Universität
dieses Experiment noch nicht hinterfragt hatte. Doch
solange er die beiden Lehrer regelmäßig mit Süßigkeiten
und Antipasti versorgte, würden sie ihn weiter
unterrichten.
Er hielt inne. Eine Familie näherte sich der
Menschenmenge. Sie hatten sich kurz zuvor beim
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italienischen Eiscafé mit Eiskugeln versorgt. Jetzt konnte
er tatsächlich beobachten, wie die Transformation vor sich
ging. Zuerst blieben sie stocksteif stehen. Sie schleckten
noch ihr Eis, schauten aber gebannt in Richtung Kirche.
Schon nach einigen Sekunden ließen sie die Waffeln
fallen. Binnen kürzester Zeit begannen sie ebenfalls im
gleichen Rhythmus zu klatschen und dieselbe Melodie zu
singen wie die Umstehenden. Sie waren assimiliert
worden. Sie hatten sich nicht aus freiem Willen der Horde
angepasst, so viel stand fest. Vor seinem geistigen Auge
zog der Professor den Hut vor sich selbst. Dieses Setting
hatte sich sein Unterbewusstsein prima ausgedacht. Das
würde offensichtlich noch sehr spannend und eine
Herausforderung werden, an der er wachsen konnte.
Als er seinen Blick weiter schweifen ließ, sah er ein
ungewöhnliches Pärchen. Ein ganz in Schwarz gekleideter
dicker Mann und eine farbenfroh angezogene kleine Frau,
die eine regenbogenfarbene Wollmütze trug und damit
der mittäglichen Hitze trotzte. Diese beiden sahen
hinreichend alternativ aus, als dass sie ihm vielleicht
helfen würden. Betont gelassen schlenderte er auf sie zu
und gab ihnen durch seinen Blick schon von weitem zu
verstehen, dass er mit ihnen in Kontakt treten wollte.
»Guten Tag, mein Name ist Professor Doktor Doktor
Meyenbläuer«, begrüßte er sie aus ein paar Metern
Entfernung und streckte seine Hand aus. Der schwarze
Mann schaute ihn und seine Hand nur skeptisch an. Er
machte keine Anstalten, sie zu ergreifen.
»Moin auch«, erwiderte hingegen die bunte Frau,
ergriff seine Hand und schüttelte mit festem Händedruck.
»Moin«, sagte der Mann mit dem Testament-Shirt
darauf zögerlich. Wieso trug jemand Kleidungsstücke mit seinem
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letzten Willen herum?, fragte sich Henning.
»Darf ich euch fragen, ob ihr Lust habt, euch eine
Kleinigkeit zu verdienen? Es ist ganz einfache Arbeit. Ich
benötige Assistenten für meine Messungen. Derzeit führe
ich ein sehr ausgefallenes Experiment mit neuer
Apparatur durch, die leider noch nicht automatisiert und
vernetzt arbeitet«, erklärte er den beiden, die ihm sehr
einfältig vorkamen. Allerdings dachte er das von den
meisten Menschen, die er traf. Es sei denn er wusste, dass
sie wissenschaftliche Größen mit Veröffentlichungen
waren, die ihn interessierten.
»Was für ein Experiment?«, hakte der Dicke nach.
Kurz überlegte Henning, ob er sie belügen und ihnen
eine Geschichte von soziodemografischen Messungen
auftischen sollte, doch er entschied sich dagegen.
Stattdessen zog er zwei Visitenkarten aus seinem
Portemonnaie.
»Magiejäger?«, fragte die bunte Frau, nachdem sie die
Karte überflogen hatte. »Was bedeutet das? Sind sie so
etwas wie die Ghostbusters?«
»Wow!«, entfuhr Thore ein überraschter Ausruf. »Sie
sind der Professor Meyenbläuer? Von den Magiejägern?«
»Ah, ein Fan!?«, stellte der Professor halb fragend fest.
»Ich schaue Ihre Sendungen auf Youtube seit der
allerersten Folge«, behauptete Thore voller Inbrunst.
»Sehr schön«, antwortete der Wissenschaftler schnell
und völlig unbeeindruckt, da er diese Art Antwort
gewohnt war, und wandte sich Maren zu. »Ghostbusters
stimmt nicht ganz, werte Dame. Anstatt in schleimiger
Pseudomaterie herumzuwaten und Geister mit
unmöglichen Apparaturen zu erschießen, gehe ich – ich
meine gehen wir – magischen Phänomenen auf den
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Grund. Alles rein wissenschaftlich natürlich. Ich messe,
prüfe, werte aus und komme zu absolut logischen
Ergebnissen. Also alles genau anders herum wie bei diesen
Filmkretins. Und ich meinte natürlich wir – meine
Assistenten helfen normalerweise auch ein wenig.«
»Hm, die Ghostbusters laufen in den Filmen auch
immer mit Apparaturen durch die Gegend und messen
Dinge«, gab Maren zu bedenken.
»Ich hab dir doch mal ein Video von den Magiejägern
gezeigt. Weißt du nicht mehr? Das, wo sie die haitianische
Voodoo-Königin jagen, die eine Zombiarmee erschaffen
will?«
»Ich erinnere mich dunkel daran. Das ist aber schon
lange her. Was für ein Experiment war es doch gleich und
wo sind denn ihre Assistenten?«
»Die halten in Russland einen uralten Magier davon ab,
einen Klon des Präsidenten zu erschaffen, der die Welt ins
Verderben reißen soll«, log Pascal schamlos.
»Einen noch schlimmeren Präsidenten, als den
aktuellen?«, fragte Thore nach.
Henning Pascal ignorierte ihn. »Zum Experiment: Ich
will diese Kirche vermessen. Hier geschieht irgendetwas
Übernatürliches. Haben Sie bemerkt, wie seltsam sich die
Leute aufführen? Gehen Sie bitte nicht zu nah heran.
Jeder, der sich nähert, wird in den Bann gezogen, mit dem
die anderen belegt sind.«
»Mein Name ist übrigens Thore Kolchewski und das ist
Maren Andresen. Ich wollte ihr gerade zeigen, was ich
vorhin erlebt habe. Die Leute gucken alle ganz komisch
und sagen oder singen immer dasselbe. Wenn man sie
anspricht oder anstößt, reagieren sie gar nicht«, erklärte
er. Dann ergriff und schüttelte der Hamburger Metaller
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dem Wissenschaftler nun doch die Hand, obwohl er sie
ihm gar nicht mehr hingehalten hatte.
»Sie waren so nahe an den Leuten und sind selbst nicht
in den Bann geraten?«, fragte Henning sehr erstaunt.
Thore machte ein nachdenkliches Gesicht und
räusperte sich dann. »Vielleicht stand ich ein wenig unter
dem Einfluss von Alkohol und Schmerzmitteln.«
Der Professor zog die linke Augenbraue hoch und sah
sein Gegenüber fragend an.
»Eine lange Geschichte, die ich nicht so gern hier und
jetzt erzählen würde«, fügte Thore deswegen hinzu.
»Dann halten wir also Widerstand durch Geistkontrolle
und Drogeneinfluss als Kontermittel fest, wobei letztere
Möglichkeit eher fragwürdig, dafür aber kurzfristig
anwendbar ist«, schloss Henning Pascal und diesmal zog
Thore die linke Augenbraue hoch.
»Wie sollen wir denn helfen?«, fragte Maren neugierig.
»Wir haben keine wissenschaftliche Ausbildung, müssen
Sie wissen.«
»Das macht nichts, Sie benötigen auch keine. Sie
müssen lediglich einen Koffer durch die Gegend tragen
und darauf achten, welche Ergebnisse das Gerät anzeigt«,
erläuterte Henning Pascal seine Erwartungen. »Wenn
etwas Ungewöhnliches passiert, dann können Sie mit mir
über Funk Kontakt aufnehmen. Die Funkgeräte sind in
meinem Bus.«
»Wie wird ein so junger Kerl wie du eigentlich Professor
und zweimal Doktor?«, fragte Thore und beging den
Affront, ihn zu duzen. »Du bist mindestens zehn Jahre
jünger als ich, da darf ich dich doch duzen, oder?«
Wenn es nach Alter geht und nicht nach Qualifikation schon,
dachte Henning bei sich und beschloss, kein weiteres
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Aufhebens davon zu machen. Er grinste breit, als wäre er
vorbehaltlos einverstanden. Schließlich wollte er etwas von
den beiden, da sollte er sie nicht brüskieren.
»Gut, duzen wir uns, Vornamen sind ja schon bekannt.
Sagen wir, ich bin das intelligenteste Lebewesen auf
diesem Planeten und wahrscheinlich in dieser Galaxie.
Deshalb habe ich mehrere Fächer gleichzeitig studiert.
Die Doktorarbeiten habe ich parallel drei wunderschönen
Frauen diktiert. Eine blond, eine rothaarig und eine
brünett. Zauberhafte Wesen. Ich nannte sie meine Engel.«
Henning dachte voller Wehmut an die Zeit, als die drei
Grazien im Bikini am heimischen Pool gesessen hatten
und er auf seiner Luftmatratze darin herumgepaddelt
war. Da war er 13 gewesen, weshalb sich seine Eltern
fälschlicherweise keine Sorgen um sexuelle Übergriffe
gemacht hatten. Er hatte herausgefunden, dass Frauen
tatsächlich auf Intelligenz standen.
»Dank meiner fachlich überragenden Leistungen habe
ich auch recht schnell eine Professur bekommen. Der
Lehrstuhl dafür wurde an der Universität extra
gegründet.« Hier entschloss er sich, den Umstand zu
unterschlagen, dass sein Vater ihn gestiftet hatte, um
Henning Pascal zum Auszug aus dem Hannoveraner
Elternhaus zu animieren. Wie anders hätte er sich
erklären sollen, dass ausgerechnet die Universität Köln
diesen Lehrstuhl einrichtete. Er hatte dabei noch Glück
gehabt. In einem bierseligen Moment während einer
Familienfeier hatte sein Vater angedeutet, er habe auch
mit der Universität Chemnitz in Verhandlung gestanden.
Was für ein Desaster wäre das geworden! Chemnitz! Am
Ende der Welt!
»Krass. Ich hab nur Wirtschaftsinformatik studiert.
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Aber das hat mir auch schon gereicht. An der
Fachhochschule.«
»Ah ja, ein FH-ler«, sagte der Professor abwertend. Das
rief wieder das Augenbrauenzucken bei seinem
Gegenüber hervor. Da er bemerkte, wie unerfreut der
Hamburger seine Worte aufnahm, steuerte er schnell
gegen. »Ich finde es toll, dass es die FH-Studiengänge
gibt, ihr FH-ler seid so praktisch veranlagt. Die
Universitätsabsolventen der IT-Fächer können oft nur gut
reden.« Hoffentlich hatte er seinen künftigen Gehilfen
nicht erzürnt.
»Genau so sehe ich das auch«, sagte Thore und lächelte
wieder. »Wir Praktiker machen doch die ganze Arbeit,
während die Univögel nur drum herum reden und
Programmstrukturen oder konzeptionelle Systeme
entwickeln. Wenn wir etwas anfassen, dann funktioniert
das nachher wenigstens.«
Da hatte Henning aber nochmal Glück gehabt. Knapp
an der Katastrophe vorbei geschrammt. Er sollte lieber
vorsichtig sein mit den beiden. Anscheinend waren sie
nicht ganz so einfältig, wie er zuerst angenommen hatte.
»Kommt doch bitte mit zum Bus.«
»Wie sieht es mit der Bezahlung aus? Und eigentlich
haben wir gar keine Zeit dafür. Wir müssen einige Dinge
erledigen«, sagte Maren und schaute Thore drängend an.
»Wie lange wird es denn dauern, Prof ?«
»Wahrscheinlich zehn bis zwanzig Minuten. Dafür
kann ich euch zwanzig Euro anbieten.«
»Pro Nase?«, hakte das Hippiemädchen nach.
»Ja, selbstverständlich. Ein ziemlich guter Stundenlohn,
nicht wahr?«, meinte Henning Pascal setzte sein
gewinnendstes Lächeln auf.
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»Bis dahin sollte sich nicht viel tun, Maren. So viel Zeit
haben wir.«
Das Mädchen erhob keine weiteren Einwände, also
führte Henning Pascal sie zum Bus und drückte jedem
einen silbernen Aluminiumkoffer in die Hand. Auf der
Oberseite war ein kleines Display eingelassen.
Thore tippte zunächst auf dem winzigen Monitor
herum, in der Annahme, es sei ein Touchscreen. Als das
nicht funktionierte und er die Schnappschlösser gerade
öffnen wollte, rief der Wissenschaftler laut: »Nein! Nicht
aufmachen! Einfach den Knopf hier zum Einschalten
drücken!« Er deutete auf einen kleinen blauen Knopf in
der Mitte des Handgriffs. »Und die Seite mit der
perforierten Fläche in Richtung der Menschenmenge und
der Kirche halten. Dann umrundet ihr den Platz und die
besagte Kirche einmal jeweils in einem Drittelbogen.
Schaut einfach, was ich tue. Beziehungsweise, wohin der
andere geht, den ihr sehen könnt. Wartet, ich hab mir
gerade überlegt, dass ich Euch durch das Funkgerät
durchsage, wie ihr gehen sollt. Wenn auf diesem Display
hier oben ein kräftiger Ausschlag erscheint, dann gebt mir
bitte sofort Bescheid.«
Als er den Einschaltknopf berührte, erschien auf dem
Display eine Nulllinie. Nach einer Sekunde begann die
Linie, nach oben und unten auszuschlagen, wie bei einem
Oszilloskop. Ungleichmäßige Kurven flackerten über das
Display. Der Professor erklärte seinen Helfern nun noch
die Bedienung des Funkgeräts, dann schickte er sie zu
ihren Startpositionen, wo sie die Koffer aktivieren sollten.
In den folgenden Minuten dirigierte sie der
Wissenschaftler einmal um die gesamte Kirche herum.
Die Ausschläge, die aus der Reihe tanzten, meldeten sie
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ihm. Danach trafen sie ihn beim Bus wieder und er
verband nacheinander alle drei Apparate per Kabel mit
dem im Bus montierten Rechner.
»Vielen Dank für eure Hilfe, ich glaube, das Ergebnis
wird sehr interessant. Wenn ich noch einmal Hilfe
benötigen sollte, kann ich mich dann wieder an euch
wenden?«, fragte er und zog zwei Zwanziger aus seinem
Geldbeutel, die er Thore übergab.
»Gerne doch«, antwortete Thore schnell und reichte
das Geld an Maren weiter. Daraufhin nickte Maren, sah
jedoch nicht so begeistert aus.
»Dann können wir ja die Handynummern tauschen«,
schlug Henning Pascal vor. Alle drei zückten ihre
Mobiltelefone und kamen dem Vorschlag nach.
Gerade als sie damit fertig waren, erklang das Johlen
der Menge lauter als zuvor. Die drei schauten sich kurz
fragend an. »Schnappt euch die Koffer!«, schrie der
Professor noch, bevor die beiden anderen einfach so
losspurten konnten. »Einfach draufhalten. Vielleicht
verteilt ihr euch noch ein bisschen.« Ohne auf die Kabel
zu achten riss er nacheinander an den Koffern und gab sie
ihnen. Den letzten schnappte er selbst und stürmte quer
über den Marktplatz an der Menge vorbei.
Die Rufe und der Singsang wurden zu einer lauten
Kakofonie. Die Chöre synchronisierten sich, bis sie alle
den gleichen Jubelruf ausstießen. Wie ein Orchester, das
zuerst eingestimmt wurde und dann plötzlich begann,
eine Symphonie zu spielen. »Lang lebe unser König!«,
schallte es aus allen Kehlen unisono. Nach einem kurzen
Moment wurde die Doppeltür zur Kirche geöffnet. Zuerst
kamen Trompeter heraus und stießen eine Fanfare aus.
Sie postierten sich seitlich neben der Tür und bliesen, was
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Nordfriesenkönig
das Zeug hielt. Ihnen folgte eine Garde von
Stadtverordneten, die ein Spalier bildeten, Konfetti und
Rosenblütenblätter werfend. Anschließend setzten die
Kirchenglocken mit ihrem Geläut ein und machten das
Klangchaos perfekt.
Dann endlich trat der Bürgermeister heraus und ließ
sich von den Anwesenden bewundern. Über dem
schwarzen Businessanzug trug er einen echt aussehenden
Nerzmantel und auf dem Kopf eine goldglänzende und
mit riesigen Glitzersteinen besetzte Krone. Wenn es sich
um echte Diamanten handelte, musste die englische
Queen mit ihren Insignien vor Scham im Boden
versinken. Mit seinem Victor-Emanuel-Bart und der
schwarz gerahmten Nerdbrille sah der kleine Wicht aus
wie eine überzeichnete Karnevalsfigur. Stolzierend wie ein
Pfau mit einem Haifischlächeln im Gesicht winkte er
seinen Untertanen huldvoll zu. Der echte Auftritt eines
echten Königs konnte man fast schon meinen, wusste man
es nicht besser. Die gebannten Zuschauer wussten es
natürlich nicht besser und der Jubel erhob sich immer
weiter in beinahe orgiastische Ausmaße, konnte allerdings
die Trompeter nicht übertönen, die wiederum nicht lauter
spielen konnten, als die Glocken läuteten.
Der Professor, der Metaller und das Hippiemädchen
verfolgten die Szene mit baffem Erstaunen und die ein
wenig abseitsstehende Fotografin schoss ein Foto nach
dem anderen.
»Was für ein kleines, hässliches Hutzelmännchen. Einen
König hab ich mir immer größer vorgestellt«, entfuhr es
Maren.
Die Untertanen bildeten eine breite Gasse über den
Marktplatz. Voran die Bläser, gefolgt vom neuen König
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Markus Walz
und seinem Hofstaat zog der Tross von Leuten dort
hindurch und bog in die Krämerstraße ein. Die Bürger
reihten sich ordentlich in die Parade ein. Es wirkte wie
eine monatelang einstudierte Show. Viel zu perfekt
koordiniert. Maren, Thore und Henning Pascal hielten
einen Sicherheitsabstand und folgten dem Zug.
Henning beobachtete, dass jeder einzelne Passant und
auch viele der Kunden in den angrenzenden Läden sich
dem Zug anschlossen und in die Lobpreisung des
Herrschers einfielen. Vor dem Rathaus stellten sich die
Menschen in Reihen auf. Wie die Sandkörner in einem
Stundenglas, fädelten sich die Leute durch die
Eingangstüren, geordnet und einer nach dem anderen.
Die Kontrolle schien allumfassend zu sein – der eigene
Wille der Menschen komplett ausgeschaltet.
»Die Menge der thaumischen Energie ist wohl
gestiegen, seitdem der Bürgermeister«, er hielt kurz inne
und verbesserte sich dann, »König die Kirche verlassen
hat. Anscheinend konzentriert er eine magische Aura um
sich herum. Aber mit Sicherheit kann ich das erst sagen,
wenn die Daten ausgewertet sind. Könntet ihr mir bitte
noch die Koffer wieder in den Bus bringen? Danke, sehr
liebenswürdig von euch.« Mit diesen Worten machte er
kehrt und trabte los, ohne sich weiter um seine Assistenten
zu kümmern.
Thore zuckte auf Marens fragenden Blick hin nur mit den
Schultern. Nachdem er ihr den Koffer abgenommen
hatte, schlenderten sie langsam zurück zum Bus des
Professors.
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Nordfriesenkönig
»Ganz schön schräger Typ«, sagte Thore.
»Wer? Der Magieprofessor oder der neue König?«
»Beide. Meinst du, die Krone ist echt und die
Diamanten auch?«
»Eigentlich hoffe ich, dass der Mantel nicht echt ist.
Sah aus wie Hermelin. Die armen Tierchen«, sagte
Maren und sah bestürzt drein.
»Wie kommt man so schnell an solche Sachen? Meinst
du, das war alles schon länger vorbereitet? Oder hat man
so etwas als Bürgermeister irgendwo privat herumliegen?
Vielleicht ein Fetisch? Größenwahn?«
»So einen Mantel habe ich in Husum in all den Jahren
noch nie gesehen. Selbst wenn die Krone unecht sein
sollte, muss sie irgendwo gekauft worden sein. Ich schätze
mal, Hamburg wäre ein guter Ort, um so etwas zu
erstehen, was meinst du?«
Thore nickte. »Also ist er nicht heute Morgen einfach
so ausgetickt, als er aufgestanden ist, und hat beschlossen,
König von Nordfriesland zu werden? Es sei denn, es ist
wirklich Magie im Spiel.«
»Du glaubst doch nicht an den Quatsch, den der Typ
uns da erzählt? Magie gibt es nicht, basta. Es existieren
nicht einmal ansatzweise wissenschaftliche Beweise für die
Existenz einer Kraft, mit deren Hilfe man seine Umwelt
mit bloßer Gedankenkraft manipulieren kann. Und diese
ganzen mittelalterlichen Hirngespinste und den
Aberglauben wirst du doch nicht ernst nehmen?«
»Ich schaue regelmäßig seine Show, da hat er schon hin
und wieder einmal ein paar unerklärliche Phänomene
präsentiert.«
»Das sind doch alles Effekthascherei und Spezialeffekte.
Du weißt doch, wie Fernsehen funktioniert.«
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Markus Walz
»Ja, schon.« Thore erinnerte sich an etwa dreißig
Folgen, die er geschaut hatte. Wie in typisch
amerikanischen Dokumentationen hatte der Professor mit
seinen Assistenten übernatürliche Phänomene erforscht
und war zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen.
Allerdings hatte Maren Recht. Die Show war wirklich
sehr auf Effekte ausgelegt.
»Thore! Normalerweise bist du doch derjenige, der mir
stundenlange Vorträge über wissenschaftliche
Erkenntnisse hält. Was ist denn plötzlich mit dir los? Hat
dich der Professor jetzt gehirngewaschen oder was?«
»Ach, Quatsch mit Soße. Klar glaube ich nicht an
Magie. Nur ... die Erlebnisse, die ich heute hatte, erklären
sich entweder durch Magie oder …« Er schluckte. Musste
er an seinem Verstand zweifeln? War er auf dem Weg
durchzudrehen? Er hatte in letzter Zeit viel Stress gehabt.
Vielleicht rächte sich sein Gehirn jetzt dafür.
»Oder durch Alkohol und Schmerzstiller«, vollendete
Maren seinen Satz. »Bestimmt hat der Bürgermeister
irgendwo Massenhypnose gelernt und wendet die
Kenntnisse jetzt an.«
Der Marktplatz war immer noch beinahe
menschenleer. Nur ein paar Leute, die von dem ganzen
Trubel nichts mitbekommen hatten, trieben sich dort
seelenruhig herum.
»Maren, du kennst mich doch, ich bin ein aufgeklärter
Mensch und glaube nicht an Hokuspokus. Aber
mittlerweile kann ich mir die Vorkommnisse von gestern
Nacht und heute nicht mehr anders erklären.
Beschwörungen, bei denen Jungfrauen geopfert werden.
Der Sektenführer, der nach dem Ritual in Raserei verfällt
und alles niedermetzelt, was sich ihm in den Weg stellt.
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Nordfriesenkönig
Die sprechende Möwe und das Einhorn. Ich meine, das
könnten auch Halluzinationen gewesen sein, aber ich
glaube es nicht. Dafür fühlte es sich zu real an. Die
Menschen, die sich so eigenartig verhalten haben. Das ist
einfach zu viel für Zufälle. Irgendetwas sehr Seltsames
geht hier vor sich.«
Maren schwieg nachdenklich.
Als sie am Bus ankamen, stand die Seitentür
sperrangelweit offen und der Professor hockte tief gebeugt
über einem Bildschirm, auf dem viele Fenster mit
Kurvendiagrammen und vertikal aufsteigenden
Zahlenreihen zu sehen waren. Zufrieden nickend studierte
er die Ausgabe und hackte immer wieder auf der Tastatur
herum.
»Stellt sie einfach hier drinnen neben die Tür«, wies er
die beiden an. Anscheinend war er doch aufmerksamer,
als sie gedacht hatten. Sie folgten seiner Aufforderung und
verabschiedeten sich dann. Henning wies nochmals
darauf hin, dass er sich wegen neuer Entwicklungen oder
falls er wieder Hilfe benötigte, bei ihnen melden würde.
»Und nun?«, fragte Maren.
»Wie wär‘s, wenn wir uns an den Hafen setzen und
abwarten, was passiert?«, schlug Thore vor.
»Können wir dann bitte noch mal reden?«, fragte sie
und schaute ihn eindringlich an, eine Träne rann ihre
rechte Wange hinunter. Sie wischte sie eilig weg.
»Ich brauche auch dringend was Ordentliches zu
essen«, stellte Thore fest und hielt sich mit beiden Händen
den dicken Bauch.
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