Eine Kreuzfahrt für die Ohren

Himmel und Erde
Montag bis Freitag, 9.15 Uhr (NDR 1 Niedersachsen)
27. Juni bis 1. Juli 2016 - Eine Kreuzfahrt für die Ohren
Von Manfred Büsing, Diakon aus Hannover
„Nimm mich mit Kapitän auf die Reise.“ Dieser alte Schlager hat in Manfred Büsing,
Tango tanzender Diakon aus Hannover, die Sehnsucht nach Meer und Weite geweckt. Und dann ist er an Bord gegangen. Eine See- und eine spirituelle Reise. Davon erzählt er in seiner Andachtsreihe.
Redaktion: Oliver Vorwald
Evangelische Kirche im NDR
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Montag 27. Juni 2016: Brauche ich an Bord eigentlich einen Smoking?
Langsam werde ich doch etwas nervös. Brauche ich an Bord eigentlich einen Smoking?
Trägt man Krawatte oder doch Fliege? Ob ich wohl seekrank werde? Schon ein aufregendes
Erlebnis, eine Kreuzfahrt zu buchen. Nicht gerade preiswert diese paar Tage an Bord des
Luxusliners einer englischen Reederei. Und wenn es ein Flop wird? Wenn ich mich langweile
oder gar blamiere? Früher abreisen und von Bord gehen ist dann ja nicht.
Bei einer Rundfahrt im Hamburger Hafen habe ich sie das erste Mal gesehen. Ich in der kleinen Barkasse - vor mir das majestätische Kreuzfahrtschiff. Länger als zwei Fußballfelder,
haushoch. Drei Schornsteine, der Rumpf in Dunkelblau und Rot gestrichen. Und plötzlich ist
eine Sehnsucht da. Nach Weite, Wind und Wellen. Einmal damit fahren. Leinen los, sicheres
Alltagsland verlassen. Seeluft atmen. Zwischen Himmel und Wasser - Sein. Erwacht da ein
alter Wunschtraum in mir, jetzt, kurz vor dem Ruhestand?
Nun stehe ich vor meinem Koffer, packe meine Sachen. Jetzt ist der Moment. Wer weiß,
wann der Ruhestand kommt und ob es dann überhaupt noch geht? Nichts auf die lange
Bank schieben. Sich einen Wunsch erfüllen - genießen - auch das Leben. Ich höre schon
einige Kollegen sagen: Wie kann man nur? Ist das denn ökologisch vertretbar? Das Geld
kann man auch sinnvoller einsetzen. In der Bibel lese ich davon, dass man auf andere achten soll, aber auch auf sich selbst. Da ist von guter Speise die Rede, Brot und Wein. Daran
darf sich „des Menschen Herz erfreuen und stärken“. Öl soll das Antlitz schön machen. Diese alten Worte aus Psalm 104 nehme ich mir zu Herzen.
In zwei Wochen geht es los. Hamburg - Oslo - Hamburg. Meine erste Kreuzfahrt - erst mal
nur fünf Tage. Wie ist das nun mit dem Smoking, brauche ich den an Bord? Und einen Adapter für den Fön? Und gibt es eine Bibel auf dem Nachttisch? Wahrscheinlich wird alles vorhanden sein. Genauso Brot, Wein, Öl. Meine alte Samtfliege werde ich auch noch finden.
Und dann geht es los. Endlich. Meine Seele ist schon voraus an Bord und freut sich und
singt und dankt. Wenn ich bloß nicht seekrank werde.
Dienstag 28. Juni 2016: Ökumene in der Schublade
Heute geht sie los, meine erste Kreuzfahrt. Der Bus bringt mich vom Hamburger Bahnhof in
die Hafen-City. Noch eine Kurve - und dann liegt sie da. Wie eine Grand Dame, eine Diva.
Eine Queen, eingehüllt in den alten Marienfarben Dunkelblau und Herzensrot. Ein bisschen
ehrfüchtig schreite ich in Ihre Richtung. Doch bevor ich an Bord darf, heißt es erst einmal
Warten. Eine endlos lange Menschenschlange steht vor den Schaltern. Ich bin nicht alleine
hier. Es dürften wohl ein- oder zweitausend Passagiere sein. Dürfte voll werden, hoffentlich
nicht zu voll. Vor meinen Augen sehe ich die Arche Noah, etliche Tierpaare unter Deck, die
Titanic und ihre vielen armen Seelen. Hoffentlich geht Gott mit an Bord und hat einen schützenden Blick auf uns alle hier.
Noch in meinen Gedanken werde ich in der Reihe sanft weitergeschoben: Sicherheitskontrollen, Gepäckannahme, Registrierung und Kabinenzuteilung. Freundliche Menschen begleiten
mich durch dieses Wirrwarr. Wahrscheinlich ist es einfacher in den Himmel hineinzukommen. Endlich geschafft. Ich bekomme die Bordkarte. Mein Gegenüber, ein Mitarbeiter der
englischen Reederei sagt am Ende „God bless you“. Mit dieser Zusage gehe ich an Bord.
Finde in dem Gänge-Labyrinth nach einiger Zeit sogar meine Kabine. Mein Koffer steht
schon da. Ich betrete ein kleines Paradies, mein Himmelreich auf Wasser.
Und was es hier an Bord alles gibt - einen Smokingverleih, die englischen Steckdosen für
meine Adapter, Hinweise, wann Krawatte oder Fliege dran ist und tatsächlich: auch eine Bibel und gleich noch weitere heilige Bücher aller Weltreligionen. Eine große Ökumene in der
kleinen Nachttischschublade. Da hat sich jemand echt was dabei gedacht. Ich schlage meinen Reisetext, den Psalm 104 auf: „Da ist das Meer, das so groß und weit ist. Dort ziehen
Schiffe dahin. Da sind große Fische, die du gemacht hast, damit zu spielen." Da hat sich
einer echt was dabei gedacht.
Mein dankbares Staunen wird durch das Typhon unterbrochen. Drei lange Töne kommen
aus dem Signalhorn. Sie klingen tief und eindringlich. Leinen los, wir legen ab. Ich packe die
Bibel schnell in die ökumenische Schublade zurück und bin beruhigt. God bless you, Gott ist
mit an Bord und an Land und ganz in seinen Elementen. Er wird das schon schaukeln. Wenn
ich bloß nicht seekrank werde.
Mittwoch, 29. Juni 2016: Eine riesige Schwimmkirche ...
Von Seekrankheit noch keine Spur. Und einen Smoking brauche ich für die Fünf-TageKreuzfahrt zwischen Hamburg und Oslo anscheinend nicht. Anzug genügt. Zur Sicherheit
habe ich dennoch meine Fliege dabei. So kann ich mich entspannt dem Bordleben hingeben.
Heute ist ein erster voller Seetag. Mit gut 20 Knoten gleiten wir über die Ostsee geruhsam
dahin. Wasser, soweit das Auge reicht. Dankbar nehme ich die Verlangsamung an – genieße die Entschleunigung. Endlich mal kein Flugzeug, Auto oder Hochgeschwindigkeitszug.
Und es ist auch ein Seh-Tag. Nämlich Sehen und Gesehen werden. Und da ist so vieles,
was an Bord entdeckt werden will. Very british geht es hier zu: Mit Line Dance und Fünf-UhrTee. Mit Bridge und Bingo, mit Lamm und Mintsoße. Manches wirkt auf mich etwas skurril
oder befremdlich, anderes rührt mich an und lässt mich staunen. Die Reisenden, die dem
Schiffspersonal gegenüber sehr wertschätzend und achtsam sind. Insgesamt eine unaufdringliche Höflichkeit, alle sind irgendwie achtsam. Viele ältere Menschen mit körperlichen
Einschränkungen sind an Bord. Niemand rümpft deswegen die Nase. Die langen Gänge,
unzählige Fahrstühle, Parkplätze für Rollatoren.
Zwischendurch denke ich mal: Ja, wenn es so im Himmel wäre - dann wäre ich gern dort.
Zumindest ist es schon mal ein kleiner Vorgeschmack. Die einzelnen Konfessionen und Religionsgemeinschaften sind auch an Bord vertreten. Mit Andachten und Gottesdiensten.
Friedlich sind die Angebote nebeneinander in getrennten Räumen - aber immer mit offenen
Türen. Eine katholische Frühmesse, eine anglikanische Mittagsandacht, ein Raum für das
muslimische Gebet. Später dann die jüdische Feier zum Sabbat. Ich lausche Worten aus
dem 104. Psalm: Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus, wie einen
Teppich. Du baust deine Gemächer über den Wassern. Schöne Bilder tauchen in mir auf eine große schwimmende Kirche - mit vielen Räumen - Offenheit - Toleranz - genug Platz für
Alle und Alles, Schiffbrüchige werden aufgenommen, niemand muss über Bord gehen.
Nachdenklich setze ich mich an den Tisch zum Abendessen. Um uns glattes Meer und ein
kitschig-schöner Sonnenuntergang - Seekrankheit ist nicht. Zu schön, um wahr zu sein? In
jedem Fall die richtige Richtung, der Kurs stimmt.
Donnerstag 30. Juni 2016: Fjorde und kalter Tee
Es geht auf Oslo zu. Ein zarter Schleier aus Nebel liegt auf Wellen und Felsen. Ein leichtes
Zittern fährt durch das Kreuzfahrtschiff. Der Kapitän verringert nochmals hat die Geschwindigkeit. Es ist noch sehr früh am Morgen. Wir haben die norwegische Schärenlandschaft
erreicht. Fahren nun ganz sanft durch die Fjorde auf Oslo zu. Wer wollte, konnte sich noch
vor dem Morgengrauen wecken lassen, um dieses Schauspiel nicht zu verpassen. Jetzt
braucht es keinen Smoking - kein Glas Champagner - keine englische Konversation. Ich sitze auf meinem kleinen Balkon vor der Kabine, noch im Schlafanzug. Eingehüllt in zwei Decken mit einem Glas heißen Tee. Es ist ganz still - man hört nicht mal die Schiffsmotoren.
Die Bordkapelle schläft auch noch. Gut so. Mir scheint es, als ob sich die Technik ganz unspektakulär mit der Natur verbindet.
Kurz meldet sich die kritische Stimme in mir, wegen Schadstoffausstoß und so. Da müssen
die echt noch dran arbeiten. Dann tauche ich wieder in die Natur ein. Aus meiner Angst vor
Seekrankheit ist längst ein Genuss der Seegesundheit geworden. Hier scheint es sich zu
runden. Die See - das Schiff - die Landschaft. Ich suche meine Brille und finde Worte aus
meinem Begleitpsalm 104: Herr, wir sind deine Werke so groß und viel. Du hast sie alle weise geordnet und die Erde ist voll deiner Güter.
Irgendwie grad ein heiliger Augenblick. Jetzt mal schnell ein Selfie. Smartphone suchen. Ich
finde es nicht – Gottseidank. Ich schaue einfach nur - bin still - ein Teil des Ganzen. Wie lange sitze ich nun schon so da? Beine und Arme kühl, beinahe taub. Mit einem Mal fließt ein
Wärmestrom durch meinen Körper. Vor mir taucht die Stadtsilhouette von Oslo auf. Das
Rathaus, die Oper. Jetzt ist aber gut. Ich ziehe mich an und gehe frühstücken. Heißer Kaffee, der tut gut. Es gibt zig Sorten Brot, Marmeladen, Eierspeisen und Müslisorten. Heute
Morgen merke ich: Und wenn es noch x-mal mehr von allem gäbe - das ist nichts gegen
mein Erleben heute Morgen ganz früh auf meinem kleinen Balkon vor der Kabine. Ein großes, buntes, schräges Szenario ist diese Kreuzfahrt - und ich gewöhne mich langsam daran.
Ein Schauspiel, eine Inszenierung mit Kostümen, festen Rollen und Texten, verschiedenen
Kulissen. Mir macht es zunehmend Spaß und meiner Seele tut es gut.
Freitag 1. Juli 2016: Nimm mich mit Kapitän auf die Reise
Möwen schreien, ein frischer Wind fegt über Deck, die Küste von Dänemark kommt in Sichtweite. Morgen geht meine Kreuzfahrt zu Ende, fünf Tage waren es. Von Hamburg nach Oslo
und von Oslo zurück nach Hamburg. Morgen früh bin ich wieder daheim. Dann habe ich wieder festen Boden unter den Füßen. Heute genieße ich den letzten vollen Tag auf See. Und
dabei geht es hoch hinauf. Mit einem der vielen Fahrstühle fahre ich bis ganz nach oben.
Diesen Aufzug habe ich schon gefühlte Tausend Mal benutzt. Er ist außerhalb des Schiffes
an der Bordwand angebracht. Ist ganz aus Glas und man schwebt so über den Wassern. Er
bringt mich hoch hinauf zur Kommandozentrale des Schiffes. Hier auf der Brücke lenkt der
Kapitän die Geschicke des Schiffs. Ein bisschen wie Gott im Himmel, schießt es mir durch
den Kopf. Aber oben angekommen sehe ich keinen Mann mit Bart, ganz in Weiß. Und auch
das Steuerrad fehlt.
Was ich sehe, ist ein bequemer Sessel bezogen mit schwarzem Leder. Sieht fast aus wie ein
Liegestuhl. Darauf sitzt ganz entspannt eine jüngere Frau. Dunkelblaue Hose, weiße Bluse,
neben ihr auf dem Tisch eine Kopfbedeckung - sollte das etwa die Kapitänsmütze sein? Sie
schaut voll konzentriert nach vorn. Vor sich der Ausblick auf das weite Meer. Sie hat den
Heimathafen Hamburg wahrscheinlich gut und sicher im Blick. Dahin steuert sie das riesige
Schiff mit seinen vielen Menschen drauf. Das Steuern übernimmt die Technik, der Bordcomputer. Aber, so erklärt sie mir, am längeren Hebel, in der Verantwortung für Leib und Leben
sitze immer noch ein Mensch. „Ich passe schon gut auf sie auf - auch, dass sie nicht seekrank werden.“ Siehste, spricht tief in mir eine Stimme. So ist das mit deinen Vorurteilen.
Ganz weit oben werden sie vom Kopf auf die Füße gestellt. Auch der liebe Gott hat eine
weibliche Seite. Nicht umsonst schreibt der Prophet, „Gott wird euch trösten wie es nur eine
Mutter tun kann.“
Mitten auf See geerdet verlasse ich die angehende Kapitänin. Fahre mit dem gläsernen
Fahrstuhl wieder hinab in die Niederungen meiner Kabine. Packe schon mal ein bisschen
ein. Der Smoking geht in die Bordwäscherei, die Samtfliege in den Koffer, die Reisetabletten
in den Papierkorb. In meinem inneren Koffer aber wandern die alten Worte aus Psalm 104
ganz neu umher: Ich freue mich des Herrn, der stark ist wie ein Riese und zärtlich wie eine
Mutter. Jetzt habe ich tatsächlich schon wieder festen Boden unter den Füßen.