Unter Walfängern

Gesellschaft
Homestory Wie Computerspiele es schaffen,
Jugendlichen ihr Taschengeld abzunehmen
or Kurzem sprach ich mit meinem Sohn über Geld.
Er ist 14 Jahre alt und in Finanzdingen eher vorsichtig; sein Taschengeld, das dachte ich jedenfalls,
würde er nie für etwas ausgeben, dessen Nutzwert er
nicht sieht.
Vor etwa einem Jahr, erzählte er, habe er ein neues
Computerspiel entdeckt. Man verbindet sich mit anderen
Spielern zu kleinen Truppenverbänden, dann kämpft
man gegeneinander. Es geht darum zu erobern und zu
verteidigen, es geht um Geschicklichkeit, um Augenmaß
und Taktik. Offenbar kommt es auch auf die Ausrüstung
an. Wer lediglich die Basisversion
besitzt, kann zwar mitkämpfen, in
Wahrheit steht er aber nur blöd rum
und wird ständig, wie mein Sohn
sagt, „gekillt“.
Die Spieler kennen einander
nicht. Sie beurteilen einander nur an
der Performance im Spiel. In der
Teamhierarchie ist ein Spieler, der
ständig gekillt wird, ganz unten, man
schleppt ihn mit.
Ein 14-Jähriger hat genug Probleme. Er kann gut darauf verzichten,
in einem Team aus Kämpfern die
Schwachstelle zu sein.
Mein Sohn erzählte mir, dass er
irgendwann angefangen habe, sich
Ausrüstung zu kaufen, von seinem
Taschengeld. Es gibt in diesem Spiel
ein Lager, man kann dort allerlei
Zeug erwerben, das die Schusskraft
der Waffen verbessert. Man kann
sich von der Gefahr freikaufen, ständig gekillt zu werden.
In dem Lager wird mit Juwelen bezahlt. Die Juwelen
sind eine Art Spielgeld, man muss sie mit echtem Geld
kaufen. Mein Sohn trug also sein Taschengeld zum Supermarkt, kaufte eine Paysafe-Karte, gab den aufgedruckten
Code in seiner Spielwelt ein und verwandelte zehn reale
Euro in einen Haufen virtueller Juwelen. Seine Performance verbesserte sich, er stieg in der Hierarchie auf. Sein
Selbstbewusstsein wurde in dem Maße größer, wie seine
Ersparnisse kleiner wurden.
Wie viel er ausgegeben habe, wollte ich wissen.
110 Euro, sagte er nach einer kleinen Pause.
Freunde, sagte er, gäben deutlich mehr aus. Einer investierte sein Konfirmationsgeld, ein anderer kaufte für
900 Euro ein, angeblich mit der Kreditkarte seines Vaters.
Ja doch: Ich bin dafür, dass Jugendliche selbst entscheiden, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben. Dass sie Fehler
machen dürfen, auch Fehler, die Geld kosten. Die Frage
ist: Wie schaffen es die Entwickler solcher Spiele, 14-Jäh-
V
THILO ROTHACKER FÜR DEN SPIEGEL
Unter Walfängern
rige dazu zu bringen, von ihrem Geld kein neues Waveboard, kein Fußballtrikot zu kaufen, sondern virtuelle Juwelen, mit denen man wiederum Pixel kaufen kann?
Zufällig lernte ich kurz darauf einen Spieleentwickler
kennen. Er arbeitet bei einer Softwarefirma in Norddeutschland, sein Job ist es, Videospiele zu programmieren, mit denen sich Geld verdienen lässt.
Früher, sagte er, machten die Hersteller Profit, indem
sie ihre Spiele verkauften. Oder Werbung einblendeten.
Heute sind die meisten Spiele „free2play“, umsonst. Die
Gewinne werden deshalb „in-game“ gemacht. Die Entwicklung eines Spiels kostet Geld, ebenso die Server, irgendwie
muss man sich das Geld von den Spielern zurückholen.
Dafür gibt es bewährte Tricks. Die Tricks haben viel
mit Menschenkenntnis zu tun; die Entwickler wissen einiges über die Sehnsüchte ihrer Kundschaft. Im Kern, sagte
er, läuft es so, dass man Druck aufbaut. Fast immer gilt
beispielsweise das Prinzip der Verknappung. Man begrenzt Dinge, die man nicht begrenzen müsste: die Zeit,
die Zahl der Versuche. Wer ein Level bewältigen will, hat
dafür, sagen wir, fünf Leben. Sind die fünf Leben weg,
kann man, gegen eine Gebühr, weiterspielen. Mitunter
fehlen ein paar Züge, um ein Level zu beenden – dann
kann man sich diese Züge kaufen. Manchmal liegt ein
Hindernis im Weg. Dann kann man
warten. Oder sich einen Hammer
kaufen, um den Weg sofort freizumachen.
Häufig wird zusätzlich sozialer
Druck aufgebaut, wie bei meinem
Sohn. Druck entsteht durch Ranglisten, durch Vergleiche, durch die Erwartungen der Mitspieler. Manchmal
können die Spieler virtuelle Tiere erwerben, dann kommt moralischer
Druck hinzu. Das Tier wird während
des Spiels plötzlich krank, zum
Glück bietet ein virtueller Tierarzt
Hilfe an, gegen reales Geld.
Die beste Methode, Geld zu verdienen, setzt auf das Bedürfnis der
Spieler, unterscheidbar zu sein. EgoShooter bieten „Skins“ an, die aus
einem Dutzendgewehr ein Einzelstück machen. Begehrte Skins kosten
mehrere Tausend Dollar.
95 Prozent der Spieler zahlten nie,
sagte der Experte, das sei völlig in
Ordnung. Als Hersteller werde man mit den restlichen
fünf Prozent reich, mit Spielern, die für ihren Spaß nahezu
jede Summe ausgäben. Entwickler nennen solche Spieler
„Wale“. Man will den großen Fang, nicht die Garnelen.
Ich dachte an meinen Sohn, an sein Taschengeld, an
die Paysafe-Karten, die er wie einen Schatz nach Hause
trug. Ich dachte daran, wie sich sein Erspartes zuerst in
Juwelen verwandelt hatte und danach in Anerkennung.
Ich verstand ihn nicht, 110 Euro sind eine Menge Geld,
gleichzeitig verstand ich ihn sehr gut. Wer verstünde einen
14-Jährigen nicht, der den Wunsch hat, nicht derjenige zu
sein, der ständig gekillt wird?
Kürzlich las ich in der Zeitung von einem Spieler, der
in einem Onlinespiel eine besondere Waffe entdeckt hatte.
Die Waffe heißt „Dub and McCormick Terminator“, er
bezahlte 50 000 Dollar dafür.
Das war der Moment, in dem ich mir vornahm, noch mal
mit meinem Sohn über die Sache zu reden.
Hauke Goos
DER SPIEGEL 22 / 2016
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