Jahresmagazin 2016 Akzeptanz Inhalt Sucht ist omnipräsent Gastbeitrag von Ueli Mäder 4 Safer Dance Basel ist am Start 8 «Konsum ohne Risiko gibt es nicht» 10 Hardcore im Fonduestübli 12 Erfolgskonzept Schadensminderung 18 Schadensminderung braucht Mut Akzeptanz Gastbeitrag von René Renggli Feindbilder muss man abbauen Gastbeitrag von Peter Sumsander Quo vadis, Cannabis? Regulate it! 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Eine Einschätzung des Fachverbandes Sucht Gastbeitrag von Otto Schmid 23 25 29 32 35 Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 3 Editorial Liebe Leserinnen und Leser Das vorliegende Magazin ist erneut kein klassischer Jahresbericht geworden, sondern beinhaltet zwei Themenschwerpunkte, die unserer Ansicht nach untrennbar miteinander verbunden sind: nämlich das 25-jährige Jubiläum der Schadensminderung und das Thema Akzeptanz, welches zumindest heutzutage kaum mehr aus der Sucht- und Drogenarbeit wegzudenken ist. Bei der Diskussion über die Inhalte stand zunächst die Schadensminderung im Zentrum. Aber was gibt es hier zu feiern?, haben wir uns gefragt. Grund zu feiern wäre allenfalls, wenn solche Angebote nicht mehr benötigt würden. Und doch sollten diese immer noch junge Fachdisziplin und ihre Resultate in geeigneter Weise gewürdigt werden. Rückblicke und Erinnerungen an Zeiten von Kocherpark, Platzspitz etc. haben wir von Anfang an ausgeschlossen, denn es wurde mehr erreicht als nur die Aufhebung der offenen Drogenszenen, das Überleben der Betroffenen, die Sicherstellung von HIV- und Infektionsprophylaxe oder die Beruhigung im öffentlichen Raum. Also haben wir uns gefragt, was sich seit Einführung der Schadensminderung in der Drogenarbeit verändert hat, und sind rasch auf das Thema Akzeptanz gestossen. Mittlerweile ist die Schadensminderung nebst den anderen ambulanten und stationären Angeboten eine wichtige Ergänzung, die mit ihrer oft speziellen Sicht auf einzelne Themen und ihrer besonderen Nähe zu den Betroffenen wertvolle Impulse einbringt und so dazu beigetragen hat, auch andernorts vieles zu bewegen. Bemerkbar macht sich dies dadurch, dass es heute auch Therapieangebote für Substituierte gibt, Rückfälle nicht mehr zwingend zum Ausschluss führen, Teilentzüge ebenso möglich sind wie eine vorläufige Beschränkung auf die Verbesserung der Gesundheit oder Programme für kontrollierten Konsum. Dagegen galt noch bis Mitte der Neunzigerjahre vielerorts allein das Dogma der Abstinenz, und zwar in einer Absolutheit, welche weder den Rückfall noch die unterstützende Behandlung mit Medikamenten oder Substitution in die Behandlung miteinbezog. Längst ist die Akzeptanz in unserer Arbeit ein zentraler Wert und Ausdruck einer Haltung, welche auch weiterhin nicht einfach alles zulässt, aber den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen weitaus mehr Raum bietet. Und bei Fehlern oder dem Unvermögen, gewissen gesellschaftlichen oder konzeptionellen Ansprüchen gerecht zu werden, gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten sucht, anstatt die Beziehung abzubrechen. Und das ist doch nun wirklich ein Grund zum Feiern. Dass aber längst nicht alles zum Besten bestellt ist und es noch einiges anzupacken gilt, zeigen die Gastbeiträge in diesem Magazin, welche ich Ihnen deshalb besonders empfehlen möchte. Beachten Sie bitte auch die kleine Bild- und Textstrecke an den unteren Seitenrändern. Damit möchten wir Ihnen auf unterhaltsame Weise einen kurzen Ein- und Überblick über das bieten, was in der Suchthilfe Region Basel während 24 Stunden und an 365 Tagen alles geschieht. Walter Meury, Geschäftsführer Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 4 Sucht ist omnipräsent Wir nehmen Sucht über augenfällige Schicksale und ein paar Statistiken wahr. Aber was steckt hinter den Zahlen und Einzelwesen? Leben wir gar in einer «süchtigen Gesellschaft»? Der Soziologe Ueli Mäder beleuchtet akzeptierte, unerkannte und geächtete Süchte unserer Zeit – und würdigt die Arbeit der Suchthilfe Region Basel. Sucht ist eine einseitige Abhängigkeit, physisch und psychisch. Abhängige verlangen nach einer Substanz oder einem Gefühl. Ihre Sucht ist keine Eigenschaft, sondern ein Phänomen, das 05.30 K. Jordi ist eben aufgestanden und wird nun mit H. Früh, der für vier Monate bei ihm lebt, die Stallarbeit erledigen. Später wird eine Mitarbeiterin das Methadon für H. Früh bringen und ein Standortgespräch führen. Spektrum ist ein therapeutisches Angebot der Suchthilfe Region Basel und zeichnet sich dadurch aus, dass individuell zugeschnittene Lösungen in einem besonderen, familiären Rahmen möglich sind. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel in verschiedenen Ausprägungen offenbar recht verbreitet ist. Workaholics gibt es zum Beispiel sicher viele. «Ich arbeite, also bin ich.» – Wer kennt das nicht? Und ich bin «in», weil ich viel konsumiere. Zum Beispiel Alkohol, ganz normal als Genussmittel. Allerdings mit fliessendem Übergang zur Sucht. Ein Zwanzigstel aller Erwachsenen sucht Ersatz im Rausch. Der masslose Konsum kompensiert Gefühle der Leere. Aber was suchen wir wirklich? Das ist eine schier subversive Frage. Die Suchthilfe Region Basel stellt sie immer wieder. Sie tut dies seit einem Vierteljahrhundert beharrlich und engagiert. Und das ist auch bitter nötig. Denn wer Schäden mindern will, muss sie ursächlich ergründen, kontinuierlich angehen und das Umfeld einbeziehen. Dabei kann der Blick auf quasi anerkannte Formen der Sucht ganz hilfreich sein. Wagen wir ihn einmal. Sucht nach Anerkennung Gerhard Dammann beispielsweise leitet die Psychiatrische Klinik Münsterlingen. Er beschreibt, von mir darauf angesprochen, die Sucht nach Anerkennung und den Narzissmus als Motor für Erfolg. Ein Mythos gibt vor, mit Emotionslosigkeit, Ehrgeiz und Stärke mehr erreichen zu können. Der Narzissmus motiviert und verknüpft den Erfolg mit der Führerschaft. Und in Krisen ist starke Führung besonders gefragt. Das aber ist gefährlich, weil ausgeprägten Narzissten die Bodenhaftung und das Gefühl für Grenzen fehlen. Sie heben ab und sehen in anderen (zu) viel Feindliches. Vielleicht auch und gerade, um sich über sie erhöhen zu können. Sie gewähren wenig wirkliche Unterstützung, weil die aufgewandte Energie hauptsächlich eigenen Zielen nutzen soll. Die forcierte Konkurrenz verlangt, sich gegen andere durchzusetzen. Da gehören ganz schnell selbst Mitarbeitende zur potenziellen Bedrohung und werden entsprechend behandelt. Erfolg als Selbstzweck Geltungssüchtige sind zudem mit einer Sache kaum wirklich verbunden. Ihnen geht es vornehmlich darum, ihr eigenes Ego zu pflegen. Das verhilft ihnen vordergründig zu Selbstwert. Oft spielen dabei erlittener Mangel und emotionale Vernachlässigung mit oder die fehlende Erfahrung, Grenzen gesetzt zu bekommen. Wer aber primär den verinnerlichten Auftrag umsetzt, stets gut zu sein, erfährt den Erfolg lediglich als Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 5 Akzeptanz Bild Nr. 2 Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 6 (Selbst-)Zweck. Ziel ist es dann, im Mittelpunkt zu stehen. Das hält andere, die nur achten oder sogar bewundern sollen, auf Distanz. Die Sucht nach Anerkennung beinhaltet nämlich auch Angst vor Nähe, die eingehende Empathie verunmöglicht. So kommt es dann zu Gemütsschwankungen, Wutanfällen und Zynismus. Ich werte andere ab, um mich über sie zu erheben. Destruktiver Neid kennzeichnet die narzisstisch besetzte Sucht. Als Störung der Persönlichkeit zeigt sie sich inmitten der Gesellschaft eher häufiger als in Zonen der Randständigkeit. Sucht, ganz oben zu sein Der Psychotherapeut Thomas Kornbichler beschreibt ferner «Die Sucht, ganz oben zu sein» (Kreuz Verlag, Stuttgart). Er akzentuiert die psychohistorischen Dimensionen von Macht und 08.30 B. Rohrbach kommt ins Büro und hört den Anrufbeantworter ab. Im Laufe des Tages wird sie nebst den Sekretariats arbeiten im Rahmen von Lohnund Rentenverwaltungen auch Checks an drei Personen abgeben. Das Beratungszentrum bietet nebst Suchtberatung, Sachhilfe und Nachsorge auch Unterstützung für Angehörige, Menschen mit Verhaltensabhängigkeiten wie z.B. Glücksspielsucht und vieles mehr. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel bezieht dabei auch die hohe Politik ein. Das «süchtige Streben nach Macht» deutet er als fehlgeleitete Kompensation von empfundener Minderwertigkeit. Mächtige streben nach immer noch mehr Geltung und Anerkennung. Der Einfluss verspricht mehr Sicherheit. Dabei geht es nicht um eine fördernde Hinwendung zu anderen Menschen. Machtmenschen suchen Wissen kaum, um Wahrheit zu finden, Kunst nicht aufgrund der Schönheit, Menschen keinesfalls wegen der Geselligkeit und Wirtschaft nicht des Wohlstands wegen. Ihnen sind diese Werte primär lediglich ein Mittel, um die Macht weiter zu steigern und andere zu vereinnahmen. Ihr strategisches Denken verkommt so zu einem rigiden Manipulieren. Ihr Selbstwertgefühl ist oft überwertig. Das Bad in der Menge hilft, das innerlich leere Selbst affektiv aufzuladen. Der anerkannte Ego-Kult Die Demagogie zielt darauf ab, andere für eigene Zwecke zu benutzen. Sie weist sich gerade in schwierigen Zeiten gerne als schützende Hand aus. Denn guten Anklang findet dann besonders der Ruf nach Stärke, nach Sauberkeit und einfachen Tugenden. Was Menschen irritiert und verunsichert, wird auf einen einfachen Nenner gebracht. Als Feindbilder für paranoide Botschaften dienen dabei besonders häufig «der korrupte Staat» oder aber «Randständige». Wer von eige- nen Vergehen ablenken will, projiziert sie gerne auf andere und verbindet ökonomische Interessen mit etwas Philosophie und generalisierter Weltanschauung. Das verleiht der eigenen Botschaft eine «höhere Würde». Dieser Ego-Kult ist weithin anerkannt und als gehobene Form der Sucht verbreitet. Es wäre schön, wenn diese Einsicht dazu beitragen könnte, weniger gut beleumundete Süchte ebenfalls als gesellschaftliches Phänomen zu akzeptieren, statt sie zu individualisieren. Leistungsdruck und das Spiel mit der Angst Kinder halten wir schon früh dazu an, möglichst viel zu leisten. Wo guter Wille vorhanden ist, findet sich immer ein Weg: So das gängige Motto. Der Leistungsdruck weckt jedoch auch Ängste, die Energien blockieren oder zu einer Flucht nach vorn mobilisieren können. Das Spiel mit der Angst ist ebenfalls ein beliebtes Erziehungsmittel. Erwachsene treten an Kinder ab, was sie einst selbst erleiden mussten. Didaktisch geschulte Lehrpersonen hingegen setzen auf positive Anreize. Sie appellieren an die Vernunft. Die Aussicht auf Erfolg soll die Motivation fördern und den Output erhöhen. Was Selbstkompetenz bedeuten könnte, vermittelte uns einst ein Klassenlehrer. Er interessierte sich für unsere Ideen und förderte unsere Lust, selbst zu denken: Ein Glücksfall und leider längst nicht die Norm. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 7 Das Ressentiment als Bumerang Die 68er-Bewegung wollte das Leistungs- in ein Lustprinzip verwandeln. Der rasche globale Wandel verstärkte jedoch den wirtschaftlichen Druck und einseitige Abhängigkeiten. Der rapide Wandel verunsichert und erhöht die Gefahr, Halt in Vereinfachungen zu suchen. Populistische Kräfte zeigen auf «randständige Drögeler» und fordern mehr Ordnung. Aber aufgepasst: Wer angespannt lebt, ist selbst auch für chronische Erkrankungen anfälliger. Bei Stress und Überforderung häufen sich Depressionen und der Konsum von Medikamenten und Alkohol. Kinder übernehmen psychische Reaktionen ihrer Eltern. Das individuelle Leid fällt so auf die Gesellschaft zurück. Soziale Benachteiligungen beeinträchtigen den Selbstwert von Eltern und Kindern. Wer sich ohnmächtig fühlt, empfindet Herausforderungen aber als Bedrohung. Und so festigen sich konforme Verhaltensmuster. Denn sie bieten zumindest imaginäre Sicherheiten. Die Anpassung ist ein Nährboden für Ressentiments, die sich allerdings nur zu häufig oft gegen einen selbst richten; zum Beispiel über den gesteigerten Konsum und die Abhängigkeit von Suchtmitteln. Den Blick auf das Ganze richten Die meisten Spielarten der Sucht gefährden besonders Personen, die über wenige Ressourcen verfügen. Die Suchthilfe Region Basel hat dies erkannt und achtet deshalb darauf, die gesamten Lebensbedingungen zu verbessern. Sie versucht zudem, die Suche nach dem tieferen Sinn vermehrt in den Alltag zu integrieren. Sie fragt: Wozu das alles? Geht es darum, alles immer schneller drehen zu lassen? Diese Fragen führen weiter. Sie verweisen auf gesellschaftliche Widersprüche, die wir gemeinsam angehen müssen. Darüber hinaus ist eine Professionalität gefragt, die spezifische Suchtfragen gezielt angeht. So wie das die Suchthilfe Region Basel eindrücklich praktiziert: Sie richtet ihren kritischen Blick auf das Grosse und Ganze und steht gleichzeitig den Menschen bei individuellen Problemen mit grossem Fachwissen zur Seite. Ich wünsche weiterhin viel Mumm und Wirksamkeit – im nächsten Vierteljahrhundert. Ueli Mäder (im Bild) ist Professor für Soziologie an der Universität Basel und der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW). Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 8 Safer Dance Basel ist am Start Die schweizerische Drogenpolitik gilt in vielen Bereichen als progressiv und findet weltweit Beachtung. Ein legales, mobiles Drugchecking für Partydrogen beispielsweise gibt es ausser in der Schweiz in kaum einer Handvoll Länder. Umso verwunderlicher ist es, dass man bislang ausgerechnet am liberalen Rheinknie kein derartiges Angebot vorweisen konnte. Die Kantone beider Basel haben dies gemeinsam mit der Suchthilfe Region Basel nun geändert. Arbeitsreiche Wochen und Monate liegen hinter den Projektleiterinnen Stephanie Twerdy, Elisabeth Schätti und den Peers vom Verein SubsDance. Unter dem Label Safer Dance Basel wurde ein auf die regionalen Besonderheiten und Bedürfnisse der Nordwestschweiz zugeschnittenes Angebot gestaltet. Und vor der Auftaktveranstaltung im Basler Nordstern mussten in unzähligen Sitzungen und Workshops Haltungsfragen diskutiert, Kontakte zu den lokalen Partymachern geknüpft, Requisiten für den Infostand gebastelt werden und vieles mehr. Dabei durften die Nightlife-AktivistInnen vom 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Erfahrungsschatz der MacherInnen von rave it save.ch profitieren. Ab sofort wird Safer Dance Basel gemeinsam mit dem mobilen Drogentestlabor des Kantonsapothekeramtes Bern regelmässig und an verschiedenen Orten im Nachtleben des Grossraums Basel anzutreffen sein. Dabei bietet sich den Partygängern die Möglichkeit, ihre Partydrogen vor Ort und kostenlos auf Reinheitsgrad und Wirkstoffzusammensetzung testen zu lassen. Werden hochdosierte oder verunreinigte Substanzen entdeckt, kann sofort und online eine Warnung herausgegeben werden. Aber das ist längst nicht alles und vielleicht auch gar nicht das Wichtigste. 09.00 Der Geschäftsführer vollzieht sein «Morgenritual», bei welchem Kaffee, Tageszeitung sowie die Überprüfung des Kontostandes und die Aktualisierung der Liquiditätsplanung im Zentrum stehen. Als Nonprofitorganisation ist die Suchthilfe Region Basel darauf angewiesen, innovative Projekte ebenso wie viele der notwendigen Investitionen mit Hilfe von Spenden zu finanzieren. Die Nachtschwärmer haben darüber hinaus nämlich auch sehr niederschwellig die Möglichkeit, mit den Fachleuten der Suchthilfe Region Basel oder den Peers von SubsDance ins Gespräch zu kommen. Vom völlig unverbindlichen Informationsaustausch bis zur konkreten Terminabsprache für ein weiterführendes Gespräch im Beratungszentrum der Suchthilfe ist alles möglich. Fachwissen wird in das Setting dabei keinesfalls nur durch die Sozialarbeitenden der Suchthilfe und die Laboranten aus Bern eingebracht. Gerade auch die Peers, also partyaffine junge Erwachsene, bringen echtes Expertenwissen mit – viele Mitglieder der Gruppe studieren Medizin, Pharmakologie oder Psychologie. Im folgenden Interview geben Marcel und Jonas von SubsDance Auskunft über ihre Motivation. Interessant ist dabei auch, dass Marcel und Jonas in Wirklichkeit gar nicht so heissen: Die beiden müssten mit negativen Konsequenzen rechnen, was belegt, dass auch in der progressiven Schweiz im Hinblick auf Akzeptanz und Realitätsanerkennung noch ein weiter Weg zu gehen ist. Die Suchthilfe Region Basel hat schon mal die Wanderschuhe geschnürt. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 9 Das einzige mobile Drugcheckinglabor der Schweiz. Hier bei der Auftaktveranstaltung von Safer Dance Basel im Nordstern. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 10 «Konsum ohne Risiko gibt es nicht» Der Verein SubsDance ist Kooperationspartner der Suchthilfe Region Basel beim Projekt Safer Dance Basel. Die Mitglieder entstammen allesamt der Partyszene. Am Rande eines Workshops hatten wir die Gelegenheit, uns mit Marcel und Jonas von SubsDance über ihr Engagement zu unterhalten. Marcel: Partydrogen werden nun mal konsumiert, und es gibt auch die negativen Auswirkungen davon. Das ist unumstösslich. Da kann ich mich mit meiner Neigung zu Musik und Medizin sehr gut einbringen. Es ist ausserdem einfach cool, ein Projekt zu haben, mit dem man etwas bewegen kann. Jonas, was bewegt euch dazu, euch in eurer Freizeit für das Wohl anderer Partygänger einzusetzen, statt einfach abzufeiern? Jonas: An einer Party traf ich einmal auf die Leute von rave it save.ch aus Bern. Ich habe die halbe Nacht an deren Stand verbracht und war total beeindruckt von ihrem Angebot, aber auch von ihrem Auftreten. Ich konnte kaum fassen, dass es sowas bei uns in Basel noch nicht gab, und schnell haben sich einige Leute zusammengefunden, die Ähnliches auch hier auf die Beine stellen wollen. Im Herbst 2015 konnten wir dann unseren Verein SubsDance gründen. Wir sind derzeit etwa 15 Leute, hauptsächlich Studenten der Medizin, Pharmakologie und Psychologie. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel 09.50 T. Hügel betritt den Klassenraum und stellt sich vor. Im Laufe der nächsten Lektionen wird er mit den Jugendlichen über Alkohol und Cannabis sprechen, aber auch über verantwortungsbewussten Umgang mit dem Internet. Start?Klar! ist ein Präventionsangebot, welches in enger Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit Basel-Stadt durchgeführt und vom Gesundheitsdepartement BaselStadt finanziert wird. Unter Peers versteht man Leute, die der gleichen Alters- und Interessengruppe entstammen. Konsumiert ihr Partydrogen, wenn ihr nicht für Safer Dance Basel im Einsatz seid? Jonas: Bei uns gibt es auch abstinente Leute. Ich bin das, so wie die meisten von uns, nicht, sondern sehe im verantwortlichen Konsum auch eine grosse Chance. Ganz wichtig ist mir aber, dass den Leuten bewusst ist, dass es keinen risikolosen Konsum gibt. Bezahlen muss man auf jeden Fall, und sei es auch nur mit ein, zwei Tagen, an denen man nur eingeschränkt leistungsfähig ist. Das müssen die Leute einfach wissen. Marcel: Was die illegalen Drogen anbelangt, ist vieles tabuisiert und angstbesetzt. Vor allem ist den meisten Leuten gar nicht klar, wie weit der Konsum von psychoaktiven Substanzen verbreitet ist. Auch der Nachbar mit dem super Job könnte es an jedem Wochenende richtig krachen lassen. Das ist eine Realität, der man sich stellen muss. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 11 Die Gegner der akzeptierenden Herangehensweise werden schäumen und euch vorhalten, dass ihr den Konsum illegaler Substanzen fördert. Jonas: Das ist Quatsch! Es ist uns ganz wichtig, klarzustellen, dass man nichts verpasst, wenn man nicht konsumiert. Wir haben aber die Haltung, dass in einer freien Gesellschaft jeder für sich selbst entscheiden können sollte, was er tut. Wir wollen dabei helfen, dass die Entscheidung auf der Grundlage eines möglichst breiten Wissens gefällt werden kann. Marcel: Wir sind sicher nicht dazu da, die Moralapostel zu spielen. Trotzdem möchten wir dabei helfen, dass möglichst wenige Menschen in eine Abhängigkeit abrutschen. Ich halte Konsum ohne Sucht für möglich. Das kann man lernen. Eigentlich ist es in der heutigen Konsumgesellschaft sogar eine ganz wichtige Kulturtechnik. Worin besteht für euch der Reiz beim Konsum von Partydrogen? Marcel: Man kann Gefühle erleben, die man sonst nicht fühlt, sich in einem Bereich bewegen, der physiologisch unmöglich ist. Jonas: Auch die Vorfreude und das Ritual an sich können eine Bereicherung sein. Ich persönlich sehe es manchmal auch als Belohnung für erbrachte Leistungen. Damit hätten sich die Gründe für Substanzkonsum in den letzten zehntausend Jahren kaum geändert. Marcel: Richtig, aber der gesellschaftliche Kontext hat sich natürlich enorm geändert. Und die möglichen negativen Folgen des Konsums wiegen schwerer. Kontrollverlust, das Verschlimmern von psychischen Grunderkrankungen, Isolation – all das kann mit Drogenkonsum einhergehen und für gewaltige Probleme sorgen. Jonas: Die Hardliner können sich auf den Kopf stellen, aber Drogenkonsum wird es immer geben. Da ist es doch einfach nur gut, wenn jemand da ist, der sich auskennt. In so einem Setting und mit der nötigen Authentizität kann man die Leute dann packen, wenn das Problem tatsächlich aufgetreten ist. Zwei Tage später fällt es den meisten doch eher schwer, sich an ein Beratungszentrum zu wenden. Text und Interview: Alexander Roth Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 12 Hardcore im Fonduestübli Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt: eine lange Partynacht mit der Suchthilfe Region Basel, rave it save.ch und dem mobilen Drogentestlabor. «Geht's hier zu den Söhnen Mannheims?» Die drei herausgeputzten Mittvierzigerinnen starren abwechselnd auf den hünenhaften Securitymann mit Irokesenschnitt und die zappeligen, Büchsenbier trinkenden Franzosen in Bomberjacken vor dem Haupteingang der Basler St.-Jakob-Arena. «Nein, da habt ihr Glück, die sind vis-à-vis», der Irokese nickt in Richtung St.-Jakob-Arena, «hier sind die Masters of Hardcore». Sichtlich erleichtert machen sich die verirrten Damen auf den kurzen Weg in eine gänzlich andere Welt. Denn während es in der Halle zwei Stunden windelweichen Pathos-Soul aus Deutschland gibt, versammeln sich in der benachbarten Arena die Hardcore-Technofans für ein zehnstündiges Vollbad in hirnzermarternden Bässen. Derweil halten zwei Berner Kleinbusse mit quietschenden Reifen vor dem Haupteingang. Heraus springt eine aufgekratzte, bunte Truppe – die Leute von rave it save.ch aus Bern sind da und 24 Stunden Suchthilfe Region Basel versprühen Tatendrang. In Empfang genommen werden sie von Elisabeth Schätti und Stefanie Twerdy, die an diesem kalten Novemberabend für die Suchthilfe Region Basel mit an Bord sind. Die Aufgaben sind schnell verteilt. Die beiden (unter anderem) gelernten Laboranten Daniel Allemann und Alex Bücheli kümmern sich um ihren ganzen Stolz – das einzige mobile Drugtestinglabor der Schweiz. Der Rest lädt gemütliches Mobiliar, eine Infotheke, allerlei Dekomaterial sowie Kartons mit Flyern, Süssigkeiten und Obst aus. Und schon eine halbe Stunde später ist das von Veranstalter 10.26 A. Huck steckt im Stau auf der H 18. Eigentlich sollte er möglichst schnell in Reinach sein, weil im Therapiehaus Probleme mit den Computern aufgetreten sind und dringend Support benötigt wird. Auch die Suchthilfe ist abhängig von EDV und Datenbanken. Darum braucht es nebst Suchtfachleuten auch den EDV-Experten, der wie viele andere Personen im Hintergrund seinen Beitrag zum Gelingen leistet. Rolf Arnet zur Verfügung gestellte Fonduestübli in eine gemütliche Chill-out-Lounge verwandelt: Wo sich normalerweise die Fans des EHC Basel in der Drittelpause mit zerlaufenem Käse versorgen, werden wenig später schon die ersten Partygänger in die Sessel schmelzen. Die ganze Hand statt nur der Zeigefinger Allemann und Bücheli sind noch mit ihrer hochkomplexen Apparatur beschäftigt. Noch eine halbe Stunde bis zur Türöffnung um 20 Uhr. Zeit also für eine kleine Stärkung vor der langen Nacht der bösen Bässe. Aus Hannes Hergarten, dem Kopf der Berner Gruppe aus SozialarbeiterInnen und Peers, sprudelt es in der benachbarten Pizzeria nur so heraus: «Wie willst du die Leute denn packen? Sicher nicht, indem du von neun bis fünf im Büro sitzt, und darauf wartest, dass einer von denen vorbeischaut und von dir was über die Gefahren von Drogenkonsum wissen will.» Die Anwesenden eint der Traum von einem schweizweit vernetzten Team aus szenekundigen Sozialarbeitern und Peers, die sich ganz selbstverständlich dort bewegen, wohin weder die institutionalisierte Sozialarbeit noch Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 13 Legales Drugchecking gibt es nur in einer Handvoll Länder: Daniel Allemann bei der Arbeit. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 14 die Polizei gelangen: mitten in der Szene, um dort Kontakte auf Augenhöhe zu knüpfen und präsent zu sein, wenn Rat und Tat gefragt ist. Die ganze Hand statt nur den Zeigefinger einzusetzen, ist die Devise. Noch schnell einen Espresso und dann zurück ins Fonduestübli, wo sich um 20.30 Uhr bereits eine Schlange vor dem Labor gebildet hat und Allemann und Bücheli voll in ihrem Element sind: Viele Partygänger kennen das seit 1998 bestehende Angebot bereits und wollen gleich zu Beginn in Erfahrung bringen, was es mit der Substanz auf sich hat, mit der sie sich für die Nacht eingedeckt haben. Dafür müssen sie von einer Pille etwa ein Drittel opfern. Bei Pulver reicht meist schon eine Messerspitze. Die Pille oder das Pulver werden fotografiert, um, falls nötig, direkt und online eine entsprechende Substanzwarnung herausgeben zu können, die wenige Sekunden später schon auf einem Monitor an der Infotheke für alle einsehbar wäre. Jetzt wird gemörsert, in Ethanol aufgelöst und durch die Hochleistungschromatographen gejagt. Circa 20 Minuten dauert es, bis das Ergebnis vorliegt. Am Ende weiss der User, wie viel und was in seiner Pille oder seinem Pulver steckt. Auch mit LSD getränktes Löschpapier können die Drugtester auf den Wirkstoffgehalt untersuchen. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Einen anderen Blick auf den Konsum ermöglichen In der Zwischenzeit wird der obligatorische Fragebogen zusammen mit einem der Sozialarbeiter oder geschulten Peers ausgefüllt. Fragen zur Substanz, aber auch zum Konsumverhalten des Users sind zu beantworten. Aufgrund der überwältigenden Offenheit und Wissbegier der Eventbesucher sind Hergarten und Co. zwar auch ohne Fragebogen fast ununterbrochen mit ihnen im Kontakt, jedoch ist der Fragebogen der zentrale Bestandteil, um evaluieren und valide Aussagen über ihr Konsumverhalten treffen zu können. Vor allem aber, so Schätti, um den Leuten einen anderen Blick auf ihren Konsum zu ermöglichen und überhaupt einmal über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. «Vielen wird erst beim Ausfüllen des Fragebogens bewusst, was sie da so an einem durchschnittlichen Wochenende alles konsumieren. Oft hinterlässt das spürbaren Eindruck, und unsere Hoffnung ist, dass so auch Denkprozesse in Gang gebracht werden, an deren Ende eine Verbesserung für den Konsumenten steht.» In der Schlange vor dem Labor steht auch Raphael (Name von der Redaktion geändert). Immer wieder schnellt die Zunge des 19-Jährigen blitzartig und erstaunlich weit aus seinem Mund heraus, während sich die Augendeckel für endlos erscheinende Sekunden schliessen. 90 Milli- gramm MDMA ist der Wirkstoffgehalt seiner blauen Pille, keine gefährlichen Zusatzstoffe oder Streckmittel wurden erkannt. Für Daniel Allemann gibt es keinen Grund, eine Gefahrenwarnung herauszugeben. Bei MDMA geschieht dies erst ab 120 Milligramm pro Pille. Experten halten 1,5 Milligramm pro Kilo Körpergewicht als gerade noch vertretbar – auch wenn es risikolosen Konsum nicht gibt. Mit einer seiner Pillen könnte Raphael also eine relativ gefahrlose Partynacht durchleben und am nächsten Tag vielleicht sogar noch etwas für die Schule tun. Raphael freut sich. Dumm nur, dass er bereits drei der Pillen eingeworfen hat. Die Augendeckel schliessen sich, die Zunge schnellt heraus: Weiter auf Seite 16 11.15 M. Herzig und ein Patient kochen Nudeln fürs Mittagessen. Zur selben Zeit findet die Medikamentenausgabe statt, der Sozialdienst schreibt Gesuche und telefoniert, der Arzt ärgert sich über eine Krankenkasse … Die Klinik ESTA bietet stationäre Entzugsbehandlungen für Menschen, die illegale Drogen, Alkohol oder Medikamente konsumieren. Abstinenz, Teilabstinenz oder Stabilisierung durch Substitution sind das Ziel. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 15 Akzeptanz Bild Nr. 3 Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 16 Raphael hat sich überdosiert und wird den Rest der Nacht im Fonduestübli verbringen. Umsorgt von seinen netten Begleitern und immer wieder im Gespräch mit Schätti, Twerdy und den anderen. Er kiffe, seit er 14 ist. Partydrogen konsumiere er seit zwei Jahren recht regelmässig an fast jedem Wochenende. Nun habe er aber langsam das Gefühl, etwas die Kontrolle über seinen Konsum zu verlieren, er funktioniere im Alltag nach den Wochenenden immer weniger. Auch mit geschlossenen Augen und irrwandernder Zunge ist Raphael recht klar in seinen Schilderungen und davon überzeugt: «So geht's nicht mehr lange gut.» Ob er denn mal im Beratungszentrum vorbeischauen könne. Und schon hält er eine Visitenkarte mit den Beratungszeiten in der Hand. In die andere drückt ihm Schätti noch schnell ein Glas Orangensaft. Rebellion ohne Folgen Inzwischen füllt sich die Halle unter den hämmernden Beats der Masters. Am Siedepunkt werden es etwa 3000 Tanzwütige aus der ganzen Schweiz, Frankreich, Deutschland und sogar Italien sein. Bis auf die Tessiner und Italiener in ihren knallbunten Blusonjacken und hautengen Jeans ist die Szene sehr uniform. Zu Armeehosen oder Jeans trägt man schwarze Shirts mit martialischen Aufdrucken. Totenköpfe, Monster, Frakturschrift, kahl geschorene 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Schädel. Modisch gleicht die Veranstaltung einem Nazitreffen. Doch die Nacht wird zeigen, wie wichtig es ist, bei Subkulturen genau hinzuschauen, denn von echten Nazis fehlt in der Halle fast jede Spur. Stattdessen geht es überraschend freundlich, rücksichtsvoll und tolerant zu. Und: Es wird auffällig wenig Alkohol konsumiert, entsprechend geht es friedlicher zu als auf den meisten Volksfesten zu vorgerückter Stunde. Ein paar kleinere Rangeleien, ein in der Halle gerauchter Joint: Die Nacht bleibt für die Security äusserst übersichtlich. Bis zum Auftritt der Szenegrösse Angerfist sind es noch einige Stunden, doch schon beginnt sich die Energie der Stakkatobeats mit bis zu 270 Anschlägen pro Minute auf die Menge zu übertragen. Nicht wenige der auf und ab springenden Rücken, Waden und Oberarme ziert das auftätowierte Logo der Masters of Hardcore, ein stilisierter Monstertotenkopf mit Widdergehörn – das Logo einer kommerziell voll durchorganisierten Veranstaltungsreihe, wohlgemerkt. Auch das angebotene Merchandise findet guten Absatz. Dies ist alles andere als eine konsumkritische Veranstaltung, so viel ist klar. Und läuft doch unter dem Titel: «Masters of Hardcore – 20 Years of Rebellion!» Glücklich das Establishment, das sich mit derart durchorganisierten Rebellionen konfrontiert sieht. Hergarten jedenfalls kann sich herrlich darüber in Rage reden, wie sich die Partygänger Jahr für Jahr mehr in die Rolle der passiven Konsumenten fügen. Und während nicht hinterfragter Konsum im Allgemeinen zu leeren Geldbeuteln und langweiliger Uniformität führt, bringt er im Bereich der illegalen Substanzen noch viel schwerwiegendere Risiken mit sich. Die Nightlife-Aktivisten wollen sich dagegen stemmen, die Leute dafür begeistern, kritischer zu werden, mehr Verantwortung zu übernehmen, vor allem im Hinblick auf ihren Drogenkonsum. 11.45 Der Fahrer des Sprütze-Wäspi kommt von seiner morgendlichen Tour zurück an die Geschäftsstelle und trägt die aktuellen Materialfunde sowie die stattgefundenen Kontakte in die Statistikdatei ein. Das Sprütze-Wäspi ist ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit kantonalen Stellen erfolgt und tägliche Kontrollfahrten durchführt. Über die Nummer 0800 88 21 52 können Spritzenfunde etc. gemeldet werden. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 17 «Ich bin mir meiner Verantwortung voll bewusst», sagt auch Veranstalter Arnet, der immer wieder im Fonduestübli vorbeischaut. «So zu tun, als gebe es auf Partys keine Drogen, wäre nicht nur verlogen, sondern auch aus wirtschaftlichen Überlegungen schlichtweg dumm.» Arnet kooperiert schon seit längerem mit rave it save.ch. Und für den jungen Geschäftsmann hat das neben ethischen auch handfeste wirtschaftliche Gründe: «Welcher Veranstalter wünscht sich denn, dass bei ihm die Leute überdosiert in der Gegend herumtorkeln oder gar gesundheitlichen Schaden nehmen?» Müsse die Ambulanz oder gar die Polizei anrücken, sei das Geschäft gelaufen. Deshalb unterstütze er Angebote wie das Drugtesting auch vorbehaltslos. Für diese Nacht hätte sich Arnet zwar einige Besucher mehr gewünscht, er möchte sich aber nicht lange mit Jammern aufhalten. «3000 Leute feiern zehn Stunden, es gab keine Gewalt und nicht einen nennenswerten Einsatz für die anwesende Sanität.» Für Arnet ist diese Bilanz bei zukünftigen Verhandlungen mit Hallenbetreibern und Behörden sicherlich kein Nachteil. Und als um sechs Uhr früh die letzten Hardcore-Jünger die Halle verlassen, kann auch die NightlifeTruppe eine positive Bilanz ziehen. Etliche Proben Ecstasy, Amphetamin und Kokain konnten analysiert werden. Zwei Warnungen wegen hochdosierter Ecstasy-Pillen wurden herausgege- ben. Rund 130 kurze oder längere Beratungsgespräche wurden geführt, etliche Kilo Obst, hunderte Kondome und Infobroschüren an den Mann, die Frau gebracht. Schnell und routiniert wird die Chill-out-Lounge ins Fonduestübli zurückverwandelt und das Labor reisefest gemacht. Und während wenig später die beiden Sprinter mit quietschenden Reifen Richtung Bern aufbrechen, freuen sich Schätti und Twerdy über den deutlich kürzeren Heimweg – und die Stille im menschenleeren St.-Jakob-Areal. Und Raphael? Der klingelt eine Woche später etwas nervös an der Tür zum Beratungszentrum in der Basler Mülhauserstrasse. Die Zunge bleibt drinnen und die Augenlider auf. Schätti bittet ihn herein und schenkt erst mal einen Orangensaft ein. Safer Dance Basel braucht Ihre Unterstützung Die Suchthilfe Region Basel und der Verein SubsDance werden mit ihrem gemeinsamen Nightlife-Präventionsprojekt Safer Dance Basel an bis zu sechs Veranstaltungen jährlich präsent sein. Für die Jahre 2016 und 2017 besteht eine Leistungsvereinbarung mit den Kantonen Basel-Stadt und Baselland; zusätzliche Mittel stellt die Stiftung für Drogenfragen zur Verfügung. Für die Anschaffung der Infrastruktur sowie die Finanzierung von Personalkosten sind wir darüber hinaus aber dringend auf Zuwendungen von Stiftungen und Spenden angewiesen. Alexander Roth Es würde uns sehr freuen, wenn Sie diesem innovativen Präventionsprojekt finanziell unter die Arme greifen könnten! Postkonto 40-2832-9 IBAN CH06 0900 4000 2832 9 Vermerk: Safer Dance Basel Herzlichen Dank, Ihre Suchthilfe Region Basel Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 18 Erfolgskonzept Schadensminderung Substanzkonsum und Schadensminderung sind so alt wie die Menschheit. Doch in sich immer schneller ändernden gesellschaftlichen Kontexten funktionieren alte Regulierungsstrukturen nicht mehr. Den Einfluss der Experten auf die Suchtpolitik braucht es deshalb dringender denn je. Eine Einschätzung des Fachverbands Sucht. Der Konsum psychotroper Substanzen war und ist in der menschlichen Geschichte durch alle Kulturen zu beobachten, traditionell eingebettet in ein Regelwerk von Ritualen und Gepflogenheiten, um den Gebrauch in einem für Gesellschaft und Individuum verträglichen Rahmen zu halten. Die Schadensminderung ist also so alt wie die Menschheit. Im Rahmen der gesellschaftlichen Transformationsprozesse, beginnend mit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert, gingen diese sozial und religiös verankerten Massregeln zum vernünftigen, gesundheits- und gesellschaftsverträglichen Gebrauch aber weitgehend verloren – altbekannte und neue Substanzen wurden und werden in neuen Kontexten konsumiert und angeboten, viel stärker dem Indivi- 24 Stunden Suchthilfe Region Basel duum und den Gesetzen des legalen beziehungsweise illegalen Marktes überlassen. Verstanden als umfassender sozial- und gesundheitspolitischer Ansatz, entwickelte sich das Konzept der Schadensminderung infolge der HIV-/Heroinepidemie und des Versagens der bisherigen Politik Mitte der 1980er in England und Zentraleuropa. In der Schweiz fasste die Schadensminderung in den frühen 1990er Jahren Fuss – aus dem Willen heraus, der Verelendung in der offenen Drogenszene nicht länger mit Repression zu begegnen, sondern mit Massnahmen, die das Überleben der Drogenkonsumierenden sichern und die gesundheitlichen Gefahren ihres Konsums reduzieren helfen. Initiiert von engagierten Menschen, durchliefen die ursprünglichen Angebote der Schadens minderung wie Spritzenabgaben und Erste-HilfeZelte in den Folgejahren eine starke Entwicklung und erfuhren eine institutionelle Verankerung. Heute, rund 25 Jahre nach Platzspitz und Kocherpark, positioniert sich die Schadensminderung als Konzept, das zum Ziel hat, die individuellen und gesellschaftlichen Risiken und Schäden des Suchtmittelkonsums zu verringern und ab- hängigen Menschen die bestmögliche Gesundheit zu ermöglichen. Sie umfasst professiona lisierte Angebote wie Kontakt- und Anlaufstellen – teilweise mit Konsumräumen, Heroinabgabe und Substitution –, Notschlafstellen und betreutes Wohnen, Angebote zur Arbeitsintegration sowie Beratungsangebote für SexarbeiterInnen. Dank diesen Einrichtungen reduzierte sich seit den 1990er Jahren nicht nur die Anzahl Drogentodesfälle in beeindruckender Weise. Auch der physische und psychische gesundheitliche Zustand der Betroffenen und ihre Chancen auf soziale Integration haben sich seither wesentlich verbessert. Weiter auf Seite 21 12.38 Die Geschäftslei- tungssitzung hat wieder mal länger gedauert, als geplant war. Gemeinsam gehen Geschäftsführer, die Leitungen der Angebote und die Mitarbeitervertretung zum Mittagessen in die Pizzeria. Die Suchthilfe Region Basel hat seit Beginn eine Mitarbeitervertretung, welche an den Sitzungen der Leitungsgremien teilnimmt und so auch die Interessen der MitarbeiterInnen einbringt und vertritt. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 19 «Akzeptanz ist ein Geschenk der Freiheit, die es meinem Gegenüber erlaubt, etwas zu tun, zu denken oder zu fühlen, das mir fremd ist oder meiner Einstellung widerspricht. Akzeptanz ist damit die Grundlage für stabile Beziehungen.» Christoph, Mitarbeiter K+A In den Kontakt- und Anlaufstellen können die BesucherInnen ihre mitgebrachten Drogen unter hygienischen und möglichst stressarmen Bedingungen konsumieren. Informationen und Materialien zur Verhütung von Infektionskrankheiten sind leicht zugänglich, und bei Überdosierungen kann schnell Erste Hilfe geleistet werden. Die intravenöse Konsumform ist übrigens rückläufig: Mittlerweile werden Heroin und Kokain dreimal häufiger geraucht oder gesnifft als intravenös konsumiert. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 20 «In den K+A fühle ich mich akzeptiert, weil ich von Menschen umgeben bin, die mich seit vielen Jahren begleiten und für die es nicht wichtig ist, wie meine Fingernägel aussehen – oder mein Fuss.» Christa, Besucherin K+A Interessierte BesucherInnen können sich in den Kontakt- und Anlaufstellen regelmässig akupunktieren lassen. Ohrakupunktur nach dem NADAProtokoll wirkt stabilisierend, ausgleichend, mindert Entzugsbeschwerden und Suchtdruck. Sie kommt weltweit in circa 1500 Programmen zum Einsatz. Akupunktur ist auch eine nonverbale und dennoch sehr persönliche Möglichkeit der Kontaktaufnahme. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 21 Trotz ihres Erfolgs war und ist die Schadensminderung aber nicht unumstritten, beruht sie doch auf der grundsätzlichen Akzeptanz des Konsums psychotroper Substanzen und der Prämisse, dass gesellschaftlich-soziale Bedingungen einen mindestens so grossen Anteil am Schadenspotenzial haben wie die konsumierten Substanzen. Die Anerkennung dieses Umstands hatte und hat noch heute weitgehende Auswirkungen auf den politischen Diskurs, auf das Selbstverständnis konsumierender Personen und die Konzepte in der Suchthilfe: die Würde und die Selbstbestimmung des konsumierenden Menschen zu achten – und zwar auch dann, wenn diesem der Konsum entgleitet. Dass diese Haltung nicht den Wertvorstellungen aller entspricht, liegt auf der Hand. Aber: Die Schadensminderung hat im Umgang mit der Heroin- 14.40 D. Kaufmann und K. Mittag haben heute einen Vorstellungstermin in einer Autowerkstatt. Im Rahmen einer zweimonatigen Arbeitserprobung soll K. Mittag wieder lernen, einen geordneten Tagesablauf einzuhalten. Der Stadtlärm ist ein teilstationäres Reintegrationsprogramm, das seine BewohnerInnen nach einer Therapie auch beim Wiedereinstieg ins Berufs- und Alltagsleben begleitet und unterstützt. epidemie die gewünschte Wirkung erzeugt und lädt entsprechend zu Überlegungen dazu ein, in welcher Form das Konzept in anderen Bereichen der Suchthilfe Anwendung finden kann. Auf diesem Weg sind wir heute: Die Erkenntnis, dass das Anstreben einer konsumfreien Gesellschaft ein kaum realisierbares (und wohl auch nicht wünschenswertes) Ziel darstellt und vielmehr ein möglichst verantwortungsvoller und schadensarmer Konsum auf individueller und gesellschaftlicher Ebene angestrebt werden sollte, setzt sich in Fachkreisen zunehmend durch und beginnt, sich über den Heroinbereich hinaus auf andere legale und illegale Substanzen auszudehnen. Der akzeptierende und pragmatische Ansatz der Schadensminderung etabliert sich zunehmend als Querschnittsthema über die verschiedenen Substanzen und Interventionsbe reiche hinweg. Im öffentlichen und politischen Diskurs hingegen wird die Schadensminderung immer noch sehr kontrovers und polarisierend diskutiert. Moralische Vorbehalte und Ängste, dass damit einer Demontage unserer öffentlichen Sicherheit und unserer gesellschaftlichen Werte Vorschub geleistet wird, sind stark spürbar, obwohl ein solcher Prozess in keinem der bisherigen Anwendungsfelder beobachtet werden konnte. Diesen Befürchtungen mit der verfügbaren Evidenz entgegenzutreten, liegt in der Verantwortung der Fachleute. Wir sind dazu aufgefordert, eine sachliche Auseinandersetzung zu fördern, und zwar in Bezug auf alle Interventionsbereiche und alle Substanzen. Gelingt uns dies, scheint der Zeitpunkt angesichts der internationalen Entwicklung günstig, auch in der Schweiz einen Weg hin zu einem konstruktiveren Umgang mit psychotropen Substanzen einzuschlagen und die bisherigen Fortschritte und Errungenschaften zu sichern und weiterzuentwickeln. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die evidenzbasierte und sachorientierte Auseinandersetzung auch auf politischer Ebene Niederschlag findet und die Entwicklung einer Suchtpolitik begünstigen kann, die sinnvoll in alle Lebensbereiche der modernen Gesellschaft integriert wird. Nur wenn der suchtpolitische Diskurs in diesem Geist geführt wird, gelingt es, gesetzliche Rahmenbedingungen zu installieren, welche die Weiterentwicklung der Schadensminderung unterstützen und fördern. Angesprochen ist hier, allem voran, eine kohärente Regulierung der legalen und illegalen Suchtmittelmärkte. Für den Fachverband Sucht: Petra Baumberger, Generalsekretärin Thilo Beck, Vorstand Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 22 «‹Urteile nicht über jemanden, bevor du nicht eine Meile in seinen Schuhen gelaufen bist.› Analog zu diesem alten Sprichwort bedeutet Akzeptanz für mich, meinen Mitmenschen niemals wertend gegenüberzutreten.» Christine, Mitarbeiterin K+A Die BesucherInnen der Kontakt- und Anlaufstellen setzen sich aktiv für gute Nachbarschaft und Akzeptanz im Umfeld ein. Sie gehen täglich auf «Pumpitour», sammeln dabei Konsumutensilien im öffentlichen Raum ein und tun sich mit einer Stunde an der frischen Luft ganz nebenbei auch etwas Gutes. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 23 Schadensminderung braucht Mut Ein Vierteljahrhundert erfolgreiche Schadensminderung und doch kein Grund zum Ausruhen: Die Basler Kontakt- und Anlaufstellen feiern ihr 25-jähriges Bestehen. sind die Wege zu weiterführenden medizinischen und sozialen Hilfsangeboten kürzer geworden. Die BenutzerInnen sind gesundheitlich auf einem besseren Niveau bei gestiegener Lebenserwartung. Das ausufernde Drogenproblem der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre zwang zum Umdenken: Mit den bis dahin angewandten Methoden wurde schlichtweg zu wenig erreicht. Und die Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) sind noch heute das sichtbarste Zeichen des grossen Mutes, den damals viele engagierte Personen verschiedenster Institutionen, der Polizei und der Politik an den Tag legten. Doch darf auch ohne offene Drogenszene und ihre Schreckensbilder nicht vergessen werden, dass weiterhin viele Menschen direkt oder indirekt mit einer Suchtproblematik konfrontiert sind und deshalb grosses Leid erfahren müssen. Etwa 200 Personen nehmen das Angebot der K+A täglich in Anspruch: von fachlich beaufsichtigtem Konsum illegaler Drogen unter möglichst hygienischen Bedingungen, Erster Hilfe bei Überdosierungen sowie allgemeiner Gesundheitsvorsorge und Beratung über den Spritzentausch bis hin zur kleinen alkohol- und rauchfreien Cafeteria mit minimalem kostenlosem Angebot. 15.30 Die Mittagsschicht der K+A endet, das Tagesteam ist mit Aufräum- und Reinigungsarbeiten beschäftigt. Zwei Besucher wischen den Vorplatz, und ein verwirrter Konsument muss zur Tür begleitet werden. Die Kontakt- und Anlaufstellen sind täglich geöffnet und bieten ausser beaufsichtigten Konsumräumen ein breites Angebot an Information, Unterstützung und Beratung zu ganz vielen Fragen und Problemen. Seit 2008 ist Schadensminderung als vierte Säule neben Repression, Therapie und Prävention in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen. Längst gibt es in Basel keine offene Drogenszene mehr, und mit den niederschwelligen K+A Konzeptionelle Angleichungen an die aktuellen Konsumformen und Trends bei den konsumierten Substanzen finden seit 25 Jahren ebenso regelmässig statt wie eine Anpassung der Beratung und themenspezifischer Angebote vor Ort. Sichtbarstes Zeichen des steten Wandels sind der Bau und die Inbetriebnahme des neuen Pro- visoriums am Dreispitz und die Schliessung der K+A Spitalstrasse und Heuwaage. Schadensminderung darf sich aber nicht nur auf das Mindern der negativen Folgen des Drogenkonsums beschränken. Schaut man über den Tellerrand, ist nämlich zu erkennen, dass einige Probleme seit nunmehr 25 Jahren unverändert bestehen. Drogenkonsumenten werden immer noch kriminalisiert, während die Drogenproduktion und -vermarktung kriminellen Banden und Organisationen überlassen wird. Dies verhindert Verbraucherschutz, fördert den risikoreichen Konsum und nährt den Schwarzmarkt. Deshalb wünsche ich mir auch heute wieder mehr mutige und engagierte Leute. Leute, die es wagen, über ideologische Gräben hinweg zu streiten, konstruktiv nach Lösungen zu suchen und dabei das gemeinsame Ziel im Auge zu behalten. Den Menschen zu akzeptieren, ohne sich mit den Umständen abzufinden. Schadensminderung eben. Horst Bühlmann, Leitung Kontakt- und Anlaufstellen Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 24 «Hier bin ich nicht nur ein Junkie. Hier bin ich der Tobi.» Tobias, Besucher K+A Bei Kurzkontakten während einer warmen Suppe können Fragen zur Wohnungssuche, zu Entzugsprogrammen, Substitutionsbehandlungen oder Ähnlichem beantwortet werden. Gesundheitliche Probleme können angesprochen und Sorgen angehört werden. Einmal wöchentlich steht ein Arzt mit Rat und Tat zur Verfügung. Es besteht auch die Möglichkeit, eine tiefergehende Beratung aufzugleisen. In der Cafeteria der Kontakt- und Anlaufstellen dürfen die Besucher aber auch ganz einfach in Ruhe einen Kaffee trinken. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 25 Akzeptanz Wie viele andere gesellschaftliche Randgruppen erfahren auch Abhängige Ausgrenzung tagtäglich am eigenen Leib. Gross ist die Macht des Vorurteils, gerade in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft. Doch auch das gutmeinende Helfersystem kann Ausgrenzung forcieren. Ist Ausgrenzung gar systemimmanent? Unser Gastautor René Renggli versucht den Blickwinkel einmal zu ändern. Wenn man einmal das Akzeptanzsubjekt und das Akzeptanzobjekt umdrehen würde, wäre in der ewigen Debatte um die Akzeptanz von Süchtigen 17.00 An der Türe zur «Villa» ist lautstarkes Miauen zu vernehmen. Eine der Katzen, die zur Klinik ESTA gehören, möchte ins Haus und freut sich schon auf viele Streicheleinheiten von den BewohnerInnen. Entzug und Therapie in der Klinik ESTA finden in einem naturnahen, erholsamen und familiären Rahmen statt, welcher sich auf angenehme Weise von einem typischen Klinikbetrieb unterscheidet. schon viel gewonnen. Darum möchte ich anhand des Gedankengebäudes von Michel Foucault, dem viel zu früh verstorbenen französischen Philosophen, einige seiner Thesen in den Raum stellen, um damit das Thema Akzeptanz aus einem neuen Blickwinkel zu beleuchten. Das verbotene Wort In unserer Gesellschaft wird der Diskurs selektioniert und kanalisiert, um die Gefahr und die Macht des Diskurses zu bändigen. Ein Bändiger ist die Ausschliessung, das Verbot: Nicht jeder kann sich anmassen, über ein bestimmtes Thema zu debattieren. Es gibt ein bevorzugtes Recht des sprechenden Subjekts, das damit Macht hat, das zu vertreten, was ihm wichtig erscheint. Das heisst, ich habe mit diesen Zeilen die Macht, das zu vertreten, was mir wichtig erscheint. Es kann sich also nicht jeder anmassen, über das Thema Akzeptanz von Süchtigen zu schreiben. Diese These stimmt zwar nicht absolut, könnte doch ein Süchtiger theoretisch über dieses, sein Thema schreiben, doch würden seine Zeilen kaum in einer Fachzeitschrift publiziert und hätten somit keine Macht. Das gesellschaftliche Sprachrohr der Süchtigen sind wir, die Drogenfachleute, sowie die Juristen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Wir massen uns an, aufgrund unserer Erfahrungen zu wissen, was gut und was schlecht für die Süchtigen ist. Wir entscheiden aufgrund unserer psychologischen, psychiatrischen, sozialarbeiterischen und juristischen Ausbildung, was mit ihnen zu geschehen hat. Wir urteilen über Menschen, deren Lebenssituation wir nur vom Hörensagen kennen. Die Ausschliessung des Wahnsinns Der wahnsinnige Diskurs zählt nicht, hat keine Macht, kein Gewicht. Er gehört in ein anderes System, das nichts mit dem unseren gemeinsam hat. Was hat sich an dieser Vorstellung seit dem Mittelalter überhaupt geändert? Sicher: Die Grenzen wurden neu gezogen. In unseren Therapien und Institutionen lassen wir die Patienten zu Wort kommen, es ist ihnen auch erlaubt, ihre eigenen Wörter zu gebrauchen oder sie aber, was oft passiert, verzweifelt zurückzuhalten. Die Grenzen wurden neu gezogen und ihre Auswirkungen sind andere, doch die Zäsur bleibt bestehen. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 26 Viele Süchtige kommen nicht aus einem inneren Leidensdruck zu uns. Ihre Motivation ist meist fremdbestimmt, ihr Druck kommt viel eher von aussen, von der Gesellschaft, zu der sie als Randgruppe nicht mehr gehören. Mit einem klassischen Therapiesetting würden wir die meisten von ihnen verängstigen und verjagen, da sie damit meist überfordert sind. Mit einer eher kollegialen Haltung aber erreichen wir kaum etwas – ein sehr schwieriger Spagat. Weiter haben die Süchtigen keine Gewichtung, sie können sich unseren Kriterien unterordnen oder wieder in ihrer Randgruppe Zuflucht finden. Wir Drogenspezialisten bestimmen, was gut ist für sie, welche Therapien und Institutionen für sie angezeigt sind. Viele von ihnen werden erst gar nicht erfasst, fühlen sich nicht angesprochen und oft auch abgelehnt, da wir Helfer das gängige System vertreten, welches sie ja meist gänzlich ablehnen. Wille zur Wahrheit Unverkennbar ist jedoch der allgemeine Wille zur Wahrheit. Dieser Wille stützt sich auf Institutionen, Bücher und Laboratorien. Aber auch diese tendieren dazu, den Diskurs auszuschliessen, indem sie ausserinstitutionelle Diskurse ins Unwahre rücken. Der Wille zur Wahrheit wird umgebogen und gegen sich gewendet, gerade dort, wo die Wahrheit das Verbot zu rechtfertigen versucht. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Die Wahrheit ist die, welche Drogenfachleute postulieren. Wir, die Fachleute, wissen oder meinen zu wissen, was es an sich hat mit der Drogensucht. Wir schreiben Bücher, Artikel und Referate über Drogen. Sollten nicht vielmehr Süchtige zu Wort kommen, würden wir damit nicht weiter kommen? Ab und zu geschieht dies auch – leider aber meist nur als Alibiübung. Drogensüchtige schreiben generell keine Artikel, ihre Wissensvermittlung läuft auf einer anderen Ebene, welche die unsere selten berührt, ja nicht berühren kann, da wir in einer andern sozialen Schicht leben. Der Kommentar und die Regeln der Sprache Es gibt Primärtexte oder überliefertes Wissen, das man erzählt, wiederholt und abwandelt, so weit, bis das Ursprüngliche nicht mehr erkennbar ist. Denken wir nur an überlieferte Sagen und Märchen oder als klassisches Beispiel an den Sprung von Homers Odyssee zum Ulysses von James Joyce. Hier versucht der Kommentar das zu formulieren, was früher verschwiegen wurde. Bei den Regeln der Sprache geht es um die Bedingungen des Einsatzes, die dem sprechenden Individuum Regeln auferlegen. Diese Doktrin bindet die Sprechenden an gewisse Aussage- typen, um einerseits die Individuen untereinander zu verbinden und anderseits gegeneinander abzugrenzen. Denken wir dabei an eine Schilderung eines Drogensüchtigen, die, bis sie in einem Fachblatt erscheint, oft nicht mehr viel Gemeinsames mit der Ursprungsfassung hat. Schon die Sprache der «Gasse», welche die Süchtigen miteinander verbindet und andere ausschliesst, ist eine uns fremde und muss umformuliert werden, um «salonfähig» publiziert zu werden. Auch die Bedeutung gewisser Worte und Inhalte sind uns fremd und wir begreifen sie nur vom Hörensagen. Als Beispiel meinen wir zu wissen, was zum Beispiel ein «cold turkey» (kalter Entzug) ist, haben aber keine Ahnung, wie sich dies anfühlt. Auch hier wäre es sinnvoll, einmal Objekt und Subjekt umzudrehen, um einen neuen Blickwinkel zu erspähen und so die Odyssee eines Süchtigendaseins neu zu formulieren. Aneignung des Diskurses Schliesslich muss man die tiefe Spaltung der gesellschaftlichen Aneignung von Diskursen feststellen. Die Erziehung in unserer Gesellschaft mag de jure jedem den Zugang zu jeglicher Art von Diskurs ermöglichen. De facto ja, doch bleiben die Unterschiede, Gegensätze und Kämpfe bestehen. Ein Unterrichtssystem bleibt eine Ritua- Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 27 lisierung des Wortes, eine Qualifizierung und Fixierung der Rollen, die Bildung von diffusen, doktrinären Gruppen und eine Verteilung und Aneignung des Diskurses mit seiner Macht und seinem Wissen. Wie schwer Erziehung im Sinne der sozialen Klasse wirkt und wie unser Unterrichtssystem nach schichtspezifischen Kriterien selektioniert – obwohl es dies nicht wahrhaben möchte –, zeigt sich auch heute noch und wohl wieder vermehrt darin, dass sich das durchschnittliche Kind eines ungelernten Arbeiters kaum eine höhere Schulbildung, ja gar eine universitäre Ausbildung aneignen kann. Durch soziale Verwurzelung, das Sprechen einer schichtspezifischen Sprache und durch das Verhalten gelingt es nur ganz wenigen, einen Klassenwechsel zu vollziehen. Man mag sich fragen, was dies mit der Suchtproblematik zu tun hat. Ich glaube, es ist ein gutes Beispiel dafür, dass man sich aus einer Randgruppe schwerlich lösen kann und dies nicht zuletzt auch aus gesellschaftlichen Gründen. Der Süchtige kann sich zwar verändern, aber er hat es sehr schwer, sich als Normalbürger zu konstituieren. Wobei wir zum Schluss wieder bei der Akzeptanz gelandet wären. Randgruppenmitglieder geniessen mal mehr, mal weniger Akzeptanz, je nach gesellschaftlicher Befindlichkeit. Grundsätzliche Akzeptanz zu finden, bleibt aber für Süchtige eine Utopie, nicht umsonst reden ja wir, die sogenannten Normalbürger mit unsern kompensierten Lastern, bei Süchtigen von Randgruppen und Randexistenzen. Nomen est omen. René Renggli, Jahrgang 1948, ist ein Urgestein der Basler Schadensminderung. Der ehemalige Chefarzt der kantonalen Psychiatrie Schaffhausen war Präsident der Basler Gassenzimmer und des Beratungszentrums Drop In. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Drogen. 18.30 Im Beratungszent- rum treffen sich Jugendliche zum Cannabisgruppenkurs für die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt. Sie werden sich mit ihrem Konsum, möglichen Reduktionsstrategien und Schutzfaktoren auseinandersetzen. Viele Angebote der Suchthilfe Region Basel setzen keinen unbedingten Abstinenzwillen voraus. Denn auch Konsumreduktion und/oder ein bewussterer Umgang mit dem Konsum können ein erster Schritt sein. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 28 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Akzeptanz Bild Nr.4 Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 29 Feindbilder muss man abbauen Die Eröffnung der ersten offiziellen Gassenzimmer im Jahr 1991 stellte auch die Basler Polizei vor neue Herausforderungen. Ein Gastbeitrag von Peter Sumsander. Beinahe zwei Jahrzehnte gab es die Phänomene von Cannabis- und Heroinkonsum bereits, als die ersten Gassenzimmer eröffnet wurden. Und nach Einschätzung der (politisch) Verantwortlichen liess sich der Konsum auch weiterhin mit Repression bekämpfen, wenn man nur genügend Anstrengungen unternahm. Andere Länder, zuvorderst die USA, verfuhren ja ebenso. Die Strafen für den Besitz und den Handel von Drogen oder Konsumutensilien waren entsprechend hoch.Und innerhalb der (Uniform-)Polizei, damals eine völlig wertkonservative Organisation, hatte die Bekämpfung des Kleinhandels hohe Priorität. Es gab sogar Patrouillen, die miteinander wetteiferten, wer mehr Drogen sicherstellte. Derweil liefen die ersten Aids-Kampagnen an. Und während der Durchschnittsbürger nach wie vor der Ansicht war, dass nur Randgruppen gefährdet seien, musste die Polizei am Drogen- strich feststellen, dass «Otto Normalverbraucher und Familienvater» Wünsche hatte, die sich keinesfalls mit den Grundsätzen der AidsPrävention vereinbaren liessen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Krankheit vom Rande her in der gesamten Gesellschaft verbreiten würde. Aber politische Prozesse laufen bekanntlich langsam. Völlig neue Situation durch das «Sprützehüsli» Da führte eine private Initiative in Basel eine völlig neue Situation herbei, indem sie im Jahre 1988 am Lindenberg das «Sprützehüsli» eröff- 19.30 T. Spori ist seit sechs Wochen in der Therapie und geht, wie jeden Donnerstagabend, unbegleitet ins Fitnesscenter nach Reinach. Bei seiner Rückkehr ins Therapiehaus macht er einen freiwilligen Alkoholtest. In der stationären Therapie werden Klienten frühzeitig dazu ermuntert, in der Freizeit wieder nach draussen zu gehen, Kontakte zu pflegen und sich erneut den Herausforderungen des Alltages zu stellen. nete. Drei Jahre später folgte das erste offizielle Gassenzimmer an der Spitalstrasse. Das Innere sollte nur bei dringenden Fahndungsangelegenheiten betreten werden, die Jagd nach Drogen, Dealern und Konsumenten im Aussenbereich wurde aber weiterhin uneingeschränkt betrieben. Doch viele Polizisten fühlten sich damals mit dem Anspruch, durch Repression Ordnung zu schaffen, alleine gelassen. Und die Erfolge blieben trotz aller Bemühungen aus. Offene Szenen hatten sich vielerorts gebildet und liessen sich nicht eindämmen oder gar auflösen. Überdosierte Drogenabhängige waren an der Tagesordnung, und ihr Elend wurde zunehmend greifbar. Doch während verschiedene Institutionen den Spritzentausch förderten, wurden bei Polizeikontrollen gemäss den Weisungen der Strafverfolgung nebst den Drogen auch die Spritzenutensilien sichergestellt. Nach und nach wuchs so an der Polizeibasis die Erkenntnis, dass Repression alleine nicht erfolgreich sein würde. Nicht zuletzt mit dem Aufkommen von Aids und Hepatitis C und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr stellte man sich innerhalb der Polizei nun zunehmend die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Handelns. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 30 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Akzeptanz Bild Nr. 5 Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 31 Von der «Gegenseite» zum Gesprächspartner Es bestanden zwar weiterhin grosse Vorbehalte gegen Institutionen und deren Vertreter, die helfend auf der Seite der Drogenkonsumenten standen. Aber in der damaligen Polizeileitung wuchs die Einsicht, dass man mit der «Gegenseite» reden musste, um zu einem minimalen Konsens zu kommen. Mit dem Aufkommen von Kokain als neuer Droge und dem veränderten Konsumverhalten wurde die Polizei mittlerweile 24 Stunden täglich gefordert. Es zeigte sich immer klarer, dass die Repressionsschiene alleine nicht zielführend war. Erste Vorgaben regelten das Vorgehen innerhalb der K+A. Und diese gewannen im Polizeikorps zunehmend an Akzeptanz, da sie auch spürbar zu einer Entlastung des öffentlichen Raumes führten. Polizeiintern gab es gar erste Forderungen nach längeren Öffnungszeiten. Um die weiterhin bestehenden Vorurteile gegen die dort tätigen Sozialarbeitenden abzubauen, wurden die Polizeiaspiranten fortan speziell geschult; dazu gehörte ein Besuch in den K+A und damit ein tieferer Einblick in ihr Aufgabengebiet. Ergänzend wurden im Rahmen einer korpsinternen Weiterbildung Sinn und Zweck der K+A, ihre Aufgabengebiete, die Schnittstellen(-probleme) und das erwünschte Verhalten nahegebracht. Dies erfolgte in Koo- peration mit Mitarbeitenden der Abteilung Sucht und den Betreibern der Basler K+A. Zusammenarbeit schafft praktischen Mehrwert Zusätzlich begünstigt wurde die Zusammenarbeit durch das 1988 eingeführte Community Policing (bürgernahe Polizeiarbeit): Zur Problemlösung wurden Netzwerke zwischen den staatlichen und den privaten Strukturen der Stadt Basel gebildet, was sich auf beiden Seiten vertrauensbildend auswirkte und zielführenderes Arbeiten ermöglichte. Heute ist es der Polizei beispielsweise möglich, ihr bekannte Szenemitglieder, die sich in Krisen befinden, über die Gesundheitsdienste in Problemlösungsprozesse einzubinden. Polizeilicher Druck, wie Verzeigungen und Meldungen über den Sozialdienst der Polizei, sind dabei in erster Linie nur noch dazu gedacht und hilfreich 20.00 Aus der K+A am Riehenring ist Gesang und Musik zu vernehmen. Heute ist Probeabend von «Stoffwechsel». In der Band rocken K+A-BesucherInnen zusammen mit MitarbeiterInnen (CD erhältlich unter www.suchthilfe.ch). Das Angebot F und U (Förderung und Unterstützung) bietet auch Freizeitaktivitäten und schafft so drogenfreie Momente, ermöglicht Schritte aus der Isolation und die Entwicklung neuer Perspektiven. dabei, weiterführende Entwicklungen in Gang zu bringen. Denn es zeigte sich, dass diejenigen, die am meisten Probleme verursachen, am meisten Probleme mit sich herumtragen. Kein fester Wohnsitz, keine Sozialhilfe bedeutet keine Krankenkasse. Ohne Krankenkasse aber keine Substitution und weitere ungelöste physische und psychische Probleme. Gelingt es, an diesen Problemen anzusetzen, bessert sich die Situation und dadurch das Verhalten. Dies aber geschieht in den seltensten Fällen von heute auf morgen, sondern benötigt echte Beziehungsarbeit. Nach wie vor sind aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben Feindbilder vorhanden. Diese müssen alle Beteiligten auch weiterhin angehen – und sie tun dies auch. Beispielsweise hat an der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW) ein Team aus Polizisten und Mitarbeitern der Gesundheitsdienste seit drei Jahren die Gelegenheit, den praktischen Mehrwert einer aktiven Zusammenarbeit zu präsentieren. Welch eine beachtliche Entwicklung. Hauptmann Peter Sumsander leitete bis zu seiner Pensionierung im Mai 2016 den Polizeibezirk Kleinbasel und war in den vergangenen elf Jahren die Verbindungsperson der Kantonspolizei Basel-Stadt zur Abteilung Sucht der Gesundheitsdienste Basel-Stadt und zu weiteren Organisationen im Suchtbereich. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 32 Quo vadis, Cannabis? Seit sechs Jahren ist Cannabis die meistgenannte Substanz, derentwegen sich Konsumenten und auch Angehörige an das Beratungszentrum der Suchthilfe Region Basel wenden. THC hat die Opiate als Substanz Nummer eins deutlich abgelöst. Seit 2004 hat die Jugendanwaltschaft BaselStadt insgesamt 306 (Stand März 2016) verzeigte Jugendliche zu Einzelgesprächen oder zum Gruppenkurs beim Beratungszentrum angemeldet. Tendenz steigend. Die meisten Personen mit einer Cannabisproblematik melden sich aber nach wie vor freiwillig. Sie wollen ihren Konsum reduzieren oder beenden, sind unzufrieden mit dem Stellenwert, den der Konsum in ihrem Leben eingenommen hat. Der Wunsch, Kontrolle (zurück) zu erlangen, wird oft sehr deutlich geäussert. Ohne professionelle Unterstützung bleibt das aber allzu oft ein vergebliches Unterfangen. Die Suchthilfe leistet diese Unterstützung nicht nur im Beratungszentrum, sondern bei Bedarf auch in der Entzugs- und Therapieeinrichtung ESTA. Dabei können aber nur die Symptome einer vielschichtigen gesellschaftlichen 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Problematik angegangen werden. Um das Problem an der Wurzel packen zu können, braucht es den gesamtgesellschaftlichen Diskurs – und den Mut der Entscheidungsträger, neue Wege zu gehen. und die wichtigsten Fragestellungen. Es gelingt Schmid, die politische mit der fachlichen Sichtweise zu koppeln, und dies ist in dieser Frage von zentraler Bedeutung. Oliver Bolliger, Leitung Beratungszentrum Eine suchtpolitische Herausforderung Längst ist es Zeit für eine politische Wende. Das Ordnungsbussenmodell wird so unterschiedlich angewendet, dass es keinen Sinn macht und die relevanten Probleme ohnehin nicht lösen kann. Vielmehr wäre ein Regulierungsmodell notwendig, um den Schwarzmarkt zu verhindern und die Kontrolle zu erhalten. Eine Gleichstellung zwischen Cannabis- und Alkoholprodukten wäre zu erarbeiten. Und damit die Jugendlichen erreicht werden können, muss dabei die Altersgrenze mit dem Alter des tatsächlichen Konsumeinstiegs korrespondieren, sonst kann ein wesentlicher Teil der Präventionsarbeit und der Schadensminderung nicht greifen. Der Beitrag von Otto Schmid (Fachexperte und Grossrat) zur Cannabisregulierung bietet eine gute Übersicht über den aktuellen Stand Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 33 Die Suchthilfe Region Basel ist der Ansicht, dass folgende Aspekte für eine zukunftsorientierte Cannabispolitik dringend beachtet und eingehender diskutiert werden sollten: •Die Entkriminalisierung des Konsums sowie die Aufhebung des derzeitigen Ordnungsbussenmodells sind aus gesellschaftspolitischen und ökonomischen Gründen anzustreben. •Ein klar strukturiertes und staatlich zu überwachendes Regulierungsmodell für den Anbau, Handel und Vertrieb von Cannabisprodukten. •Die klare Deklaration der THC-Werte sowie die Festlegung altersentsprechender Höchstmengen und THC-Grenzwerte. •National einheitliche Regeln für den Jugendschutz in enger Anlehnung an die derzeitigen Bestimmungen bei Alkohol und Tabak sowie ein absolutes Werbeverbot. •Eine Verkaufssteuer, welche kantonal ausgeschüttet wird und zwingend für Präventionsund Beratungsarbeit einzusetzen ist. • Ein niederschwelliger Zugang für Jugendliche und Eltern zu Beratungsangeboten. •Die gesicherte Finanzierung von professionellen Angeboten in Prävention, ambulanter Beratung und stationärer Behandlung. 21.10 Vor der Hausnummer 111 an der Mülhauserstrasse stehen fünf Personen und diskutieren vor dem Nachhauseweg nochmals darüber, wie Arbeitsplätze und Patientenzimmer in der Therapie verbessert werden könnten. Der Stiftungsrat der Suchthilfe Region Basel besteht aus acht Personen, von denen sich Einzelne schon seit Jahrzehnten hier engagieren. Er leistet jährlich circa 250 Stunden ehrenamtliche Arbeit. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 34 24Akzeptanz Stunden Bild Nr. 6 Suchthilfe Region Basel Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 35 Regulate it! Das Cannabisverbot ist kaum durchsetzbar, und die gesetzliche Situation befriedigt weder Politiker noch Sucht experten. Mit wissenschaftlichen Versuchen zur Cannabisregulierung machen nun fünf Schweizer Grossstädte Druck auf den Bundesrat. Nur selten werden drogenpolitische Entscheidungen aufgrund wissenschaftlicher Evidenz gefällt. Fragwürdig ist das vor allem dann, wenn die Politik fachliche Entscheidungen bei der Behandlung Drogenabhängiger trifft, wie im Falle der kontrollierten Heroinabgabe. Wären nur Fachleute verantwortlich gewesen, wäre die heroingestützte Behandlung vermutlich 15 Jahre früher eingesetzt worden. Hunderte von Menschenleben hätte das wohl gerettet. Wie stark fachliche Debatten politisch geleitet oder gar verhindert werden, zeigt auch folgendes Beispiel vom Juni 2004: Der Nationalrat sollte sich damals erneut mit der Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) befassen, unter anderem zwecks eines liberaleren Umgangs mit Cannabiskonsum. Doch während der Ständerat die Vor- lage bereits behandelt und einer Entkriminalisierung (nicht Legalisierung!) zugestimmt hatte, weigerte sich der Nationalrat, darüber überhaupt in Diskussion zu treten. Bedauerlich, weil mit der Revision auch die erfolgreiche Viersäulenpolitik hätte verankert werden sollen. Mit dieser Gesprächsverweigerung wurde beschlossen, die nächsten Jahre nichts zu ändern. Verbesserungen des Jugendschutzes in Bezug auf Haschkonsum blieben somit Fehlanzeige. Was möchte das Volk? Dass die Schweizer Bevölkerung weder eine völlige Restriktion noch eine komplette Legalisierung von Cannabis wünscht, ist klar, seit sowohl die restriktive Volksinitiative «Jugend ohne Drogen» (1997) als auch die liberalen Initiativen «Für eine vernünftige Drogenpolitik» (1998) und «Für eine vernünftige Hanfpolitik» (2008) abgewiesen wurden. Einzig gangbar scheint somit der goldene Mittelweg – eine schrittweise Regulierung des Cannabiskonsums unter Berücksichtigung des Jugendschutzes. Dies unterstützt und fordert auch die Eidgenössische Kommission für Suchtfragen (EKSF), welche den Bundesrat berät. Entstanden ist die Idee der Cannabisregulierung in der Romandie. Dort steht der Genfer Soziologieprofessor Sandro Cattacin einer Projektgruppe vor, die den Marihuanakonsum in sogenannten «Cannabis Social Clubs» regulieren will. Das Projekt zielt auf eine Zerstörung des Schwarzmarktes. Experten gehen davon aus, dass der illegale Schwarzmarkt alleine in der Schweiz circa eine Milliarde Franken generiert. Und es stellt sich die Frage, ob man weiterhin gewillt ist, dieses Geld dem illegalen Handel und der Drogenmafia zu überlassen, statt durch eine Regulierung den Schwarzmarkt einzudämmen und die inländischen Hanfbauern zu unterstützen. 23.30 Elli und Steffi stehen an einer Technoparty im Club Nordstern hinter dem Infostand und erklären den Ablauf des Drugcheckings. Im Rahmen von Safer Dance Basel werden sie bis 06.30 Uhr die Partygäste beraten. Safer Dance Basel ist ein Schadensminderungsprojekt, welches vom Beratungszentrum und den K+A gemeinsam betrieben wird. Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge der Kantone Basel-Stadt und Baselland sowie Spenden. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 36 Cannabisklubs verstossen aber gegen Artikel 19b des BetmG. Auch ein 2010 erarbeitetes Gutachten des Strafrechtsprofessors Martin Killias macht klar, dass die Kantone ohne bundesweite Gesetzesänderung keine Lockerung des Cannabisgesetzes durchsetzen können. Nun also werden die Schweizer Grossstädte aktiv und versuchen diesbezüglich Druck auf den Bund zu machen. Vertreter aus den rot-grün regierten Städten Genf, Zürich, Bern, Winterthur und Basel fordern kontrollierte Versuche zur Regulierung des Cannabiskonsums. Gesuche für Studien mit 1000 Teilnehmenden werden wohl noch diesen Sommer eingereicht. Bundesbewilligung oder ziviler Ungehorsam? Ob das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den engagierten Städten die Bewilligung erteilen wird, muss sich zeigen. Öffentlich geäussert hat sich der zuständige Bundesrat Alain Berset bisher jedenfalls noch nicht. Fachleuten gegenüber zeigt er sich offen, die Frage, ob er Cannabisversuche zulassen kann, macht er aber einzig von der – sehr dünnen – Rechtslage abhängig. 24 Stunden Suchthilfe Region Basel Experten haben jedoch eine Gesetzeslücke für eine kontrollierte Abgabe ausgemacht. Gemäss BetmG kann das BAG im Rahmen wissenschaftlicher Forschung sogenannte Ausnahmebe willigungen für Anbau, Einfuhr, Herstellung und Inverkehrbringen erteilen (Art. 8 Abs. 5 BetmG). Diesen Passus möchten die Städte nun dazu nutzen, die Versuche durchzubringen und somit die drogenpolitische Diskussion voranzutreiben. Zum Burgunder einen Joint? Auch wenn sogenannte Cannabisklubs die Grundidee sind, geht es nun in einem ersten Schritt nicht, wie in den Medien oft fälschlich dargestellt, um die Errichtung von Klubs, in denen zum Glas Wein gemütlich und legal gekifft werden darf. Vielmehr sind wissenschaftlich eng begleitete Studien vorgesehen, die auf die öffentliche Gesundheit fokussiert sind und unterschiedliche Gruppen von Konsumenten untersuchen sollen. Die Kosten dieser Projekte beliefen sich laut Cattacin über drei Jahre auf insgesamt 600 000 Franken. Was im Vergleich zu den im gleichen Zeitraum auflaufenden Kosten für restriktive Massnahmen äusserst kostengünstig wäre. Neue Impulse setzte im Dezember 2015 auch Altbundesrätin Ruth Dreifuss, indem sie das Gespräch mit Bundesrat Berset suchte. Dreifuss ist als Präsidentin der Genfer Suchtkommission und Mitbegründerin der «Global Commission on Drug Policy» ein politisches und fachliches Schwergewicht. Sie hat das Ziel, den Gesundheitsminister von der Notwendigkeit der Cannabisversuche zu überzeugen. Und nachdem die Zurückhaltung bisher gross war, sieht es nun tatsächlich so aus, als würde der Bund den Städten zumindest keine Steine in den Weg legen. Ein Problem könnten allenfalls die Kantonsparlamente sein. In Basel wurde der Antrag von Tanja Soland (SP) zum kontrollierten Verkauf von Cannabis 2012 und nochmals 2015 stehen gelassen. Was zumindest bedeutet, dass die Mehrheit des Parlaments der Kantonsregierung den Auftrag erteilt, diesen Vorschlag genauer zu prüfen und darüber zu berichten. Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 37 Versuche mit Jugendlichen Vier Gruppen von Cannabiskonsumenten sollen wissenschaftlich untersucht werden: rwachsene mit unproblematischem Konsum. E Untersucht werden soll, inwieweit sich die Situation für die sogenannten Genussraucher mit einer Entkriminalisierung verbessert. E rwachsene mit problematischem Konsumverhalten. Hier sollen zuvorderst Veränderungen im Begleitverhalten, zum Beispiel die Beschaffung und die damit verbundenen illegalen Handlungen, untersucht werden. Konsumenten, welche Cannabis als Selbstmedikation, zum Beispiel bei Schmerzen, verwenden. Konsumenten unter 18 Jahren. Untersucht werden soll, ob der Konsum dieser Risikogruppe unter legalen Bedingungen besser unter Kontrolle gebracht werden kann. Eine besondere Herausforderung dabei stellt die letztgenannte Gruppe dar. Denn fraglich ist nicht nur, ob die kantonalen Ethikkommis sionen Studien mit Jugendlichen zustimmen werden, sondern auch, welche Institutionen sich an diese Probanden wagen. Warum regulieren? Welche Vorteile brächte eine Regulierung analog zum Alkohol- oder Tabakverkauf? Der Jugendschutz wäre besser durchsetzbar, effizientere Prävention wäre möglich und ein problematischer Konsum könnte früher wahrgenommen werden. Auch liesse sich die Qualität von Cannabis besser regulieren, eine klare Deklarierung der Inhaltsstoffe vorausgesetzt; eine saubere Substanz führte bereits bei der heroingestützten Behandlung zum Erfolg. Schliesslich würde dem Schwarzmarkt das Wasser abgegraben. All dies benötigt klare Rahmenbedingungen, wer Marihuana produzieren und abgeben darf. Es bedarf zwingend auch eines Mindestalters für den Jugendschutz sowie einer qualitativen Produktkontrolle. Natürlich darf bei der ganzen Diskussion nicht ausser Acht gelassen werden, dass Cannabis keine gänzlich unproblematische Substanz ist. Als erwiesen gilt etwa ein Zusammenhang zwischen gewissen psychischen Erkrankungen und Cannabiskonsum. Dazu kommt die schädliche Inhalation des Rauches oder das sogenannte amotivationale Syndrom. Das Bedürfnis nach Berauschung besteht aber seit Anbeginn der Menschheit. Das kann man gut finden oder schlecht, es ist schlicht Realität. Die meisten der rund 500 000 Cannabiskonsumenten in der Schweiz pflegen einen moderaten Konsum, und erwachsene Problemkon sumenten über 25 Jahre sind äusserst selten. Auch der Psychiater, Neuropsychopharmakologe und ehemalige Berater der britischen Regierung, David Nutt, kommt aufgrund seiner Forschungsergebnisse zum Schluss, dass es statistisch gefährlicher sei, ein Pferd zu reiten, als einen Joint zu rauchen. Otto Schmid (49) ist Grossrat der SP BaselStadt, Geschäftsleiter des Instituts und Suchtcoach promovierter Sozialwissenschaftler. 03.00 Die Nachtwache im Entzug nimmt sich Zeit für eine Patientin, die nicht schlafen kann, und hört sich deren Sorgen und Ängste an. Nach einer Stunde und zwei Tassen Tee versucht Frau Spät wieder zu schlafen. Der Entzug stellt eine grosse psychische und physische Belastung dar. Unsere Mitarbeiter sind rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr im Einsatz, bieten Unterstützung und haben stets ein offenes Ohr. Akzeptanz Bild Nr. 7 Jahresmagazin 2016 | AKZEPTANZ | Seite 39 Organisation und Adressen Impressum Geschäftsstelle Suchthilfe Region Basel Herausgeberin Mülhauserstrasse 113, 4056 Basel, Suchthilfe Region Basel, Mülhauserstrasse 113, 4056 Basel, Tel. 061 383 02 88 www.suchthilfe.ch, [email protected] Kontakt- und Anlaufstellen Gesamtkoordination und Redaktion Mülhauserstrasse 113, Oliver Bolliger, Walter Meury, Alexander Roth, Saskia Leu 4056 Basel, Tel. 061 383 01 99 Bildnachweis: Flavia Schaub, www.flaviaschaub.com Beratungszentrum Gestaltung: Weissgrund Kommunikation AG, Zürich Mülhauserstrasse 111, Druck: FO-Fotorotar AG, Egg ZH 4056 Basel, Tel. 061 387 99 99 Auflage: 1000 Exemplare Erscheinungsdatum: Juni 2016 Klinik ESTA – Stationärer Entzug Gstadstrasse 42A , 4153 Reinach, Tel. 061 706 87 87 Klinik ESTA – Stationäre Therapie Gstadstrasse 42, 4153 Reinach, Tel. 061 706 87 82 Spektrum – Familienplatzierung Mülhauserstrasse 113, 4056 Basel, Tel. 061 921 11 93 Stadtlärm – Teilstationäre Reintegration Vogesenstrasse 66, 4056 Basel, Tel. 061 302 77 22 Akzeptanz Bild Nr. 1
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