Das Zauberwort heißt Subsidiarität

im blickpunkt
europa
europäische arbeitsmarktpolitik
Das Zauberwort heißt Subsidiarität
Die EU neigt dazu, Entscheidungen an sich zu ziehen, die besser bei den Mitgliedstaaten bleiben
sollten. Ein Beispiel ist die Arbeitsmarktpolitik.
„Entscheidungen
über Arbeitsmarkt und
Sozialpolitik
sind Sache der
Nationalstaaten,
und dabei muss
es bleiben.“
Fabian Seus
VDMA
EU
j Eigentlich ist die Lage eindeutig. Aus
beschäftigungspolitischen Fragen hat
sich die Europäische Union möglichst
herauszuhalten. So war es bislang Usus
in der EU. Und das aus gutem Grund: Zu
heterogen ist der Arbeitsmarkt in den
28 Mitgliedstaaten, zu unterschiedlich
sind ihre jeweiligen sozialen Sicherungssysteme, als dass man alles über den
Brüsseler Kamm scheren könnte. Dennoch gibt es immer wieder Versuche, die
Kompetenzen der europäischen Institutionen auf die Arbeitsmarktpolitik auszuweiten – Tendenz steigend.
Probleme nach Brüssel abschieben
Nicht nur die EU selbst streckt immer
wieder ihre Fühler in diese Richtung aus.
Auch in einigen Mitgliedstaaten werden
zuweilen Stimmen laut, die eine gesamteuropäische Arbeitsmarktpolitik fordern.
Dahinter steckt oft die politische Absicht,
die Verantwortung für Probleme auf nationaler Ebene nach Brüssel abzuschieben. Ein Vorstoß aus jüngster Zeit kam
von Emmanuel Macron, Wirtschaftsminister im krisengeschüttelten Frankreich.
Er brachte in einem Interview mit der
„Süddeutschen Zeitung“ für den EuroRaum eine Wirtschaftsregierung mit
Bund
Länder
Gemeinden, Kommunen, Regionen
Vereine, Verbände, Kirchen
Individuum, Familie, Gruppe
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vdma-Nachrichten juni 2016
Mit Subsidiarität ist jenes
Prinzip gemeint, das eine
genau definierte Rangfolge
staatlich-gesellschaftlicher Entscheidungsebenen festlegt.
einer zentral gesteuerten Arbeitsmarktpolitik ins Gespräch.
Die Reaktion des VDMA fiel eindeutig
aus: „Entscheidungen über den Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik sind Sache
der Nationalstaaten, und dabei muss es
bleiben“, kommentierte Fabian Seus,
Leiter des VDMA-Kompetenzzentrums
Arbeitsmarkt, das französische Ansinnen. Der Arbeitsjurist aus der VDMARechtsabteilung gab der Europäischen
Union den guten Rat, sich stattdessen
auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren.
Gleichzeitig empfahl er den nationalen
Regierungen, bessere Rahmenbedingungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen.
„In den letzten Jahren haben wir mit den
europäischen Vorgaben zur Arbeitsmarktpolitik keine guten Erfahrungen
gemacht“, bilanzierte Seus. Sie hätten
am Ende immer zu Überregulierung geführt.
Mit seiner ablehnenden Haltung zur
schleichenden Kompetenzausweitung
bei Arbeit und Sozialem steht Seus nicht
allein. Auch die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
argumentiert in ihrem Papier „Europäische Arbeitslosenversicherung – kein
Beitrag für ein erfolgreiches Europa“:
„Hauptursachen makroökonomischer
Ungleichgewichte in der EU sind nicht
Konjunkturschwankungen,
sondern
strukturelle Probleme. Sie sind das Ergebnis verfehlter nationaler Wirtschafts-,
Arbeitsmarkt-, Finanz- und Bildungspolitik.“ Für den sprunghaften Anstieg der
Arbeitslosigkeit in einzelnen Ländern
seien inflexible Arbeitsmärkte, hohe
Lohnstückkosten und kaum wettbewerbsfähige Produkte verantwortlich.
Der Abbau der Arbeitslosigkeit sei nur
mit Reformen zu bewältigen, „die auf
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Eine europäische Arbeitslosenversicherung ist nicht zielführend. Das sieht nicht nur der VDMA so, sondern auch die BDA.
Auch der VDMA-Arbeitsmarktexpereine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit,
auf anpassungsfähige Arbeitsmärkte te Seus reagierte deshalb kritisch auf die
und den Aufbau einer leistungsfähigen Idee einer europäischen ArbeitslosenArbeitsvermittlung in den einzelnen versicherung, die derzeit Konjunktur unMitgliedstaaten ausgerichtet sind.“ Mit ter europäischen Sozialpolitikern erlebt.
anderen Worten: Die Arbeitslosigkeit ist „Nicht zielführend“, so lautete sein knapin vielen Ländern hausgemacht und per Kommentar. Eine solche Versichenicht durch eine Verschiebung der Ver- rung würde nicht nur zusätzliche Bürokratie bedeuten, sondern zu
antwortung nach Brüssel zu
„Gäbe man
einer gewaltigen finanziellen
lösen.
das SubsidiaUmverteilung im Sinne einer
ritätsprinzip
sozialen Transferunion fühNicht zielführend
ren. „Das ist das Gegenteil von
Die BDA erinnerte daran, dass auf, hätte das
etwa bei einer europaweiten weitreichende dem, was wir in Europa brauchen, nämlich eine FlexibiliArbeitslosenversicherung Folgen.“
sierung des Arbeitsmarktes
zahlreiche, sich oft widersprefür mehr Wettbewerbsfähigchende nationale Regelungen Holger Schäfer
IW Köln
keit und Wachstum.“ Seine
harmonisiert werden müssten. Zum Beispiel: Wie lange müssten Ar- Begründung: „Die wirtschaftliche Situabeitnehmer in eine Arbeitslosenversi- tion in den Eurostaaten ist so untercherung eingezahlt haben, um im Fall schiedlich, dass eine pauschale Einheitsder Arbeitslosigkeit Unterstützung er- politik nicht sinnvoll ist. Den Herauswarten zu können? Sechs Monate wie in forderungen kann besser auf nationaler
Frankreich oder 36 Monate wie in Grie- Ebene unter Wahrung des Subsidiaritätschenland? Wer sollte überhaupt in eine prinzips begegnet werden.“
solche Versicherung einzahlen? Nur der
Arbeitgeber – wie in Italien? Arbeitgeber Wahrung des Subsidiaritätsprinzips
und Arbeitnehmer gemeinsam – wie in Mit Subsidiarität ist jenes Prinzip geDeutschland? Oder auch der Staat – wie meint, das eine genau definierte Rangfolge staatlich-gesellschaftlicher Entscheiin Finnland?
dungsebenen festlegt. Danach soll eine
höhere staatliche Ebene nur dann eingreifen, wenn die untere Einheit nicht in
der Lage ist. Aber selbst dann soll Hilfe
zur Selbsthilfe immer das oberste Handlungsprinzip der jeweils übergeordneten
Instanz sein.
Gäbe man das Subsidiaritätsprinzip
auf, hätte das weitreichende Folgen. Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln
(IW), warnte: „Würde man in der EU die
beschäftigungspolitischen Kompetenzen zunehmend zentralisieren, bestünde
die Gefahr, dass die einzelstaatlichen Anreize zur Verringerung der Arbeitslosigkeit erlahmen und Forderungen nach einer gemeinschaftlichen Beteiligung oder
Finanzierung zunehmen. Nicht zuletzt
sprechen die institutionellen und ökonomischen Unterschiede in den Nationalstaaten für eine dezentrale Regelungskompetenz.“
W
kontakt
Holger Wuchold
VDMA-Hauptstadtbüro
Telefon +49 30 306946-19
[email protected]
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