Hauptrede zum Weltwirtschaftlichen Preis 2016 Prof. Dennis J

We lt wirtschaftlicher Prei s 201 6
Global Economy Prize 2016
Hauptrede zum Weltwirtschaftlichen Preis 2016
Prof. Dennis J. Snower, Institut für Weltwirtschaft
Es gilt das gesprochene Wort
Verehrter Ministerpräsident Albig,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident Schlie,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kämpfer und
sehr geehrter Herr Stadtpräsident Tovar,
sehr geehrter Herr Vater,
ganz besonders herzlich begrüße ich unsere Preisträger
Friede Springer und Mario Monti
sowie unseren Ehrengast Bundesminister Wolfgang Schäuble.
Sehr geehrte Gäste,
„Aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung, … die Desintegration Europas zu
verhindern.“
Mario Monti, einer unserer heutigen Preisträger, hat diese Worte gesagt, Mitte Januar
in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“. Er spricht damit eine Gefahr an, die neu
ist für das moderne Europa, das in den letzten Jahrzehnten immer enger zusammengerückt ist – nämlich dass sich die europäische Integration in ihr Gegenteil verkehrt.
Denn Europa, jener Hort der Freiheit mit seinen offenen Grenzen, baut gut ein viertel
Jahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder Zäune und Mauern, wird
zur Festung, schottet sich ab. In der Flüchtlingskrise wird vieles über Bord geworfen,
was Europa zu dem gemacht hat, was es heute ist. Für diejenigen wie Friede Springer,
Mario Monti und Wolfgang Schäuble, die mit Herzblut für die europäische Idee
kämpfen, muss eine solche Entwicklung höchst alarmierend sein.
Es ist an der Zeit, noch einmal darüber nachzudenken, was eigentlich der europäische
Traum ist – was die Ideale sind, die die Gründerväter des europäischen Projekts nach
dem Zweiten Weltkrieg hatten: die Vision Europas als offene, tolerante Gemeinschaft,
ein Zufluchtsort für die Vertriebenen nach den Zweiten Weltkrieg und den Vernachlässigten im Ostblock nach Zusammenbruch der Sowjetunion, eine Oase des
Friedens, die ihren Bewohnern Wohlstand bringt.
Natürlich kann man die europäische Integration heute nicht mehr nur mit Blick auf
die Vergangenheit begründen. Europäische Integration ist längst die Suche nach
Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts geworden. Vieler dieser
Herausforderungen entstehen aus der zunehmenden wirtschaftlichen Verbundenheit
und Mobilität der Weltbevölkerung. Die Flüchtlingsbewegung, zum Beispiel, bringt
mehr internationale und interkulturelle Probleme mit sich als die europäischen
Integrationsprobleme des vergangenen Jahrhunderts.
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Antworten auf diese Probleme, die die Bedürfnisse der Einwohner innerhalb und
außerhalb der europäischen Grenzen berücksichtigen, wird kein einzelner europäischer Staat für sich allein finden können, selbst wenn er es wollte. Wer die Integrationsfähigkeit der Flüchtlinge und die Integrationswilligkeit der hiesigen Bevölkerung
im Voraus als unzureichend einschätzt, wer über das soziale Umfeld im Voraus urteilt,
statt es zu schmieden, tritt den europäischen Traum mit Füßen und ist außerdem zum
Scheitern verurteilt. Und wer verzweifelte Menschen in die Ungewissheit abschiebt,
verabschiedet sich vom europäischen Wertegerüst und bricht zudem internationales
Recht. Um es mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu sagen:
„Abschottung ist keine Lösung – genauso wenig, wie sich gesellschaftlicher Wandel
durch Verweigerung verhindern lässt.“
Wenn die wirtschaftliche und politische Kohärenz Europas sich weiter entwickeln soll,
dann werden wir eine sozialen Zusammenhalt und einen gemeinsamen moralischen
Kompass finden müssen. Es ist eine Frage von Moral und von Humanität in einer
freiheitlichen Wertegemeinschaft, jenen zu helfen, deren Leben bedroht ist. Es ist eine
Frage von gutem Willen, Zuversicht und Vertrauen, die sozialen Rahmenbedingungen
aufzubauen, die zu gegenseitigem Vertrauen und einem Perspektivwechsel führen
können.
Für solche Werte stehen unsere beiden Preisträger am heutigen Tage, Friede Springer
und Mario Monti. Beide haben sich für ein offenes, faires, regelgebundenes und nachhaltiges Europa eingesetzt, in dem alle Bewohner gute Chancen auf Wohlstand und
Lebensinhalt haben.
Friede Springer hat nach dem Tod ihres Mannes Axel Springer dessen Werk – nicht
nur den Kampf für ein wiedervereinigtes Deutschland in Europa, sondern auch für
den freiheitlichen Rechtsstaat und für die Aussöhnung und Verständigung zwischen
den Völkern – weitergeführt und seine Anliegen unter veränderten Rahmenbedingungen weiterverfolgt.
Mario Monti steht wie kaum ein zweiter für den Geist der europäischen Gründerväter.
Wie wichtig ihm ein funktionierendes Europa und ein regeltreues Verhalten der
entsprechenden Akteure sind, hat er als EU-Wettbewerbskommissar durch seine
streitbare und unnachgiebige Haltung gegenüber der Marktmacht von Großkonzernen mehr als deutlich gemacht. Nur wer Europas Regeln, Normen und Werte
respektiert, kann dieser Gemeinschaft angehören, hier Geschäfte machen, hier leben.
Das gilt im Übrigen natürlich auch für jene Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und
Vertreibung zu uns kommen.
Wenn das Engagement für ein tolerantes, friedliches, geeintes Europa so vieler
Menschen – von Axel und Friede Springer über Helmut Kohl, Hans-Dietrich
Genscher, Valéry Giscard d’Estaing und François Mitterand bis hin zu Mario Monti,
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Wolfgang Schäuble und vielen weiteren – nicht umsonst gewesen sein soll, dann
muss es sich endlich auf seine Grundprinzipien zurückbesinnen. Es muss internationales Recht – insbesondere auch das Recht auf Asyl – respektieren und selbstverständlich auch die eigenen, selbst aufgestellten Regeln einhalten. Denn zwischenstaatliche Entscheidungen setzen immer Verlässlichkeit bei der Umsetzung voraus.
Wenn wir zulassen, dass sich jeder nur an das hält, was ihm gerade gelegen kommt,
können keine funktionierenden Strukturen entstehen.
Europa braucht wieder den Mut und die positive Zukunftsvision zu Aussöhnung und
Verständigung. Eben genau jene Faktoren, die das europäische Projekt in der
Vergangenheit so erfolgreich gemacht haben.
Dieses Projekt der transnationalen und transkulturellen Kooperation kann für die
restliche Welt wegweisend sein. Denn wir leben im Zeitalter der Globalisierung, in
dem die Lösung unserer gewaltigsten Probleme, zunehmend von solcher Kooperation über staatliche und kulturelle Grenzen hinweg abhängt. Terrorismus und Klimawandel, Finanzkrisen und Ressourcenknappheit, die Bedrohung nuklearer
Auseinandersetzungen – das sind alles Probleme, die kein Land der Welt alleine lösen
kann. Auch die Flüchtlingskrise ist so ein Problem, das keine Grenzen kennt. Solche
globalen Probleme erfordern internationale Zusammenarbeit, nicht Abschottung.
Doch aktuell geschieht das Gegenteil: National-konservative Parteien und
Bewegungen gewinnen europaweit, ja – schauen wir zum Beispiel auf Donald Trump
in Amerika oder die Brexit-Befürworter in Großbritannien – sogar weltweit an
Bedeutung. Die internationale Zusammenarbeit ist in vielen Bereichen auf dem
Rückzug, die Verantwortung endet oft an den nationalen Grenzen. Diese Entwicklung
ist gefährlich, ökonomisch, gesellschaftlich und ökologisch. Denn sie gefährdet
Frieden und Wohlstand.
Die internationale Zusammenarbeit zu mehren, um globale Lösungen für die globalen
Probleme unserer Zeit zu finden – das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist
das zentrale Anliegen des Weltwirtschaftlichen Preises. Die Preisträger eint, dass sie
Mut zur Verantwortung haben und Wege in die Zukunft aufzeigen.
Und auch diesen Mut zur Verantwortung haben unsere heutigen Preisträger
bewiesen: Mario Monti hatte als Wirtschaftsprofessor an der Universität Turin den
Mut, politische Verantwortung zu übernehmen: Als EU-Wettbewerbskommissar in
Brüssel, aber auch als italienischer Ministerpräsident, wo er den Grundstein für
wichtige Reformen in Italien legte. Und Friede Springer hatte den Mut zur unternehmerischen und gesellschaftlichen Verantwortung, als sie nach dem Tod ihres
Mannes Axel Springer 1985 dessen Lebenswerk mit großer Disziplin fortsetzte und
den gleichnamigen Verlag vor dem Zerfall bewahrte.
Nur ein Mehr an Verantwortung für den Nächsten, ein Mehr an Einblick in die
Perspektiven der derzeit Fremden, kann dazu beitragen, die wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen und Lösungen für
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die drängenden globalen Probleme zu finden. In diesem Sinne freue ich mich sehr,
dass wir heute den Weltwirtschaftlichen Preis 2016 an Friede Springer und Mario
Monti verleihen können.
Vielen Dank.