1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Eine ziemlich weite Reise nach Europa oder: Wie es sich in einer Kopie lebt Von Tim Staffel Produktion: DLF/rbb/BR 2016 Redaktion: Tina Klopp Erstsendung: Freitag, 24.06.2016 , 20:10-21:00 Uhr Regie: der Autor Sprecher: Patrick Güldenberg Sprecherin: Vanessa Loibl Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © 2 In einem Taxi. Li: Dann machen wir einen Umweg, ja? Eigentlich sollten wir nach links abbiegen, aber wir biegen rechst ab und machen einen Abstecher. Am Wochenende geht da die Post ab, ist viel los. Da sind die Gebäude von Hashitate, da sieht man schon die Gebäude, ja. Das Gelände ist riesig, das ist nur am Rande. Sprecher: Hashitate in der südchinesischen Provinz Guangdong. Ein Dorf zwischen einem künstlich angelegten See und einem steil aufragendem Berg. Eingang Hashitate. Li: Da steht vier Mal die A, das heißt staatliche touristische Attraktion. Diese Gegend wird zu einer sehr guten Stufe eingestuft als Sehenswürdigkeit. Da unten die größeren Schriften lauten Minmetals Hashitate oder Hallstatt. Sprecher: Der Ort Hallstatt am Hallstätter See in Österreich ist Weltkulturerbe: ein idyllisches Bergdorf im Salzkammergut. 2012 wurde hier im Distrikt Boluo nahe der 3,5 Millionen Einwohner zählenden Stadt Huizhou eine Kopie des Ortes errichtet, als Attraktion eines Immobilienprojektes – im seitenverkehrten Grundriss. „Typisch chinesisch“, hieß es abfällig in Zeitungsberichten, „die kopieren einfach alles.“ Die Hallstätter beklagten sich, Chinesen hätten heimlich ihr Dorf vermessen und geistiges Eigentum gestohlen. Sprecher: Eine ziemlich weite Reise nach Europa – oder: Wie es sich in einer Kopie lebt. Ein Feature von Tim Staffel. Li kauft Eintrittstickets. Tim: Wir stehen am Ticketschalter für Touristen und blicken auf die Reihenhäuser, die zum Verkauf stehen. Li ist mein Begleiter und übersetzt für mich. Li: Also ich heiße Li Zheng. Li ist mein Nachname, Zheng mein Vorname. Ich komme aus der Stadt Taijuan in der Provinz Shanxi. Ich arbeite in Peking als Radiosprecher und Übersetzer. Auf einer Brücke die zum Dorfkern von Hashitate führt. Li: Wir stehen jetzt vor der Brücke 8632. Wofür steht denn diese Zahl? Die Zahl ist die Distanz zwischen Hallstatt in Österreich und Minmetals Hashitate. Angeblich soll diese Brücke zu Freiheit und Romantik führen. Sprecher: Am Ufer des Sees ist eine Motoryacht gestrandet, auf dem Bug lässt sich ein Hochzeitspaar fotografieren. Die Brücke führt auf den Kirchplatz; in einer Endlosschleife läuft klassische Musik. Im hinteren Teil der Kirche befindet sich der Verkaufsraum von Minmetal. 3 Tim: Li kommt sofort mit einer der Angestellten ins Gespräch. Sie zeigt mit einem Laserpointer auf die Miniaturmodelle der Häuser, die zum Verkauf stehen. Verkaufsraum von Minmetal Corporation. Li: Zuerst hat die Frau erzählt, dass die Verkehrsverbindung sehr günstig ist, diese Gegend ist auch mit U-Bahnnetz verbunden. Die nächste Station ist mit dem Auto 10 min entfernt. Und eine andere, nächstgelegene Station ist geplant. Hier werden vor allem Mehrfamilienhäuser verkauft. Jede Villa hat drei oder vier Etagen mit Garten, mit Dachterrasse, alles mögliche. Li spricht mit Verkäuferin. Tim: Kannst du mich kurz aufklären, worüber ihr sprecht? Li: Also ich hab gesagt, dass deine Frau möchte eine Wohnung hier kaufen und dass sie sehr beschäftigt ist. Muss man halt die Führung aufnehmen und nachher ihr erklären. Verkäuferin: ... Li: Wir werden vielleicht eines der kleinen Häuser ansehen, die ungefähr 150 qm ist mit einem Preis von ungefähr 2,3 Millionen Yuan, schauen wir mal. Sprecher: 2,3 Millionen Yuan entsprechen in etwa 325.000 Euro. Auf dem Kirchplatz. Tim: Ein Ehepaar, potentielle Käufer im mittleren Alter, wartet mit uns auf den Elektrobus, der uns zu den Musterhäusern bringen soll. Li: Gut, dass noch andere Käufer. Tim: Ja. Also wir gehen jetzt quasi zusammen zu so einem Haus. Li: Zu einem Vorführhaus – Tim: Genau. Im Wohngebiet. Sprecher: Die seriellen Reihenhäuser unterscheiden sich nur durch die blau, gelb oder weiß gestrichenen Fassaden voneinander. Der eklektizistische Baustil erinnert an Österreich, ebenso an Baden-Württemberg oder Thüringen. Im Haus. Li: Auf der ersten Etage ist ein Wohnzimmer, Küche und Bad. Dieses Haus hat keinen Keller, aber ein anderes hat noch Keller, aber dafür ist das Haus teurer. Der Keller ist ungefähr 55 qm. Da ganz oben, auf der dritten Etage ist das Hauptschlafzimmer. Tim: An der Treppe aus Beton ist noch kein Geländer angebracht. 4 Li: Was das Haus angeht, gefällt mir sehr gut. Ich könnte auch so ein Haus kaufen. Potentielle Käuferin spricht mit Verkäuferin. Li: Die Frau sagt, dass der Garten zu klein sei, und die Verkäuferin sagt, je größer das Haus ist, desto größer der Garten. Für mich ist der Garten schon groß. Tim: Wir blicken auf eine ca. 12 qm großes, umzäuntes Stück Rasen. Im Garten des Musterhauses. Sprecher: Die potentielle Käuferin hat sich eine große Gucci-Sonnenbrille aufgesetzt; ihr Mann schlappt in einem Polo-Shirt von Adidas und Jogginghose hinter ihr her. Li: Der Mann hat eine Etat von 2,3 Millionen. Ist bisschen weniger als das billigste Haus hier. Abfahrt mit Elektrobus. Im Dorf bei einem Brunnen. Tim: Zurück im Dorf fragt Li das Ehepaar, ob sie sich einen Kauf vorstellen können. Mann/Frau: ... Li: Der Mann und die Frau arbeiten in Shenzhen und haben dort eine 50 qm große Wohnung, die 2,2 Millionen wert ist, aber sie haben neben dieser noch zwei, drei andere Wohnungen, jeweils im Umland. Und nach sieben oder acht Jahren, wenn man pensioniert ist, dann kann man hier wohnen. Also so ein Leben im Rentenalter können sie sich schon vorstellen. Hashitate, Straße. Musik. Tim: Vor einem Kiosk mit chinesischem Fastfood bekommt Li ein Gespräch von drei Frauen mit; sie machen sich ebenfalls Gedanken darüber, wie sie im Alter leben wollen. Die Frauen lachen. Frauen: ... Li: Also meine Freundin hat gerade so ein Thema angestoßen, dass man vielleicht in der Gruppe zusammen den Rest des Lebens verbringen. Frauen: ... Li: Man legt immer noch großen Wert auf die Nachbarschaft. Ein chinesischer Spruch lautet: Die Nachbarschaft ist besser als Verwandte, die in der Ferne lebt. Die Frau hat gesagt, vielleicht könnte so ein Gemeinschaftsviertel finden, und wenn was passiert, kann man gegenseitig helfen, oder wenn man treffen möchte, einfach vorbeikommen. Hab ich dann gefragt, können sie Hallstatt vorstellen – Nein. Die Häuser sind mir zu teuer, die können wir leider nicht leisten. 5 Frauen: ... Li: Die Häuser sind schön zu gucken, aber zum Wohnen würde ich eher chinesische, idyllische Wohnhäuser wählen. Und sie sagt, sie hätte eine Wohnung gebraucht, wo man einfach um die Ecke zum Friseursalon geht oder zum Einkaufen, aber das alles fehlt hier noch. Und die Frau sagt, es fehlt hier einfach Anwohner. Früher hat man in den 4-eckigen Wohnhof gelebt mit Verwandten. Das muss bei uns nicht so sein, aber gute Freunde sollen zusammenleben können, damit man sich helfen kann, das ist unser Wunsch. Li: Meine Eltern haben auch so Gedanken drüber gemacht, wie die drei Frauen. Sie haben uns gesagt, wir gehen ins Altersheim, wenn es soweit ist. Und ich hab gesagt, auf keinen Fall, ihr dürft nichts ins Altersheim. Ich und meine Frau haben uns lebensversichert. Bei meinem Eltern ist das leider nicht mehr möglich, aber im Notfall können wir unser Eigentumswohnung verkaufen. Tim: Also du würdest aufhören zu arbeiten, du würdest möglicherweise deine Wohnung verkaufen, um deine Eltern zu Hause zu pflegen? Li: Ja, was kann man da sonst machen. Musik. Tim: Li macht mich auf einen Ausländer aufmerksam, der eine Kiste durchs Dorf trägt. Li will ihm folgen, aber plötzlich ist er verschwunden. Am Marktplatz taucht er wieder auf. Marktplatz. In einer Galerie. Burk: Der Grund, warum ich eigentlich hier bin, wenn Sie etwas in Guangzhou machen, Hongkong, Shenzhen, hat das sehr wenig Resonanz heutzutage, weil da passiert alles. Sprecher: Burk lebt seit fünfundzwanzig Jahren in China und ist unter anderem Betreiber einer Galerie in Hashitate, in der er seine Bilder verkauft. Burk: Dieses Hallstatt-Dorf ist natürlich bekannt in Deutschland, Europa wegen seiner komischen Kopie, und es gehört auch zu Minmetal, das ist die größte Stahlfirma in China; und für die ist das ein Repräsentationsobjekt, eigentlich ne Investition für Real Estate. Aber wenn ich hier etwas mache, habe ich den Namen, und es erweckt viel mehr Aufmerksamkeit als in ganz Süd-China. Li: Für Sie, was bedeutet der Begriff Heimat? Burk: Also Heimat beinhaltet ja eigentlich das Gefühl von Sicherheit, von Wärme, ein Hafen. Für mich ist heute China dasselbe, also wenn ich da um die Ecke gehe – um die Ecke, da kann ich mein Bier kaufen, und da kann ich zugucken wie die Kinder groß werden, das ist für mich heutzutage absolut das gleiche. Für mich ist das wie ein Zusammenwuchs, ich 6 seh da keinerlei Differenz mehr. Übrigens mein Name ist Burkhard Eiswaldt fällt mir gerade ein. Sprecher: Burk hat seine Haare zweifach gefärbt – oben pechschwarz, darunter weinrot. Burk: Ich träume ja nun immer davon, meine eigene Maltechnik, oder meinen eigenen Malstil breiter zu machen, und die haben in Boluo 4-5 große Art-Colleges, nur diese chinesischen Art College, die lernen da alle das Gleiche. Die lernen die Technik aber nicht die Kreativität, und das ist fantastisch. Ich hab Bilder kopieren lassen, da war ich völlig baff. Tim: Aber der Begriff Shanzhai, den kennen Sie ja bestimmt auch, das ist doch ne sehr kreative und eigentlich auch sehr zeitgemäße Form von Kreativität und Produktivität. Also wenn man ein Original nimmt und das nachbaut, aber modifiziert, zum Beispiel indem man es den Bedürfnissen des Users anpasst, indem man mit dem Namen spielt, man tut nicht so, als würde man das Original haben, man ist in der Lage viel schneller in der Lage als die Originalproduzenten auf Erneuerungen zu reagieren – ist das nicht eine Form von Kreativität? Burk: Das ist eine Form von chinesischem Spielen. Tim: Dann ist das kreativ, oder nicht? Burk: Ja wenn sie je was erfunden haben, dann haben sie es beim Spielen erfunden. Der Chinese sucht nicht, er verbessert; er ist sehr gut in Design. Er verbessert es in seine Richtung. Sie werden hier kein einziges Haus erleben, das tatsächlich eine echte Kopie ist. Vielleicht sollte ich ihnen mal unser Mobiliar zeigen in dem Marketinghaus, das ist ein ganz neuer chinesischer Stil, wir witzeln immer darüber, ist chinesisches Barock, d.h. es ist aber nicht kitschig, nein, Chinesen verfeinern oder schneiden weg, was sie nicht brauchen. Und genießen das. Musik. Campus Huizhou-University. Sprecher: Sonntagmorgen. Li Wei, der Dekan des Fachbereichs Architektur an der Huizhou-University, führt über den Campus. Li Wei: ... Li: Wir stehen jetzt in dem Pavillon, vor uns ist die Tafel: (chinesisch) – das heißt: „Lehranstalt am Funqu-See“. Dieses Funqu ist der ursprüngliche Sitz von unserer Universität, seit der Song-Dynastie, also schon eine sehr lange Geschichte. Jetzt haben wir einen neuen Sitz hier, und dann hat man dieses Marmortor eins zu eins Kopie gemacht und hier wieder neu aufgestellt. Leider hat man das alte Marmortor schon abgerissen, ist nur diese Tafel geblieben. Li Wei: ... 7 LI: Zum Beispiel dieses Gebäude ist für kulturellen Austausch mit dem Ausland vorgesehen, aber von der Außenfassade her können Sie auch feststellen, dass es eine Nachahmung des Bauhauses ist. Hier ist ein gutes Beispiel, abgesehen von dem Pavillon auf dem Dach ist das Gebäude auch eine Nachahmung eines berühmten Werks von einem japanischen Architekten. Nur haben die Chinesen einen Pavillon extra aufgesetzt, aber abgesehen davon ist es auch eine Nachahmung. Aufenthaltsraum. Sprecher: In einem Aufenthaltsraum für Studenten erläutert Li Wei die chinesischen Begrifflichkeiten für Kopien. Li Wei: ... Li: Was Fuzhipin bedeutet ist, eins zu eins Kopie, also Reproduktion. Fangzhipin ist nicht originalgetreu, man kann die Ähnlichkeit sehen, man kann nachahmen oder verfälschen, aber man kann deutlich den Unterscheid zu dem Original erkennen. Was Shanzhai betrifft, bin ich der Meinung, dass dieser Begriff eher abwertend ist. Erstens: Plagiat, d.h. man macht Shanzhai ohne Erlaubnis des Schöpfers. Zweitens: Show, d.h. man nutzt dieses Werk um zu einem besonderen Effekt zu gelangen. Drittens: ist das gegen den allgemeinen Verstand. Tim: Glauben Sie, dass in Zukunft weiter europäische Architektur die chinesische beeinflussen wird, oder entwickelt die chinesische Architektur eine eigene Sprache? Was sind die Visionen? Li: Meine Vision für die chinesische Architektur ist, wir befinden uns jetzt in dem Globalisierungsprozess, d.h. man lernt immer noch eifrig von den Erfahrungen der europäischen oder amerikanischen Kollegen. Wir sind immer noch rückständig; wir müssen nicht nur das Konzept, die Technik, aber auch noch den Lebensstil im Westen lernen. Aber während des Lernprozesses soll man kein allzu großes Besorgnis machen, weil man kann Cola trinken und Burger essen, aber die Chinesen werden nicht Amerikaner, und das gleiche gilt auch für chinesische Architekten. Man kann hier im Land Gebäude entwerfen und die chinesische Besonderheiten behalten. Campus – Wohnheim. Tim: Im Wohnheim der Architekturstudenten treffen wir zwei Schüler Li Weis. ... Li: Ich würde Mathematik und Philosophie in mein Werk integrieren, aber wie ich das umsetzen soll, weiß ich selber auch nicht. Das schaffen nur die Eliten. 8 Tim: Xu Wang studiert im vierten Semester; er hat sein Basecap tief in die Stirn gezogen und trägt trotz der Hitze einen schwarzen Wollpulli. Ich frage ihn nach seinem Traumhaus. Xu Wang: Ich würde so ein chinesisches Haus bauen, das naturnah ist. Das heißt, mit moderner Technik die Tradition ausdrücken. Ich persönlich liebe Religion. Zum Beispiel buddhistische Bauwerke, deren Schöpfer haben sehr hohes Niveau, also dieses spirituelles Level ist sehr hoch, und solche Voraussetzungen schaffen gute Bauwerke. Im Moment ist die Gesellschaft leider hektisch und oberflächlich. Man legt keinen großen Wert auf die Tradition. Deshalb ist die westliche Kultur die Kultur der Bewegung, aber die chinesische Traditionskultur ist die Kunst der Stille. Tim: Sein Freund siedelt sein Traumhaus im Rücken eines Berges, am Ufer eines Flusses an. Es soll auf jeden Fall modern aussehen. Student: ... Li: Flaches Dach mit Begrünung und darauf kann man Party machen. Ich stamme aus (...)Gebiet, dort legt man großen Wert auf Nachbarschaft. Wenn man sich langweilt oder Freizeit hat, kann man mit den Nachbarn Meinung austauschen. Ohne Nachbarn könnte es auch keine Partys geben. Früher hab ich mir gedacht, so ein Haus soll auch Unterkunft für meine Eltern sein, aber jetzt würde ich nur alleine, also mit meiner eigenen kleinen Familie dort wohnen. Tim: Kannst du dir vorstellen, warum die Eltern jetzt nicht mehr mit im Traumhaus wohnen sollen? LI: Ja, das war für mich selbstverständlich und nachvollziehbar, genauso ist es mir auch ergangen, weil chinesische Kinder leben im Elternhaus bis zur Uni, endlich hat man die Freiheit, selbst zu entscheiden. Man möchte diese Freiheit oder diese Distanz zu den Eltern einfach genießen, aber man ändert sich, z.b. wenn man verheiratet ist und sein Kind hat, dann ist dieser Familienverbund wieder wahrzunehmen, und ich bin mir schon sicher, dass der Junge noch in seiner Einstellung ändern wird. Musik. Sprecher: Huizhou am Abend. Tim: Wir gehen zu Fuß durch die Gassen der Altstadt. Kioske, Gewürzhandlungen, Fleischereien und Restaurants reihen sich aneinander. Vor einem Friseurladen steht ein Käfig mit drei riesigen weißen Kaninchen darin. Darauf steht ein Käfig mit zwei Schlangen. Sprecher: Central Business District. Tim: Burk will uns seine ständige Ausstellung im Hotel Kempinski zeigen. Foyer Hotel Kempinski 9 Burk: Wenn nachgefragt wird, könnte ich die auch verkaufen, aber dann müsste ich sie neu malen. Sprecher: In verschiedenen Formaten hängen die polychromen Bilder in einem Foyer im ersten Stock, das man über eine Rolltreppe erreicht. Tim: Also dann kopierst du dich quasi selber. Burk: Das ist für einen Künstler fast unmöglich. Um mich selbst zu kopieren, habe ich ja meine Chinesen. Das ist doch die gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China, sag ich doch. Musik. Tim: Ich glaube, Kopieren kann eine Möglichkeit sein, sich zu erinnern und etwas zu bewahren. Derjenige, der kopiert, lernt sich zu erinnern und erschafft die Möglichkeit, anderen ein Erinnerungsbild zugänglich zu machen. Hashitate, Marktplatz. Sprecher: Zurück in Hashitate. Am Eingang der Kopie des Seehotels Grüner Baum winkt Bumblebee – ein Autobot aus der Transformersreihe. Er dient als Maskottchen für eine Virtual-Reality-Ausstellung im Seehotel. Zimmer für Übernachtungen gibt es dort nicht. Besucher 1: ... Li: Wir sind oft hier. Tim: Warum? Li: Für Ausflug ist hier ein guter Ort, und am Wochenende bringen wir auch das Kind mit. Sprecher: Vor einer Seebühne spielen Touristen Karten oder picknicken. Neben einem Brunnen ist eine Eisdiele; in der Hitze zerschmilzt das Softeis schneller, als die Kinder es essen können. Tim: Können Sie mir sagen, was Heimat für Sie bedeutet? Li: Für mich ist die Heimat ein Ort zum Zurückziehen nach der Arbeit, zum Wohnen. In der Heimat kann man sich mit der Familie treffen, das ist die Heimat für mich. Ich habe die Zeitungsberichte gelesen, dass man hier 1:1 Kopie gemacht hat zum Original. Ich war nicht im Original in Hallstatt, aber als ich zum ersten Mal hier ankam, hatte ich ein Gefühl, als ob ich in einer Märchenwelt gewesen wäre. Park. Sprecher: Ein wenig Schatten finden die Besucher in einem Garten, der sich oberhalb der Seebühne den Hang entlang erstreckt. 10 Frau: ... Li Hier gefällt mir sehr, weil hier so schön ist, aber ist zu klein, also für mich, ich habe es mir größer vorgestellt. Sprecher: Die junge Frau steht in einem geblümten Sommerkleid auf einer Aussichtsplattform; ihr Freund will sie gerade fotografieren. Frau: ... Li: Also die Gebäude sehen schon europäisch aus für mich, die Außenfassade ist europäisch, aber im Innenraum kann man kein europäisches Element feststellen. Tim: Waren Sie in dem Verkaufsraum? Li: Ich war kurz dort; das ist nichts Besonderes, in normalen Haushalten in China könnten auch solche Möbel sein. Der Begriff Heimat bedeutet für sie die eigene Heimat, dort muss sie sich zurückziehen können und sich entspannen können, und bisher hat sie noch nie einen Ort, der ein Heimatgefühl verleiht, gesehen. Und hier definitiv auch nicht. Kiosk. Tim: Ich will in einem Kiosk Wasser kaufen. Burk sitzt an einem der Tische; er scheint allgegenwärtig. Wir sprechen über die Entstehung von Hashitate. Burk: Das Ding ist finanziert durch Grund. Vor sieben, acht Jahren war hier in Huizhou nichts, ist wirklich ein Geheimtipp; es ist ganz merkwürdig. Tim: Wem gehörte der Grund, wo Hashitate steht? Burk: Der Grund gehörte dem Distrikt Boluo, gewählt wurde es scheinbar wegen des Klimas und weil sie einen See brauchten und der Grund damals scheinbar sehr billig war. D.h. Minmetal hat sich da einen Riesenkomplex kaufen können von der Stadt. Heutzutage weiß keiner mehr genau, wem genau Minmetal gehört. Ist natürlich nen Governmentbetrieb, aber wie wir China kennen, sind irgendwelche Investments drinnen, ist aber ein staatlicher Betrieb. Sie haben Milliardenprojekte die totlaufen und aus irgendeinem Grund funktioniert das hier. Tim: Draußen wartet Li auf mich. Wir gehen zum See. Am See. Musik. Sprecher: Um den See herum führt ein Weg durch eine Parkanlage, vorbei an weiteren Kaufobjekten, soeben fertig gestellt. Vor einem der Bootsstege zieht ein älterer Mann in mintgrüner Hose und mintgrüner Jacke einen Wasserschlauch hinter sich her. Gärtner: ... 11 Li: Ja, ich bin der Gärtner. Ich war Bergbauarbeiter. Also seit vier Jahren bin ich hier. Früher hab ich die Baugeräte gefahren. Das war für mich leichter gewesen, und jetzt ist die Arbeit härter. Deshalb gefällt mir die frühere Arbeit besser. Tim: Gefällt Ihnen das Dorf? Gärtner lacht. Li: Also mir gefällt diese Town nicht, weil ich kann den Preis nicht leisten. Sprecher: Auf der gegenüberliegenden Uferseite versteckt sich hinter Steinfruchteichen eine Ansammlung von Hütten, die nicht zum Dorf gehören. Li: Dass ist die typische, provisorische Unterkunft in China für Wanderarbeiter oder Bauarbeiter. Die Gebäude sind einfach aus Blech. Sprecher: In unmittelbarer Nähe graben drei Männer und zwei Frauen die steinige, rote Erde um. Im Gegensatz zu dem Gärtner tragen sie keine mintgrünen Uniformen, dafür aber traditionelle Kegelhüte, um sich vor der Sonne zu schützen. Tagelöhner: ... Li: Wir sind dafür verantwortlich, die Bäume anzupflanzen und das Gebiet zu begrünen. Tim: Wo wohnen Sie? Li: Wir wohnen genau in dem Dorf da drüben, hier wohnen wir nicht. Die sind wahrscheinlich Tagelöhner. Straße nach Ji Ma Di. Li: Etwa 2 km südwestlich von dem Minmetalprojekt liegt ein Dorf, das Ji Ma Di heißt. Tim: Wir laufen am Umspannwerk von Hashitate vorbei in Richtung des Dorfes, aus dem die Tagelöhner kommen. Li: Angeblich gehört dem Dorf das Gelände von Minmetals Hallstatt Town. Sprecher: Der Grund war Eigentum des Distrikts Boluo, zu dem auch Ji Ma Di gehört. Bevor der staatseigene Konzern Minmetal Corporation dem Distrikt das Land abkaufte, haben die Bewohner dort Ackerbau und Forstwirtschaft betrieben. Ji Ma Di. Tim: In den Straßen begegnet uns niemand. Wir landen vor einem kleinen Laden, der das Zentrum von Ji Ma Di zu bilden scheint. LI: Die Männer sind weg, Kinder und Frauen bleiben zurück. Vor einem Laden. 12 Sprecher: Vor dem kleinen, privat betriebenen Supermarkt in Ji Ma Di sitzt ein junger Mann in der Uniform des Sicherheitspersonals von Hashitate – blaue Hose mit goldenen Streifen an den Seiten, schwarze, klobige Schnürstiefel, weißes Hemd mit gelben Epauletten und auf dem Kopf ein Yankee-Soldaten-Hut. Li: Wir sind gerade mit der Ladenbesitzerin ins Gespräch gekommen, haben wir erfahren, hier arbeiten einige für Minmetals, der Junge zum Beispiel arbeitet da und wohnt hier um die Ecke im Wohnheim Tim: Was für ein Wohnheim ist das? Li: Für, ja, Mitarbeiter, die hier aus dem Dorf kommen. Im Laden. Ladenbesitzerin: ... Li: Mehrere Tausend Einwohner haben wir in diesem Dorf. Sprecher: Die Ladenbesitzerin sitzt hinter ihrem Tresen an der Kasse und blickt immer wieder zur Tür. Ein Mann kommt rein. Li spricht mit dem Mann und der Ladenbesitzerin. Sprecher: Ein Mann im roten Poloshirt, mit dickem Bauch und goldener Armbanduhr kommt herein, begrüßt die Frau, holt sich einen Stuhl, setzt sich zu ihr hinter den Tresen und bietet Zigaretten an. Li: Das Land wurde 1998 schon beschlagnahmt; da konnte man nur ganz wenig Schadenersatz bekommen. Also wenn man das nicht verkauft hätte, wäre uns besser gegangen. Der Mann hat gesagt, das Projekt hat doch die Wirtschaft des Dorfes nach vorne gepusht, aber die Frau hat gesagt, nur zu geringem Ausmaß. Zum Beispiel wenn man dort Straßengeschäft machen würde, werden wir vertrieben. Was soll man davon haben? Frau: ... Li: Eigentlich sollte die Regierung zum Beispiel dafür einsetzen, dass das Dorf auch davon hat, aber bislang kann man nur die Wohnräume vermieten, aber mehr nicht. Tim: Der Mann packt seine Zigaretten ein und geht, ohne sich zu verabschieden. Ladenbesitzerin: ... Li: Ich war Reinigungskraft in Hallstatt Town, also in diesem Interview darf ich nicht so kritisch antworten, ansonsten kriege ich auch Ärger. Der Mann der neben mir saß, der ist der Fahrer für den Chef von Minmetals und als er da war, traue ich mir nicht zu sprechen. Früher war ich Reinigungskraft, aber ich hab das aufgehört wegen ... 13 Tim: Die Frau möchte nicht weitersprechen und bittet uns das Mikrofon auszustellen. Wir wollen niemanden in Schwierigkeiten bringen, also bedanken wir uns und gehen zurück nach Hashitate. Eingang Hashitate. Tim: Burk will uns mit Christina, einer Freundin, bekannt machen. Sie ist die erste Bewohnerin von Hashitate, mit der wir sprechen können. Während wir auf Christina warten, versuchen wir, auch einen der Sicherheitsleute für ein Interview zu gewinnen. Burk: Ihr könnt auch gerne mit dem Typen reden. Wenn ihr wollt, das ist der Chef von der ganzen mühsamen Truppe. Li: Er hat keinen Bock, sehr schüchtern. Er hat schon Angst. Burk: Schüchtern. Das andere ist eigentlich der Chef von der ganzen Truppe, oder halber Chef. Das ist aber völlig normal in China. Beim Arbeitgeber möchten Chinesen nirgends involviert sein. Musik. Weg zum Wohngebiet. Christina: Das erste Mal sind wir nur hergekommen, um es uns mal anzusehen. Sprecher: Christina und ihre Eltern wohnen in einem Haus oben am Berg. Je höher man wohnt, desto geachteter ist man. Christina: Der europäische Stil des Dorfes ist doch sehr anders, als unsere chinesische Art. Aber meine Eltern mochten es dann so sehr, dass sie sich entschieden haben, hier ein Haus zu kaufen. Für mich ist es ein bisschen Shanzhai, so sagen wir auf Chinesisch. Es ist eine Kopie, eine totale Kopie. Sprecher: Christina ist 26 und arbeitet als Managerin für ein Immobilienunternehmen im 23 Millionen Einwohner zählenden Shenzhen. Sie hat lange Haare, trägt schwarze Leggins, darüber einen weißen Pulli und eine Jeansjacke. Christina: Es ist ein schöner Ort, weil die Chinesen den europäischen Stil so mögen. Hier denken sie, sie wären in einem anderen Land. Sprecher: Schlagbäume versperren die Straßen, die zu den Wohngebieten führen. Ein Wachmann fragt Christina nach ihrem Ausweis. Christina spricht mit Wachmann. Christina: Er hat mich nach meinem Ausweis gefragt, aber den habe ich in meinem Auto. Ich habe ihn gefragt, ob er mich nicht kennt, aber er hat ‚nein’ gesagt. „Ich kann nicht jeden kennen, der hier lebt“. Im Haus. Sprecher: Im Hobbyraum im Erdgeschoss spielen Christinas Eltern mit Freunden Doudizhu, ein Kartenspiel. Außerdem gibt es dort noch eine Tischtennisplatte, eine große Leinwand und Videobeamer, sowie eine gut ausgestattete Bar. 14 Christina: Es ist ein vierstöckiges Haus und hat ungefähr vierhundert Quadratmeter, und es ist mein Zuhause. Tim: Christina zeigt uns ein riesiges Wohnzimmer im ersten Stock. Ihre 5jährige Tochter Shakira sieht sich dort einen Zeichentrickfilm auf dem Flachbildschirm an, der zugleich als Raumteiler dient. Christina bittet sie den Ton auszuschalten. Christina: Ich lebe normalerweise in Shenzhen, dort habe ich meine eigene Wohnung. Ich arbeite als Manager für eine Immobilienentwicklungsfirma. Ich verwalte die Finanzen der Leute und stelle Personal ein, dass ich dann einarbeite. Außerdem leite ich das Motivationstraining an. Ich komme in den Ferien und am Wochenende her, wenn wir einfach mal entspannen wollen. Es ist für mich ein sehr friedlicher Ort. Es ist wirklich sehr ruhig. Auch wenn viele Touristen das Dorf besichtigen. Shenzhen ist eine sehr laute Stadt, die Leute dort arbeiten hart, sind angespannt, immer in Eile und erschöpft. Tim: Wer hatte die Idee ein Haus hier in Hashitate zu kaufen? Christina: Oh ja, eigentlich meine Eltern. Sie sind beide im Rentenalter und haben nicht die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen. Ich denke, sie sehnen sich nach einer Umgebung, die suggeriert, sie wären in einem anderen Land, also sie mögen es sehr. Tim: Gehen Ihre Eltern auch runter ins Dorf? Christina: Wenn so viele Touristen da sind, gehen sie nicht ins Dorf. Aber am Morgen, wenn noch alles geschlossen hat, gehen sie dort spazieren, aber nur, um etwas Bewegung zu haben. Manchmal gehen wir im Dorf etwas essen, mein kleines Mädchen mag, (Fragt ihre Tochter auf chinesisch. Die Antwortet, Eis!) ja sie mag das Eis hier. Tim: Aber wo gehen Sie zum Einkaufen hin? Christina: Wir bleiben hier nur einen oder zwei Tage, also brauchen wir nicht viele Sachen und bringen oft alles mit. Manchmal grillen wir hier, gestern zum Beispiel, und manchmal gehen wir in der Nähe essen. Tim: Kommen Sie auch alleine nach Hashitate, wenn Ihre Eltern nicht da sind? Christina: Nein, nein, nein. Tim: Gibt es eine Nachbarschaft hier? Christina: Ja, fünf oder sechs Familien. Sie leben immer hier, und kommen nicht wie wir nur am Wochenende. Tim: Die Europäer sind ja sehr stolz auf Originale. Christina: Ich weiß, was Sie meinen, Sie meinen, dass dieses Dorf keine Geschichte hat. Aber im China dieser Jahre konzentrieren wir uns auf die Weiterentwicklung der Wirtschaft, wir konzentrieren uns darauf, wie Dinge vorangetrieben werden können, besonders in der Immobilienentwicklung. Als ich das erste Mal hörte, dass Hashitate eine Kopie von 15 einem europäischen Dorf ist, dachte ich, es wäre unaufrichtig, eine billige Kopie. Mittlerweile denken die meisten Chinesen, dass Shanzhai kein guter Weg ist. Aber vor einiger Zeit haben die Leute vielleicht noch gedacht, lasst uns kopieren, das ist ein schneller Weg, um Ergebnisse zu erzielen, um Umsatz zu machen. Tim: Haben Sie davon gehört, dass viele hier Häuser als Spekulationsobjekte kaufen? Christina: Tatsächlich steigen die Preise hier, aber ich denke es ist keine gute Wahl, hier zu kaufen, wenn es einem nur um die Wertsteigerung geht. Dann sollte man lieber ein Haus in Shenzhen kaufen, das ist ein besserer Weg. Tim: Aber Shenzhen ist so teuer, vielleicht können es sich die Leute zwar leisten ein Haus in Hashitate zu kaufen, aber nicht in Shenzhen. Christina: Ich arbeite in einer Immobilienentwicklungsfirma und weiß daher, wenn sie Gewinn erzielen wollen, ist das keine gute Wahl. Musik. Sprecher: Totenfest. An diesem Feiertag ehren Chinesen ihre Toten, legen Blumen und Gegenstände, die den Verstorbenen gefielen, neben die Gräber. Tim: Burk hat uns auch einen Kontakt zu Boris Tan ermöglicht. Er ist einer der Initiatoren von Hashitate und für das Management zuständig. Doch die Verabredung für ein Interview gestaltet sich schwierig. Li telefoniert mit Boris Tan. Li: Boris Tan hat gesagt, da dieses Unternehmen ein staatseigenes Unternehmen ist, gibt es ein bestimmtes Verfahren für Interviews. Er sagt, du bist freier Schriftsteller, aber wie kann man das beweisen. Man braucht halt solche Beweismittel. Er lässt uns auf jeden Fall auf seinen Bescheid warten, und dann schauen wir mal. Tim: Schließlich findet Boris doch noch Zeit und möchte sich mit uns in der Kirche treffen. In der Kirche. Boris: ... Li: Die Kirche haben wir auch das österreichische Original nachgeahmt. Hier ist die Stelle für Pressekonferenzen und Events und insbesondere für Hochzeit. Tim: Es wird tatsächlich geheiratet hier in der Kirche? Boris: ... Li: Nur zeremoniell, weil wir sind in China, und dieses Christliche gibt nicht. Gang von Kirche in einen Salon. 16 Sprecher: Boris führt durch den Verkaufsraum in einen Salon, mit Ausblick auf den See. Hier haben sonst nur Käufer und Investoren Zugang. Tee wird serviert. Boris: ... Li: Hashitate-Town ist das Endergebnis von der Zusammenarbeit zwischen Österreich und China, weil Minmetals hat im Rahmen von bilateralen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch dieses Projekt ermöglicht. Möchte ich mich selber korrigieren, wir waren nicht in der Kirche sondern in der Halle 1786, also das ist der offizielle Name von dieser Stätte, weil das ist in der Tat keine Kirche. Das hat keine religiöse Funktion, das ist halt eine Halle. Tim: Leben Sie in Boluo, oder in Huizhou? Wo wohnen Sie persönlich? Boris: ... Li: Also ich wohne in die Wohnhaus hier. Tatsächlich als Mitglied des Verwaltungskommitees und Initiator muss man mittendrin leben. So kann man wissen, welche Bedürfnisse die Anwohner haben. Dann kann man sich richtig hineinversetzen und tatsächlich miterleben wie es den Anwohnern ergeht. Tim: Was noch ein bisschen zu fehlen scheint, sind die Geschäftsviertel ... Boris: ... Li: Es wurde so geplant bis zum Jahr 2020 den Bau zu beenden. Jetzt sind wir noch in der Planung, Recherche und Prüfungsphase, und man überlegt sich, das Geschäftszentrum in Anlehnung an Innsbruck und Burgenland zu gestalten. Unser Ziel ist nicht, das Original eins zu eins zu kopieren, sondern die Kultur im deutschsprachigen Raum China zu präsentieren. Dieses Projekt soll ein Fenster oder eine Plattform sein, um den Chinesen besser über westliche Kultur aufzuklären. Musik. In Burks Galerie. Burk: Wenn sie meine Bilder mal genau ansehen, ich folge keiner Stilrichtung, ich folge meiner eigenen Stilrichtung. Die liebsten meiner Bilder gebe ich zur Kopie. Chinesen sind perfekt in Kopien. Burk: Der Unterschied zwischen unserer Kunst und der chinesischen Kunst ist, dass wir lernen kreativ zu sein. D.h. wir wollen kreativ sein. Chinesen sind sehr gut in Kopien. Es gehört einfach nicht zu ihrer Mentalität, Phantasie hineinzubringen. Die Chinesen kopieren ein Dorf, nicht weil sie das Dorf haben wollen, sondern um eine Attraktion zu haben, die vierhundert Häuser hierherum zu verkaufen. Tim: Für mich drückt jede Nachbildung ein Interesse und die Neugier am Fremden aus. Eine Kopie ermöglicht es, etwas ganz nah bei uns zu haben, in der Hoffnung, wir könnten dazugehören. 17 Burk: Die kaufen es nicht, weil es europäisch ist, die kaufen es, weil es speziell ist, weil es lustig ist, nicht weil sie nen europäischen Geist erweckt sehen wollen, auf gar keinen Fall. Daran haben Chinesen überhaupt kein Interesse. Die wissen sehr gut was richtig und was nicht richtig für sie ist, dazu brauchen die uns überhaupt nicht, ist unsere Einbildung, weil wir Deutschen immer gerne Lehren. Hier kauft keiner ein Dorf, weil er denkt, er ist in Europa und lernt jetzt europäische Kultur oder Hegel oder sonst was, sondern weil es schön ist, weil es sauber ist, weil es vielleicht ne gute Investition ist. Und damit hört dann auch schon das Vermarktungsmodell auf. Musik. Hinter der Brücke, auf dem Weg zum Ausgang. Tim: Zum letzten Mal mache ich mich mit Li auf den Heimweg. Unterwegs treffen wir auf Frau Fan Min. Fan Min: ... Li: Ich bin erst seit zwei, drei Tagen hier. Ich stamme aus dem Dorf Ji Ma Di. Hier arbeite ich als Putzfrau mit 26 Kollegen, die auch aus dem Dorf stammen. Sprecher: Fan Min ist vielleicht 50 Jahre alt. Sie trägt, wie der Gärtner, eine mintgrüne Uniform und schiebt eine Schubkarre mit Abfallsäcken zu einer Müllhalde. Li: Früher arbeitete ich als Fließbandarbeiterin in der Textilfabrik des Kreises, aber die Fabrik wurde dicht gemacht, und dann hat eine Freundin mich weiterempfohlen hier zu arbeiten. Ich sammele Müll und transportiere auch den Müll. Li spricht mit Fan Min. Sprecher: Mit der leeren Schubkarre macht sich Fan Min zurück zur Uferpromenade auf, wo sie mit den bloßen Händen Essensreste aus den Mülleimern befördert. An der Uferpromenade. Li: Diese Lebensmittelreste wurden von dem Restaurant hierher gebracht, nicht von den Touristen. Ich hab gefragt, haben sie keine Handschuhe an? Nein, wir haben keine Handschuhe. Sprecher: Frau Fan ist ungefähr 1 Meter 60 groß; trotz der Anstrengung ist sie gut gelaunt. Fan Min: ... Li: Mein Sohn hat vor zwei Jahren das Studium abgeschlossen; Ingenieurwissenschaft. Hier ist meine Heimat, hier haben wir schon eine Wohnung gekauft, und mein Sohn hat auch seine Freundin und möchte auch eine Familie gründen. Wir sind hier in der Heimat. Habe ich nie Gedanken drüber gemacht, wie Europa aussehen soll. Ich gucke selten Fernsehen. 18 Tim: Ich bin Europäer, wie finden Sie, wie ich aussehe, also was unterscheidet mich? Fan Min: ... Li: Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass du ein Ausländer bist, aber ob du aus Europa kommst, das kann ich nicht beurteilen. Sprecher: Über dem Dorf ziehen dunkle Wolken zusammen. Im Hotel. Tim: Am Abend sitze ich mit Li im Hotelzimmer, Blitze im Himmel; es regnet. Zum Abschied spendiert Li eine Flasche Pflaumenwein. Li: Also deine Definition für Shanzhai ist: Man spielt dabei und kann auch eigene Kreationen hinzufügen. Aber der Shanzhai-Begriff für die Chinesen ist wirklich abwertend, also Shanzhai ist ein chinesischer Begriff. Die Chinesen haben dafür auch ein eigenes Verständnis oder Meinung dazu. Mag sein, dass du eigene Vorstellung für Shanzhai hast. Das ist wie ein chinesisches Kind. Es wurde in China geboren, von den Chinesen, und es wurde von einem Ausländer so und so interpretiert – aber das Kind stammt aus China. Musik. Sprecher: Eine ziemlich weite Reise nach Europa – Realisation: Tim Staffel Sprecher: Patrick Güldenberg und Vanessa Loibl Mit Li Zheng und Burkhard Eiswaldt, sowie Mitarbeitern, Bewohnern und Besuchern von Hallstatt-Town. Pipa-Spielerin: Li Ruofei Ton: Jochen Jezussek Eine Autorenproduktion im Auftrag von Deutschlandfunk, Rundfunk Berlin-Brandenburg und Bayrischer Rundfunk 2016 Redaktion: Tina Klopp
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