Portrait Thomas Reiter

AACHENER
INGENIEURPREIS
Aachen, 17. Juni 2016
Der Ingenieur, der nach den Sternen greift
Thomas Reiter wird mit dem Aachener Ingenieurpreis geehrt. Kein europäischer Astronaut war länger im All. Ein Porträt.
Es war der 20. Oktober 1995, als Thomas Arthur Reiter eine Tür öffnete und Geschichte schrieb. Er verließ als erster deutscher Astronaut eine Raumstation – die Mir – und bewegte sich fünf Stunden durch
den Orbit. Reiter ist sogar der einzige Europäer, der überhaupt an zwei Langzeitmissionen teilnahm. 350
Tage verbrachte er insgesamt auf den Raumstationen Mir und ISS. Kein Zweiter hat so viel Erfahrung im
All. „Thomas Reiter symbolisiert wie kaum ein anderer deutscher Ingenieur den Aufbruch in neue ferne
Welten, das Abenteuer Forschung!“, sagt Professor Ernst Schmachtenberg, Re ktor der RWTH Aachen.
Am Freitag, 9. September 2016, wird Reiter in einem Festakt von RWTH und Stadt Aachen im dortigen
Rathaus mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet. Am Samstag, 10. September 2016, wird er
dann die Keynote Speech beim Graduiertenfest der Hochschule halten – vor rund 5.000 Teilnehmern.
Mit dem Aachener Ingenieurpreis werden – mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse Aachen als
Hauptsponsor und des Vereins Deutscher Ingenieure VDI als Preisstifter – Menschen ausgezeichnet, die
mit ihrem Schaffen einen maßgeblichen Beitrag zur positiven Wahrnehmung oder Weiterentwicklung des
Ingenieurwesens geleistet haben. Und nicht zuletzt Ingenieure, die die nachwachsende Generation insp irieren, so wie dies die beiden bisherigen Preisträger Professor Berthold Leibinger, Gesellschafter der
TRUMPF GmbH + Co. KG, und Professor Franz Pischinger, Gründer der Aachener FEV Motorentechnik
GmbH, machen. „Die Stadt Aachen und die RWTH Aachen haben mit dem Ingenieurpreis eine vielve rsprechende und wichtige Initiative gestartet. Es geht einerseits natürlich um ingenieurwissenschaftliche
Impulse für Technik und Wirtschaft, aber es geht andererseits auch um die Persönlichkeit des Preistr ägers und sein Wirken für unsere Gesellschaft. Wenn Ingenieure die Welt bewegen – und davon gehen wir
in Aachen selbstverständlich aus –, dann ist die Auszeichnung des Astronauten und Ingenieurs Thomas
Reiter sicherlich ein Volltreffer“, erklärt Oberbürgermeister Marcel Philipp.
Ein besonderer Ingenieur
Reiter ist in jedem Fall ein besonderer Ingenieur. Die Geschichten seiner Missionen sind fesselnd. „Die
Eindrücke sind so überwältigend, dass sie einen ein Leben lang begleiten“, erzählt Reiter bei einer B egegnung in Darmstadt. Er berichtet von dem zarten Blau der Atmosphäre, den Sonnenauf- und Untergängen, stundenlang kann er dies tun. „Unser Planet sieht von oben unglaublich schön aus. Ich möchte
keine Sekunde missen.“
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Reiter sagt, es sei immer sein Ziel gewesen und immer noch ein wichtiges Ansinnen, bei jungen Menschen Begeisterung für den Ingenieursberuf zu wecken. „Ich spüre immer noch die gleiche Begeisterung,
wie am allerersten Tag“, sagt er. Und gleichermaßen vermittelt er diese gerne.
Schon als kleiner Junge wollte Thomas Reiter Astronaut werden. Natürlich. Welcher klein e Junge will das
nicht? Während so ein Traum in der Regel von der Realität und einem bodenständigen Leben als Ste uerberater, Schreiner oder Elektrotechniker abgelöst wird, hielt der gebürtige Frankfurter an ihm fest. Der
begeisterte Segelflieger – nahezu jedes Wochenende verbrachte er mit seinen Eltern auf dem Flugplatz
im hessischen Egelsbach – wurde zunächst Berufssoldat bei der Luftwaffe. Er studierte Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München. 1982 machte er se inen Abschluss als Diplom-Ingenieur. Er zog weiter in die USA und absolvierte an der Sheppard Airforce Base in
Texas die Ausbildung zum Jet-Piloten.
Und dann? Dann kam das Jahr 1989, und die ESA suchte Piloten und Wissenschaftler für eine Astrona uten-Gruppe. Reiter bewarb sich. Er wurde genommen, als einer von sechs Glücklichen – unter 22.000
Kandidaten. Planbar ist so eine Laufbahn nicht. Natürlich nicht. „Aber ich will Mut machen, Visi onen und
Träume zu verfolgen. Da bin ich gerne Vorbild“, sagt Reiter .
Der achte Deutsche im All
Am 3. September 1995 lief im Kosmodron von Baikonour in Kasachstan erstmals für Reiter der Coun tdown – für die Mission Euromir 95. An Bord der Sojus TM-22 brach Bordingenieur Reiter zum ersten
Langzeitflug der European Space Agency (ESA) zur Raumstation Mir auf. Er war der achte Deutsche im
All. Reiter meisterte auf der Mir als erster Europäer einen Außenbordeinsatz. Am Ende der Mission ve rantwortete er 41 wissenschaftliche Experimente. Nach 179 Tagen kehrte er zurück, als erster NichtRusse war er dafür ausgebildet worden, die Sojus bei der Rückkehr zu steuern.
Am 4. Juli 2006 war er – nach einem Intermezzo als Kommandeur des TornadoJagdbombergeschwaders in Jever – an Bord der Raumfähre Discovery, die vom Kennedy Space Center
in Florida abhob. Die Mission „Astrolab“ führte den Space-Shuttle-Flug STS-121 zur internationalen
Raumstation ISS. Reiter verantwortete dort unter anderem die Navigation – als erster Europäer. Zig Experimente führte er aus, 171 Tage war er diesmal unterwegs.
Er mag im Oktober 2007 den Astronauten-Dienst quittiert haben und seitdem mit beiden Beinen wieder
fest auf dem Boden stehen. Ein maßgeblicher Treiber der europäischen Raumfahrt ist er geblieben. Er
war im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) tätig, später dann Direktor für Bemannte
Raumfahrt und Missionsbetrieb bei der ESA in Darmstadt. Seit Anfang 2016 ist er dort Koordinator im
ISS-Programm und Berater des Generaldirektors.
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„Ich würde natürlich sofort wieder ins All aufbrechen, aber alles hat seine Zeit“, erklärt Reiter. Eine neue
Generation ist vorgerückt, Alexander Gerst beispielsweise, der für seine zweite Mission nominiert wurde.
Dass er nicht ewig der Europäer sein werde, der die meiste Zeit im Weltall verbracht hat, Reiter sieht es
wie ein Sportler. Rekorde seien dazu da, gebrochen zu werden. Und Geschichte werde bestimmt auch
wieder geschrieben. „Ich würde gerne erleben, wie ein Europäer zum Mond fliegt und diesen betritt“, sagt
er.
Wissenschaft, Forschung, Erkenntnis – keine Folklore
Reiter, verheiratet, zwei Söhne, geht es dabei um Wissenschaft, Forschung und Erkenntnis. Raumfahrt
dürfe nicht als Folklore verstanden werden, auch wenn am Ende von aktuellen Missionen Videos mus izierender Astronauten bei YouTube öffentliche Aufmerksamkeit finden. „Die Hauptaufgabe an Bord ist die
Wissenschaft – zum Nutzen aller Menschen“, sagt Reiter, diese dürfe nicht in den Hintergrund rücken.
Wichtig ist ihm das internationale Miteinander. Während seiner Zeit auf der Mir herrschte Krieg auf dem
Balkan. Ganz Europa leuchtete in der Nacht, nur der Balkan blieb schwarz. Während der ISS-Mission
erfuhr Reiter, dass seine Bundeswehrkameraden in Afghanistan beschossen wurden. So schön die Welt
von oben aussah, so grausam blieb sie. „Vielleicht sollten mehr Menschen die Erde aus der Perspektive
des Astronauten sehen“, sagt er und betont das Gemeinschaftsgefühl der Raumfahrer: „Im Weltall ist
kein Platz für Einzelkämpfer, da muss man sich immer aufeinander verlassen können.“ Ein wichtiger
Gedanke, den er jungen Menschen mit auf den Weg geben will – wenn er mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet wird.
Fotohinweise:
Bild „ESA-Direktor_Thomas-Reiter_J.Mai“ Credits: ESA/J. Mai
Bild „Thomas_Reiter_during_spacewalk“ zeigt Thomas Reiter beim Außenbordeinsatz während der
Astrolab-Mission. Credits: NASA
Zusatzinfo: Der Aachener Ingenieurpreis
Der Aachener Ingenieurpreis ist eine gemeinschaftliche Auszeichnung der RWTH Aachen und der Stadt
Aachen – mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse Aachen als Hauptsponsor und des Vereins Deutscher Ingenieure VDI als Preisstifter. Seit 2014 wird jährlich eine Persönlichkeit ausgezeichnet, die mit
ihrem Schaffen einen ganz maßgeblichen Beitrag zur positiven Wahrnehmung oder Weiterentwicklung
des Ingenieurwesens geleistet hat. Der Preis wird am 9. September 2016 in einem feierlichen Akt im
Aachener Rathaus verliehen. Einen Tag später, am 10. September 2016, wird der Preisträger beim Graduiertenfest der RWTH Aachen vor rund 5.000 Teilnehmern die Keynote Speech halten.
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