"Harke" vom 17.6.2016 (1 Seite)

24
Lokales
Die Harke, Nienburger Zeitung
Freitag, 17. Juni 2016 · Nr. 140
„Wir brauchen mehr Leute, die anpacken“
Estorfer wollen Flüchtlingsfamilien mehr unterstützen / Begegnungscafé geplant / Schule sucht dringend Sprachförderer
VON ARNE HILDEBRANDT
ESTORF. Wie kann den sechs
in Estorf lebenden Flüchtlingsfamilien geholfen werden? „Wir brauchen mehr
Leute, die anpacken“, sagen
Leonie Pfohl (19) und Till
Pielhop (20). Beide betreuen
seit Februar mit vier anderen
jungen Leuten im Alter von
19 bis 24 Jahren Flüchtlingsfamilien in Estorf. Besonders
eine fünfköpfige Familie aus
dem Libanon (Die Harke berichtete). Doch sie stoßen an
ihre Grenzen.
„Wir sind durch Schule
und Ausbildung sehr eingespannt“, sagen sie. Was auch
passieren kann: Einer der
jungen Helfer verbrachte
kürzlich sieben Stunden im
Kinderkrankenhaus
Neustadt, weil ein Flüchtlingskind dort behandelt werden
musste. Bürgermeister Arnd
Focke unterstützt sie zwar,
doch auch er ist beruflich
stark eingebunden.
Jetzt will Focke Struktur in
die Flüchtlingshilfe hineinbekommen, lud deshalb Mittwochabend zu einer Information über die Flichtligsarbeit
in Estorf ein. Die Resonanz
war groß: Rund 35 Interessierte waren der Einladung in
die Brösking-Scheune gefolgt. „Beeindruckend, dass
so viele gekommen sind“,
meinte denn auch Ria Hahndorf, die in der Samtgemeinde Mittelweser für die Flüchtlinge zuständig ist.
340 Flüchtlinge leben zurzeit in der Samtgemeinde
Mittelweser. Rund 100 Wohnungen habe die Verwaltung
für sie angemietet.
In Estorf leben 35 Flüchtlinge. Sie stammen aus Syrien,
Groß war das Interesse an der Informationsveranstaltung über die Flüchtlingshilfe in Estorf.
dem Libanon, Irak und aus
Mazedonien. 14 von ihnen
sind erwachsen. Von den 21
Kindern gingen die meisten
in die Grundschule Estorf.
Die Schule sucht dringend
Helfer, die den Flüchtlingskindern Deutsch beibringen.
„Sie werden dafür auch bezahlt“, sagte Lehrerin Kerstin
Schäfer. Interessierte sollten
sich an die Grundschule wenden, Telefon: (0 50 25) 941 76,
Fax: (0 50 25) 94177,e-mail:
gs-schuenebusch@t-online.
de.
Hilfe für Flüchtlingsarbeit
❱ Hier finden Ehrenamtliche Hilfe
❱ Kleiderkammer in der
Samtgemeinde Mittelweser,
Hohe Straße 40, Stolzenau,
Öffnungszeiten: mittwochs
10.30 bis 14 Uhr. Ansprechpartnerinnen sind Nurten
Akan und Frau Martina Könemann.Internet www.facebook.com/flüchtlingshilfeStolzenau.
❱ Haus der Generationen,
Oldemeyerstraße 9, Stolzenau, Ansprechpartnerin:
Ute Müller, Telefon (0 57 61)
902 696, E-Mail hausdg@
web.de.
❱ Samtgemeinde Mittelweser.
Ansprechpartner: Anne-Kathrin Lehmkuhl (Dienstgebäude Landesbergen, Hinter den Höfen 13),Telefon
(0 5761) 705225, E-Mail: [email protected].
Mario Gimpel (Dienstgebäude Stolzenau, Am Markt 4,
Stolzenau), Telefon (0 57 61)
705226, E-Mail [email protected].
Ria Hahndorf (Dienstgebäude Landesbergen, Hinter den
Höfen 13), Telefon (0 57 61)
705 211, E-Mail: [email protected].
❱ Landkreis Nienburg,
Kreishaus am Schloßplatz,
Nienburg, Ansprechpartner:
Fachdienst Sozialhilfe, Mario Schaaf,Telefon (0 50 21)
967 131, E-Mail sozialhilfe@
kreis-ni.de
Fachdienst Ausländerwesen, Katrin Rothaupt, Telefon (0 50 21) 967 228, E-Mail
[email protected],
Fachdienst Familie und Integration, Carmen Prummer,
Telefon (0 50 21)967 686, EMail [email protected].
Dolmetschervermittlung:
Tatjana Weimer, Telefon
(0 50 21) 967 155, E-Mail
[email protected],
Fachdienst Beratungsstellen, Rühmkorffstraße 12, Nienburg, Telefon (0 50 21)
967 676, E-Mail [email protected].
❱ Job-Center Stolzenau,
Bürgermeister-HeuvemannStraße 12, 31592 Stolzenau Telefon (0 57 61) 920067, Fax:05761 / 9200-16 EMail:Jobcenter-im-Landkreis-Nienburg.Stolzenau@
jobcenter-ge.de, Telefon:
(0 57 61) 92 00-67 (Zentrale) oder (0 57 61) 9200-51
(Rufkreis).
❱ Job-Center Nienburg,
Verdener Verdener Straße
21, 31582 Nienburg Telefon:
(0 50 21) 907-1300, E-Mail:
[email protected]
Fax: 05021 / 907 – 1009
❱ Agentur für Arbeit Stolzenau: Bürgermeister-Heuvemann-Straße 16, Stolzenau.
❱ Agentur für Arbeit Nienburg: Verdener Straße 21,
Nienburg.
Postanschrift: Agentur für
Arbeit Nienburg-Verden,
27279 Verden.
Kontaktmöglichkeit: Telefon 0800 4 5555 00 (Arbeitnehmer), Telefon: 0800 4
5555 20 (Arbeitgeber), Fax:
(0 57 61) 9006-123.
DH
Schwierig sei, überhaupt
erst einmal herauszufinden,
welche Sprache die Kinder
sprechen, berichtete eine
Lehrerin. „Wir wissen manchmal nicht, wer überhaupt
übersetzen soll.“ Auch Paten
werden gesucht, die für
Flüchtlingskinder zur Einschulung Schultüten packen.
Schäfer: „Zwei haben wir
schon, vier brauchen wir
noch.“
Alle Flüchtlinge in der
Samtgemeinde Mittelweser
und im Landkreis seien dezentral untergebracht, sagte
Hahndorf. „Die Gewohnheiten der Flüchtlinge sind nicht
immer ganz einfach. Bisher
haben wir es einigermaßen
geregelt gekriegt“, gab sie zu
verstehen. „Es wird uns weiter beschäftigen.“ Gemeint
sind die verschiedenen Glaubensrichtungen,
weshalb
auch schon Flüchtlinge aus
gemeinsamen
Wohnungen
getrennt worden sind.
FOTO: HILDEBRANDT
Informatierten in Estorf (von links): Ute Müller, Leiterin des Mehrgenerationenhauses, Ria Hahndorf von der
Samtgemeinde Mittelweser und Pia Richarz von der Flüchtlingshilfe Nienburg.
FOTO: HILDEBRANDT
”
Problematisch ist es,
wenn ältere Jugendliche
nicht mehr zur Schule müssen.
Ria Hahndorf,
Samtgemeinde Mittelweser
Ein hoher Anteil der Flüchtlinge seien Schüler. Problematisch werde es für ältere
Jugendliche, die nicht mehr
zur Schule müssen. „Da ist
ein Loch, da muss was getan
werden.“ Die Flüchtlinge aus
dem Iran, Irak, aus Syrien
und Eritrea könnten relativ
schnell Integrationskurse besuchen. Die Flüchtlinge aus
anderen Staaten könnten sich
hingegen nur erst arbeitslos
melden. „Es ist viel Bürokratie, mit der wir uns auseinandersetzen.“
Hahndorfs Erfahrung: „Die
Flüchtlinge wollen gern arbeiten und sich einbringen,
aber es ist schwierig wegen
der Sprachbarrieren.“
Bei der ersten Flüchtlingswelle sei es um die Unterbringung gegangen. „Jetzt geht
es um das wahre Leben, um
Integration.“
Im Moment versiegt der
Strom, weil die Balkanroute
zu ist. „Wie es weitergeht, ist
schlecht einzuschätzen. Für
alle ist es eine Herausforde-
Sie betreuen in Estorf Flüchtlingsfamilien (von links): Yannik Wolter (19), Marcel Alberti (24), Yilmaz Houvan (19), mit Mohamad
Arab (34) mit Tochter Angela (2), Till Pielhop (20), Israa Halboni
(24) mit Hamze und Radwan (5), Leonie Pfohl (19), Bürgermeister Arnd Focke und Jana Heise (19).
FOTO: HILDEBRANDT
rung.“
Hahndorf lobte die ehrenamtlichen Helfer: „Ganz viele
stellen freiwillig ihre Zeit zur
Verfügung.“
Ansprechpartner im
Mehrgenerationenhaus
Im Mehrgenerationenhaus
in Stolzenau finden die
Flüchtlinge Ansprechpartner,
die sie beraten können. „Unsere Tür ist 55 Stunden in der
Woche geöffnet“, sagte Ute
Müller, Leiterin des Mehrgenerationenhauses. „Wir sind
Ansprecherpartner auch für
Lehrer und Ehrenamtliche.“
Vorteil des Mehrgenerationenhauses: „Es werden bei
uns viele verschiedene Sprachen gesprochen.“
Die Sprache ist auch für
Bürgermeister Focke ein Problem. „Eine Familie sprach
nicht mal Englisch. Da kommt
man an seine Grenzen.“
Manchmal habe der Kreis sogar für bestimmte Sprachen
keine Dolmetscher, sagte Ria
Hahndorf. „In diesem Fall am
besten das Haus der Generationen anrufen.“
Ute Müller riet, sich nicht
zu übernehmen und den
Flüchtlingen auch etwas zuzutrauen. „Wer aus dem Irak
hierher gekommen ist, findet
auch von Estorf nach Stolzenau.“ In der Hohen Straße 8
in Stolzenau befindet sich
auch die Kleiderkammer.
Dort bekommen Flüchtlinge
auch die viel benötigten großen Töpfe, Gardinen, Handtücher und Kinderspielzeug.
Geöffnet ist sie mittwochs von
10 bis 13 Uhr.
Müller riet Ehrenamtlichen,
Asylverfahren nicht allein zu
machen, da sie kompliziert
sind. „Immer Hilfe holen. Für
jeden Bereich gibt es Leute,
die sich gut auskennen.“
Pia Richarz berichtete aus
Bürgermeister Arnd Focke will
in die Flüchtlingshilfe Struktur
hineinbringen. FOTO: HILDEBRANDT
der Arbeit der im September
vergangenen Jahres gegründeten Flüchtlingshilfe Nienburg. Sie sei dort Ansprechpartnerin für Koordinationsfragen. Sie riet von Patenschaften ab. Besser sei es, in
einer WhatsApp-Gruppe einen Pool von Helfern zu haben, der sich um eine Familie
kümmert. Gute Erfahrungen
habe die Flüchtlingshilfe mit
ihrem Begegnungscafé gemacht. „Da entstehen auch
Ideen.“
„In Estorf können ein Begegnungscafé und andere
Aktivitäten gern im Gemeindehaus stattfinden“, bot
Pastorin Almut Henze-Iber
an. Am Abend fanden sich
gleich Freiwillige, die ein
erstes Treffen vorbereiten
wollen. Auch ein Willkommensfest ist geplant. Ein
Estorfer schilderte seine bittere Erfahrung im Umgang
mit Flüchtlingen. „Die Mädchen werden vom öffentlichen Leben abgeschottet“,
bedauerte er.