Transcript - Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam

Mittwoch, 15.06.2016
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Bayerisches Gericht erklärt Kinderehe für rechtmäßig
15.06.2016
Urteil von Bamberg
Bayerisches Gericht erklärt
Kinderehe für rechtmäßig
Ein Gericht in Bayern hat eine Kinderheirat für rechtmäßig
erklärt – weil die Ehe in Syrien geschlossen wurde, wo
Kinderehen nach islamischem Recht erlaubt sind. Aber dürfen
Maßstäbe des islamischen Rechts auch für die deutsche
Gesellschaft gelten? Hält damit die Scharia Einzug in deutsche
Gerichte?
Susanne Schröter im Gespräch mit Benedikt Schulz
Nach islamischem Recht ist die Kinderehe in manchen Staaten erlaubt (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
Susanne Schröter leitet das Frankfurter Forschungsinstitut Globaler Islam.
Die Ethnologin forscht unter anderem über den Wandel von
Genderordnungen in der islamischen Welt und über islamischen
Extremismus. Zuletzt hat sie eine Studie über strenggläubige Muslime in
Deutschland vorgelegt: "Gott näher als der eigenen Halsschlagader –
Fromme Muslime in Deutschland".
Benedikt Schulz: In unterschiedlichen Ländern gelten unterschiedliche
Gesetze – und manchmal geraten diese Gesetze miteinander in Konflikt. In
Syrien ist es erlaubt, minderjährige Mädchen zu verheiraten, weil dort im
zivilrechtlichen Bereich islamisches Recht Anwendung findet. In
Deutschland ist das nicht erlaubt – aber was ist, wenn in Deutschland
minderjährige Ehefrauen leben, die in Syrien verheiratet wurden? Die Frage
ist aktuell, auch wegen der hohen Anzahl an Flüchtlingen, die aus Syrien
nach Deutschland kommen und sie beschäftigt inzwischen auch Gerichte.
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Das Oberlandesgericht in Bamberg hat vor kurzem entschieden, dass das
Jugendamt für eine minderjährige Syrerin nicht die Vormundschaft behalten
darf, weil sie mit einem ebenfalls in Deutschland lebenden 21-jährigen Syrer
verheiratet ist. Und, das ist das Entscheidende: diese in Syrien geschlossene
Ehe hat das Gericht als rechtmäßig eingestuft und damit im Prinzip eine
Kinderheirat rechtlich auf deutschem Boden legitimiert. Am Telefon ist jetzt
Susanne Schröter, Ethnologin und Leiterin des Frankfurter
Forschungszentrum Globaler Islam. Guten Morgen Frau Schröter!
Susanne Schröter: Guten Morgen!
Schulz: Frau Schröter, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit dem
Islam, Sie sind jetzt keine Juristin. Trotzdem die Frage: Wie finden Sie ein
solches Urteil?
Schröter: Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Das eine ist die rechtliche
Ebene, zu der ich nicht sonderlich viel sagen kann. Meiner Meinung nach
gibt es gute Gründe – und das ist in der Vergangenheit auch immer wieder so
praktiziert worden, dass Ehen anerkannt worden sind, die in anderen
Ländern rechtsgültig geschlossen worden sind, obwohl sie gegen unser Recht
verstoßen. Jetzt stehen wir aber vor dem Problem, dass es nicht nur ganz
seltene Ausnahmefälle sind, von denen keiner Kenntnis nimmt, sondern
dass wir über die Flüchtlinge natürlich mit einem Phänomen konfrontiert
sind, dass doch ein bisschen größere Relevanz hat. Und da kommt dann
natürlich das Moment zum Tragen, ob diese Ehen und die im Ausland
geschlossenen Werte und Normen, ob die bei uns eben Bestand haben sollen
oder ob sie gegen den 'ordre public' verstoßen. Das heißt gegen die Werte
und Rechtsnormen, die bei uns gelten. Und da würde ich relativ klar sagen:
Ja, das tun sie. Wir können – obwohl das im Einzelfall vielleicht gute Gründe
gibt, so etwas dann auch anzuerkennen, wir können grundsätzlich nicht Tür
und Tor öffnen für die Anerkennung von Normen, die vielleicht in Syrien
oder anderen Ländern gelten, aber bei uns auch einfach gegen die guten
Sitten verstoßen.
Schulz: Aber jetzt hat das deutsche Recht doch etwas rechtlich geadelt, was
in Deutschland eigentlich verboten ist. Was hat das für Konsequenzen?
Wohin wird das führen in Deutschland?
Schröter: Ja, wenn man nicht aufpasst, werden das Präzedenzfälle und
andere berufen sich darauf. Es ist ja nicht so, dass in allen Ehen die Mädchen
schon 15 Jahre alt sind, wo man vielleicht noch sagen kann – naja – das ist
ein Grenzfall. Ich hatte da neulich mit einem Rechtswissenschaftler eine
Diskussion, der sagte: 15 – das kann man gerade noch gelten lassen –
sondern wir haben ja auch Mädchen, die sind elf, die sind zwölf, die sind 13
Jahre alt. Und wo will man da die Grenze ziehen? Da denke ich, in diesem Fall
müsste doch das deutsche Recht der Orientierungspunkt sein. Es ist ja auch
angedacht worden, ob man nicht ohnehin das Heiratsalter auf 18 erhöht. Das
halte ich eigentlich für eine gute Maßnahme. Bei uns hat ja eine Ehe, anders
als in anderen Ländern etwas damit zu tun, dass junge Menschen in der Lage
sind, Verantwortung für diesen Schritt zu übernehmen und sich der
Tragweite dieser Eheschließung bewusst zu sein. In anderen Ländern ist das
anders. Da wird man verheiratet, und die Zustimmung der jungen Leute und
insbesondere der Mädchen wird gar nicht erwartet. Das sind grundsätzlich
andere Voraussetzungen. Aber da müssen wir meiner Meinung nach auch
unsere Rechte und unsere Ordnung verteidigen, die ja aus gutem Grunde bei
uns herrscht.
"Wir müssen uns sehr klar orientieren an den Menschen- und
Frauenrechten."
Schulz: Ja – Sie haben es angesprochen. Es ist zwar eine juristische
Entscheidung, aber es geht ja eigentlich um einen kulturellen Konflikt, der
hier vorliegt. Kann die deutsche Gesellschaft eine solche Entscheidung
wirklich akzeptieren oder mit einer solchen Entscheidung leben?
Schröter: Nein, kann sie nicht. Es geht um einen kulturellen Konflikt. Und
wir haben jetzt natürlich eine ganze Reihe von ähnlich gelagerten
kulturellen Konflikten auszutragen. Darüber müssen wir uns verständigen,
wir müssen diskutieren in welche Richtung unsere Gesellschaft gehen soll.
Und meiner Meinung nach müssen wir uns sehr klar orientieren an den
Menschenrechten und auch an den Rechten für Frauen. Und dazu gehört
eben nicht, dass man Minderjährige, die sich eben nicht der Tragweite einer
solchen Entscheidung klar sein können – das sind Minderjährige -, schon
heiraten lässt oder dass man zustimmt, dass sie verheiratet werden.
Schulz: Die Richter haben jetzt erst mal zu Gunsten der Ansprüche des
syrischen Ehemannes entschieden und sich nicht den Ansprüchen der
minderjährigen Ehefrau gewidmet. Ist es so? Hat das Gut Rechtsschutz
Vorrang vor dem Schutz vor Minderjährigen?
Schröter: Ja, das ist – wie gesagt – eine juristische Frage. Ich würde jetzt als
Kulturwissenschaftlerin immer sagen: Wir müssen schauen, welche Werte
und Normen bei uns Bestand haben, welche wir auch als grundlegend für
unsere Gesellschaft ansehen. Und da ist der Schutz von Minderjährigen und
auch der Schutz von Mädchen und Frauen eben ein ganz zentraler Wert.
Für ein gesetzliches Verbot von muslimischen Kinderehen in Deutschland
Schulz: In den Niederlanden werden Kinderehen nach einer
Gesetzesänderung vom vergangenen Winter grundsätzlich nicht mehr
anerkannt. Fordern Sie, dass der Gesetzgeber in Deutschland da klar
nachzieht und sagt, das geht jetzt einfach nicht mehr?
Schröter: Ja, das halt ich für eine gute Maßnahme.
Schulz: Wie wird denn die Eheschließung mit Minderjährigen in islamisch
geprägten Gesellschaften – Sie beschäftigen sich ja mit dem Islam und der
islamischen Gesellschaft – wie wird diese Kinderehe überhaupt begründet
oder legitimiert? Ist das jetzt religiös, kulturell begründet, patriarchalisch –
oder alles zusammen möglicherweise?
Schröter: Ja, es ist alles zusammen. Also religiös – es gibt Länder, die sich
auf islamisches Recht berufen und eine bestimmte Interpretation des
islamischen Rechts für sich in Anspruch nehmen. Und da verweist man auf
das Leben Mohammeds als Vorbild für alle Muslime. Und Mohammed hat ja
selber eine Minderjährige geheiratet. Und das ist der Grund, weshalb in
vielen muslimisch geprägten Ländern die Heirat von Minderjährigen, zum
Teil von Mädchen ab neun Jahren, durchaus als legitim gilt. Das wäre die
religiöse Komponente. Auf der kulturellen und sozialen Ebene, versucht man
Mädchen möglichst schnell, sobald sie in die Pubertät kommen, zu
verheiraten, weil sie dann sicher ist - vor einem Ehrverlust. Ehrverlust
bedeutet, dass sie möglicherweise einen Freund hat, möglicherweise nicht
den Mann heiraten möchte, den man ihr zugedacht hat, dass sie also eigene
Entscheidungen trifft. Und deshalb versucht man, Mädchen möglichst
schnell unter die Haube zu bringen, damit sie gar nicht auf die Idee kommen,
eine eigene Entscheidung zu treffen. Das sind natürlich alles Dinge, die bei
uns überhaupt nicht gehen.
Weiteres Problem: Polygamie
Schulz: Und jetzt hat aber darüber hinaus – ist diese Zahl der minderjährig
Verheirateten größer geworden seit dem Syrienkonflikt. Richtig?
Schröter: Ja, selbstverständlich. Erstens verheiratet man junge Leute, dann
geht man davon aus, dass, wenn Mädchen jetzt fliehen, dass sie doch einen
gewissen Schutz durch den Ehemann – selbst wenn er selber minderjährig
ist – haben. Immer noch besser, als wenn sie sich dann alleine auf den Weg
machen. Außerdem geht man davon aus, dass dann alles seine Ordnung hat,
also dass auch moralische Vorstellungen gewahrt bleiben, dadurch dass man
Mädchen eben schneller verheiratet. Das heißt, wir haben jetzt durch die
Flüchtlinge aus Syrien aber auch aus anderen Ländern, sind wir zunehmend
damit konfrontiert, dass wir sehr junge Ehepaare haben und dass wir auch
Mädchen haben, die zum Teil an sehr viel ältere Männer verheiratet worden
sind. Nicht nur übrigens als Erstfrau. Wir haben ja genau das Problem auch,
ob wir Zweitehen anerkennen, oder Drittehen möglicherweise, was auch
durch die Globalisierung unserer Gesellschaft jetzt auf uns zukommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.
Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews
und Diskussionen nicht zu eigen.
Das gesamte Gespräch können Sie nach der Ausstrahlung mindestens sechs Monate
in unserer Mediathek nachhören.
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