Prof. Dr. med. Klaus M. Keller

Prof. Dr. med. Klaus M. Keller
Wissenschaftliche Leitung
46. Kinder- und Jugendärztetag 2016
Pressekonferenz in Berlin
Presseerklärung
des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ e.V.)
Sperrfrist: 17.06.2016, 10.30 Uhr
Das diesjährige Schwerpunktthema des BVKJ ist:
„K I N D E R S C H U T Z“
Das Schwerpunktthema des Jahres 2016 des BVKJ ist der „Kinderschutz“ quasi
in Fortsetzung des letzten Jahres, in dem die seelische Gesundheit von Kindern
und Jugendlichen im Brennpunkt stand. Daher ist der Kinderschutz auch das
Hauptthema des heute im Estrel-Hotel beginnenden 46. Kinder- und Jugendärztetages in Berlin, zumal zu diesem Thema immer wieder mehr Aus- und Weiterbildung gefordert wird.
Laut WHO werden 90% der Misshandlungsfälle in Europa auch von Krankenhäusern nicht wahrgenommen, so Prof. Jörg M. Fegert, Professor für Kinder- und
Jugendpsychiatrie an der Uniklinik in Ulm (DÄB, 4.12.2015). Die WHO erklärte
deshalb für Europa Kinderschutz zu einer „zentralen Gesundheitsherausforderung“. Laut Prof. Fegert entstehen Deutschland rund 11 Mrd. Euro an jährlichen
Kosten als Folgen von Kindesmissbrauch und Misshandlung.
In der FAZ vom 17.12.2015 war zu lesen, dass das Kinderschutzgesetz von 2011
Wirkung zeige: Mehr Kinder in staatlicher Obhut. In 5 Jahren sei die Zahl der
Kinder, die auf Betreiben staatlicher Stellen von ihren Eltern getrennt und in Obhut genommen wurden, um ein Viertel auf jetzt über 40000 Kinder gestiegen. Ein
Zuwachs an Inobhutnahme ist auch bei Jugendlichen zu verzeichnen. 2000 Fa1
milienhebammen sind im Rahmen von „Frühen Hilfen“ im Einsatz, Eltern zu unterstützen, die nach Geburt eines Kindes besondere Hilfe benötigen. Diese Hebammen können die Familien ein ganzes Jahr begleiten und auch weitere Unterstützung durch Jugendämter und Sozialbehörden mobilisieren. Die Finanzierung
dieser Familienhebammen soll künftig durch einen eigenen Fond sichergestellt
werden. Ehrenamtliche Betreuer in der Kinder- und Jugendhilfe müssen ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen.
Die folgenden Zahlen sind schockierend, die Dunkelziffer ist hoch:
1.) Etwa jeden 3. Tag wird in Deutschland ein Kind getötet! (FAZ 2.6.2016)
(zitiert aus dem Bericht von BKA-Chef Holger Münch anlässlich des Internationalen Kindertages in Berlin (1.6.2016) (aus der WELT und FAZ).
In Deutschland sind im vergangenen Jahr 130 Kinder getötet worden, also
durchschnittlich fast drei pro Woche. Vier von fünf Opfern (81 Prozent) waren
zum Zeitpunkt ihres gewaltsamen Todes jünger als sechs Jahre, sehr oft sogar unter zwei Jahre alt. Hinzu kamen 52 Tötungsversuche, wie aus der am
Mittwoch in Berlin veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik zu kindlichen
Gewaltopfern hervorgeht.
In vielen Fällen seien die Täter den Opfern nahestehende Personen wie Väter, Onkel oder andere Angehörige gewesen, sagte BKA-Präsident Holger
Münch am Mittwoch in Berlin anlässlich des Internationalen Kindertages. 54
der Fälle waren vorsätzliche, 68 fahrlässige Tötungen. Bei weiteren acht Delikten handelte es sich um Körperverletzungen mit Todesfolge. Dennoch sind
die Zahlen seit Jahren rückläufig, so gab es noch 2010 insgesamt 183 getötete Kinder.
Besonders die Fallzahlen fahrlässiger Kindstötungen stiegen laut Münch bundesweit um 51 Prozent an. In Rheinland-Pfalz und Sachsen gab es sogar einen Anstieg von 300 Prozent, in Hessen von 500 Prozent.
Eigene Gewalterfahrungen, fehlende Empathie, soziale Isolation, fehlende
Unterstützung, prekäre Lebensbedingungen, Alkohol, Rauschmittel, Rachsucht etc. spielen eine Rolle. Pädiater werden geschult, Risikofaktoren rechtzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen z.B. mit den Frühen Hilfen
und anderen lokalen Netzwerken (öffentlicher Kinder- und Jugendärztlicher
Dienst, Jugendamt, etc) einzuleiten. Zu den Hochrisikogruppen gehören
Heim- und Pflegekinder, Kinder psychisch kranker Eltern und minderjährige
Flüchtlinge.
Unter anderem auch deshalb werden ab 1.7.2016 nach jahrelangen Verhandlungen endlich die Forderungen der Pädiater und des BVKJ umgesetzt und
die neuen Früherkennungsuntersuchungen des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) mit den neuen U-Heften eingeführt (vgl. Bericht des Präsidenten des BVKJ, Dr. Thomas Fischbach).
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2.) Körperliche Misshandlung und sexuelle Gewalt: Hohe Dunkelziffer!
Die Fälle körperlicher Misshandlungen von Kindern sanken zwar um sechs
Prozent, trotzdem wurden 2015 immer noch knapp 4000 (3929) Kinder körperlich misshandelt. Sexuelle Gewalt erlitten 13.929 Kinder, ein geringer
Rückgang von 3,24 Prozent. Das seien fast 270 Fälle sexueller Gewalt gegen
Kinder pro Woche und 38 betroffene Kinder pro Tag, sagte der BKAPräsident. Und das seien nur die Fälle, die bekannt seien. "Wir müssen davon ausgehen, dass viele Taten unentdeckt bleiben", sagte Münch.
Pädophilie kommt leider in allen Bevölkerungsschichten vor, auch Pädiater
können dabei sein, wie wir jüngst schmerzlich zur Kenntnis nehmen mussten.
Nur geringe Erfolge verzeichnete die Polizei bei der Bekämpfung von Kinderpornos im Internet. Hier erfassten die Behörden 6.560 Fälle, ein halbes Prozent weniger als im Vorjahr. Kinderpornografie sei ein Massenphänomen,
sagte Münch. Durch die Verbreitung im Internet werde der Missbrauch der
Opfer quasi dauerhaft.
Laut FAZ vom 02.06.2016 fordert die Deutsche Kinderhilfe deshalb einen Paradigmenwechsel im staatlichen Kinderschutz. Dazu gehöre auch eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Jugendämter. "Kinderschutz ist
keine freiwillige Wohltätigkeit, sondern originäre Pflicht des Staates", sagte
der Vorstandsvorsitzende Rainer Becker. Auch Frau Prof. Kathinka Beckmann, Professorin für klassische und neue Arbeitsfelder der Pädagogik der
Frühen Kindheit an der HS Koblenz verlangte, dass dem staatlichen Kinderschutz mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde. Gefordert wird mehr Geld und
mehr Zeit für Qualität, sowie dass die Stimmen aller Beteiligten, also auch jede der einzelnen Mitarbeitenden, der Kinder und Ihrer Familien gehört werden. Eine durchgängige wissenschaftliche Begleitung von Maßnahmen der
Kinder- und Jugendhilfe und die gesetzliche Pflicht zur Analyse von fehlgegangenen Hilfefällen sowie echte Netzwerkarbeit in Deutschland und niedrigschwellige Hilfsangebote werden verlangt. Verpflichtende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Kinderschutz für alle, die mit und für Kinder arbeiten, und dass die Medien und die Zivilgesellschaft entschlossen für Kinder
eintreten, gehören zu den weiteren Forderungen der Deutschen Kinderhilfe.
Dazu möchte der diesjährige 46. Kinder- und Jugendärztetag beitragen.
Der Helioskonzern, größter privater Kliniksbetreiber in Deutschland (und Europa), hat beschlossen, dass an jeder Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
eine professionelle interdisziplinäre Kinderschutzgruppe eingerichtet werden
muss.
3.) Cybermobbing, ein neues Feld für Misshandlung von Kindern und Jugendlichen!
Interessant in diesem Zusammenhang wiederum ein Interview von BKA-Chef
Holger Münch: „Die Sprache kommt vor der Tat!“ (FAZ vom 03.06.2016)
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Der BKA –Chef warnte vor einer Verrohung der Sprache in Deutschland. Diese schaffe ein Klima, in dem Gewalt als Rechtfertigung verstanden werde. In
Zeiten rechter Gewalt infolge der Flüchtlingskrise würden in verschiedenen
Foren im Internet Beleidigungen und Bedrohungen geäußert. Die unsäglichen
Äußerungen von Herrn Gauland von der AfD bezüglich Herrn Boateng oder
die jüngsten Bedrohungen türkischstämmiger Abgeordneter wegen der Armenienresolution sind hier traurige, in den Medien bekannt gewordene Beispiele.
„Unter Schülern sind Beleidigungen, Bloßstellungen, Ausgrenzungen und
Drohungen im Netz Alltag“, war kürzlich in der Mainzer AZ zu lesen (AZ vom
23.5.2016). Cybermobbing ist ein bundesweites Phänomen und nicht auf
Großstädte begrenzt. Studien aus Rheinland-Pfalz zufolge sind 15 – 30% der
Schüler betroffen. Im digitalen Raum fehlt der direkte Kontakt zwischen Tätern und Opfer, so dass die Hemmschwelle sinkt. Psychische Folgen können
u.a. sein: Depression, Schlafstörungen, Selbstverletzendes Verhalten,
Bauchschmerzen bis hin zum Suizid.
Ein weiteres Stichwort in diesem Zusammenhang ist die zunehmende Häufung von Online-Sucht: „Jeder 5. Deutsche zwischen 12 und 17 Jahren reagiert gereizt, wenn sein Internetzugang eingeschränkt wird“ (Ergebnis einer
DAK-Studie in Kooperation mit dem Dt. Zentrum für Suchtfragen des Kindesund Jugendalters DZSKJ). Ca. die Hälfte der befragten Eltern regelt nicht, wie
lange das Kind online sein darf! In 51% der Fälle blieben die Kinder länger
online als vorgenommen. Bereits Kinder mit 12 Jahren nutzen das Internet
meist eigenständig. Laut Studie sitzen etwa 20% der Jungen und Mädchen
am Wochenende bis zu sechs Stunden oder mehr vor dem Computer. Soziale Bindungen leiden, Hobbies wie Sport und Musik werden vernachlässigt.
Ein neues – und immer wichtiger werdendes – Thema für den Kinderschutz!
Mainz/Wiesbaden, 11.06.2016
Prof. Dr. med Klaus-Michael Keller, Kinder- und Jugendarzt,
Wissenschaftlicher Leiter des 46. Kinder- und Jugendärztetag
Deutsche Klinik für Diagnostik
DKD Helios Klinik Wiesbaden
Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden
[email protected]
Weitere Infos unter www.kinderaerzte-im-netz.de
und unter www.bvkj.de
Geschäftsstellen: Mielenforster Str. 2, 51069 Köln, Fon: 0221/68909-0, Fax: 0221/683204
Chaussestr. 128/129, 10115 Berlin, Fon: 030/22335582, Fax: 030/22335550
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