Kino vor Ort 28-06-2016

Stadthalle Hofgeismar
„Kino vor Ort“
Dienstag, 28. Juni 2016
16:00 Uhr:
THE JUNGLE BOOK
Über die Geschichte braucht man nicht viele Worte zu verlieren, sie ist bekannt und wurde
auch in diesen neuen "Jungle Book" nicht verändert: Mowgli, ein kleiner Junge, wird im
Dschungel von Wölfen aufgezogen und lebt im Einklang mit der Tierwelt. Allein der Tiger
Shere Khan stört sich an der Anwesenheit eines Menschen, so dass es der Panter Bagheera
für sicherer hält, Mowgli dahin zurückzubringen wo er her kommt: Zu den Menschen.
Oft wurde diese Geschichte verfilmt, doch die beliebteste Version bleibt der DisneyAnimationsfilm aus dem Jahre 1967, der allein in Deutschland sagenhafte 27 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte, mehr als jeder andere Film! Die Macher dieser Neuauflage standen nun also vor der schwierigen Aufgabe, gleichzeitig dem Original Ehre zu erweisen, aber
auch einen zeitgemäßen, modernen Film zu drehen. Ergebnis dieses Spagat ist zunächst ein
Mowgli, der zwar wie eh und je im Lendenschurz im Dschungel lebt, sich aber verhält wie ein
Kind der Gegenwart: Selbstbewusst bis an die Grenze zur Arroganz, fordernd und unbescheiden. 1967 hätte man ihn vermutlich als Rotzlöffel bezeichnet, nun ist er das einzige real
gefilmte Element in einer ansonsten komplett animierten Welt.
Offiziell wird "The Jungle Book" zwar als Live-Action-Film vermarktet, also als Realfilm, doch
eigentlich muss man ihn als Animationsfilm bezeichnen: Jedes Tier, aber auch jeder Baum,
jede Pflanze, jeder Grashalm entstand im Computer und ist von atemberaubender Perfektion. Die technische Qualität der Bilderwelten, die Regisseur Jon Favreau und seine Hundert-,
ach was, Tausendschaften an Computertechnikern hier auffahren ist von einer Qualität, wie
man sie selten gesehen hat. In brillanten Farben erstrahlt der Dschungel, der hier eine stilisierte Phantasiewelt voller exotischer Pflanzen, mächtiger Baumriesen, Wasserfällen und
dramatischer Landschaften ist, bevölkert von Tieren aller Art, von Wölfen und Elefanten,
über Disneytypische knuffige Wesen, bis hin zu den bekannten Figuren aus dem Original:
Die Schlange Kaa, der Bär Baloo und Louis, der Affenkönig.
Diese beiden Songs sind die einzigen, die übrig geblieben sind, denn meist ertönt moderne,
bombastische Musik voller Pathos, wenn nicht gerade das Gesetz des Dschungels gepriesen wird und vor allem die Macht des Feuers und damit des Menschen. Dass hier an entscheidender Stelle das filmische Original variiert wird und stattdessen auf die literarische
Vorlage zurückgegriffen wird, ist ideologisch aufschlussreich. Disney-Filme waren zwar im
Kern stets konservativ, doch zumindest in Ansätzen war im 67er "Dschungelbuch" die Anarchie der Gegenkultur spürbar. Dass nun, 2016, wieder mehr auf ein vom kolonialen Denken
geprägtes Buch zurückgegriffen wird, ist bezeichnend. (Michael Meyns)
USA 2015 – Animationsfilm, Regie: Jon Favreau, nach den Romanen von Rudyard Kipling,
100 Min., ab 6 J.
19:30 Uhr:
EIN MANN NAMENS OVE
Mit "Ein Mann namens Ove" legt der schwedische Regisseur Hannes Holm ("Familienchaos") eine toll gespielte und inszenierte Tragikomödie vor. Basierend auf dem gleichnamigen
Roman seines Landsmanns Fredrik Backman nimmt Holm einen Rentner in den Blick, der
die tiefe Trauer um seine Frau in bärbeißigen Kommentaren und großer Streitlust auslebt.
Eigentlich will er sich nur ganz in Ruhe das Leben nehmen - aber wo findet man noch Ruhe
und Ordnung in dieser Welt? Wie in anderen Dramen ähnlicher Ausrichtung (etwa "About
Schmidt") findet Ove Schritt um Schritt zurück ins Leben, und zwar mit Hilfe einer neuen
Nachbarin aus Persien. Das ist gleichzeitig urkomisch und ernsthaft zu Herzen gehend.
Wer in Oves (Rolf Lassgård) Nachbarschaft lebt, hat nicht gut Kirschen essen. Der grantige
Rentner durchstreift allmorgendlich die beschauliche Wohnsiedlung seines schwedischen
Heimatstädtchens. Auf den ersten Blick ist hier alles in bester Ordnung: Kleinfamilien, allgemeine Harmlosigkeit, viel Ruhe. Doch Ove sieht das anders. Seiner Ansicht nach versinkt die
Siedlung im Chaos, wenn jemand zum Beispiel das Tor offen lässt oder das Fahrverbot nicht
einhält.
Wer Ove zum Nachbarn hat, kann aber auch Gutes daraus ziehen. Denn Ove, das liegt trotz
allem auf der Hand, ist unter der grantigen Schale ein feiner Kerl, meistens zumindest. Das
merkt auch seine neue persische Nachbarin Parvaneh (Bahar Pars), die mit ihrem Mann und
der kleinen Tochter ins Haus nebenan zieht. Obwohl die erste Begegnung ruppig ausfällt,
wenn Ove die Familie wegen des Fahrverbots zurechtweist, erkennt Parvaneh auf Anhieb
den weichen Kern des Rentners.
Außerdem geht es Ove nicht so gut. Schon in der Auftaktszene will sich der 59-Jährige das
Leben nehmen, doch es kommt etwas dazwischen. Dasselbe Spiel wiederholt sich mehrere
Male. Rückblenden, die jeweils als Binnenerzählung der verpatzten Suizidversuche aufklappen, fächern die Gründe für Oves Verbitterung und seine Abwehrhaltung gegen alles Emotionale auf. Seit dem tragischen Tod seiner Frau Sonja (Ida Engvoll) vor ein paar Monaten lebt
der Witwer zurückgezogen. Selbst seinen besten Kumpel, mit dem ihm eine lebenslange
Rivalität in der Frage "Wer fährt das bessere Auto?" verbindet, will Ove nichts mehr zu schaffen haben. In der bittersten Szene der Tragikomödie flüstert Ove seinem früheren Kumpel,
der nichts erwidern kann, bittere Worte ins Ohr.
Bei aller Tragik kommt aber auch der Humor nicht zu kurz. Dass Hannes Holm eine gute
Balance zwischen tragischen und komischen Momenten findet und dabei – aller Dramatik
zum Trotz – nie in seichten Kitsch rutscht, lässt "Ein Mann namens Ove" runder wirken als
ähnlich angelegte Tragikomödien mit alten, zeternden Männern, die sukzessive neues Lebensglück finden. Die in den Rückblenden erzählte Liebe-auf-den-ersten-Blick-Geschichte ist
tatsächlich berührend und auch Oves tiefe Trauer, die in der dramatisch, aber ebenfalls nicht
kitschig anschwillenden Musik Widerhall findet, wirkt glaubhaft. Spannender als die Trauer
und Oves Gemecker ist indes die Vater-Tochter-artige Beziehung zwischen Ove und Parvaneh. Nach einer Weile nimmt Ove sogar eine Katze bei sich auf, die gewissermaßen symbolisch für die smarte und taffe Parvaneh steht, die über kurz oder lang zur wahren Heldin
des Films avanciert.
Filmisch lehnt sich Hannes Holm nicht weit aus dem Fenster, zimmert aber einen passenden Rahmen für die Geschichte. In oft unbewegten, vom Stativ gefilmten Bildern lotet er die
Beziehungen der Figuren untereinander aus. Die entsättigte, weiche Farbgebung etabliert
eine gewisse Tristesse, setzt aber auch Farbakzente, die im Verlauf der Handlung immer
mehr Oberhand gewinnen. Während am Anfang allein der hellblaue Strick, mit dem sich Ove
erhängen will, einen Farbtupfer setzt, bringt im weiteren Verlauf vor allem Parvaneh, deren
Name auf Persisch übrigens "Schmetterling" bedeutet, Farbe ins Spiel.
"Aus diesem Leben kommt niemand lebend raus," sagt Ove einmal. Wo er Recht hat, hat er
Recht. Doch vielleicht sagt er solche Sachen nicht, weil er Menschen nicht leiden kann, sondern weil er ein zu großes Herz hat – und vielleicht braucht einer wie Ove erst eine liebenswerte Nachbarin, die in zurück ins Leben begleitet. (Christian Horn)
Schweden 2015, Regie: Hannes Holm, Darst.: Rolf Lassgård, Bahar Pars, Ida Engvoll, Zozan Akgün, Filip Berg, Bahar Pars, Tobias Almborg, Viktor Baagøe, 100 Min., ab 12 J.