PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Andrea Emmel, Frankfurt
hr2-kultur Zuspruch am Morgen / Montag, 13.06.16
Hab Geduld mit dir selbst!
„Herr, gib mir Geduld, aber zackig!“ Dieser Spruch bringt mich immer wieder zum
Schmunzeln. Weil er so gut zu mir passt. Wie oft wünsche ich mir Gelassenheit und
Geduld, aber bitte sofort. Und dann merke ich: wie wenig Geduld ich mit mir selbst
habe. Am liebsten sollte alles ganz umgehend passieren. Wenn ich am Computer
sitze und etwas Neues ausprobiere, dann bin ich oft ungeduldig mit mir selbst.
Oder wenn ich mir vorgenommen habe: Heute will ich meinen Tag besser einteilen,
will mich nicht von Handy und Sonstigem ablenken lassen - und dann kommt
plötzlich eine E-mail von Freunden und schon bin ich mit meinen Gedanken
woanders. Und bin dann ärgerlich mit mir selbst. Gelassenheit lernen ist ganz schön
schwer. Auch Rainer Maria Rilke hat sich mit dem Thema Geduld befasst. In einem
Brief an einen jungen Dichter hat er folgende Gedanken einfließen lassen:
„Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von
innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, alles ist
austragen – und dann gebären...“ Leicht gesagt, aber so schwer umzusetzen. Weil
wir oft die Entwicklung nicht sehen können. Warten fällt mir schwer, wenn ich
eigentlich etwas tun möchte.
Rilke vergleicht diesen Prozess mit der Natur: „Reifen wie der Baum, der seine Säfte
nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass
dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den
Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit.“
Und dann kommt für mich das Erstaunliche in den Zeilen von Rilke. Er weitet meinen
Blick. Weil er die Geduld und das Warten nicht als lästigen Zwischenabschnitt sieht,
sondern dem Reifeprozess einen ganz eigenen Wert beimisst. Rilke schreibt: „Man
muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen und versuchen, die Fragen
selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr
fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn
man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines
fremden Tages in die Antworten hinein.“ Für mich heißt das: Ich muss nicht immer
die fertigen Lösungen parat haben. Nicht ungeduldig werden, wenn ich ein neues
Computerprogramm lerne, sondern ich kann mich daran freuen, wie ich Schritt für
Schritt Fortschritte mache. Oder wenn ich mit meinen Kindern einen Konflikt
austrage, dann kann ich beobachten, wie wir uns als Familie entwickeln. An den
Schwierigkeiten reifen. Das ist nicht leicht, weil wir das Warten oft als Stillstand
wahrnehmen. Wie im Winter, wenn die Blütenknospen unter einer harten Schale wie
tot wirken. Aber da tut sich was. Wenn ich mal wieder ungeduldig mit mir selbst bin,
dann kann ich versuchen, zu ergründen: Warum fällt es mir schwer, gelassen zu
sein? Und ich will meine kleinen Fortschritte wertschätzen. So wie der Heilige Franz
von Sales gesagt hat: „Hab Geduld mit allen Dingen, vor allem mit dir selbst!“