VOM HIMMEL AUF ERDEN LAUTENMUSIK AUS STIFT KREMSMÜNSTER VON PATER FERDINAND FISCHER 21. August 2016 „Vom Himmel auf Erden“ Lautenmusik aus Stift Kremsmünster (Österreich) St. Bonifatius Lämmersieht 65 22305 Hamburg Hubert Hoffmann 11 chörige Laute nach Joachim Tielke aus der Werkstatt Andreas von Holst 1986 ........................................................................................................................................................................................ PROGRAMM PATER FERDINAND FISCHER (1652 – 1725) I. PARTITA a-moll Ms. L 79 Prelude – Allemande – o. Bez. – o. Bez. (Courante) – o. Bez. (Sarabande) - o. Bez. (Gavotte) – o. Bez. (Menuet) – o. Bez. (Retirada) – o. Bez. (Bouree) - o. Bez. (Menuet) – o. Bez. II. PARTITA C-Dur Ms. L 83 o. Bez. (Allemande) – Double – Gavotte - Menuette – Canarie – Chaccogne PAUSE III. PARTITA d-moll Ms. L 82 Prelude – o. Bez. (Aria) – Double – o. Bez. (Aria) – o. Bez. (Aria) – o. Bez. (Passagio) – o. Bez. (Aria) – Double – o. Bez. (Aria da Capo) – o. Bez. – o. Bez. (Retirada) IV. PARTITA c-moll Ms. L 82 / Ms. L 85 Prelude – o. Bez. (Allemande) – o. Bez. (Courante) – Passagaglia – o. Bez. (Retirada) ******* ERLÄUTERUNGEN Als Johann Baptist Fischer am 12. Jänner 1652 in Kuchl bei Hallein zur Welt kam, war die Laute in den Weiten des habsburgisch verwalteten Großreiches gerade dabei, das letzte Kapitel ihrer 600jährigen Geschichte aufzuschlagen, das sie vom ursprünglich arabischen Import im 12. Jahrhundert an die Universitäten des 13. und 14. Jahrhunderts bis in die fürstlichen Hofhaltungen der Renaissance- und Barockzeit als das nobilitierte Instrument schlechthin geführt hatte und welches erst in der Mitte eines sich zunehmend verbürgerlichenden 19. Jahrhunderts in Wien geschlossen werden sollte. Noch wissen wir wenig über Fischers Herkunft, Kindheit und Jugend. In den späten 1670er Jahren muss er an der Benediktiner-Universität in Salzburg Theologie studiert haben. Dort wird er sicherlich auch in Kontakt mit der musikalischen Avantgarde um den damaligen Hofkapellmeister Heinrich Ignaz Franz von Biber gekommen sein, der Fischers späteres kompositorisches Schaffen auf der Laute so nachhaltig prägen sollte. Seine Primiz feierte er am 1. Jänner 1681 in Linz und ab 1683 finden wir ihn als Leiter der Grammatikalklassen in Stift Kremsmünster, später als Präfekt der dortigen Schule und Professor der Humanistik an der Universität in Salzburg. Im Jahr 1691 wird er zum Prior des Stiftes ernannt, um endlich von 1693 bis zu seinem Lebensende 1725 als Pfarrer in Buchkirchen bei Wels zu wirken. Pater Ferdinand, wie er sich seit seinem Eintritt in den Benediktinerorden nennt, muss ein begnadeter Lautenspieler gewesen sein. Annähernd ein Drittel des umfangreichen Lautentabulatur-Bestandes im Stift zeigt seine überaus filigrane und akkurate Handschrift. Wie er zu seiner überaus kostbaren Laute kam, einem prachtvollen Instrument aus der Werkstatt des bereits damals hochberühmten Magno Tieffenbrucker, 1604 in Venedig gebaut, wird noch zu erforschen sein. Im Jahre 1685 wird es in der Wiener Werkstatt des „kayserlichen Hofinstrumentenmachers“ Matthias Fux in die Form gebracht, in der es sich bis heute in der Regenterei des Stiftes erhalten hat. Ferdinand Fischer war aber nicht nur ein virtuoser Lautenist, sondern auch ein sehr eifriger und qualitätsbewußter Sammler von Musik für sein Instrument. Viele der Werke, von seiner Hand kopiert, haben in Kremsmünster als Unika überlebt und können nur durch eindeutige stilistische Merkmale den damals führenden Komponisten für das Instrument zugewiesen werden. Als ich im Herbst 2012 vom heutigen Regens Chori des Stiftes Pater Altman den Auftrag erhielt, eine wissenschaftlichen Kriterien entsprechende Faksimilierung der erhaltenen Lautenmusik-Bestände des Stiftes zu überwachen, brachte eine erste Sichtung der umfangreichen Tabulaturen Erstaunliches zu Tage. In den von Pater Ferdinand Fischer zusammengetragenen Sammlungen befindet sich ein großer Anteil bislang völlig unbekannter, in anderen Tabulaturen nicht nachweisbarer Musik. Diese Musik zeigt nun aber Merkmale von so hoher Originalität und trägt dazu eine eindeutig zuweisbare kompositorische Handschrift, dass die Vermutung naheliegt, diese, einzig in den Kremsmünsteraner Tabulaturbeständen erhaltene Musik, habe einen gemeinsamen Autor. Bei dieser Person dürfte es sich sehr wahrscheinlich um Pater Ferdinand Fischer selbst handeln. Die kompositorische Qualität dieser Musik steht außer Zweifel, ihre Originalität lässt aufhorchen: Niemals, in der langen europäischen Geschichte des Instrumentes, wurde eine solche Musik für die Laute gesetzt. Ihr und ihrem Schöpfer ist also der heutige Konzertabend gewidmet. Die Lautenmusik aus den Habsburgerreichen weiß sich, seit der unstrittigen Beeinflussung durch die Musik der französischen „Lutheriens“ im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bereits ab 1700 als sehr eigenständig zu emanzipieren. Vom Kaiserhof in Wien ausgehend, bildet sich in der Musik der damals führenden Lautenisten um den Grafen Johann Anton Losy, den Hofkanzlisten Ferdinand Ignaz Hinterleithner und den Hof-Expediteur Johann Georg Weichenberger ein ganz eigenständiger österreichischer Lautenstil heraus, der in der Folgezeit den gesamten deutschen (auch den mittel- und norddeutschen lutheranischen) Sprachraum prägen wird. Dies ist schon in der starken Beeinflussung der (später durch ihre „Cantabilität“ gerühmten) Musik des gefeierten Lautenvirtuosen Silvius Leopold Weiss durch die Musik des Kaiserlichen Hofkämmerers Johann Anton Losy ersichtlich. Die besonders in Österreich entwickelte Vorliebe der Zeit für die Instrumente der Violinfamilie folgend, entwickelt Losy, selbst Geiger und Lautenist in Personalunion, einen entschieden von der Violinidiomatik beeinflussten Lautenstil, den sogar der Dresdener Kammerlautenist schließlich aufgreifen wird, um daraus seinen eigenen repräsentativen Kompositionsstil zu entwickeln, der später maßgeblich zu seinem ungeheueren Ruhm beitragen wird. -2- Ähnliches ließe sich auch bei Pater Ferdinand Fischer feststellen. Durch die Befreiung von der Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt mit dem Lautenspiel bestreiten zu müssen, erhält er dadurch die Möglichkeit völlig frei von wirtschaftlichen Zwängen in der Abgeschiedenheit eines klösterlichen Lebens seinen ganz eigenständigen Lautenstil ausformulieren zu können. Darin liegt wohl aber auch der Grund, wieso diese Musik bis heute in einem unverdienten Dornröschenschlaf verharrte. Zentral wird hierbei die instrumentengerechte Adaption der damals zentralen Werke eines Johann Gottlieb Muffat in der Orchestermusik, Johann Kaspar Kerll, Johann Jacob Froberger für die Tasteninstrumente und des bereits genannten Heinrich Ignaz Franz Biber für die Violintechnik. Gerade die violinistische Polyphonie in den Werken Bibers scheint Pater Ferdinands besondere Aufmerksamkeit gefunden zu haben. Sie wird zur Keimzelle des neuen, vollkommen eigenständigen Lautenstils, welcher ab diesem Zeitpunkt die von ihm eigenhändig rastrierten Tabulaturbücher im Stift anzufüllen beginnt. Als Einleitung des heutigen Abends steht dann auch eine veritable „Pasticcio-Suite in a-moll“ aus dem Manuskript L 79. Sie vereinigt Kompositionen so unterschiedlicher Herkunft wie Denis Gaultiers legendäres mixolydisches Prelude aus der „Rhetorique de Dieux“, bislang unidentifizierte Tanzsätze französischer Großmeister des späten 17. Jahrhunderts (Dufaut, Pinel?) und Werke aus dem Umfeld des Wiener Hofes (Losy?) und erstmals jene kunstvollen Adaptionen volksmusikalischer Elemente, die ganz allgemein für die Kunstmusik Österreichs bis in die Wiener Klassik so charakteristisch werden sollten. Die anschließende Partita in C zeigt uns Ferdinand Fischer als versierten Meister der Variationsformen, wie sie uns noch im Werk Josef Haydns am Ende des 18. Jahrhunderts faszinieren. Aus einer motivischmelodischen Formel entwickelt er mehrere Tanzcharaktere und schließlich den Beschluss dieser Gruppe in der Form einer großen Chaconne, die uns erstmals mit einer bislang unbekannten avancierten Lautenspieltechnik bekannt macht, welche uns einzig in den Werken Fischers begegnet. Nach der Pause betreten wir das Forschungs-Laboratorium von Pater Ferdinando: Einem hoch virtuosen, alle Klangregister des Instrumentes zeigenden Prelude folgt eine Gruppierung volksliedhafter Liedsätze mit zum Teil erneut technisch anspruchsvollen, durchpolyphonierten Variationen, immer wieder durchbrochen von dem Tasteninstrumenten-Repertoire entlehnten freien Fantasie-Passagen. Diese Suite endet schließlich in einer weiteren österreichischen Spezialität, einer in zarter Melancholie verharrenden Retirata. Im Zentrum der zum Schluss des Recitals erklingenden Musik steht jene mächtige Passacaglia in c-moll, deren Umfang alles an bislang bekannter Lautenmusik bei weitem überschreitet und deren Ursprung sicherlich in der Passacaglia aus Bibers 6. Violinsonate von 1681 zu sehen ist. Dieses prachtvolle Kernstück ist sorgsam umrahmt von einigen überaus charmanten Galanteriesätzen, die deutlich zeigen, wie sehr unser Lautenpater bis zu seinem Lebensende selbst neueste musikalische Zeitströmungen in seine Kompositionen mit einfliessen liess. Hubert Hoffmann Wien
© Copyright 2024 ExpyDoc