Fremde werden Freunde - Evangelischen Jugend Salzgitter-Bad

JUGEND
Fremde werden Freunde
Ein Begegnungswochenende der Evangelischen Jugend Salzgitter-Bad in Wernigerode
Eine Gruppe von 25 verschiedenen jungen Menschen aus unterschiedlichen
Kirchengemeinden, Wohnorten und Herkunftsländern soll, organisiert durch die
Evangelische Jugend, ein Wochenende
zusammen verbringen, ohne sich vorher
wirklich zu kennen?
Worum geht es dabei? Kann das gut
gehen? Was wird man erleben? Wen
wird man alles kennen lernen dürfen?
All dies sind Fragen, die den meisten
von uns Teilnehmern so oder so ähnlich
durch den Kopf schwirrten, bevor wir zu
dem Wochenende der Ev. Jugend unserer Landeskirche unter dem Leitmotiv
„Gegen Vorurteile und für Toleranz“ aufgebrochen sind.
Die spannendste Frage dabei: Können
aus Fremden Freunde werden?
Das Experiment beginnt!
Bettina hat uns, Nina Frank aus Braunschweig (17 Jahre) und Jamal Alnour (21
Jahre) aus Salzgitter-Bad, aufgewachsen
im Sudan, gebeten, ein bisschen von unseren Erfahrungen dort zu berichten:
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Also, noch einmal: Worum ging es bei
diesem Wochenende eigentlich?
Zunächst einmal die Fakten: Vom
29.04. bis zum 01.05. fuhren 25 Teilnehmer aus Salzgitter, Braunschweig,
Helmstedt, Wolfenbüttel und Peine zusammen nach Wernigerode, um dort
ein paar Tage zu den Themen Toleranz,
Kennen lernen und Austauschen zu verbringen.
Acht von uns sind nicht in Deutsch-
land geboren, sondern kommen aus
Syrien, Mali, dem Sudan und der Elfenbeinküste.
Der erste gemeinsame Tag war ganz
dem Kennenlernen gewidmet. Man hat
sich selbst vorgestellt, den neuen Gesichtern wurden Namen zugeordnet, es
wurden Spiele gespielt, erste Gespräche
geführt und später auch gemeinsam
musiziert.
Alle konnten sich schon einmal sehen,
und es wurde ein wirklich netter erster
Abend zusammen verbracht.
Am Samstag ging es dann ans Eingemachte: Uns allen wurde von einer Mitarbeiterin des diakonischen Werkes der
Weg vom Beginn einer Flucht mit Zwischenetappen, bis hin zum Asylantrag
erläutert; mit allen möglichen Folgen
von Aufenthaltserlaubnis, über Duldung
bis möglicher Abschiebung.
Es war gut, diesen komplizierten Weg
dieses doch sehr komplexen und verwirrenden Verfahrens einmal erklärt zu
bekommen.
So erhielt man einen Einblick in die
Schwierigkeiten und Komplikationen,
die der Asylantrag für die Flüchtlinge
mit sich bringt.
Wussten Sie zum Beispiel, dass ein
Mensch, der noch im Asylverfahren
steckt, wenn er beispielsweise in Salzgitter-Bad wohnt, bei Krankheit erst für
2,70€ eine Busfahrt nach Lebenstedt
zum Rathaus auf sich nimmt und sich
dort nach langer Wartezeit beim Ausländeramt einen speziellen Krankenschein
holen muss, bevor er damit zum Allgemeinmediziner geht?
Und das Gleiche beginnt wieder von
vorn, wenn dieser sagt, er müsse zu einem Facharzt?
Oder dass Flüchtlinge aus Syrien relativ schnell, zumindest erst einmal drei
Jahre Bleiberecht und damit die Möglichkeit auf eine eigene Wohnung, kostenlose Sprachkurse und eine Arbeitsstelle
bekommen, während Asylsuchende aus
afrikanischen Ländern zum Teil schon
seit mehr als anderthalb Jahren hier in
kleinen Wohnungen mit 4-6 Männern
leben, ohne dass sie auch nur von den
entsprechenden Ämtern angehört wurden?
Zudem gaben uns zwei Flüchtlinge aus
dem Vorbereitungskreis ein paar Einblicke in ihre Flucht aus ihrer Heimat.
Es war schön, so viel Vertrauen entgegengebracht bekommen zu haben.
So war es uns möglich, uns diese teilweise doch sehr schockierenden Erlebnisse und Etappen der Flucht bis nach
Deutschland ein bisschen besser vorstellen zu können.
Doch bei all den tiefgründigen Gesprächen kam natürlich auch der Spaß
nicht zu kurz, so auch bei unserer gemeinsamen Wanderung zur Burg in Wernigerode.
Passend zur bevorstehenden Walpurgisnacht ließen sich Hexen und andere
Gestalten bewundern, und es sind viele
tolle Fotos entstanden. Spannend wa-
ren auch die Aufgaben, die die sehr gemischten Kleingruppen von der Leitung
mit auf den Weg bekommen hatten:
„Macht ein lustiges Foto mit einer Hexe“
war da noch das Einfachste.
Aber „Findet fünf Gemeinsamkeiten“
oder „Macht ein Foto zum Thema Heimat“ war bei so unterschiedlichen Menschen, mit so unterschiedlichen Hinter-
nur darauf einlässt.
Per WhatsApp ist es heute ja einfach,
weiter Kontakt zu halten, und wir haben
uns fest vorgenommen, uns in unserer
Gruppe „Fremde werden Freunde“ gegenseitig einzuladen und gemeinsame
Aktivitäten zu planen, auch mit weiteren
Menschen, die Lust dazu haben.
Sie, liebe Leser und Leserinnen, wer-
gründen und Erfahrungen gar nicht so
einfach.
Es war an diesem Nachmittag aber
vor allem einfach schön, alle so ausgelassen zu erleben, zu sehen wie schnell
aus diesen 25 verschiedenen Menschen
eine Gruppe wurde. Eine Gruppe, die sich
auch Gedanken über die Zukunft macht.
Am letzten Tag saßen wir abschließend zusammen und haben gemeinsam
überlegt, was wir direkt tun können,
um die Integration voranzubringen, um
noch mehr Menschen zu zeigen, dass
Toleranz etwas großartiges wie Freundschaft schaffen kann, wenn man sich
den also ganz bestimmt noch einmal
von uns hören, denn wir sind alle Feuer
und Flamme, etwas für Integration und
gegen Vorurteile zu tun!
Abschließend lässt sich sagen, dass es
ein wirklich tolles Wochenende war mit
viel Spaß, tollen Leuten und neuen Erlebnissen und Erkenntnissen!
Unser gemeinsamer Entschluss steht
fest: Wir wollen uns wieder sehen! Wir
haben es geschafft: Auf faszinierende
Art und Weise wurden schnell aus Fremden Freunde.
Nina Frank und Jamal Alnour
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JUGEND
Gedanken, Erfahrungen, Einsichten
Das Zusammensitzen und Sprechen
über ganz verschiedene Dinge: Über Religion, über die Situation von Flüchtlingen, über das Leben hier in Deutschland
und noch viele andere Themen. Es war
sehr schön zu erleben, immer wieder
mit neuen Menschen ins Gespräch zu
kommen.
Das wichtigste Ergebnis für mich ist
aber die WhatsApp-Gruppe „Fremde
werden Freunde“, durch die wir die
Chance haben, durch unsere Handys
miteinander in Kontakt zu bleiben und
uns gegenseitig zu weiteren Veranstaltungen einzuladen.
Ich habe durch meine Arbeit als Jugenddiakonin für die Ev. Jugend SalzgitterBad schon viele Seminare mit Jugendlichen mitgemacht, aber dieses gehörte
für mich persönlich zu den Highlights.
Vor allem zu beobachten, wie „meine“
Jugendlichen, egal aus welchem Land
sie kommen, sich vorsichtig einander
annäherten, sich kennen lernten und
aufeinander einließen.
Tatsächlich entstanden auch Freundschaften. All dies war für mich sehr bewegend.
Besonders beschäftigt hat mich allerdings der Samstagabend. Nach dem
Trickfilm „Giraffe im Regen“, in dem
eine Giraffe aus Afrika fliehen muss und
über viele Umwege ins bürokratische
und kalte Frankreich kommt, sollte eigentlich der Abend in den „lustigen Teil“
mit Gesellschaftsspielen, Singen und Erzählen übergehen.
Aber an diesem Abend war eine so
besondere und vertraute Atmosphäre,
dass ungeplant plötzlich einer unserer der teilnehmenden Flüchtlinge aus
Salzgitter nach dem anderen aufstand
und das Bedürfnis hatte, uns auch ein
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bisschen etwas von seiner persönlichen
Geschichte anzuvertrauen.
Noch beim Schreiben dieses Artikels
schnürt es mir wieder den Hals zu, und
ich habe bei der Erinnerung an diese
Geschichten Tränen in den Augen. Vor
allem, wenn ich daran denke, dass einer
von ihnen mir später anvertraute, dass
das, was sie uns erzählt haben, vielleicht 5% von dem ist, was sie wirklich
erlebten und er nicht glaubt, dass wir
mehr ertragen hätten können…
Interviews mit Teilnehmern
und Teilnehmerinnen
Mich hat interessiert, was unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen persönlich
von diesem Wochenende mitgenommen
haben und welche Fragen sie dort und
nach dem Wochenende bewegten. Hier
sind ein paar Antworten:
Mohammad
Für mich war die Gemeinschaft von Menschen unterschiedlichsten Alters mit
verschiedenen Nationalitäten, verschiedenen Sprachen und verschiedenen Religionen eigentlich das Schönste.
Felix
20 Jahre, geboren in Deutschland
Wenn ich an unser Seminar in Wernigerode denke, fällt mir als erstes der französische Trickfilm über die Giraffe ein.
Auch für uns Deutsche macht der Film
nochmal deutlich, mit wie viel Bürokratie Menschen konfrontiert sind, auch
wenn sie bei uns in Deutschland ankommen und wie schwierig ist sein muss,
sich, ohne die Sprache zu verstehen, an
all die fremden Sitten und Gebräuche zu
gewöhnen.
Jamal
21 Jahre, geboren im Sudan
Während der drei Tage dort habe ich
eine Menge gelernt, und ich glaube, ich
habe die großzügigsten und freundlichsten Menschen aus ganz Deutschland
kennen lernen dürfen.
Ich bin fasziniert von diesen jungen
Leuten, denen nicht wichtig war, woher jemand kommt, welche Sprache er
spricht oder welche Religion er hat. Sie
wollten uns als Menschen kennenlernen,
waren interessiert an unseren Gedankenund Fragen und offen und respektvoll gegenüber unserem Glauben.
Diese Einstellung hat mich sehr be-
rührt. Der Respekt und die Wertschätzung, die mir die anderen dort entgegen
gebracht haben, haben mein Leben verändert.
Ich glaube, zusammen können wir es
schaffen, unsere Welt zu verbessern.
Abdullai
19 Jahre, geboren in Mali
Wenn ich an Wernigerode denke, erinnere ich mich noch gern an die gemeinsamen Essen und die spannenden
Kicker-Matches mit den anderen jungen
Leuten.
Es hat mich abgelenkt von meinen
Problemen, die mich sonst nachts oft
nicht schlafen lassen. Diese tolle Gruppe
war fast wie eine Familie für mich.
Es war zum Beispiel sehr schön, dass
auch einige von ihnen zu dem Sport- und
Kulturfest der Moschee in Salzgitter-Bad
gekommen sind, bei dem ich mit geholfen habe.
Dario
19 Jahre geboren in Deutschland
Das Wochenende hat meine Sicht auf
die Flüchtlingsproblematik nochmal geändert.
Ich bin überzeugt, dass viele Missverständnisse und Vorurteile in unserer
Gesellschaft allein durch sprachliche
und kulturelle Barrieren entstehen und
schnell ausgeräumt werden könnten,
wenn man sich aufeinander einlässt und
sich kennen lernt.
Wie soll denn zum Beispiel jemand,
der unsere Sprache nicht spricht, wissen, welche Busfahrkarte er kaufen
muss? Ich habe erlebt, wie schnell dann
von Manchen behauptet wird, die Flüchtlinge würden absichtlich die Kinderkarte
kaufen, um Geld zu sparen.
Abdullah
25 Jahre, geboren in Syrien
Besonders gefallen hat es mir, dass
auch viel Gelegenheit da war, miteinander Spaß zu haben und zu lachen. Interessant war für mich auch, mehr über die
Gewohnheiten und den Alltag von jungen Deutschen zu erfahren.
Im Moment fahre ich 5 Tage in der
Woche nach Lebenstedt, um in der VHS
Deutsch zu lernen. Was uns allen aber
fehlt, sind mehr Gelegenheiten, um das
Gelernte praktisch üben zu können.
Ich bin daher sehr dankbar, dass sich
Herr Klöppelt einmal die Woche Zeit
nimmt, um mit mir zu lernen.
Hannah,
20 Jahre, geboren in Deutschland
Flüchtlinge werden in den Medien oft als
Naturgewalt beschrieben. Sie werden als
„Wellen“, „Lawinen“ oder „Ströme“ alle
über einen Kamm geschoren. Die Menschen mit ihren eigenen, ganz persönlichen Geschichten, Freuden und Ängsten
werden dabei meistens nicht erfasst.
Dem gegenüber stehen angeblich wir
Deutsche, die „das zu ertragen hätten“.
Es lohnt sich vom Fernseher aufzusehen und auf die neuen Menschen in
diesem Land zuzugehen! Ich jedenfalls
möchte Jamal, Bashir, Abdullai (Mali),
Mohammad, Abdullah (Syrien) und all
die anderen, die ich inzwischen kennen
und schätzen gelernt habe, nicht mehr
missen!
Ich freue mich schon auf weitere Aktionen der Ev. Jugend mit ihren neuen
Freunden!
Ich danke allen für die ehrlichen Interviews und freue mich schon auf weitere
Aktionen der Ev. Jugend mit ihren neuen
Freunden!
Bettina Speer, Propsteijugenddiakonin
P.S.:
Es gibt noch freie Plätze in unseren
Sommerzeltlagern. Infos auf:
www.evj-salzgitter-bad.de
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