GeschäftmitStaatsbürgerschaftenboomt

NZZ am Sonntag 12. Juni 2016
International
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Geschäft mit Staatsbürgerschaften boomt
Eine steigende Zahl von Ländern verkauft Aufenthaltsbewilligungen und Pässe gegen Bares
Ein EU-Pass ist für Millionäre
aus Schwellenländern viel
wert, das ist klar. Doch warum
sind auch Pässe aus Gambia
oder Vanuatu attraktiv?
Matthias Knecht, Genf
Malta verkauft seine Staatsbür­
gerschaft für 650 000 Euro. In Zy­
pern ist der EU-Pass ab 2,5 Millio­
nen Euro zu haben. Dies ist unter
interessierten Investoren aus
Ländern wie Russland, China
oder Indien mittlerweile hinläng­
lich bekannt. Doch inzwischen
gibt es immer mehr Staaten, die
um reiche Ausländer buhlen.
Mehr als 70 Länder bieten Auf­
enthaltsbewilligungen für Inves­
toren an. 15 davon versprechen
einen mehr oder weniger schnel­
len Weg zur Staatsbürgerschaft.
Die ganze Branche boomt. Dies ist
das Ergebnis des Treffens des
Investment Migration Councils
(IMC) diese Woche in Genf.
Aufenthalt und Pass gegen
Geld – dies sei längst keine Aus­
nahme mehr, betont Dimitry
Kochenov, Präsident des IMC. Der
in der Sowjetunion aufgewach­
sene und in Princeton und Gro­
ningen lehrende Jurist erforscht
im Auftrag der Branche das Ge­
schäft mit den Pässen. Getrieben
werde es durch die zunehmende
Zahl der Millionäre in Schwellen­
ländern wie China, Russland oder
Indien. Deren Pässe seien von
«schlechter Qualität», erläutert
Kochenov im Gespräch mit der
«NZZ am Sonntag». Die Lösung:
Mit einer Investition etwa in eine
Immobilie in Lissabon könne ein
asiatischer Unternehmer eine
Aufenthaltsbewilligung für die
EU erhalten – und nach einer
gewissen Wartefrist auch einen
Pass. Dies sei für Investoren aus
China oder Russland «sehr vor­
teilhaft», erklärt der Spezialist für
Staatsbürgerrecht.
Nach dem gleichen Modell
funktionieren seit Jahren die
meisten Karibikstaaten. Inseln
wie Dominica, St. Kitts and Nevis
oder Grenada bieten die Staats­
bürgerschaft ab einer Investi­
tionssumme von 200 000 Dollar
an. Diese Pässe verschaffen ne­
ben dem Zugang zu Traumsträn­
den und viel Sonne unbeschränk­
te Reisefreiheit im Schengenraum
und erleichterten Zugang zu
einem US-Visum. Interessiert an
solchen Pässen sind auch viele
wohlhabende Familien aus arabi­
schen Staaten, wie an der Konfe­
renz in Genf zu vernehmen war.
Der Hongkong-Trick
Längst richten sich die Angebote
nicht nur an Superreiche. Koche­
nov erwähnt das Beispiel Lett­
lands, welches jüngst Aufent­
haltsbewilligungen bereits ab
70 000 Euro gewährte. Das sei
gerade bei Russen sehr populär.
Typisch hierfür sei etwa ein Desi­
gner aus einer Vorstadt von Mos­
kau. Legal ist es für diesen un­
möglich, in die EU zu reisen. Aber
mit Erspartem und Krediten kön­
handelt es sich um Festlandchi­
nesen. «Diese Chinesen waren nie
in Gambia. Sie haben nie Vanuatu
gesehen. Die sind auch gar nicht
an diesen Ländern interessiert»,
erläutert Kochenov das Ge­
schäftsmodell, und fährt fort:
«Die ganze Rechtslage in Hong­
kong schafft einen Markt, in den
solche Länder eintreten.»
Fragwürdige Golfstaaten
St. Kitts and Nevis: Pass ab 250 000 Dollar. (Port Zante, 22. 4. 2011)
ne auch ein solcher Kunde eine
Immobilie in Riga erwerben und
auf diesem Weg den Aufenthalt in
der EU sichern. Dieses Vorgehen
ist laut Kochenov gerade bei den­
jenigen Russen beliebt, die unter
der gegenwärtigen Regierung in
Moskau leiden. «Nach der Beset­
zung der Krim gab es einen regel­
rechten Ansturm von Russen
nach Riga», berichtet Kochenov.
Etwas erklärungsbedürftig ist
allerdings, dass neuerdings auch
Staaten wie Guinea­Bissau oder
die Marshall­Inseln mit Erfolg
Aufenthaltsbewilligungen und
Pässe verkaufen. Dies hängt mit
dem komplizierten Verhältnis
Erfolgreiche
Nachwuchsförderung
seit 1993.
Und in Zukunft.
credit-suisse.com/nationalteams
zwischen Peking und Hongkong
zusammen. Letzteres ist zwar
berechtigt, Ausländern aus aller
Welt nach eigenem Ermessen
Aufenthaltsbewilligungen zu er­
teilen – nicht aber den Festland­
chinesen. Unter diesen ist aller­
dings ein Wohnsitz in Hongkong
gefragt. Also verschaffen sie sich
das Aufenthaltsrecht für irgend­
ein beliebiges Land der Erde –
und können sich damit legal für
eine Niederlassung in Hongkong
bewerben. Dies erklärt, dass die
Statistik erstaunlich viele Hong­
kong­Zuzüge aus Vanuatu, Gam­
bia oder anderen exotischen De­
stinationen aufweist. In Wahrheit
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Ganz und gar fragwürdig wird das
Geschäft mit den Pässen aller­
dings dann, wenn es dazu dient,
missliebige Bürger loszuwerden.
Auch dafür gibt es Beispiele. So
verzeichneten jüngst die Komo­
ren erstaunlichen Erfolg im Ver­
kauf ihrer Staatsbürgerschaft. Der
Pass des verarmten Inselstaates
zwischen Madagaskar und dem
afrikanischen Festland bietet je­
doch keinerlei Vorteile. Des Rät­
sels Lösung liegt im arabischen
Raum. Viele Golfstaaten ver­
zeichnen einen grossen Anteil le­
gal staatenloser Bevölkerung.
Kochenovs Erkenntnis: «Mehrere
Regierungen am Golf kaufen die
Pässe der Komoren en gros und
werden auf diese Weise die staa­
tenlose Bevölkerung los.»
Kochenov hält das Vorgehen
der Golfstaaten für bedenklich.
Als unmoralisch möchte der ge­
bürtige Russe und eingebürgerte
Niederländer das Geschäft mit
den Pässen aber keinesfalls ver­
standen wissen. «Das Argument
der Moral funktioniert nur in
einer idealen Welt.»
Australiens
Flüchtlingspolitik kein
Vorbild für Europa
Über 100 Anwälte und Experten
für Migration aus aller Welt
haben sich diese Woche in Genf
getroffen, um über erleichterte
Einwanderung für reiche Investoren zu diskutieren. Zwangsläufig Thema war auch die
jetzige Flüchtlingswelle nach
Europa. Konkrete Vorschläge
waren nicht zu hören, dafür
aber scharfe Kritik an Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz. Dieser hatte letzten
Sonntag in der «NZZ am Sonntag» gefordert, Europas Flüchtlingspolitik solle sich am restriktiven Vorgehen Australiens
orientieren. Dimitry Kochenov,
Leiter des Investment Migration Council, wies dies zurück.
Europa habe vielmehr die moralische Pflicht, mehr zu helfen,
ungeachtet der rechtspopulistischen Trends in der EU. (maz.)
Dimitry Kochenov