Freitag,1o.Juni2016/ Nr.132 Tage5t hema Neue LuzernerZeitung NeueZuger Zeitung Neue NidwaldnerZeitung Neue ObwaldnerZeitung Neue UrnerZeitung Bote der Urschweiz 1 3 ~<Wie a~fd~~ ~ff;~talischen Bazar» BILDUNG Der Nationalrathat gesternals Erstratdie Botschaft zur Forderungvon Bildung, Forschungund lnnovation2017 bis2020 verabschiedet.Der Bildungsokonom StefanWalter findet dafi.irkritischeWorte. INTERVIEW ALEKSANDRA MLADENOVlé [email protected] Stefan Walter, der Nationalrat hat heute 26 Mil/iarden Franken filr die Bildung van 2017 bis 2020 gesprochen (Anm. d. Red., siehe Box). Bleibt die Schweiz damit bildungstechnisch in der internationalen Topliga? Stefan Walter*: Das kommt ganz darauf an, was man sich unter einer Topliga vorstellt. Geld allein ist noch keine Garantie dafiir, dass man dort mitspielt. Es ist aber eine Bedingung dafilr, dass man es iiberhaupt kann. Auch wenn die durchschnittlichen Bildungsausgaben international nicht wahnsinnig stark wachsen, im Topbereich, das sehen wir gerade bei Spitzenuniversitaten in den USA, ist das Wachsturn sehr hoch. Sparen ware hier hinderlich. Zudem bildet das Bundesbudget filr die Bildung nicht das gesamte Schweizer Bildungswesen ab. Der Bund gibt ja zum Beispiel kein Geld aus filr die Vollcsschule. Walter: Der Vergleichmit den Gesamtausgaben hinkt und ist teilweise irrelevant Die Politik muss entscheiden, was Prioritaten des staatlichen Handelns sind. Gehèiren Bildung und Forschung dazu, dann diirfen die Ausgaben auch iiberproportional steigen. Selbst bei einem iiberdurchschnittlichen Wachsturn gibt es aber Bereiche, in denen die Pro-Kopf-Finanzierung in den letzten Jahren riicklaufigwar. Steigen die Studierendenzahlen zurn Beispiel um 10 Prozent, dann ist eine Budgeterhèihung von 5 Prozent ein Sparen. Umgekehrt ist bei riicklaufigen Studierendenzahlen selbst ein Nullwachsturn noch generèis. wir das Vorlesungsangebot reduzieren wiirden. Irgendwo haben aber alle Massnahmen ihre Grenzen. Die Universitiit Luzern macht es bereits - die Hochschule Luzern wi/1die Locher in ihrem Budget kilnftig auch mit Hilfe van Sponsorengeldern stopfen (Anm. d. Red., Ausgabe van Dienstag). Wéichstfilr Bildungsinstitutionen so die Gefahr, kiiuflich zu werden? Walter: Kauflich ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber es ist klar, dass ein Geldgeber immer einen Einfluss darauf haben wird, welche Ausbildung angeboten wird oder welche Themen beforscht werden. Dann ha/ten Sie das gesamte Finanzierungssystem filr verfehlt? Walter: Es orientiert sich nicht an den richtigen Fragestellungen. Man miisste dariiber diskutieren wie vie! Geld es pro Auszubildenden braucht, um eine erstklassige Ausbildung zu garantieren, oder wie vie! Geld es braucht, um Spitzenforschung zu betreiben. Dann miisste man diesen Betrag hochrechnen. Gerade die Ausgaben filr die Ausbildung sollten vie! starker den demografischen Prozessen folgen und nicht einer Budgetlogik, bei der es nur darum geht, nicht viel mehr auszugeben als letztes Jahr. !hrem Mode/I zufolge wilrden die Kosten aber wohl explodieren. Walter: Stellen Sie sich vor, man wiirde dasselbe wie im Bildungswesen auch bei der Arbeitslosenversicherung oder der AHV machen: Gibt es in einem Jahr plèitzlich mehr Arbeitslose oder Die vom Budget Rentner, erhfilt einbetroffenen Bilfach jeder Einzelne dungsinstitutionen «Die finanzpolitische weniger Geld. ùber monieren, die Geleinen solchen Vorder reichten nicht Sichtweise fi.ihrt zu schlag wiirde die Poliaus, um die steiteilweise absurden tik lachen - sie sieht genden StudierenDebatten.» aber nicht, dass dieses denzahlen zu bewii ltigen und in den SozialversicheSTEFAN WOLTER, g/eichzeitig die rungen undenkbare BILDUNGSOKONOM hohe Qualitiit zu Prinzip beim Bildungswesen standig gewiihrleisten. Sind diese Befilrchtungen gerecht- angewandt wird. Wichtiger, als zu sparen, fertigt? ware es, periodisch zu iiberpriifen, ob Walter: Diese Befilrchtungen sind teil- man filr die Mittel, die man einsetzt, auch weise gerechtfertigt, weil die Budgetdebat- die entsprechende Leistung erhfilt. te einer rein finanzpolitischen Logik folgt. Die Frage der Effizienz a/so. Wie vie/ Anstatt eine sachbezogene AuseinanderGeld f/iesst denn tatsiichlich in Forsetzung dariiber zu filhren, wie vie! Geld das Bildungswesen braucht, hat man daschung und Bildung, und wie vie/ sch/uckt der Verwaltungsapparat? raus einen orientalischen Bazar gemacht. Walter: Die Effizienz lasst sich leider Wie das? pralctisch gar nicht messen. Die Frage Walter: Die finanzpolitische Sichtweise hingegen, ob das System international filhrt zu teilweise absurden Debatten. Es betrachtet hèichsten Anforderungen wird ein Gesamtbetrag als Budget fest- standhfilt, kann filr die meisten Teile gelegt, dem folgt das Feilschen. Auch der unseres Bildungswesens positiv beantworBildungsfranken kann nur einmal aus- tet werden. Somit sind international vergegeben werden. Geht er zum Beispiel glichen hohe Ausgaben mehrheitlich auch in die hèihere Berufsbildung, fehlt er gerechtfertigt. Was den administrativen vielleicht bei den Fachhochschulen. Zu- Aufwand anbelangt so ist nicht das Geld dem ist die fehlende Verlasslichkeit der filr die Verwaltung problematisch, sonFinanzpolitik des Bundes selbst Ursache dern die administrativen Prozesse, die zu des Feilschens. Wenn die Bildungsalcteure vie! Energie der Akteure absorbieren. In aus Erfahrung wissen, dass die verspro- dieser Hinsicht muss man immer nach chenen Gelder bei der nachsten Spar- Optimierungen streben. runde wieder wegschmelzen, dann forDas Bildungswesen scheint eine heidern sie halt zunachst mehr, als sie lige Kuh zu sein, wenn es um Sparbrauchen. Dies in der Hoffnung, am Ende ilbungen geht. Warum? des Tages dann so vie! zu erhalten, wie Walter: Das wiirde ich nicht sagen. Wrr sie eigentlich brauchten. machen seit Jahren reprasentative BeDie Bildungsausgaben sind /aut Bun- fragungen, und die Bildung ist immer desamt filr Statistik ab 2008 stark ein Bereich, bei dem der Grossteil der gewachsen - sie stiegen ungefiihr Bevèilkerung eine hohe Zahlungsbereitdoppelt so schne/1 wie die offentli- schaft aufweist. Die Leute sprechen der chen Ausgaben insgesamt. 1st die Bildung auch privat einen hohen Nutzen aktuelfe Sparpofitik a/so eine unum- zu und waren bereit, selbst mehr Geld giingliche Korrektur? dafilr auszugeben. Bine heilige Kuh ist 1st es aber nicht auch eine Chance, wenn die Privatwirtschaft auf diese Weise steuernd in die Ausbildungsangebote eingreift? Schliesslich gibt es in der Schweiz zu vie/e Geisteswissenschaftler, deren Ausbildung den Staat ebenfalls kastet, wiihrend in anderen Bereichen die Fachkréiftefehlen. Walter: Ich amte seit 17 Jahren im Bildungsausschuss der Organisation filr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicldung (OECD) und habe mir im Ausland verschiedenste Modelle anschauen kèinnen. Vor rund 20 Jahren hat man in Kanada aus finanziellen Griinden entschieden, dass der Staat die Unis nicht mehr finanziert, also die gesamten Kosten auf die Studenten umwfilzt. Die Studenten studierten dann zwar das, was auf dem Arbeitsmarlct gebraucht wurde. Entsprechend gab es aber fast keine Historiker oder Philosophen mehr. Das wollte die Politik dann doch auch nicht und bot den Unis wieder Geld an, wenn sie verbilligt Studienplatze in Geisteswissenschaften anbieten. Am Schluss hatte man ein System bei dem der Staat Blick in einen Hòrsaal der Universitat Zurich. rnit seinen Subventionstabellen eine Hiist-und-Hott-Politik eingefilhrt hatte. Keystone/GaetanBally Da ziehe ich die Schweizer Lèisung der mèiglichst freien Wahl immer noch vor. Die Geisteswissenschaftler sind in der Erwerbslosenquote Spitzenreiter. Walter: Das stimmt, aber das Problem wird durch die tiefen Maturitatsquoten eingegrenzt - es gibt in der Schweiz gemessen an der Gesamtbevèilkerung nur ETH wenige Geisteswissenschaftler. Die einUniversitatenund zige Lèisung, um die Situation weiter zu Fachhochschulen verbessem, sehe ich in einer VerbesseSchweizerischerNationalfonds rung der Datenlage dariiber, was mit welchen Hochschulabsolventen passiert. Berufsbildung Die Daten miissten vie! genauer erhoben, Kommissionfiir Technologie ausgewertet und kiinftigen Studenten zur und lnnovation Verfilgung gestellt werden. Diese tragen das grèissere finanzielle Risiko als der Weitere Sektoren Staat: Ein Studium kostet sie - den ErRaumfahrt (625), Forschungseinwerbsausfall eingerechnet - iiber 300 000 richtungen(382), Weiterbildung, Franken. Wenn die Informationen stimAusbildungsbeitrage, internationale men, werden die Studierenden mehrheit(191), Bildungszusammenarbeit lich auch richtig entscheiden. Akademien (169), internationale Zusammenarbeit in Forschung und Auch Forschende? Der Schweizer Nationaffonds finanziert ja auch Forlnnovation(136) schungsarbeiten, die etwa zum Resultat kommen, dass heute weniger Menschen in die Kirchegehen a/s vor 50 Jahren. Braucht es das wirklich? noch bildet, wer sich Bildung leisten Walter: Es gibt sicherlich Einzelprojekte kann. und Vorhaben, bei denen man die Stim runzeln kann. Aber wer hat die vollkomDennach hat der Bund begrenzte Mit- mene Weisheit, um jedes Einzelprojekt in tel. lnwiefern mindern Sparmassnah- seiner Wichtigkeit zu beurteilen? Ganz men die Bildungsqualitiit denn tat- sicher nicht die Politik. siichlich? Walter: Das kommt darauf an, wo gespart HINWEIS wird. Weh tut es iiberall dort, wo direkt * Prof.Dr.StefanC.Walter(50)ist Direktorder in die Leistungen filr die Schiller, Studen- Schweizerischen Koordinationsste/le fur Bildungsten und Forschenden hineingeschnitten forschung(SKBF).Erhat National6konomieund wird. Ganz schmerzlos geht es zwar nicht. Psychologiean der UniversitatBernstudiert und ntularprofessorfilr Bi1dungs6konomie an der Aber es ist immer noch besser, wenn wir ist UniversitatBernsowieGastprofessor fur Bildungszum Beispiel 400 statt nur 300 Studenten 6konomiean der UniversitatBase!.Weiterist Walter in einem Vorlesungssaal haben, als wenn auchMitglied desBildungsausschusses der OECD. Bildungsausgaben 2017-2020 in Mio. Franken Quelle:BFI-Botschaft 2017-2020 I Grafik:LeaSiegwart etwas anderes. Etwas, das nicht hinterfragt werden darf. Milsste man folgfich nicht die private Beteiligung an den Bildungskosten ins Spie/ bringen? Walter: Studiengebilhren anzuheben und Auslander mehr zahlen zu lassen, sind Dinge, die laufend diskutiert werden. Solche Fragen sind kein Tabu. Die Gefahr bei einer Umverteilung der Kostenlast auf Private ist aber, dass man die Chancengleichheit nicht mehr gewahrleisten kann. Und die gesamte Gesellschaft verliert, wenn sich nur Bildungspolitiker beissen im Nationalrat auf Granit BERN sda. Der Nationalrat will das Ausgabenwachsturn bei der Bildung drosseln und folgt durchs Band den Vorschlagen des Bundesrates. So sollen die Bildungsausgaben jfilrrlich nur noch um 2 Prozent wachsen - deutlich weniger starle als in den vergangenen Jahren. Insgesamt will der Bundesrat Bildung, Forschung und Innovation (BFI) in den Jahren 2017 bis 2020 mit rund 26 Milliarden Franken fòrdem (siehe Grafik). Die Kommission filr Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) hatte dem Rat beantragt, die Mittel um 948 Millionen Franken aufzustocken. Darnit waren die Ausgaben in den nachsten Jahren um 3,2 Prozent gewachsen. Die Bildung sei die einzige Ressource der Schweiz, argumentierten die Bildungspolitiker. Die Finanzpolitiker erwiderten mit Verweis auf die geplanten Sparprogramme, die Lage des Bundeshaushalts erlaube keine zusatzlichen Ausgaben. Die CVP und die FDP waren gespalten, doch stimmte die Mehrheit gegen eine Aufstockung. Die SVP setzte sich gar filr Kùrzungen ein. Sie wollte in den nachsten vier Jahren insgesamt nur 23,8 Milliarden Franken filr die Bildung reservieren. Die Bildungskosten seien in den letzten sie- ben Jahren um 30 Prozent gestiegen, gab Mauro Tuena (SVP,Ziirich) zu bedenken. Im gleichen Zeitraum sei die Zahl der Studenten um nur 1 Prozent gewachsen. Die Antrage blieben aber chancenlos. Bauern und Armee statt Bildung? SP, Griine, GLP und BDP sprachen sich filr eine Aufstockung der Gelder nach dem Vorschlag der Bildungskommission aus. Dieser sei nicht iiberschwanglich, sagte Matthias Aebischer (SP, Bem). Dass die SVP bei der Bildung sparen wolle, sei bekannt. Dass nun aber auch die FDP und die CVP mitmachten, sei ein «Armutszeugnis». Aebischer erinnerte an die Gelder, die das Parlament filr die steuerliche Entlastung filr Bauern oder filr die Armee ausgeben wolle. Am lmappsten waren die Entscheide zu den Beitragen filr die Eidgenèissischen Technischen Hochschulen (ETH) und die kantonalen Universitaten. Mit 99 zu 85 Stimmen bei 7 Enthaltungen lehnte es der Rat ab, den Betrag filr die ETH um 300 Millionen Franken zu erhèihen. Mit 94 zu 86 Stimmen bei 6 Enthaltungen sprach er sich gegen eine Aufstockung um 106 Millionen Franken filr die kantonalen Universitaten aus. Der Antrag der Bildungskommission, den Zahlungsrahmen filr die Berufsbildung van 3,289 auf 3,575 Milliarden Franken zu erhèihen, scheiterte. Hohere Gebiihren fiir Auslander Zu reden gaben auch die Studien- , gebilhren. Geht es nach dem Willen des Bundesrates und des Nationalrates, darf die ETH filr auslandische Studierende kiinftig héihere Studiengebilhren verlangen. Die Gebilhren diirfen aber hèichstens dreimal so hoch sein wie filr Schweizer Studierende. Die Vorlage geht nun an den Standerat. /
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