PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

„Sonntagsgedanken“ in hr 1
12. Juni 2016
Winfried Engel, Fulda
Kath. Kirche
Frieden – wie macht man das?
Genau so könnte es sich zugetragen haben: Kinder gehen mit Stöcken und
verschiedenem Gerät bewaffnet aufeinander los. Ein alter Mann kommt des Weges
und gebietet dem Treiben Einhalt. Auf seine Frage, was das Ganze soll, bekommt er
zur Antwort: „Wir spielen doch nur!“ - „Und was spielt ihr?“, fragt der Mann zurück.
„Wir spielen Krieg!“ Kopfschüttelnd entgegnet er: „Wie kann man nur Krieg spielen!
Ihr solltet Frieden spielen!“ Interessiert nehmen die Kinder den Vorschlag an. Doch
nach kurzer Beratung fragt eines der Kinder: „Wie, bitte, spielt man Frieden?“1 - Nur
eine kleine Geschichte, doch nah an der Wirklichkeit. In dieser Geschichte bleibt die
Frage der Kinder unbeantwortet. Der alte Mann weiß offenbar keine Antwort. Und
damit steht er wohl nicht allein. Frieden spielen, dazu fällt einem nichts ein. Man weiß
nicht, wie das gehen soll.
Bei Frieden halten ist das ganz anders. Streit vermeiden, im Kleinen wie im Großen.
Sich nicht mit Worten beleidigen, nicht handgreiflich werden, keine Waffe gegen den
anderen richten, schon gar nicht, eine solche einsetzen. Das alles gehört dazu. In
allem steckt aber das Wörtchen „nicht“. Nicht dieses oder jenes tun, darauf scheint
es anzukommen. Die Frage der Kinder aber lautete: „Wie, bitte, spielt man Frieden?“
Darauf müsste man doch auch positiv antworten können. Etwa sich mit freundlichen
Worten begegnen, dem anderen helfen, wenn es nötig ist, im Konfliktfall auch mal
nachgeben, nicht stur auf dem vermeintlichen oder wirklichen Recht beharren. Doch
all das, so würden wahrscheinlich die Kinder antworten, ist doch langweilig. Da
passiert nichts, da ist keine „action“ drin. Also spielen sie lieber Krieg, da ist was los,
da passiert wenigstens was.
Nun liegt es mir vollkommen fern, die kriegerischen Auseinandersetzungen in
unserer Welt auch nur ansatzweise mit einem Spiel vergleichen zu wollen. Das alles
ist bitterer Ernst. Und die große Frage lautet deshalb nicht: „Wie, bitte, spielt man
Frieden, sondern: Wie, bitte, macht man Frieden? Um die Beantwortung dieser
Frage ringen tagtäglich ungezählte Menschen, von den Vertretern in den Vereinten
Nationen angefangen bis in Nachbarschaftsbeziehungen hinein. Und es gibt immer
neue Antworten, doch ihre Umsetzung in die Tat scheint nur selten zu gelingen. Zu
viele unterschiedliche Interessen gibt es da. Und so bleibt diese große Frage immer
wieder ohne Antwort. Ob es denn überhaupt eine gibt?
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In der Woche nach Ostern hatte ich Gelegenheit, mit einer Reisegruppe nach
Jordanien zu fahren. Wir haben dort auch christliche Gemeinden und Hilfsstationen
der Caritas besucht. Die Caritas in Jordanien ist unter anderem für die Betreuung der
zahlreichen Flüchtlinge, vor allem aus Syrien und dem Irak, zuständig. In einer der
Hilfsstationen ist mir ein Plakat ins Auge gefallen, das mir bis heute nicht aus dem
1
Nach verschiedenen Quellen frei erzählt
Kopf geht. In englischer Sprache war dort zu lesen: „Jetzt ist Zeit für Frieden! Unser
Appell lautet: Frieden für den Mittleren Osten. Lasst uns unsere Anstrengungen
bündeln und den Krieg stoppen! Frieden ist das, was wir Araber und der Mittlere
Osten jetzt brauchen!“ Einen solchen Appell mitten in einem Gebiet, das von
kriegerischen Auseinandersetzungen umgeben ist, hatte ich nicht erwartet. Er wirkte
auf mich wie eine Vision, ja fast wie ein Traum, der von der Wirklichkeit meilenweit
entfernt ist. Doch zugleich verband sich für mich damit ein Ausdruck von Hoffnung.
Solch ein Plakat zu erstellen und vermutlich in großer Zahl zu verbreiten, gerade an
Orten, wo Menschen, die Opfer kriegerischer Gewalt geworden oder vor dieser
Gewalt geflüchtet sind, betreut werden, wirkte auf mich wie der Ausdruck einer
Sehnsucht, die den Menschen inne ist. Wir wollen keinen Krieg, wir wollen keine
Gewalt, wir wollen friedlich zusammen leben, mit unseren Familien und Nachbarn.
Diese Sehnsucht wird umso größer und deutlicher, je mehr sich die Wirklichkeit
davon entfernt. Auch wenn die äußeren Umstände kaum Anzeichen dafür bieten,
dass dieser Appell in naher Zukunft eingelöst werden könnte, so machte er mir doch
deutlich, dass der Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben gerade in dieser
Region noch nicht gestorben ist und auch niemals sterben darf.
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„Pax optima rerum“ – „Der Friede ist das beste der Dinge“, so kann man im
Friedenssaal des Rathauses in Münster lesen. In Münster und in Osnabrück wurden
nach mehrjährigen Verhandlungen der europäischen Mächte zur Beendigung des
Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648 Friedensverträge unterzeichnet. Bis heute ist
Münster als Stadt des Westfälischen Friedens untrennbar mit diesen Ereignissen
verbunden. Im Internet ist dazu zu lesen2: „Die Bedingungen, unter denen verhandelt
wurde, waren denkbar schwierig: Es gab keinen Waffenstillstand, die
Kriegshandlungen wurden ununterbrochen fortgeführt, ebenso wenig gab es
international anerkannte und erprobte Regeln für solche Verhandlungen. Die
Verhandlungen auf dem Weg zum Westfälischen Frieden gelten deshalb als wichtige
Meilensteine auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung und zur
Entwicklung des heutigen Völkerrechtes.“ Was alle angetrieben hat, trotz der
widrigen Umstände nicht aufzugeben, könnte man aus der zitierten Inschrift ablesen:
Der Friede ist das Beste der Dinge. Diese Lehre haben Menschen damals
möglicherweise aus dreißig Jahren Krieg und Zerstörung gezogen. Eine Einsicht, die
Menschen
offenbar
immer
wieder
nach
dem
Ende
kriegerischer
Auseinandersetzungen gekommen ist. Doch zwischen der Einsicht und deren
Umsetzung in die Wirklichkeit liegt offenbar eine riesige Kluft. Denn immer wieder
musste diese Einsicht dem wirklichen Handeln weichen, bis sie sich am Ende dann
doch wieder durchsetzte und zu einem Friedensschluss führte. Wer wollte auch
daran zweifeln, dass der Friede wirklich das Beste der Dinge ist? Bestätigungen für
die Richtigkeit dieser Aussage liefert der Alltag immer wieder. Da muss man nicht
erst in die Kriegsgebiete unserer Erde schauen. Doch warum gelingt es dann so
selten, diese Erkenntnis auch in die Wirklichkeit umzusetzen? Auf diese Frage gibt
es ungezählte Antworten. Politische und wirtschaftliche Interessen spielen da eine
Rolle, auch Machtgelüste und anderes mehr. Ich bin nicht kompetent, hier eine
2
http://www.muenster.de/stadt/tourismus/westfaelischer-frieden.html
wirklich fundierte Antwort zu geben. Aber die Hoffnung aufgeben, dass Friede
möglich ist, möchte ich auch nicht.
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„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“, so betet der Priester
in der katholischen Messfeier. Und daran schließt sich die Bitte an, dass Jesus
Christus seiner Kirche nach dem Willen Gottes „Einheit und Frieden“ schenken
möge. In diesem Gebet wird noch ein anderer Aspekt deutlich. Frieden kann nicht
einfach gemacht werden, Frieden ist auch ein Geschenk. Menschliches Bemühen
hat in vielen Bereichen seine Grenzen. Das erfahren wir immer wieder.
Naturkatastrophen lassen uns schmerzlich bewusst werden, dass alle
Vorsorgemaßnahmen keinen ausreichenden Schutz bieten. Auch Krankheit und Tod
gehören zu den menschlichen Erfahrungen, die Grenzen bewusst werden lassen.
Immer wieder müssen wir erfahren, dass sie trotz allen menschlichen Bemühens die
Oberhand behalten. Solche Grenzen haben wir gezwungenermaßen zu akzeptieren.
Und dennoch hören Christen nicht auf, in diesen Situationen Gott um Hilfe und
Schutz zu bitten. Gehört nicht der Friede auch zu den Erfahrungen, die uns immer
wieder an Grenzen führen? Friede ist nicht machbar, nicht einfach und nicht
kompliziert. Gerade deshalb braucht es das Vertrauen auf eine höhere Macht, auf
einen Gott, der sich den Menschen als Gott der Liebe und des Friedens geoffenbart
hat. Deshalb dürfen wir auch um Frieden beten. Dies mag helfen, trotz vermeintlicher
Aussichtslosigkeit das Bemühen um Frieden niemals aufzugeben, nicht im Kleinen
und auch nicht im Großen!