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Reichsstadt im Religionskonflikt. Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, Nordhausen; Stadt Mühlhausen; Evangelisches
Kirchspiel Mühlhausen; Katholische Pfarrgemeinde Sankt Josef Mühlhausen; Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegeverein e. V., 08.02.2016–10.02.2016.
Reviewed by Antje Schloms geb. Faßhauer
Published on H-Soz-u-Kult (June, 2016)
Reichsstadt im Religionskonflikt
Die nunmehr vierte wissenschaftliche Tagung des
Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte
fand traditionell von Rosenmontag bis Aschermittwoch
(in diesem Jahr 8. bis 10. Februar 2016) als Gemeinschaftsveranstaltung von Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung,
Nordhausen, Stadt Mühlhausen, Evangelischem Kirchspiel Mühlhausen, Katholischer Pfarrgemeinde Sankt Josef Mühlhausen und Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegeverein e. V. statt. Unter dem Thema Reichs”
stadt im Religionskonflikt“ widmete sich die Tagung
stadtgeschichtlichen Phänomenen wie den spätmittelalterlichen Häresien, religiösen Minderheiten, Reformation und Konfessionalisierung sowie religiös gegründeten
oder verbrämten sozialen oder politischen Konflikten.
Trotz eines deutlichen Schwerpunktes, den die Tagung
auf die Reformation als dem Ereignis besonderer Tragweite für die Reichsstädte insgesamt legt, wurde der Rahmen doch bewusst weiter gesteckt. Denn, wie Thomas
Lau in seiner Einführung darlegte, war die Reformation
nicht die erste und auch nicht die letzte religiös gegründete soziale Bewegung, die Brüche innerhalb der Stadt
krisenhaft zuspitzte und eine Neufundierung der politischen und sozialen Ordnung erzwang. Sie stand vielmehr in einer langen Tradition der performativen Formulierung von Unzufriedenheit und der sakralen Selbstermächtigung von Oppositionsgruppen. Auch der Versuch, einen von lokaler und situativer Pluralität gekennzeichneten urbanen Sakralraum durch ein hegemoniales
Gegenkonzept abzulösen, besaß Vorläufer und natürlich
Nachahmer.
genden Stadt- und Landeshistoriker und engagierten Kollegen, der von Beginn an im Arbeitskreis mitgewirkt hat.
Zur inhaltlichen Einführung der Tagung zeichnete
der Fribourger Neuzeithistoriker Thomas Lau (Fribourg)
als einer der beiden Organisatoren ein lebhaftes Bild
der Stadt der religiösen Vielfalt schlechthin – Jerusalem. Nicht immer konfliktfrei, aber dennoch ohne große Gewalttätigkeiten funktioniere dort heutzutage ein
Miteinander, wozu er die Verhältnisse im beschaulichen
Mühlhausen des 16. Jahrhunderts in scharfem Kontrast
darstellte. Das Experiment einer bikonfessionellen Stadt
scheiterte dort, der Rat entschied sich gegen eine eindeutige Stellungnahme und hielt sich aus religiösen Angelegenheiten heraus bzw. blieb widersprüchlich. Dies führte zu einem kräftezehrenden jahrelangen Rechtsstreit
Mühlhausen gegen Mühlhausen vor dem Reichshofrat,
bis 1566 die verbliebenen katholischen Geistlichen die
Reichsstadt verlassen mussten.
Die erste Sektion zur mittelalterlichen Stadtgeschichte moderierte Olivier Richard aus Mulhouse. Zunächst
setzte sich Ingrid Würth (Halle an der Saale) mit der Frage
auseinander, ob Reichsstädten eine Sonderstellung beim
Auftreten von spätmittelalterlicher Häresie zukam. Anhand von drei verschiedenen Fallbeispielen wurde deutlich, dass bei der Verfolgung von Ketzern nicht nur religiöser Eifer eine Rolle spielte, sondern dass insbesondere
die Außenwahrnehmung der Reichsstadt und die daraus
resultierenden Konsequenzen für die Eliten handlungsleitend waren. Würth stellte das Agieren der Räte vor alZu Beginn gedachten die Tagungsteilnehmer des lem als ”Imagepolitik“ dar, die unter anderem auch die
kürzlich verstorbenen Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt Möglichkeit der religiösen Kompromissbereitschaft zum
(Rostock). Helge Wittmann würdigte ihn als hervorra- Zweck der Bewahrung des inneren Zusammenhalts der
Bürgerschaft eröffnete. Dem folgte der Beitrag von An1
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dreas Willershausen (Gießen) zu religiösen und militärischen Aspekten der Geschichte der Reichsstädte der
Wetterau im Zeitalter der Hussitenkriege. Er konnte dabei aufzeigen, dass die Hussitenkriege durch die Wetterauer Reichsstädte als Kreuzzüge verstanden wurden, die
deshalb ein vergleichsweise größeres militärisches Engagement entwickelten. Dass die Darstellung der militärischen Konflikte mit den Hussiten als Kreuzzug durch die
Eliten auch in der Bürgerschaft Resonanz fand, erweist
die Teilnahme von Bürgern an Feldzügen, die nicht den
eigentlich städtischen Kontingenten angehörten.
lung von auswärtigen Reformierten, die jedoch häufig
aus dem armen Milieu stammten. Die unterschiedliche
wirtschaftliche Entwicklung beider verglichenen Städte
dürfte demnach in ihrer unterschiedlichen Haltung zum
Zuzug von Glaubensflüchtlingen eine nicht unerhebliche
Ursache gehabt haben.
In Zusammengang mit der Besichtigung der für die
Reformation in Mühlhausen besonders wichtigen Franziskanerkirche am Kornmarkt erläuterte Helge Wittmann (Mühlhausen) die Verehrungs- und Rezeptionsgeschichte des heiligmäßigen Franziskanerbruders Hermann. In nachreformatorischer Zeit hielt die verbliebene
katholische Minderheit noch über zwei Jahrhunderte an
der Verehrung an Hermanns Grab fest. Die protestantische Kornmarktkirche wurde so zu einem Ort innerhalb
der Stadt, an dem konfessionelle Unterschiede unmittelbar wahrgenommen wurden, was sowohl von protestantischen Kirchengeschichten, als auch von der franziskanischen Hagiographie widergespiegelt wird. Eine Auswahl solcher Dokumente wurde am Ort in einer kleinen
Ausstellung präsentiert. Die Besichtigung leitete über zur
öffentlichen Abendveranstaltung, die dem Themenfeld
Reformation und Konfessionalisierung gewidmet war. In
das Haus der Kirche am Kristanplatz luden dafür der
Evangelische Kirchenkreis Mühlhausen und die Katholische Pfarrgemeinde Sankt Josef Mühlhausen gemeinsam
ein. Thomas Lau moderierte beide Vorträge. Zuerst gab
Wolfgang Reinhard (Freiburg i. Br.) eine pointierte historiografische Rückschau auf die nicht zuletzt durch Bernd
Moellers Werk Reichsstadt und Reformation“ geprägte
”
Sichtweise eines engen Zusammenhangs von Stadt und
Reformation, wobei die jüngere Forschung noch stärker
betont, dass die Reformation nicht nur zuerst ein reichsstädtisches, sondern ein allgemein städtisches Phänomen
gewesen ist und dass vor allem spezifisch städtische Faktoren die Reformation ermöglicht und ihren Verlauf geprägt haben. Er betonte außerdem die Attraktivität der
evangelischen Konfession bei den städtischen Unter- und
Mittelschichten. Im Anschluss beschrieb Gérald Chaix
(Paris) wie sich die Konfessionalisierung im Verlauf der
Reformation allmählich formierte und stellte dabei heraus, was diesen Prozess in einer Reichsstadt von jenem
in einer Territorialstadt unterschied.
Die Moderation der zweiten Sektion übernahm Gerold Bönnen (Worms). Der Leiter des Stadtarchivs Heilbronn, Christhard Schrenk (Heilbronn), stellte die Geschichte der jüdischen Bewohner der Reichsstadt Heilbronn dar. Nach mittelalterlichen Pogromen im 13. und
14. Jahrhundert, wurde die jüdische Gemeinde im 15.
Jahrhundert endgültig vertrieben. Es folgte eine Zeit ohne jüdische Einwohner, in der gleichwohl jüdisches Leben in Heilbronn in gewandelter Form fortbestand. So
gestattete etwa der Rat den Juden des Umlands in militärisch brenzligen Zeiten den Aufenthalt in der Stadt gegen einen täglichen Leibzoll. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Geschichte der Juden
im pfälzischen, schwäbischen und fränkischen Kreis annähernd gleichlautend erzählt werden könnte. Die zunehmende Reglementierung in der Zeit der Reformation sei dabei weniger unter religiösen Aspekten zu betrachten, sondern als Ausdruck einer generell zunehmenden obrigkeitlichen Reglementierung. Rolf HammelKiesow (Lübeck) widmete sich im anschließenden Vortrag einer vergleichenden Analyse der Hamburger und
Lübecker Politik im späten 16. und 17. Jahrhundert. Beide lutherischen Städte entwickelten in dieser Zeit einen
völlig unterschiedlichen Umgang mit Glaubensflüchtlingen. 1567 endete eine gemeinsame Asylpolitik“ und Lü”
beck verschloss sich daraufhin dem Zuzug von Fremden.
Hammel-Kiesow stellte dem das völlig andersartige Agieren des Hamburger Rates entgegen, der sich offenkundig von massiven Zuzügen wirtschaftliche Vorteile versprach und sich deshalb über den Widerstand der Geistlichkeit und alteingesessener Bürger hinwegsetzte und
kaufmännisch versierten Immigranten (sephardische Juden, niederländische Händler, Manufakturisten etc.) die
Niederlassung in der Stadt gewährte, was langfristig den
Status Hamburgs als bedeutende Handelsmetropole mit
etablierte. Lübeck blieb wegen seiner ganz andersartigen Politik unter maßgeblichem Einfluss der dortigen
Geistlichkeit diese Möglichkeit verwehrt. Erst 1616 ermöglichte ein hansischer Vertrag die zaghafte Ansied-
Der zweite Tagungstag begann unter der Moderation
von Pierre Monnet (Frankfurt am Main / Paris) mit einem Beitrag von Klaus Krüger (Halle an der Saale) zum
Bild des Toten im Religionskonflikt. Im Zentrum seiner
Ausführungen standen dabei Fragen des Umgangs mit
Bildern und Grabmalarchitekturen insgesamt in Zeiten
des Religionskonflikts. Es zeigt sich etwa, dass der Bil2
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dersturm durchaus auch Auswirkungen auf Grabanlagen
hatte. Auffällig sind dabei häufig zu beobachtende Teilzerstörungen von Grabmalen, die ihrer Materialität nach
erhalten blieben. Oftmals betraf die Zerstörung nur die
Heiligendarstellungen nicht jedoch die Stifterfiguren. Eine weitere Wirkung der Reformation war das von breiteren Bevölkerungsgruppen wahrgenommene ius inscriptones, so dass etwa gehäuft Inschriften und Grabmonumente entstanden, die Personen der bäuerlichen Schicht
galten, oder auch, dass das Deutsche mehr und mehr
das Lateinische als Inschriftensprache verdrängte. Das figürliche Grabbild als solches blieb jedoch über die Zeit
erhalten, weil diese Darstellungsform die Hoffnung auf
fleischliche Auferstehung widerspiegelt, die gleicherweise im katholischen und im protestantischen Milieu getragen wird.
begleitet worden.
Die erste Nachmittagssektion wurde moderiert von
Werner Greiling (Jena). In seinem Vortrag näherte sich
Christian Helbich (Wolfenbüttel) der Religionsfrage anhand des Reichskammergerichtsprozesses zwischen Stift
und Stadt Essen von 1568 bis 1670. Zu klären galt hierbei, ob der Rat der Stadt Essen befugt war, eigenständig die Reformation im Sinne des ius reformandi einzuführen, oder ob dadurch Rechte des Stifts als obrigkeitlicher Reichsstand übergangen wurden. Das Urteil
nach einem Jahrhundert bestätigte der Äbtissin des Stiftes die Hoheit über die Stadt, verlangte allerdings die
freie Ausübung und Beibehaltung der bis dahin längst
etablierten Confessio Augustana. Anschließend referierte Werner Freitag (Münster) über Autonomiestädte und
das Reich im Zeitalter der Reformation am Beispiel Westfalens. Er beleuchtete dabei das Reformationsgeschehen
in Nicht-Reichsstädten, um in vergleichender Perspektive die häufig in der Forschung konstatierte besondere
Rolle von Reichsstädten für das Reformationsgeschehen
kritisch zu hinterfragen. Im Ergebnis stellte er fest, dass
der Umgang mit innerstädtischen Konflikten aufgrund
der Eigenständigkeit in Reichstädten viel besser eingeübt
war, dass dennoch aber der historiografisch verwendete
Begriff Reichsstadt“ kaum spezifische Konturen aufwei”
se und lediglich deren Herrenlosigkeit“ feststelle. Die”
se Herrenlosigkeit“ gelte aber auch für andere autono”
me Städte. So sei demgegenüber der Status als Reichs-,
Residenz- oder Hansestadt weniger bedeutend für den jeweiligen Verlauf der Reformation. Dafür verlief der Prozess bei vergleichbarem Grad an Autonomie allerorten
ähnlich: Protest, Ausschussbildung, Androhung von Gewalt, Infragestellung der Integrität des Rates, Neuvereidigung mit Akzeptanz der neuen Konfession.
Im folgenden Beitrag des Vormittags behandelte Michael Matthäus (Frankfurt am Main) die Frage nach der
Balance zwischen Kaisertreue und Protestantismus in der
Reichsstadt Frankfurt. Dem Frankfurter Patriziat gelang
die allmähliche Einführung der Reformation durch die
Einrichtung bestimmter Institutionen wie etwa einer humanistisch orientierten Lateinschule. Der Rat nahm demgegenüber zunächst eine passive Rolle ein, bis es um 1525
zu gewaltsamen Übergriffen aus der Bürgerschaft auf katholische Geistliche kam. Dieser Aufstand schränkte den
regierenden Rat ein und zwang ihn zur Annahme eines
Rezesses mit 46 Artikeln. Erst nach Niederschlagung der
Bauernaufstände war der Rat wieder handlungsfähig und
Frankfurt wurde seitens des Kaisers als rechtgläubig anerkannt. Alle Neuerungen der Protestanten aus der Zeit
vor den Aufständen wurden damit einhergehend jedoch
hinfällig. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
gelang es der Stadt zugleich evangelisch zu werden und
kaisertreu zu bleiben.
Die abschließenden beiden Vorträge, moderiert von
Sabine Graf (Hannover), widmeten sich den religiösen
Herausforderungen des späten 17. und 18. Jahrhunderts.
Andrea Riotte (Biberach) zeigte dabei die Divergenz zwischen Wunschbild und Wirklichkeit der Parität in Biberach zwischen 1649 und 1825. Obwohl dort die Idee der
numerischen Parität bereits im 16. Jahrhundert existierte,
wurde diese katholischerseits abgelehnt und torpediert.
Das äußerte sich unter anderem auch in Hexenverfolgungen, denen zunächst vor allem Protestanten zum Opfer
fielen. Hexerei schien ein evangelisches Delikt, und wurde vom katholisch dominierten Rat verfolgt. Das Präzedenzdekret vom April 1649 hatte in Biberach die Parität festgelegt, die Praxis hingegen war davon weit entfernt. Biberach war konfessionell und politisch irregular;
im 18. Jahrhundert entwickelte sich der paritätische Rat
Die Rolle des Reichsoberhauptes untersuchte auch
Thomas Kirchner (Aachen). Die Präsentation der Ergebnisse seiner gerade erschienenen Dissertation machte
auch für Aachen deutlich, dass gewaltsame Aufstände
in der Reformationszeit lediglich Episode blieben. Prägend waren hingegen über lange Zeit das Zusammenspiel der Konfessionskulturen und ein relativ friedliches
Miteinander aller drei Konfessionen. Konfliktbringende
Impulse kamen dabei eher von außen, da etwa die Ratsund Amtsfähigkeit nichtkatholischer Bürger Eskalationen auslöste. Auch in Aachen verstätigte sich die Reformation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das
Mischverhältnis innerhalb des Aachener Rates von reformierten, lutherischen und katholischen Räten blieb jedoch bestehen und ist kontinuierlich vom Reichshofrat
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auch im übertragenen Wortsinn konfrontativ, saßen sich
doch die katholischen und evangelischen Räte auf Bänken gegenüber. Das Wunschbild einer friedvollen Koexistenz in Form einer Parität war nicht praktikabel und
verlor spätestens mit der Übergabe der Stadt in württembergische Herrschaft 1825 an Bedeutung. Fortan gab
es nur noch eine Bürgerschaft und einen Rat. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass in anderen
paritätischen Städten, wie etwa Dinkelsbühl, die Praxis
ebenfalls schwierig war. Die Diskussion zu diesem Beitrag profitierte wie so oft auf dieser Tagung von der Anwesenheit zahlreicher Archivare und Forscher aus anderen ehemaligen Reichsstädten, die in vergleichender Perspektive wichtige Aspekte beisteuern konnten. Anschließend stellte Hanspeter Jecker (Bienenberg) die hochinteressante Problematik des Umgangs mit Täufertum und
Pietismus in der Zeit von 1700 bis 1720 in Bern dar. Beide
kirchlichen Oppositionsbewegungen traten zeitgleich in
der reformierten Stadt auf und lösten schwerwiegendste Reaktionen seitens der Obrigkeit und der Kirche aus.
Durch gemeinsames Auftreten von Täufertum und Pietismus in Bern werden dort die Konvergenzen und Divergenzen, aber auch die Interaktionen und Interdependenzen zwischen diesen beiden europaweit bedeutsamsten Bewegungen ihrer Zeit auf eine Weise vergleichbar,
wie dies wohl nirgendwo sonst möglich ist. Dabei fällt
auf, dass auch in Bern seitens der politischen und kirchlichen Obrigkeit in der Regel eine Doppelstrategie angewandt wurde: Neben den eigentlichen Kampf gegen
die Bewegungen trat immer wieder der Kampf gegen
die Missstände im eigenen Lager. Man war sich durchaus bewusst, dass oppositionelle religiöse Bewegungen
wohl wenigstens so lange Zulauf haben würden, als diese einerseits auf allgemein bekannte Defizite in Kirche
und Gesellschaft hinweisen konnten, und sich selbst als
glaubwürdige und einladende Alternative zu positionieren vermochten. Damit erzwang die religiöse Kritik innerhalb der frühneuzeitlichen Gesellschaft einen intensivierten obrigkeitlichen Kampf gegen soziale Missstände,
Laster und Unmoral und trug damit zu einem Ausbau der
Sozialdisziplinierung“ bei.
”
Die abschließende Zusammenfassung aller Beiträge
unter der Moderation von Michael Diefenbacher (Nürnberg) übernahm André Krischer (Münster). Er lieferte in
seiner Rückschau auf die vergangenen beiden Konferenztage eine pointierte, klare Zusammenfassung. Im Sinne
Bernd Möllers unterstrich er nochmals, dass die Reformation in der Stadt ein Sprungbrett fand. In dieser Tradition
gelang es der Tagung, die Reformation als stadtgeschichtliches Phänomen zu fassen. Deutlich habe sich heraus-
gestellt, dass Bikonfessionalität keinesfalls als Vorreiter
von religiöser Toleranz zu bewerten sei. Als weiteres Ergebnis stellte Krischer heraus, dass die von der Tagung
vermiedenen epochalen Eingrenzungen statt für eine üblicherweise angenommene Zäsur im frühen 16. Jahrhundert eher für eine kulturelle Transformationsphase 1400
bis 1600 sprächen, die zudem weniger von religiöser als
von politischer Intention geprägt sei. Die Sicherung der
(reichs-)städtischen Eintracht stand bei dem Verhalten
der meisten städtischen Räte mehr im Vordergrund als
der religiöse Konflikt an sich und war somit handlungsleitend für diese.
Traditionell fand am Abend des zweiten Tages die
Sitzung des informellen Mühlhäuser Arbeitskreises für
Reichsstadtgeschichte statt. Die kommende Tagung 2017
wird sich dem Thema Reichsstadt und Geld“ widmen.
”
Im Jahr 2018 sollen dann Reichsstädtische Argumente
”
und reichsstädtische Argumentationen“ Gegenstand der
Tagung sein.
Der dritte Tag war der Exkursion in das Panoramamuseum Bad Frankenhausen vorbehalten. Der einführende Vortrag von Thomas T. Müller (Mühlhausen)
machte noch einmal in vergleichender Perspektive deutlich, wie unterschiedlich die Reformation in zwei benachbarten, eng verbundenen Reichsstädten verlaufen konnte und welche Faktoren diesen unterschiedlichen Verlauf
bestimmten. Während in Mühlhausen die frühe Reformationsphase in einen, dann letztlich niedergeschlagenen Aufstand gegen das Ratsregiment mündete, setzte
in Nordhausen der Rat die Reformation durch. Die Vorgänge in Mühlhausen, die zur Teilnahme von Mühlhäusern unter Führung Thomas Müntzers an der Schlacht des
Bauernheeres gegen fürstliche Truppen bei Frankenhausen führten, bildeten die thematische Brücke zur Besichtigung des 1989 fertiggestellten monumentalen Schlachtengemäldes Die frühbürgerliche Revolution“ von Wer”
ner Tübke, das das Exkursionsziel bildete.
Konferenzübersicht:
Thomas Lau (Freiburg/CH): Einführung
Moderation: Olivier Richard (Mulhouse)
Ingrid Würth (Halle an der Saale): Reichsstadt und
Häresie im Spätmittelalter
Andreas Willershausen (Gießen): Die Reichsstädte
der Wetterau im Zeitalter der Hussitenkriege (1419–
1431) – Religiöse und militärische Aspekte
Moderation: Gerold Bönnen (Worms)
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Christhard Schrenk (Heilbronn): Juden in der Reichsstadt Heilbronn
Moderation: Werner Greiling (Jena)
Christian Helbich (Wolfenbüttel): Reichsunmittelbarkeit und ius reformandi – Die Religionsfrage im Reichskammergerichtsprozess zwischen Stift und Stadt Essen
1568–1670
Rolf Hammel-Kiesow (Lübeck): Glaubenspolitik im
Vergleich – Hamburg und Lübeck im späten 16. und 17.
Jahrhundert
Werner Freitag (Münster): Autonomiestädte und das
Besichtigung der Kornmarktkirche mit Vortrag Helge
Wittmann (Mühlhausen): Als Heiliger unter Protestanten Reich im Zeitalter der Reformation – Das Beispiel Westfalen
– Der Franziskanerbruder Hermann in Mühlhausen
Moderation: Sabine Graf (Hannover)
Öffentliche Abendveranstaltung
Andrea Riotte (Biberach): Die Parität in Biberach
(1649–1825) – Wunschbild und Wirklichkeit
Begrüßung durch Pfarrer Teja Begrich
Grußworte des Oberbürgermeisters der Stadt MühlHanspeter Jecker (Bienenberg): Täufertum und Piehausen, Johannes Bruns, des Stadtdechanten Gerhard
Stöber, des Stiftungsvorstandes der Friedrich-Christian- tismus als Herausforderung für Obrigkeit und Kirche in
Lesser-Stiftung, Andreas Lesser
Bern 1700 bis 1720
Moderation: Michael Diefenbacher (Nürnberg)
Moderation: Thomas Lau (Freiburg/CH)
Vorträge
Schlussdiskussion
André Krischer (Münster): Reichsstadt im Religionskonflikt – Eine Rückschau
Wolfgang Reinhard (Freiburg i. Br.): Reichsstadt und
Reformation
Sitzung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte
Gérald Chaix (Paris): Reichsstadt und Konfession
Moderation: Thomas Lau (Freiburg/CH)
Exkursion zum Panoramamuseum Bad Frankenhausen
mit dem Monumentalgemälde von Werner
Diskussion zu den Abendvorträgen
Tübke (1929–2004) Frühbürgerliche Revolution in
”
Moderation: Pierre Monnet (Frankfurt a. M./Paris)
Deutschland“ (1989), mit Unterstützung des MühlhäuKlaus Krüger (Halle an der Saale): Das Bild des Toten ser Geschichts- und Denkmalpflegevereins e .V.
im Religionskonflikt
Moderation: Peter Bühner (Mühlhausen)
Michael Matthäus (Frankfurt am Main): Die ReformaVortrag zur Einführung
tion in Frankfurt – Zwischen Kaisertreue und ProtestanThomas T. Müller (Mühlhausen): Frühreformation
tismus
und Bauernkrieg – Die Reichsstädte Mühlhausen und
Thomas Kirchner (Aachen): Welchem Kaiser ge- Nordhausen
horchte Aachen? Aspekte des Reichsoberhaupts in der
Causa Aquensis
Erläuterungen zum Monumentalgemälde: Frühbür”
gerliche Revolution in Deutschland“
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/
Citation: Antje Schloms geb. Faßhauer. Review of , Reichsstadt im Religionskonflikt. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
June, 2016.
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