DISS. ETH Nr. 23129 Felsenlandschaften – Eine Bauaufgabe des 19. Jahrhunderts Grotten, Wasserfälle und Felsen in landschaftlichen Gartenanlagen ! Abhandlung zur Erlangung des Titels Doktor der Wissenschaften der ETH Zürich (Dr. sc. ETH Zürich) vorgelegt von Kilian Matthias Jost Dipl.-Ing. Technische Universität Berlin geboren am 08.08.1976 von Berlin / Deutschland angenommen auf Antrag von Prof. Dr.-Ing. Uta Hassler, ETH Zürich (Referentin) Prof. Dr. Joachim Wolschke-Bulmahn, Leibniz Universität Hannover (Korreferent) 2015 Zusammenfassung Felsenlandschaften – gebaute Berge, Grotten und Wasserfälle – gehörten im gesamten ›langen 19. Jahrhundert‹ zu den beliebtesten Ausstattungsstücken von Gärten und Parks. Trotz der großen Zahl überlieferter Objekte wurden sie von der Gartengeschichtsschreibung negiert und gerieten bis zur Jahrtausendwende nahezu in Vergessenheit. Ihre wichtige Rolle als Katalysatoren für die experimentelle Nutzung und Entwicklung von Materialien, Techniken und Konstruktionsweisen wurde bislang deutlich unterschätzt. Die vorliegende Arbeit zeigt natürliche Vorbilder auf und untersucht, wie diese mit architektonischen Mitteln umgesetzt wurden. Es bedurfte geologisch fundierter Grundlagen einerseits und technischer Innovationen in Bezug auf Materialentwicklung und Konstruktion andererseits, um derart komplexe Strukturen wie gewachsene Felsen architektonisch nachzubilden. Die Alpen spielen Mitte des 18. Jahrhunderts eine zentrale Rolle für die ›Entdeckung der Landschaft‹ und die Entwicklung der ästhetischen Kategorie des ›Erhabenen‹. Die Untersuchung von Quellen, Archivmaterial und Monographien zu knapp 100 Gärten und eine Analyse zeitgenössischer Schriften aus den Feldern Erdwissenschaft, Gartentheorie, Architekturtheorie sowie von Muster- und Lehrbüchern zeigt, dass ein Kanon von Versatzstücken der Schweizer Alpenlandschaft existierte, der als ›Mustersammlung‹ vorbildlich für ›erhabene Szenen‹ im Landschaftsgarten war. Durch die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Schweizbegeisterung hatten sich bis 1790 drei Regionen herausgebildet, die das Bild der Schweiz noch heute prägen. Neben der Gotthardroute als Alpenüberquerung beeinflussten die Forschungen von Horace Bénédict de Saussure zum Mont Blanc und Veröffentlichungen von Jakob Samuel Wyttenbach zum Berner Oberland mit Landschaftsbildern Caspar Wolfs maßgeblich die Genese des Schweizkanons: zeichenhafte Gartenbilder wie naturnahe Wasserfälle, Felsen, die Teufelsbrücke und alpine Bauten wie Schweizerhaus und Sennhütte gehören zu den Schweizer Landschafts-Zitaten. Als Wasserfälle waren der Staubbachfall und der Rheinfall für Nachahmungen vorbildlich. Die Teufelsbrücke am Gotthardpass diente gar als Ursprung zweier Gartenbilder, der Kettenbrücke und der Teufelsbrücke mit Wasserfall. Für Gartengrotten hingegen konnten nur wenige natürliche Vorbilder ausgemacht werden, die eher in der Umgebung von Neapel zu finden sind, wie die Grotte von Posillipo oder die Blaue Grotte auf Capri. Die Berufsgruppen, die Felsbauten ausführten, wechselten. Bis etwa 1800 planten Architekten wie Erdmannsdorff, Hesekiel, Jussow oder Knobelsdorff die Felsenlandschaften, ab 1790 übernahmen Landschaftsgärtner wie Sckell, Pückler, Lenné, Meyer, Jäger, Siesmayer und Manthe Theorie und Praxis. Ab 1860 drängte eine Konkurrenz von Handwerkern ohne gartentheoretische Ausbildung auf den Markt, Grottenbauer oder Steinbruchbesitzer wie Baum, Lucht, Mehler, Meurin und Zimmermann. Die Erdwissenschaften prägten mit wissenschaftlichen Abbildungen aus den Alpen die frühesten Bilddokumente der Schweizer Landschaft überhaupt. In der Analyse von gartentheoretischen Schriften wird deutlich, dass die Ansprüche an die Naturwahrheit parallel zu den wachsenden geologischen Erkenntnissen bezüglich Stratigraphie, Erosion und Genese der Gesteine zunahmen. Nicht die tradierte Architekturtheorie, sondern insbesondere die Geologie diktierte die Ansprüche an Felsenlandschaften. Für diese Gattung entwickelte sich ein eigener, an den Erdwissenschaften orientierter Regelkanon, als zunehmende Herausforderung für ihre Konstruktion. Die Errichtung künstlicher Felsen, Grotten und Wasserfälle erfolgte seit dem 18. Jahrhundert als Mauerwerksbau, um den Felsbrocken als zweite Mauerschale aufgeschichtet oder mit Eisenstiften oder Eisendraht befestigt wurden. In England und Frankreich entwickelte sich zwischen 1830 und 1850 die Technik, den Mauerwerkskern mit ein bis zwei Schichten Zementmörtel zu überziehen und diese Oberfläche mit mechanischen Werkzeugen und Zuschlägen zu gestalten. In Deutschland entsteht um 1850 die Drahtputzschale, die als leichte Konstruktion organische Formen nahezu ohne statische Restriktion imitieren kann. Sie kommt um 1900 für wenige Gartengrotten, aber mehrfach für Ausstellungsbauten und Zoofelsen zur Anwendung. Diese drei Techniken existieren bis 1910 parallel, auch wenn sich für Gartenfelsen in Deutschland ein Primat des Natursteins herausbildete. Die Felsbauten besaßen zudem bemerkenswerte technische Finessen. Künstliche Wasserfälle trieben die Entwicklung hydraulischer Pumpwerke voran, Gärten um 1800 avancieren daher mit Dampfmaschinen zum Initialort des Kulturtransfers von England zur deutschen Industrie. Um 1900 folgen Gaspumpen, dann Elektropumpen. Moderne Druckleitungen wurden zuerst für Wasserspiele in Gartenanlagen eingesetzt, bevor sie ab 1830 der Trinkwasserversorgung dienten. Zudem sind mehrere optische und akustische Ausstattungen der Felsszenerien nachweisbar wie Äolsharfen. Als Klangverstärkung künstlicher Wasserfälle kamen Resonanzkästen oder spezifisch geformte Rückwände und Prallsteine zum Einsatz. Zu den künstlichen Lichteffekten gehören die Imitationen von Regenbogen, Mond und Sternen oder die Nachahmung der natürlichen Lichteffekte der Blauen Grotte von Capri, die zum Teil mit Prismen und elektrischem Licht erreicht wurden. Mit der Ablehnung des landschaftlichen Gartens kamen auch Felsenlandschaften um 1910 schlagartig aus der Mode. Diese faszinierende Werkgruppe und die zeitgenössischen Diskurse verdeutlichen jedoch bis heute die frühen innovativen Entwicklungen in Konstruktion und Technik wie auch eine Form von Historismus, die sich nicht auf architektonische Stile, sondern auf die Erdgeschichte bezog. Synopsis Rock landscapes — like constructed mountains, grottos and waterfalls — were amongst the most favourable furnishings in gardens and parks during the entirety of the 19th century. Despite the numerous surviving objects, these creations have been abnegated in the history of gardening and almost forgotten up until the millennium. The major role artificial rock gardens have had as catalysts in the experimental use and evolution of building materials, techniques and construction have been, until today highly underestimated. This work at hand indicates natural models and explores how they were imitated in architectural ways. Fundamental knowledge of geology was needed as well as technical innovation in regard to the development of both material and construction architecturally needed to imitate the complex structures found in natural rocks. In the middle of the 18th century, the Alps played a decisive role in terms of leading to the ›discovery of landscape‹ and the aesthetic category of the ›sublime‹. Studying both historical sources, archived material and monographs from approximately 100 different gardens and simultaneously an analysis of contemporaneous writings in Earth Science, garden theory, architectural theory as well as pattern books and teaching books indicate that a canon of fragments existed which served as a collection of patterns primarily being used as a model for ›sublime scenes‹ in landscape gardens. Highly influenced by enthusiasm for Switzerland and its landscape, which began in the second half of the 18th century by 1790, three regions had emerged, which, still today, shape the view of Switzerland. Alongside the Gotthard passage the research of Horace Bénédict de Saussure on Mont Blanc and the publications by Jakob Samuel Wyttenbach on the Bernese Oberland, with landscape paintings by Caspar Wolf, were instrumental in forming the genesis of the Swiss canon: emblematic patterns such as nature-oriented waterfalls, rockeries, the ›Teufelsbrücke‹ (the Devil’s Bridge), alpine buildings, namely chalets and cabins, are quotations of Swiss landscape. At least the Staubbach Falls and the Rhine Falls have served as a prototype in designing waterfalls in gardens. The Devil’s Bridge at the Gotthard Pass has been the inspiration in two separate garden scenes, the chain bridge and the Devil’s Bridge positioned above a waterfall. Garden grottos in contrast find rather, their natural model in the surroundings of Naples, for example the Grotto of Posillipo or the Blue Grotto on the island of Capri. The professional guilds originally responsible for designing the rock landscapes had changed. Primarily leading up to 1800 the architects were Erdmannsdorff, Hesekiel, Jussow or Knobelsdorff but already around 1790 landscape gardeners like Sckell, Pückler, Lenné, Meyer, Jäger, Siesmayer and Manthe began to take the theory and practice in hand. From 1860 onwards however, artisanal competitors with no theoretical education in terms of gardening, for example Baum, Lucht, Mehler, Meurin and Zimmerman rivalled the landscape gardeners. The Earth scientists’ early documentations of the Alps are the earliest documentation of Swiss landscape. An analysis of writings on garden theory from this time discovered that requirements of natural scientific plausibility grow parallel to developing geological findings such as stratigraphy, erosion and the genesis of rocks. In terms of artificial rock landscapes, a distinct new set of rules had emerged, geared toward Earth Science replacing traditional architectural theory with geology as the determining factor regarding building requirements. This became a rising challenge concerning construction. One method of constructing artificial rockwork, grottos or waterfalls has remained since the 18th century: brickwork as a substructure encased in natural rocks as a mantle or fixed by either iron brads or iron wire. In England and France a different technique was generated between 1830 and 1850 where the brickwork was coated with one or two layers of cement mortar and the surface moulded by mechanical tools and aggregates. Circa 1850 the Rabitz lath cloth was developed in Germany –around 1900 this was used to construct a few garden grottos and a great many rock shaped structures at both exhibitions and zoological gardens. These three techniques existed in parallel until 1910, even though Germany focused on using natural stone for garden rocks. Artificial rock landscapes contained remarkable technical features. Artificial waterfalls pushed the evolution of hydraulic pump stations around 1800 hence resulting in gardens being one of the first places for cultural transferences from England to German in regard to the steam engine before it entered German industries. By 1900 they had continued on to gas pumps and electric pumps. Modern pressure pipelines were initially installed first in gardens for water games even before 1830 when they then have been used for drinking water supply. Additionally, in connection to artificial rock landscapes, diverse optical and acoustical accoutrement are detectable such as the Aeolian harp. Resonance amplifiers and concave shaped headwalls or even specifically craved stones were used to nebulise the falling water in the waterfall and amplify the sounds. Light effects such as rainbows, the moon and stars were carefully imitated as well as the natural light of the Blue Grotto at Capri, these being achieved by natural means or prisms or even with electric lighting. Only due to the strong rejection around 1910 of landscape gardens in general, did artificial rock landscapes suddenly became unfashionable. This fascinating buildings and the contemporary discussions still today testify the early innovative developments in technic and construction as well as there was something like a historism not only of architectural styles but of the history of the Earth.
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