Nordrhein-Westfalen Schönere Welt Fußball Tickets in der Premier League sind für viele Engländer unbezahlbar. Hunderte Fans pilgern nun Woche für Woche in Bundesligastadien. E Für einen anständigen Platz bei einem ende für Wochenende mittlerweile Hunderte Fußballfans angeschlossen haben: Klub der Premier League sind knapp Sie fliegen von England nach Deutschland, 60 Pfund pro Karte keine Seltenheit, umgerechnet 75 Euro. Spitzenteams wie um sich Bundesligaspiele anzuschauen. Einige Dutzend steuern München an, der FC Arsenal kratzen an einem Preis einige Dutzend Hamburg. Doch Hauptreise- von 100 Pfund pro Karte, umgerechnet ziel der Billigflieger ist der Flughafen Düs- 125 Euro. Arbeiter können sich Tickets seldorf. Denn in Nordrhein-Westfalen bal- kaum noch leisten, auch für Normalverlen sich fünf Erstligisten, und die Kneipen- diener ist das Liveerlebnis zum finanzielmeilen in Düsseldorf und Köln sind ein len Kraftakt geworden. Beim FC Liverpool probten die Fans zusätzliches Argument für ein unterhaltsames Wochenende. In den beiden Rhein- kürzlich den Aufstand, weil die US-amerimetropolen buchen englische Fans vor- kanischen Klubeigentümer die Preise für zugsweise ihre Unterkünfte, und von dort manche Tickets von der kommenden Saiaus reisen sie mit dem Regionalexpress son an von 59 auf 77 Pfund (umgerechnet nach Dortmund, nach Mönchengladbach, fast 100 Euro) erhöhen wollten. Immerhin: Die Revolte war erfolgreich, in den komnach Leverkusen, nach Gelsenkirchen. Ein Sprecher von Borussia Dortmund menden zwei Spielzeiten sollen die Karten bestätigt, dass mittlerweile zwischen 800 an der Anfield Road nicht teurer werden, und 1000 englische Fußballfreunde regel- versprachen die Klubbesitzer. „Die unten mäßig in die Arena des BVB kommen. bluten, damit die oben noch reicher werAuch der FC Schalke 04 registriere „ver- den“, klagt einer von Keiths Kumpeln: mehrt Anfragen englischer Fans“, berich- „Habgier ist das Hauptmotiv der Premier tet dessen Klubsprecher Thomas Spiegel. League.“ Und so kommt es, dass selbst vor der Doch warum schauen sie „Football“ nicht daheim, im Mutterland des Spiels, in BayArena in Leverkusen pro Spiel bis zu den imposanten Stadien von Manchester, hundert englische Fußball-Aficionados Chelsea oder auch Newcastle? Die Ant- nach Karten anstehen. Ervin, Ben und Ava, wort heißt „Outpricing“. Zu Deutsch etwa: drei Mittzwanziger von der Insel, haben sich vorigen Samstag für das Spiel gegen Ausgrenzung durch Wucherpreise. Eintracht Frankfurt entschieden. Am Tag zuvor sind sie von London nach Düsseldorf geflogen, Reise plus zwei Übernachtungen kosten sie rund 200 Euro pro Person. Fünf Minuten muss Ervin vor dem Kassenhäuschen warten, dann kommt er mit drei Karten zurück, 18 Euro pro Stück. „Unglaublich“, frohlockt Ava. Ein Besuch bei ihrem Verein West Ham würde sie das Vierfache kosten. „In der Premier League geht es nur darum, die Leute auszurauben“, sagt sie. Immer wieder schauen die drei Freunde auf den hüpfenden Pulk in beiden Fanblöcken. So viel Ausgelassenheit gebe es auf den Tribünen in England schon lange nicht mehr, meint Ervin, der sich einen Leverkusen-Schal gekauft hat. „15 Engländer kommen reFußballtourist Jelley (r.) mit Freunden in Dortmund: Ein Bier für zwei Euro gelmäßig zu unseren SpieROLAND GEISHEIMER / ATTENZIONE / DER SPIEGEL s sollte Dortmund sein, das stand schon im Dezember fest. Einer der größten Fußballtempel Europas mit seiner magischen Südtribüne. Seit fünf Monaten hatte Keith Jelley, 54, wohnhaft im nordenglischen Newcastle, alles Mögliche getan, um für sich und seine Kumpel sieben Karten für ein Heimspiel des BVB zu bekommen. Kein einfacher Plan: 81 200 Zuschauer pilgern im Schnitt zu den Heimspielen der Borussia, fast alle Bundesligapartien dieser Saison im Signal-Iduna-Park waren komplett ausverkauft. Nun sitzt Keith im Kreis seiner „Lads“ in einem Dortmunder Innenstadthotel. Drei Karten hat er sicher, um vier weitere muss er sich vor dem Stadion noch kümmern. Es ist zehn Uhr morgens am vorigen Sonntag, fünfeinhalb Stunden vor Anpfiff des Spiels gegen den Hamburger SV. Am Frühstückstisch tragen drei Viertel der Hotelgäste Gelb und Schwarz, viele von ihnen sprechen Englisch. Keith, der in Newcastle als Taxifahrer arbeitet, ist das, was man in England einen „real man“ nennt: einer, der sagt, was er denkt. Und einer, der von einer Herzlichkeit ist, die man nicht auf Seminaren lernen kann. Seit einigen Jahren gehört auch er zu einer Bewegung, der sich Wochen- DER SPIEGEL NRW 17 / 2016 V Nordrhein-Westfalen BERND ROSELIEB / DER SPIEGEL len und fahren sogar mit nach Barcelona Spiele von Arsenal, Chelsea oder Manches- kehrt wäre das besser. Die englischen oder Stuttgart“, berichtet Daniela Frühling ter United genauso im Fernsehen wie in Klubs verhalten sich wie Konzerne, die vom Leverkusener Fanprojekt, hinzu kä- den Sportsbars von Oslo oder St. Peters- ihre Fans als Kunden betrachten.“ Echte Kommunikation wie in Dortmund men bei jedem Heimspiel mehrere Dut- burg. Doch die Popularität ist Fluch und zend spontan angereister Fußballtouristen Segen zugleich. Verlierer in den Stadien finde dort nicht mehr statt: „Ich habe sind die einfachen Fans. Gewinner ist das einmal mit dem Vereinspräsidenten Reinaus Großbritannien. Die Klubs in Nordrhein-Westfalen ha- Modepublikum, eine kaufstarke Klientel, hard Rauball gesprochen“, erzählt McFadben sich auf den Run von der Insel ein- für die der Besuch eines Premier-League- yean, „bei der nächsten Mitgliedervergestellt, einige werben mit Stadionfüh- Spiels das Beiprogramm einer Shopping- sammlung hat er mich wiedererkannt, und rungen in englischer Sprache. Harald tour nach England ist. So werden die Ver- wir haben uns erneut unterhalten.“ UnKönig ist in Dortmund für den Bereich eine gentrifiziert wie die angesagten Vier- denkbar, dass eine solche Fannähe etwa bei Manchester United oder dem FC ArsePublikumscatering verantwortlich, rund tel der Großstädte. „Der Fußball wurde aus den Händen nal herrschen könnte, meint er: „Die Liebe um die Spieltage bietet der BVB organisierte Touren durch das Innere der Arena, der Arbeiter gerissen, die diesen Sport der englischen Fans ist einseitig und verdie 40 Plätze sind schnell weg. Dem Kli- geformt haben“, schreibt Tom Reed vom zweifelt geworden. Sie wird nicht mehr schee vom betrunkenen, stiernackigen Fanverband Football Action Network erwidert.“ In ihrem Dortmunder Hotel haben TaxiHooligan entsprächen die Fußballreisen- in einem offenen Brief. „Es war ein kulden keineswegs, betont König: „Das sind tureller Diebstahl.“ Die Premier League fahrer Keith und seine sechs Kumpel dersehr interessierte Leute, die profunde sei nun „eine Organisation, die von allem weil ihr Frühstück beendet. Schon eine Fragen zur Historie und zur Fankultur den Preis kennt, aber von nichts den wah- Stunde bevor sich ein endloser Strom gelbren Wert. Eine Liga, in der die Stadien schwarz gekleideter Menschen in Richtung haben.“ Warum für viele englische Fans heute voller lustig-dumm klatschender Touristen Dortmunder Süden wälzt, stehen sie am Haupteingang des riesigen Stadions. Deutschland das Fußball-Schlaraffenland sind.“ Ben McFadyean leitet den 300 MitglieDrei Tickets haben sie bereits, ein vierist, füllt mittlerweile sogar ein Buch. Es trägt den Titel „The Bundesliga Blueprint“. der starken „Borussia Dortmund Fan Club tes hat Keith auf seinen Namen reserviert. Die These: Nach dem frühen Ausscheiden London“. Der studierte Germanist hat Als er vom Ticketschalter zurückkommt, bei der Europameisterschaft 2000 habe sich sechs Jahre in der Nähe von Dortmund ge- schildert er seinen Kauf wie einen guten der deutsche Fußball grundlegend refor- lebt und sich in den BVB verliebt. Es sei Witz. „Was glaubt ihr, wie viel ich dafür bemiert und so erst den Grundstein für den Unsinn, wenn die Bundesliga der Premier WM-Titel 2014 gelegt. Dies sei nur gelun- League nacheifern wolle, sagt er. „Umge- zahlt habe?“, ruft er. „17,50 Euro! Mein Heimatverein spielt in der sechsgen, weil die Bundesliga ihre Fanten Liga in einem Stadion mit basis wertschätze. So lasse sich 3000 Plätzen. Und da kostet ein Borussia Dortmund durch seine Ticket schon 15 Pfund!“ 28 059 Stehplätze knapp fünf MilEs wird Zeit für das erste Bier lionen Euro jährlich entgehen. des Tages, Dean erklärt sich be„Doch durch diesen Verzicht bereit, die Getränke zu holen. Faswahrt der BVB seine Identität, sungslos kommt er vom Bierstand denn die Südtribüne ist voller leizurück. Sieben Becher habe er denschaftlicher Fans“, kommenbei der Frau am Zapfhahn geortiert „Blueprint“-Autor Lee Price. dert und ihr zwei 20-Euro-ScheiLäge Dortmund in England, wäne in die Hand gedrückt. „Sie hat ren die Anhänger längst durch mir drei Münzen zurückgegekaufstarke Eventtouristen ersetzt ben – und dann noch einen der worden. beiden Scheine!“ Ein Bier für Dabei galt noch bis in die zwei Euro? Zu Hause, sagt Dean Neunzigerjahre England als das grinsend, zahle er das Doppelte. Mekka der Fankultur, Arenen Es ist kurz vor halb drei, Anwie Old Trafford in Manchester, pfiff in rund einer Stunde, Massen das alte Highbury des Londoner von Menschen stauen sich vor Klubs Arsenal oder die White den Eingängen. Doch der KonHart Lane im Stadtteil Tottenham taktmann, der die letzten drei haben noch heute einen mythiTickets bringen soll, kommt und schen Klang. Im Ligaalltag ist dieser Zauber fast erloschen, nur kommt nicht. noch bei besonderen Anlässen Nach einer weiteren Stunde, wie dem 4:3-Sieg des FC Liverkurz vor Spielbeginn, macht sich pool an der Anfield Road gegen Resignation breit. Dann folgt ein Borussia Dortmund im ViertelSchauspiel wie aus einem Montyfinale der Europa League lebt er Python-Sketch: Jeder der sieben kurz wieder auf. versichert treuherzig, dass er nun Stehränge, die Keimzelle der wirklich nicht unbedingt in die Stimmung in den Stadien, sind in brodelnde Arena müsse. Neale, englischen Stadien seit mehr als Keith und Dale bleiben schließ20 Jahren abgeschafft. Die Prelich draußen. Die anderen vier mier League ist die bestvermarkrennen, peinlich berührt, aber tete Liga der Welt, am Strand von Fans aus Newcastle auf der Dortmunder Stehtribüne sichtlich erleichtert, zu den EinPhuket in Thailand laufen die Christoph Ruf „Habgier ist das Hauptmotiv der Premier League“ gangsschleusen. VI DER SPIEGEL NRW 17 / 2016
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