HOKUSAI MANGA Japanische Popkultur seit 1680 Herausgegeben von Sabine Schulze Nora von Achenbach Simon Klingler 226 6 INHALT Vorwort Sabine Schulze 12 Fiktion und Wirklichkeit 22 Looking for thrill – yōkai 42 Starkult und Spektakel 54 Porträts 60 iki – Modische Vorbilder 68 Gefühle: Sehnsucht und Wehmut 74 Lifestyle 86 Liebeslust – shunga 94 Alte Helden für neue Zeiten Nora von Achenbach 108 Fuji-Kult 116 Edo – Bilder der Hauptstadt 126 Reisewege 132 Die Geburt des Comics 146 Boom der Mallehrbücher und Wunsch nach Teilhabe 154 Vom Entwurf zum Druck 166 Die Manga-Moderne – Ein Streifzug durch Japans zeitgenössische Bildwelten Simon Klingler 176 Gezeichnete Geschichte – Japans Stunde null 188 Jirō Taniguchi – Urbane Kontemplation 200 Avantgarde des Mädchen-Manga 208 Aus der Sicht eines Vogels 218 Anime – Animationsfilm made in Japan 224 Ukiyo-e Heroes 230 Manga im Wandel: Abrücken von der „Popkultur“ 238 Bibliografie 239 Impressum 240 Bildnachweis, Leihgeber Jaqueline Berndt 6 7 VORWORT – SABINE SCHULZE Mit der Ausstellung Hokusai x Manga – Japanische Popkultur seit 1680 zeichnet das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg die vielfältigen Verbindungen zwischen historischer und zeitgenössischer Populärkultur in Japan nach. Das MKG besitzt eine international einmalige Sammlung von Farbholzschnitten und Holzschnittbüchern der bedeutendsten ukiyo-e-Künstler wie Utagawa Kuniyoshi oder Katsushika Hokusai, die nun erstmals mit einer großen Sonderausstellung im eigenen Haus gewürdigt wird. Obwohl die Sammlung einige der wichtigsten und aussagekräftigsten Inkunabeln der japanischen Druckgrafik enthält, darf sich eine Ausstellung im Jahr 2016 nicht darauf beschränken, diesen Schatz bloß zu heben und mit der Öffentlichkeit zu feiern. Der entscheidende Ansatz der Ausstellungskonzeption ist daher die Einordnung des japanischen Holzschnitts als kommerziell ausgerichtetes Massenmedium und serieller Konsumartikel der Vormoderne und seine damit eng verbundene Geschichte als historischer Ausgangspunkt einer populärkulturellen Verbreitung und Rezeption von traditionellen Genres und Sujets, die bis in die Gegenwart reicht. In diesem Sinne schlägt die Ausstellung einen Bogen von historischen Objekten aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert zu den visuellen Massenmedien des modernen Japan: Manga-Comics und Vorzeichnungen, Anime-Filme und CosplayKostüme, Computerspiele, Fanartikel und zeitgenössische Holzschnitte. Ausgangspunkt ist die Analyse der visuellen Strategien und Techniken, die im vormodernen Japan als Antwort auf das Konsum- und Vergnügungsverlangen der Bevölkerung in den Städten entwickelt wurden. Schlagworte wie Aktualität, schnelle Lesbarkeit, Typisierung, Starkult und Erotik werden zu Brücken in die heutige Populärkultur. Hokusai x Manga untersucht diese zeitübergreifenden Anknüpfungspunkte und Entwicklungslinien bei gleichzeitiger Herausarbeitung der jeweils eigenständigen Stilelemente. So zeichnet sich die zeitgenössische Popkultur durch eine ausgeprägte Pluralisierung der Themen, Motive und Genres aus, folgt aber auch den traditionellen japanischen Erzählstoffen, etwa den Samurai oder der übernatürlichen Welt der Gespenster und Monster (yōkai), die immer wieder aufgegriffen und neu interpretiert werden. Ein prägnantes Beispiel für die traditionsbewusste Fortschreibung etablierter Motive unter Verwendung traditioneller Handwerkstechniken einerseits und die kulturübergreifende Adaption zeitgenössischer Kontexte andererseits bietet die Holzschnittserie < The Hero Rests Jed Henry (geb. 1983; Design) / David Bull (geb. 1951; Holzschnitt) USA /Japan, 2012 Farbholzschnitt, 23 x 17,5 cm < Seite 4 blue Burū Kiriko Nananan (geb. 1972) S. 226, Verlag Schreiber & Leser 2006 Erstveröffentlichung 1996 Ukiyo-e Heroes von Jed Henry und David Bull. Das Blatt The Hero Rests aus dem Jahr 2012, dass 2015 vom MKG angekauft wurde, scheint auf den ersten Blick die klassische Darstellung eines japanischen Kriegers zu sein, auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch eine vielseitige medien- und kulturübergreifende Pointe. Für Eingeweihte ist die Figur durch ihre Attribute wie das Wappen eindeutig als Adaption des Videospiele-Helden Link aus dem Blockbuster The Legend of Zelda zu erkennen. Das 1986 in Japan entwickelte Spiel hat einen globalen Siegeszug angetreten; in den entsprechenden Generationen besitzt die Figur Link eine ähnliche Popularität und Wiedererkennbarkeit, wie sie etwa Hokusais berühmtes Blatt Die große Welle vor Kanagawa hat. Die Ausstellung interessiert sich dafür, wie und warum diese beiden höchst populären Phänomene ihre enorme massenkulturelle Wirkung entfalten. Neben solchen inhaltlich-motivischen Gemeinsamkeiten finden sich weitere Parallelen, unter anderem im visuellen Repertoire, in der stilistischen Ausformung, in der Verknüpfung von Schrift und Bild und in den Formen der Serialisierung. Auch die Produktionsweisen mit ihren arbeitsteiligen Prozessen und Vertriebsstrukturen sind vergleichbar und an den erfolgten technischen Innovationen abzulesen. Diese gezielte Gegenüberstellung von historischen und zeitgenössischen Objekten vor dem Hintergrund einer epochenübergreifenden soziokulturellen Thematik – der Populärkultur – führt das MKG zu einer richtungsweisenden Fragestellung: Wie können wir unsere historische Sammlung in die Zukunft erweitern? Die umfangreiche Kollektion reicht zurück bis in die japanbegeisterte Gründungsphase des Museums um 1880. Angelegt wurde sie von Justus Brinckmann, der in Paris bei Hayashi Tadamasa und bei dem aus Hamburg stammenden Siegfried Bing kaufte. Dieser opulente Bestand mit herausragenden Provenienzen wie zahlreichen Blättern aus der Sammlung von Edmond de Goncourt wurde in den folgenden 100 Jahren immer wieder sporadisch erweitert und 2007 substanziell ergänzt durch die umfangreiche Schenkung Gerhard Schacks, der sich besonders für Surimono, aber auch für Skizzen und Vorzeichnungen interessierte. 2016 hat eine Delegation des MKG in Japan Künstler und Verlage getroffen und neue Kontakte geknüpft, um besondere Ausstellungsstücke zu akquirieren. Unter ihnen finden sich nicht nur seltene MangaComics und kostbare Vorzeichnungen, sondern auch von der DoraemonTasse bis zum Hello-Kitty-Toaster eine breite Palette an popkulturell durchgestylten Alltagsobjekten. Mit der Ausstellung Hokusai x Manga – Japanische Popkultur seit 1680 schreiben wir also die Sammlungsgeschichte aktiv und mutig weiter! 8 9 Eine unverzichtbare Basis für unsere kreative Arbeit ist der Ausstellungsfonds der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Ohne die finanzielle Unterstützung durch den Fonds wäre auch diese Ausstellung nicht realisierbar gewesen. Mein besonderer Dank gilt daher der Jury unter dem Vorsitz von Volker Rodekamp, die unser Projekt mit großem Interesse und Vertrauen begleitet hat. Martin Hoernes und der Ernst von Siemens Kunststiftung gebührt großer Dank für die Finanzierung des zweisprachigen Ausstellungskatalogs. Zusätzlich zum Katalog präsentieren wir das Projekt auch im Internet. Mehr als 1000 Objekte aus der Sammlung werden online verfügbar sein und die bemerkenswerte Aktualität der historischen Bilder einer breiten internationalen Öffentlichkeit zugänglich machen. Ein verlässlicher Partner für unsere sammlungsbezogenen Vermittlungsaktivitäten und die Arbeit mit den neuen Medien ist die Justus Brinckmann Gesellschaft. Den Freunden des Museums kann nicht oft genug für ihr außergewöhnliches Engagement gedankt werden! Obwohl die inhaltlichen und kulturellen Verbindungslinien zwischen zeitgenössischen und historischen Objekten zu einer direkten Gegenüberstellung förmlich einladen, bedeuteten die teilweise ausgesprochen unterschiedliche Tonalität der Exponate und ihre vielfältigen Medien – vom Holzschnitt bis zur benutzbaren Videospielkonsole – eine besondere Herausforderung für die Ausstellungsarchitektur. Ich bin sehr glücklich, mit Michiko Bach und Daniel Dolder vom Büro Bach Dolder Architekten in Darmstadt Gesprächspartner gefunden zu haben, die es verstanden haben, aus dem intensiven Dialog mit dem Kuratorenteam eine kluge, sensible und absolut überzeugende Ausstellungsgestaltung zu entwickeln. Auch ihrer umsichtigen Moderation in einem komplexen Anforderungsrahmen gebührt mein großer Respekt. Vor einer nicht minder großen Herausforderung standen die Gestalter des Ausstellungskatalogs und der Werbekampagne. Die alte und die neue Bilderwelt zu einem stimmigen Gesamteindruck zu vereinen, ist der Agentur Heine/Lenz/Zizka aus Frankfurt am Main unter der Federführung von Michael Lenz auf hervorragende Weise gelungen. Inhaltlich bereichert wurde die Ausstellung von ihren Kooperationspartnern: Allen voran steht der Carlsen Verlag mit seiner kompetenten Manga-Redaktion, Hamburg MaGnology, die Messe für Games, Comics und Manga wird vom 1. bis 3. Juli im MKG die jüngsten Entwicklungen der Szene zeigen. Das Metropolis Kino begleitet die Ausstellung mit einer attraktiven Filmreihe, Ralf Hebecker und seine Studierenden aus dem Bereich Gamedesign von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg haben ein digitales Exponat für die Ausstellung entwickelt. Der spazierende Mann Aruku hito Jirō Taniguchi (geb. 1947) S. 29, Carlsen Verlag 2012 Erstveröffentlichung 1992 Die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen einer differenzierten, gattungs- und epochenübergreifenden Auseinandersetzung mit der japanischen Populärkultur war die Zusammenstellung eines schlagkräftigen wissenschaftlichen Teams im MKG. Als Leiterin der Sammlung Ostasien und Ideengeberin der Ausstellung hat Nora von Achenbach den historischen Teil der Ausstellung kuratiert und dabei die Meisterwerke des MKG neu kontextualisiert. Ihrer großen Liebe für die Sammlung und ihrer ausgewiesenen fachlichen Kompetenz ist es zu verdanken, dass ungeahnte Schätze gehoben und nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten. Lena Bultmann und Małgorzata Myć haben die gründliche Arbeit mit dem eigenen Bestand tatkräftig unterstützt. Mein besonderer Dank gilt Simon Klingler, der den modernen Teil kuratiert hat und dabei stets die entscheidenden Verbindungslinien und Wechselwirkungen zwischen Geschichte und Gegenwart vor Augen hatte. Seinem Sachverstand und seiner unerschütterlichen Begeisterungsfähigkeit ist es zu verdanken, dass die Ausstellung den Besuchern eine besonders breite Palette an modernen Themen und Objekten zu bieten hat. Fachkundige Unterstützung bei der Erarbeitung der zeitgenössischen Kapitel lieferte Julika Singer, die als Japanologin ihr breites Wissen um die japanische Kulturgeschichte einbringen konnte. Meike Lohkamp kümmerte sich mit großem Engagement um den Bereich Cosplay. Jaqueline Berndt, Professorin für ComicTheorie an der Graduate School of Manga Studies der Kyōto-SeikaUniversität, hat das Manga-Phänomen im 21. Jahrhundert aus der japanischen Perspektive betrachtet und damit den Ausstellungskatalog nachhaltig bereichert. Ich wünsche uns und der Ausstellung, dass das Sichtbarmachen der Traditionslinien und die Brückenschläge in die Gegenwart der populären Massenmedien die Liebhaber der japanischen Holzschnittkunst genauso begeistern werden wie die jüngeren und jüngsten Besuchergruppen, deren kulturelles Verständnis durch Manga-Comics, AnimeSerien und weitere Spielarten der populären japanischen Unterhaltungskultur mitgeprägt wurde. Im Museum ist die Gegenwart der japanischen Populärkultur mit der Ausstellung zweifelsfrei angekommen; nicht nur in den Sammlungsdepots ist ein Zuwachs zu verzeichnen, auch die Konzentration der Manga-Hefte auf den Schreibtischen – selbstverständlich zu Recherchezwecken – hat merklich angezogen. Lassen Sie sich inspirieren!
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