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Jahrbuch 2015/2016 | Neubert, Carl-W endelin | Ausw ärtiger Einsatz tödlicher W affengew alt durch deutsche
Streitkräfte nach Völker- und Verfassungsrecht
Auswärtiger Einsatz tödlicher Waffengewalt durch deutsche
Streitkräfte nach Völker- und Verfassungsrecht
Use of lethal force by German armed forces in international
operations pursuant to public international law and German
constitutional law
Neubert, Carl-W endelin
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Ein Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht analysiert die
Voraussetzungen und Grenzen des Einsatzes tödlicher Waffengew alt durch deutsche Hoheitsträger im
Ausland: In w elchem rechtlichen Rahmen bew egt sich die Bundesw ehr, w enn sie bei Auslandseinsätzen
terroristische Bedrohungen und asymmetrische Kriegsführung bekämpft? Und w as folgt daraus für die
Sicherheitsarchitektur in w estlichen Demokratien?
Summary
W hat are the legal boundaries for combating terrorist threats and asymmetrical w arfare in international
operations for German armed forces? W hat are the consequences for systems of international security? A
study at the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law analyzes the prerequisites for and
limits on the extraterritorial use of lethal force on the basis of public international law and German
constitutional law .
Einsatz tödlicher Waffengewalt als aktuelles Problem internationaler Beziehungen
Der
Einsatz
tödlicher
Waffengew alt
ist
seit
jeher
selbstverständlicher
Bestandteil
kriegerischer
Auseinandersetzungen. Erst in jüngerer Vergangenheit rückt in w estlichen Demokratien der tödliche
Waffeneinsatz
durch ihre
Streit- und Sicherheitskräfte
bei Auslandseinsätzen in den Blickpunkt der
Öffentlichkeit – in Deutschland maßgeblich nach dem verheerenden Luftangriff von Kunduz am 4. September
2011. Streitkräfte w estlicher Demokratien sehen sich auf der ganzen Welt mit asymmetrischer und
terroristischer Kriegsführung konfrontiert und bekämpfen sie mit Mitteln, die politisch w ie juristisch umstritten
sind. Vor allem w ird dies deutlich an der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen, derer sich vor allem USamerikanische Streitkräfte seit dem 11. September 2001 und israelische Sicherheitskräfte bedienen.
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„Kriegsrechtliche“ Erweiterung staatlicher Handlungsoptionen als neue Dimension einer
modernen Sicherheitsarchitektur?
Aus
rechtlicher Perspektive
ist diese
Entw icklung
überkommener staatlicher Eingriffsregime
und
vor allem w egen
der verschw immenden
der Diskussionen um eine
neue
Grenzen
Sicherheitsarchitektur
bedeutsam. Denn besonders schw ere Formen von Kriminalität – namentlich Terrorismus – w erden in vielen
Rechtsordnungen nicht nur strafrechtlich oder über das Gefahrenabw ehrrecht (das ist in Deutschland das
Polizeirecht) verfolgt, sondern auch unter Rückgriff auf das Kriegsvölkerrecht (das heißt das Recht der
bew affneten Konflikte). Dieser – vor allem in der Terrorismusbekämpfung durch die USA zu beobachtende –
„kriegsrechtliche“ Ansatz erw eitert die staatlichen Handlungsoptionen w esentlich, ohne dass gleichzeitig die
rechtsstaatlichen Sicherungen des Strafrechts oder des Gefahrenabw ehrrechts greifen.
Tödlicher Waffeneinsatz nach Völkerrecht und deutschem Verfassungsrecht
Vor diesem Hintergrund analysiert eine
Untersuchung am Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht die Voraussetzungen und Grenzen des Einsatzes tödlicher Waffengew alt durch
deutsche Hoheitsträger im Ausland. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Unter w elchen Voraussetzungen ist
der Einsatz tödlicher W affengew alt durch die sogenannte deutsche ausw ärtige Gew alt rechtmäßig?
Es gilt, zw ei Sachfragen zu differenzieren: Einerseits geht es um die Rechtmäßigkeit der Entsendung
militärischer und polizeilicher Operationen ins Ausland und andererseits um die Rechtmäßigkeit des im Ausland
e rfolge nde n konkreten Waffeneinsatzes, das heißt der konkreten Schädigungshandlung. Beide Sachfragen
w erden nach Maßgabe sow ohl des Völkerrechts als auch des deutschen Verfassungsrechts untersucht. Durch
die Differenzierung lassen sich die unterschiedlichen Bezugspunkte des anw endbaren Rechts präzise abbilden.
So w ird das Verhältnis der verschiedenen Normengefüge dargestellt und der Forschungsgegenstand
sachgerecht systematisiert. Angesichts des aktuellen Forschungsstandes liegt der Untersuchungsschw erpunkt
auf der Analyse der Rechtmäßigkeit des konkreten W affeneinsatzes.
Rechtmäßigkeit des konkreten Waffeneinsatzes
Die Untersuchung zeigt, dass sow ohl das Völkerrecht als auch das deutsche Recht konkrete materielle
Voraussetzungen und Grenzen enthalten, die maßgeblich auf die faktischen Gegebenheiten des Einsatzorts
abstellen. Dabei sind die strukturellen Ansätze von Völkerrecht und deutschem Recht unterschiedlich:
Da s Völkerrecht nimmt eine kategoriale Unterteilung zw ischen der Normallage und dem bew affneten Konflikt
vor. Es unterw irft den Einsatz tödlicher Waffengew alt in der Normallage den Anforderungen der einschlägigen
Menschenrechte – maßgeblich geregelt im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte sow ie in
regionalen Menschenrechtsabkommen w ie der Europäischen Menschenrechtskonvention. Demnach ist der
staatliche Einsatz tödlicher Waffengew alt als ultima ratio auf Notw ehr beziehungsw eise Nothilfe, die nicht
anders mögliche Festnahme entflohener gew altbereiter Schw erststraftäter und die Befriedung schw erer
innerstaatlicher Unruhen beschränkt. In einem bew affneten Konflikt greifen dagegen die besonderen Regeln
des Rechts der bew affneten Konflikte – enthalten in den Genfer Konventionen, den dazugehörigen
Zusatzprotokollen und dem entsprechenden Gew ohnheitsrecht. Ein bew affneter Konflikt liegt bei jeder Form
militärischer Auseinandersetzungen zw ischen mehreren Staaten vor, w ie etw a im Irakkrieg 2003, sow ie bei
innerstaatlichen bew affneten Auseinandersetzungen erheblicher Dauer und Intensität, w ie etw a im syrischen
Bürgerkrieg. Das Recht der bew affneten Konflikte begrenzt den Einsatz von Waffengew alt im Verhältnis zur
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Normallage w eitaus w eniger: So ist der Einsatz tödlicher Waffengew alt gegen Kombattanten unter beinahe
allen Umständen gestattet; und selbst die grundsätzlich verbotene Tötung von Zivilisten ist dann zulässig,
w enn sie bei Angriffen auf militärische Zielobjekte als sogenannter Kollateralschaden unvermeidbar und nicht
exzessiv ist.
Da s deutsche Recht unterw irft den konkreten tödlichen Waffeneinsatz durch die deutsche ausw ärtige Gew alt
den
Anforderungen
Hoheitsgew alt
nicht
extraterritorialem
der einschlägigen
nur
in
Grundrechte
Inlandssachverhalten,
Eingriffshandeln.
Das
bedeutet
des
Grundgesetzes. Diese
sondern
jedoch
auch
nicht,
bei
dass
binden
die
deutsche
grenzüberschreitendem
oder
Auslandssachverhalte
und
Inlandssachverhalte zw ingend gleich zu behandeln sind. Vielmehr ist zu berücksichtigen, inw iew eit sich der
Auslandssachverhalt von der Normallage in Deutschland unterscheidet. Dabei spielen die besonderen
Gegebenheiten am ausländischen Einsatzort eine entscheidende Rolle – vornehmlich die Sicherheitslage, die
vorhandenen Fähigkeiten zur Gefahrenabw ehr, die Anzahl der gefährdeten Rechtsgutsträger und die von
feindlichen Kräften ausgehende Bedrohung. Je w eiter der konkrete Auslandssachverhalt nach diesen Kriterien
von der inländischen Normallage abw eicht, desto eher lassen sich Grundrechtseingriffe rechtfertigen. Im
Einzelnen bedeutet das: In Situationen, die w eitgehend der inländischen Normallage entsprechen, unterliegt
der Einsatz tödlicher Waffengew alt den überaus strengen Regeln des polizeilichen Schussw affengebrauchs im
Inland; dies gilt zum Beispiel für Bundesw ehreinsätze in befriedeten ehemaligen Konfliktzonen w ie dem
heutigen Kosovo oder für einen hypothetischen Auslandseinsatz der Bundespolizei zur Beendigung eines
Terroranschlags w ie dem am 13. November 2015 in Paris. Situationen, die sich von der inländischen
Normallage qualifiziert unterscheiden, können hingegen w eitergehende Einschränkungen der Grundrechte –
einschließlich des Rechts auf Leben – rechtfertigen. Dies gilt vor allem in bew affneten Konflikten – für die
Bundesw ehr aktuell etw a in Afghanistan. Denn bew affnete Konflikte zeichnen sich typischerw eise durch
intensive und schw er vorherzusehende Bedrohungen einer Vielzahl von Rechtsgutsträgern durch eine hohe
Zahl von Angreifern aus.
Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Ansätze bestehen zw ischen Völkerrecht und deutschem Recht mit Blick auf
die materiellen Anforderungen an den Einsatz tödlicher Waffengew alt durch die deutsche ausw ärtige Gew alt
kaum Unterschiede.
Erfordernisse an gesetzliche Eingriffsermächtigungen
Sow ohl die maßgeblichen völkerrechtlichen Menschenrechtskonventionen als auch das Grundgesetz fordern
eine Rechtsgrundlage für den konkreten Einsatz staatlich veranlasster tödlicher Waffengew alt. Völkerrechtlich
ist
dies
als
allgemeine
Verfassungsrechtlich
beruht
Voraussetzung
dies
auf
menschenrechtsbeschränkenden
dem
sogenannten
Vorbehalt
des
Verhaltens
Gesetzes,
anerkannt.
der
eine
parlamentsgesetzliche Eingriffsermächtigung verlangt und w egen seiner strengen Voraussetzungen und
grundrechtlichen Schutzrichtung besonders beachtet w erden muss.
Die Untersuchung zeigt, dass die grundlegenden Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes auch für
Eingriffshandeln der ausw ärtigen Gew alt gelten. Inhaltlich orientieren sich die Anforderungen, die der
Vorbehalt des Gesetzes an Regelungsumfang und Regelungsdichte der Eingriffsermächtigung stellt, an der
materiellen Rechtslage im betreffenden Auslandssachverhalt; sie hängen also davon ab, in w elchem Umfang
die Grundrechte – vor allem das Recht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – im zu regelnden Sachverhalt
typischerw eise eingeschränkt w erden können. Dem Gesetzgeber ist es gestattet, unter Ausschöpfung seines
legislativen
Spielraums
Rechtsgrundlagen
zu
schaffen,
die
den
Besonderheiten
des
zu
regelnden
Auslandssachverhalts entsprechen. Vor diesem Hintergrund können gesetzliche Eingriffsermächtigungen für
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Auslandssachverhalte mit typischerw eise erheblich gesteigerten Bedrohungslagen w ie etw a im bew affneten
Konflikt w eitaus w eniger strenge
Anforderungen an den Einsatz tödlicher Waffengew alt stellen als
Rechtsgrundlagen zum Grundrechtseingriff für inländische oder ausländische Normallagen; die genaue
Ausgestaltung ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
Die
Anw endung
dieses
Rechtsgrundlagen
ergibt
Maßstabs
indes,
auf
dass
existierende
die
meisten
völker-,
der
verfassungs-
existierenden
und
einfachrechtliche
Rechtsgrundlagen
den
verfassungsrechtlichen Anforderungen für den Einsatz tödlicher Waffengew alt durch die deutsche ausw ärtige
Ge w a lt nicht standhalten. Daher muss der Bundesgesetzgeber gesetzliche Ermächtigungen schaffen, die
einerseits den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes genügen und andererseits die speziellen
Gegebenheiten des Auslandssachverhalts angemessen berücksichtigen.
Ausblick: Kriegsrechtliche Einfärbungen der Sicherheitsarchitektur?
Für die eingangs gestellte Frage nach der Bedeutung des Rechts der bew affneten Konflikte für die
Bekämpfung besonders schw erer Formen der Kriminalität einschließlich terroristischer Bedrohungen bedeutet
dies: Der „kriegsrechtliche“ Ansatz hat sow ohl nach dem Völkerrecht als auch nach dem Grundgesetz seine
Berechtigung, jedoch ausschließlich im Geltungsbereich bew affneter Konflikte. Nur die außergew öhnliche
Bedrohungssituation
solcher
Konflikte
erlaubt
Einschränkungen
der
rechtsstaatlichen
Garantien
und
Sicherungen der Normallage, w eil dann für einen effektiven Rechtsgüterschutz viel w eiter gehende
Eingriffsbefugnisse erforderlich sind.
So hat der „kriegsrechtliche“ Ansatz seinen Platz in der modernen präventiven Sicherheitsarchitektur; er bleibt
jedoch hinsichtlich seiner Anw endungsvoraussetzungen eng beschränkt, unterliegt Verhältnismäßigkeits- und
Kontrollmaßstäben und bedarf sorgfältiger Beobachtung, um maßgebliche rechtsstaatliche Sicherungen zu
gew ährleisten. Zudem sind die derzeit bestehenden gesetzlichen Rechtsgrundlagen im deutschen Recht
ungenügend und müssen nachgebessert w erden.
Literaturhinweise
[1] Neubert, C.-W.
Der Einsatz tödlicher Waffengewalt durch die deutsche auswärtige Gewalt
Duncker & Humblot, Berlin (2016)
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