Fall 7: Teillösungsskizze / Anmerkungen Anmerkungen zu Frage 2

Übungen im ZPR/SchKG FS 2016
Fall 7: Teillösungsskizze / Anmerkungen
(nur summarisch)
Anmerkungen zu Frage 2: Fristenproblematik
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Bei einer Zustellung während den Gerichtsferien beginnt die Frist am ersten Tag nach
Ende des Stillstandes zu laufen (Art. 146 Abs. 1 ZPO).
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Im Anwendungsbereich des SchKG ist jedoch zu beachten, dass die Fristenbestimmungen der ZPO nur gelten, sofern nichts anderes im SchKG bestimmt ist (vgl. auch Art. 145
Abs. 4 ZPO). Die Betreibungsferien dienen anders als die Gerichtsferien der Schonung
des Schuldners, d.h. während den Betreibungsferien dürfen grundsätzlich keine Betreibungshandlungen vorgenommen werden. Die Vornahme einer Betreibungshandlung
während der Schonzeit ist also vom Gesetz verpönt (anders als bei Art. 146 Abs. 1 ZPO).
Betreibungsferien sind daher von den Gerichtsferien nach Art. 145 ZPO zu unterscheiden.
Frage 5
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Einleitende Fragen
 Entscheidende Instanz: nicht Bezirksgericht, sondern Handelsgericht Zürich
 Art. 38 Abs. 1 ZPO (Motorfahrzeugunfall): Gericht am Sitz der beklagten Partei, d.h. i.c. Uster oder am Unfallort, d.h. i.c. Meilen zuständig und somit keine
Zuständigkeit des Bezirksgerichts Zürich
 Handelsgericht in Zürich
o Rechtsnormen: § 44 lit. b GOG und Art. 6 ZPO
o I.c. geschäftliche Tätigkeit und Streitwert von Fr. 32‘000.00 (Fr. 27‘000.00
+ Fr. 5‘000.00; vgl. Art. 93 Abs. 1 ZPO)
o Wahlrecht von Leo, da nur Versicherung im Handelsregister eingetragen
(Art. 6 Abs. 3 ZPO)
o Leo hat i.c. das Handelsgericht gewählt
 Entscheidart: Die Klage wurde abgewiesen, d.h. es liegt ein Entscheid in der Sache
und damit ein Endentscheid i.S.v. Art. 236 Abs. 1 ZPO vor
 Fazit: Anfechtungsobjekt ist ein Endentscheid des Handelsgerichts Zürich
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Prüfung der Rechtsmittel
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Keine Einsprachemöglichkeit
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Kein zulässiges Anfechtungsobjekt im Sinne der Berufung und Beschwerde, da kein erstinstanzlicher Entscheid im engeren Sinne resp. gemäss Art. 6 Abs. 1 ZPO und § 44 GOG
entscheidet das Handelsgericht als „einzige kantonale Instanz“ bzw. „einzige Instanz“
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Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff. BGG)
 Anfechtungsobjekt
 Endentscheid i.S.v. Art. 90 BGG
 Zivilsache i.c. gegeben
 Letztinstanzlichkeit: Entscheid des Handelsgerichts als einzige kantonale Instanz
 Vermögensrechtliche Streitigkeit und damit Streitwerterfordernis; gemäss Art. 74
Abs. 1 lit. b BGG mindestens Fr. 30‘000.00, i.c. Fr. 32‘000.00 (Art. 52 BGG)
 Beschwerdegründe (Art. 95 ff. BGG)
(1) „Die Nacken- und Kopfschmerzen sind erst eine Woche nach dem Unfall und
nicht innert der Latenzzeit von 24 bis höchstens 72 Stunden aufgetreten. Es ist
daher nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Beschwerden sowie der als Folge davon eingetretenen Arbeitsunfähigkeit besteht.“
o Ausgangsfrage: Tat- oder Rechtsfrage
o Wie bei Kausalzusammenhang?  Die Feststellung, ob ein natürlicher
Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage und beruht auf Beweiswürdigung. Die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs ist hingegen eine Rechtsfrage. Die Unterscheidung ist nicht immer so einfach.
o I.c. wohl natürlicher Kausalzusammenhang, d.h. es geht um eine Tatfrage
o Grundsatz: Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
(Art. 105 Abs. 1 BGG), d.h. der natürliche Kausalzusammenhang kann
grundsätzlich vom Bundesgericht nicht überprüft werden
o Ausnahme in Art. 97 Abs. 1 BGG: (a) offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung, d.h. willkürliche Beweiswürdigung; (b) unrichtige Anwendung von bundesrechtlichen Beweisrechtsnormen
und
„wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.“
o Der Kausalzusammenhang muss nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen werden, sondern gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit  unrichtige Anwendung
von Art. 8 ZGB und die Behebung des Mangels kann auch für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein, d.h. eine solche Sachverhaltsrüge könnte geltend gemacht werden
(2) „Die von Leo eingereichten Ergänzungsfragen zum gerichtlichen Gutachten
müssten nicht berücksichtigt werden, da diese zu unklar und unverständlich
formuliert waren.“
o Geltendmachung einer Verletzung der richterlichen Fragepflicht gemäss
Art. 56 ZPO (Pflicht des Gerichts bei unklaren Vorbringen Gelegenheit
zur Klarstellung zu geben)
o Geltendmachung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 EMRK
o Subsumtion: bei Art. 56 ZPO und Art. 29 Abs. 2 BV Verletzung von Bundesrecht i.S.v. Art. 95 lit. a BGG und bei Art. 6 EMRK i.S.v. Art. 95 lit. b
BGG
(3) Versteckte Rüge: Stellungnahme wurde Leo nicht zugestellt
o Geltendmachung einer Verletzung des Replikrechts (umfassendes
Äusserungsrecht, welches einer Verfahrenspartei das Recht gibt, von al-
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len Eingaben Kenntnis zu erhalten und sich dazu zu äussern; nicht mit
der Replik als zweite klägerische Eingabe gleichzusetzen)
o Wurde aus Art. 6 EMRK hergeleitet und ergibt sich auch aus Art. 29 Abs.
2 BV  Verletzung von Art. 6 EMRK i.S.v. Art. 95 lit. b BGG und Art. 29
Abs. 2 BV i.S.v. Art. 95 lit. a BGG
 Innert 30 d beim Bundesgericht mit Begehren und genügender Begründung einzulegen (Art. 42 Abs. 1 BGG; Art. 100 Abs. 1 BGG); Verletzung von Grundrechten: Rügenprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG)
Frage 6
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Frage des Novenrechts
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Massgebende Rechtsnorm bei der Beschwerde in Zivilsachen  Art. 99 Abs. 1 BGG
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Echte Noven sind grundsätzlich nicht zulässig (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG). Ausnahmen beispielsweise, sofern für die Beurteilung der Zuständigkeit des Bundesgerichts oder der
Zulässigkeit der Beschwerde von Bedeutung (z.B. Eröffnung, Zustellung, Fristwahrung)
oder im Zusammenhang mit einem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (vgl. Nicolas
von Werdt, Die Beschwerde in Zivilsachen, Bern 2010, Rz 630 f.).
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Unechte Noven dürfen nur sehr eingeschränkt vorgebracht werden (z.B. Tatsachen zur
Begründung gewisser formellrechtlicher Mängel oder tatsächliche Vorbringen, die erst
aufgrund einer neuen überraschenden rechtlichen Argumentation der Vorinstanz Rechtserheblichkeit erlangt haben; vgl. von Werdt, a.a.O., Rz 633 ff.).
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Bei Bejahung einer Verletzung der richterlichen Fragepflicht und bei einer Heilung im
Rechtsmittelverfahren müssten m.E. die präzisierten Ergänzungsfragen berücksichtigt
werden. Bei der Telefonnotiz nicht so klar, falls diese vor dem Handelsgericht nicht eingereicht wurde (allenfalls auch bei Bejahung einer Verletzung der richterlichen Fragepflicht oder bei Verletzung des Replikrechts, wenn die Telefonnotiz auch noch im Rahmen des vorinstanzlichen Novenrechts hätte eingereicht werden können).
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Praxisgemäss fallen ergänzende rechtliche Erläuterungen, welche die Parteien zur Bekräftigung ihres Standpunktes in Rechtsgutachten vorbringen, nicht unter das Novenverbot, sofern diese dem Rechtsmittel beigelegt werden oder zumindest innert der
Rechtsmittelfrist nachgereicht werden (vgl. von Werdt, a.a.O., Rz 638).
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