Die Luft auf der Treppe war überraschend gut, auch wenn sie etwas

Die Luft auf der Treppe war überraschend gut, auch wenn sie etwas abgestanden
war. Der Staub knirschte unter ihren Schuhen als sie langsam die Stufen hinab
stiegen. Es war sehr eng und Jo schabte mit den Schultern mehr als einmal an
den Wänden entlang.
„Sackgasse.“
Die Treppe endete. Eine winzige Kammer bot allen Vieren eben noch Platz.
„Kein Ausgang, keine Fortsetzung – wer baut denn so was?“
„Jemand der seine Feinde irritieren will“, vermutete René. Er kniff die Augen
zusammen und grinste plötzlich.
„Jo, da links von dir ist ein kleines Bord an der Wand befestigt.“
„Und?“
„Drück mal drauf.“
Jo tat wie geheißen. Sie stützte sich mit aller Kraft auf das kleine Metallbord,
das auch als Kerzenhalter dienen mochte. Es knirschte leise, ein metallisches
Schaben und Klicken folgte.
„Eine Art Klinke. Aber…“
Tatsächlich wirkten die Wände unverändert, von einer Tür war nichts zu sehen.
„Hm. Irgendwo muss aber eine Öffnung sein. Ansonsten wäre diese Vorrichtung
überflüssig.“
Rufus glitt mit der Hand über die Wand.
„Spinnweben. Ich hasse das klebrige Zeug. –Hier, ein Luftzug.“
„Ziemlich niedrig angebracht diese Geheimtür. Das ist was für Zwerge.“
„Die Baumeister haben sich den Gegebenheiten angepasst. Und wenn du auf der
Flucht bist nimmst du was du kriegen kannst um weg zu kommen,
Bequemlichkeit ist da zweitrangig.“
„Du sprichst aus Erfahrung, René?“
„Meine Eltern könnten die da ein oder zwei Geschichten erzählen.“
„Später mal – außerdem ist das nicht die Tür die wir suchen. Wo ist die
Fortsetzung dieser Treppe.“
„Wahrscheinlich hier.“
Lady Kate hatte ein zweites Bord gefunden und drückte es herunter. Ein kalter
Luftzug ließ die Kerzen flackern als die Wand zur Seite glitt.
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„Ketten und Gegengewichte“, stellte Rufus lapidar fest. „Wenn man das Bord
herabdrückt entriegelt man ein System von Ketten, Gegengewichte und
Zahnrädern. Das zieht die Mauer in eine Aushöhlung und gibt die Treppe
dahinter frei.“
„Ziemlich genial“, befand Jo.
„Die Leute damals waren ja nicht dumm. – Ladys First.“
Jo übernahm wieder die Spitze.
Am Fuß der Treppe öffnete sich rechter Hand ein Gang dessen Ende sich in der
Ferne verlor.
Nach einigen Schritten öffnete sich rechts ein weiterer Gang.
„Und jetzt?“ fragte René.
„Ich würde sagen: Immer dem Krach nach“, antwortete Rufus und deutete in
den abzweigenden Gang. Deutlich war ein hämmerndes Geräusch zu hören.
Jo zog das Stück Kreide hervor das sie zuvor bei Armstrong mitgenommen hatte
und malte etwas auf die Mauer.
„Was soll das denn sein?“ fragte René.
„Ein Anker, du Blödi. Bist du blind?“ erklärte Rufus heftig.
„Und diese Schlangenlinie, Mr.Neunmalklug?“
„Ein vertörntes Seil?“
„Ein was?“
„Ein Seil das sich am Ankerstock verheddert hat. Das ist ein unklarer Anker.“
„Und was soll das jetzt heißen?“
„Ein unklarer Anker ist nicht einsatzbereit. Von der Seefahrt hast du gar keine
Ahnung.“
„Ich bin ja auch kein verflixter Matrose.“
„Pass auf was du über meinen Vater sagst“, knurrte Rufus.
„Der unklare Anker ist das Wappen der Admiralität“, erläuterte Lady Kate, ein
wenig amüsiert über das Wortgefecht. „Und jetzt: Vorwärts. Da lang.“
„Moment. – Nach den Fußspuren hier sind wir hier nicht die ersten. Und leider
geht das alles kreuz und quer. Oder kann einer von euch erkennen in welche
Richtung es eigentlich geht?“ Rufus wies auf den Boden.
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Tatsächlich war die Staubschicht auf dem Boden mit etlichen Fußabdrücken
überzogen die in alle Richtungen liefen.
„Mindestens zwei verschiedene Größen“, stellte Jo fest. „Sie kommen den Gang
hinunter, biegen hier ab – die Treppe hat man völlig ignoriert – und sie kommen
dann wieder zurück. Aber das ganze offenbar mehrfach.“
„Entweder sind wir auf der richtigen Fährte oder die beiden haben einfach wild
herumgesucht, völlig ohne Plan.“ Rufus sah frustriert hin und her.
„Nur eines ist sicher: Einer von den beiden hat uns vorhin belauscht. Und
wahrscheinlich auch Alicia niedergeschlagen“, sagte René. Er wies auf einen der
Fußabdrücke. „Den Zwilling dazu haben Terrence und ich vorhin im 1.Stock
gefunden. Und etwas Staub, ähnlich diesem hier.“
„Sehr schön.“
Rufus schwang das Stuhlbein.
„Das nur wenn es nicht anders geht“, beschied Jo. „Mir wäre es lieber wenn wir
niemanden verletzten müssen.“
„Zuerst mal müssen wir die beiden Kerle zu fassen bekommen“, bemerkte Lady
Kate. „Und das können wir nur wenn wir hier nicht länger herumstehen.“
„Stimmt. –Kommt, Jungs. Versuchen wir unser Glück.“
„Du solltest dir was Trockenes anziehen.“
Alicia musterte Terrence ernst.
„Später“, murmelte Terrence. Ihm war schrecklich kalt, er klapperte mit den
Zähnen und das Knie schmerzte.
„Später bist du vielleicht ein Eiszapfen – und obendrein äh … mausetot.“
Alicia stand auf, durchstöberte die Kleider die Lady Kate gefunden hatte und
fischte ein löchriges Etwas heraus das einmal ein Nachthemd gewesen sein
mochte.
„Hier, benutze das zum Abtrocknen.“
Terrence zögerte kurz. Er schälte sich vorsichtig aus der nassen Jacke und dem
Hemd und begann seinen Oberkörper trocken zu legen.
„Den Rest auch noch.“
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„Geht nicht“, stellte Terrence lapidar fest und deutete auf die beiden Blockflöten
die sein Knie ruhig stellten. „An den Dingern komme ich nicht vorbei. Mal
abgesehen davon das ich mich hier garantiert nicht bis auf die Haut ausziehen
werde.“
„Was sollte dich daran hindern?“
Terrence starrte sie nur finster an.
„Eigentlich ist das albern. Sie wäre nicht das erste Mädchen das mich nackt
sieht. Seit wann bin ich so schüchtern? Außerdem ist mir wirklich kalt und ich
habe keine Lust mir eine Lungenentzündung zu holen. Es ist wirklich der falsche
Augenblick den Helden zu spielen. Aber wie komme ich aus der vermaledeiten
Hose?“
„Versuche es hiermit.“
Alicia hielt ihm eine Schere hin die sie irgendwo aufgetrieben hatte.
„Danke, Al. Aber ich wäre für ein wenig – wie nennt man das doch gleich? –
dankbar.“
„Privatsphäre? Sicher. So scharf bin ich nicht darauf nackte Jungs zu
betrachten.“
Sie rückte einen zweiten Stuhl näher heran und deponierte ein Stoffbündel
darauf.
„Deine Ersatzklamotten.“
„Danke, Al.“
„Außer Rufus nennt mich niemand Al. Für Jo bin ich Maus. René nennt mich
meist Alicia, nur selten Maus.“
„Ich finde Al passend. Maus ... wir kennen uns noch nicht lange genug. Ich bin
mir nicht sicher gewesen ob es dir recht gewesen wäre.“
Alicia grinste. „Ein Straßenjunge mit Zartgefühl. –Mir ist alles recht.“
Terrence machte sich mit der Schere an die Arbeit. Der Stoff war wirklich von
guter Qualität und die Schere schon ein wenig stumpf.
Alicia hatte sich abgewandt, vor ihr befand sich ein Ständer mit allerlei
Requisiten, darunter auch ein auf Hochglanz polierter silberner Schild der das
Licht der Kerzen reflektierte die den Plan des Hauses beleuchteten. Sie konnte
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