der vollständige brief - Inklusion Düsseldorf – Gemeinsam Leben

Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf e.V.
GL+L Düsseldorf e.V.* c/o Ingo Berkemeier* Markgrafenstraße 29*40545 Düsseldorf
Herrn Oberbürgermeister Thomas Geisel
Marktplatz 1
Gemeinsam Leben und Lernen
Düsseldorf e.V.
c/o Ingo Berkemeier
Markgrafenstraße 29
40545 Düsseldorf
40200 Düsseldorf
www.inklusion-duesseldorf.de
[email protected]
Düsseldorf, 02.06.2016
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Geisel,
Pooling – SO NICHT!
Kinder mit Beeinträchtigung als Versuchskaninchen
Mitte März haben Familien, deren Kinder in der Schule eine Inklusions-Helfer benötigen einen Brief
vom Sozialamt enthalten, in dem steht, dass ab dem kommenden Schuljahr, eine Schulbegleitung
fortan für mehrere Kinder zuständig sein kann, das Pooling.
Anfang April veranstaltete unser Verein eine Informationsveranstaltung zum Thema, bei dem sich das
Amt für Soziale Sicherung und Integration den Eltern stellte. Klar wurde, Eltern fühlen sich vor
vollendete Tatsachen gestellt und sind entsetzt über mögliche Konsequenzen.
Das Bild, das viele vom Pooling betroffene Eltern derzeit von den Abläufen in der Stadt haben, ist wie
folgt: Die Verwaltung schafft Fakten und in der Politik weiß anscheinend niemand, was passiert.
Die Fakten zum geplanten Pooling:
Position der Stadtverwaltung 1:
Es gibt in Düsseldorf repräsentative Erkenntnisse aus Modellschulen, die das Pooling bereits getestet
und als positiv bewertet haben. Zuvor wurde von diesen Schulen bemängelt, dass zu viele
Erwachsene den Schulalltag stören.
Fakt ist:
In Düsseldorf gab und gibt es Modellschulen: Unseren Informationen nach handelt es sich hierbei um
Förderschulen. Dort gibt es einen Betreuungsschlüssel von durchschnittlich 1:10 oder weniger. Wenn
in Klassen dieser Größe z.B. drei weitere Erwachsene als Inklusionskräfte tätig sind, ist es vielleicht
vorstellbar, dass Teile dieser Arbeit ggf. von einer oder zwei Kräften ausgeführt werden können und
ggf. nachvollziehbar, dass die Lehrkräfte den Schulalltag als gestört erleben. Klassen des
Gemeinsamen Unterrichts jedoch haben eine vollkommen andere Größe und einen wesentlich
schlechteren Betreuungsschlüssel von mind. 1:25. Zudem gibt es in Düsseldorf sehr selten Klassen,
in denen mehr als ein Inklusions-Helfer tätig ist.
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf fragt nach:
• Wie kann es sein, dass Förderschulen als repräsentatives Modell für Schulen des
Gemeinsamen Unterrichts angesehen werden, obwohl dort vollkommen andere Bedingungen
herrschen?
• Wie kann es sein, dass hier seitens der Politik die angeführten Ergebnisse nicht nachgefragt
und hinterfragt werden?
Vorsitzender Ingo Berkemeier
Stellv. Vorsitzende Heike Götz
VR Nr. 9325 Amtsgericht Düsseldorf
Deutsche Bank Düsseldorf, IBAN DE 15 3007 0024 0812 9595 00
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf e.V.
Position der Stadtverwaltung 2:
Pooling ist notwendig, da das Gericht eine Ausschreibung zwingend eingefordert hat und diese
Ausschreibung auch sofort erfolgen musste (AZ S 42 SO 73/16).
Fakt ist:
Unserer Ansicht nach ist eine Ausschreibung nicht zwingend erforderlich gewesen. Die Stadt kann
das machen, muss es aber nicht. Im SGB ist eine Ausschreibung nicht vorgesehen. Zudem trat Mitte
April eine EU-Richtlinie in Kraft (Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie
2004/18/EG), nach der Dienstleistungen, die ein sozialrechtliches Dreiecksverhältnis betreffen
(hierunter fällt auch die Schulbegleitung), nicht mehr in einem formellen Verfahren
(Ausschreibung) vergeben werden müssen.
Zudem hat das Gericht über einen Eilantrag entschieden. Das Hauptverfahren läuft noch und wird
erfahrungsgemäß mindestens ein Jahr dauern. Dies bringt mit sich, dass ein Pooling ohne wirkliches
Konzept und ohne Beteiligung der Betroffenen eingeführt wird. Nach 1-2 Jahren wird es dann ggf.
durch einen Gerichtsentscheid gekippt bzw. die Ausschreibung hierzu.
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf fragt nach:
• Warum wird ein Ausschreibungsverfahren gemacht, wenn es unnötig ist?
• Warum wird ein Ausschreibungsverfahren nicht ausgesetzt, wenn das eigentlich
Hauptverfahren noch nicht entschieden ist?
• Was wird passieren, wenn die Stadt das Hauptverfahren verlieren wird?
• Warum ist ein derartiger Zeitdruck notwendig, der Familien vor vollendete Tatsachen stellt und
es sehr unwahrscheinlich macht, dass das neue Schuljahr für Kinder mit Beeinträchtigung gut
beginnen kann?
Position der Verwaltung 3:
Kinder werden durch Inklusions-Helfer stigmatisiert.
Fakt ist:
Gemäß Ausschreibung werden 80% der zukünftigen Inklusions-Helfer keine angemessene
Ausbildung haben, davon sollen 40% Buftis und FsJler sein. Zudem sind die Vergabekriterien mit 30%
Leistungsinhalt und 70% Kosten auch nicht auf Qualität ausgelegt. Inklusionskräfte mit einer qualitativ
guten Ausbildung können einer Stigmatisierung entgegenwirken. Sie haben einen Blick auf den
Sozialraum des Kindes und nehmen ihre Aufgabe auch dahingehend wahr, dass das Kind im
Sozialraum Schule Teil einer Gemeinschaft ist.
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf fragt nach:
• Wie soll unter diesen Vergabekriterien Stigmatisierung vermieden werden?
Position der Stadtverwaltung 4:
Die Ausschreibung des Poolings fördert den Wettbewerb.
Fakt ist:
Wettbewerb wird dann befördert, wenn es Lose gibt, die einen Wettbewerb ermöglichen. Es gab drei
Lose: Los 1 für 220 Schülerinnen und Schüler, Los 2 für 27 Schülerinnen und Schüler, Los 3 für 133
Schülerinnen und Schüler. In Düsseldorf waren bislang viele kleine Träger tätig, die auf grund der
genannten Größenordnung vielleicht gerade noch für Los 2 hätten bieten können, allerdings nur unter
der Voraussetzung, dass in diesem Bereich bereits Erfahrungen vorliegen. Somit entsteht hier ein
massiver Flurschaden im Markt kleinerer und mittelständischer Anbieter von Schulbegleitung, die
Vorsitzender Ingo Berkemeier
Stellv. Vorsitzende Heike Götz
VR Nr. 9325 Amtsgericht Düsseldorf
Deutsche Bank Düsseldorf, IBAN DE 15 3007 0024 0812 9595 00
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf e.V.
bisher viele Schüler betreut haben. Unseren Erkenntnissen nach haben sich genau zwei Träger
beworben, die auch den Zuschlag erhalten haben: So entstehen Monopole.
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf fragt nach:
• Wie kann Wettbewerb gefördert werden, wenn kleine Anbieter aus Düsseldorf verdrängt
werden und aufgrund der Losgröße auch keine Chance hatten oder in spätestens fünf Jahren
haben werden, sich an der kommenden Ausschreibung zu beteiligen?
Position der Stadtverwaltung 5:
Die Ausschreibung sichert oder erhöht die Qualität der Schulbegleitung.
Fakt ist:
Ein vernünftiges Preis-Leistungs-Ergebnis lässt sich nur dann erzielen, wenn die Ausschreibung
entsprechend formuliert ist. Das Bewertungsverhältnis von 30% Leistungsinhalt zu 70% Kosten öffnet
dem Qualitätsverfall Tür und Tor. Zudem lässt sich die Leistung meist nicht zielführend abprüfen, da
die umfangreichen Leistungspunkte jeweils ein sehr geringes Bewertungsgewicht bekommen. In
dieser Ausschreibung ist zudem aufgeführt, dass nur 20% der Schulbegleitungen eine Ausbildung
benötigen, allein 40% sollen auf FsJler und Buftis entfallen, bei denen keine Erfahrungen
vorausgesetzt werden kann. Zudem ist bei diesen 40% mit einem häufigen, ggf. jährlichen Wechsel zu
rechnen, inkl. immer wieder neuer Lernkurve für die Einarbeitung. Eine Belastung für Kinder und
Lehrer.
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf fragt nach:
• Wie soll mit einer derartigen Ausschreibung eine Qualität verbessert oder zumindest gesichert
werden? Besonders vor dem Hintergrund, dass die Schulbegleitung ggf. auch für mehrere
Kinder zuständig sein wird, also vollständig andere und höhere Voraussetzungen erfüllen
muss als eine Einzel-Begleitung.
Position der Stadtverwaltung 6:
Die Betroffenen wurden in Form des Behindertenbeirates mit in die Planungen einbezogen.
Fakt ist:
In NRW gibt es das „Behindertengleichstellungsgesetz“. Hier steht z.B. u.a. in § 1,2: „Sie (z.B.
Gemeindedienststellen) sollen hierzu (zur Zielerreichung) eng mit den Organisationen und Verbänden
der Menschen mit Behinderung zusammenarbeiten.“ Zudem gibt es auch die
Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die ebenfalls in NRW, also auch in Düsseldorf,
anzuwenden ist. § 4,3 hierzu: „Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und
politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen
Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die
Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen,
über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“
Unserem Erkenntnisstand nach wurde der Behindertenbeirat zuletzt Ende 2013 über ein geplantes
Pooling INFORMIERT. Zudem ist der Behindertenbeirat keine die Betroffenen vertretende
Organisation, sondern ein beratendes Gremium.
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf fragt nach:
• Warum werden in Planungen dieser Art nicht die Betroffenenverbände analog dem Baurecht
z.B. durch Anhörungen oder gar einem Runden Tisch mit einbezogen?
• Warum wurden diese Gesetze durch Verwaltung und Politik nicht berücksichtigt?
Vorsitzender Ingo Berkemeier
Stellv. Vorsitzende Heike Götz
VR Nr. 9325 Amtsgericht Düsseldorf
Deutsche Bank Düsseldorf, IBAN DE 15 3007 0024 0812 9595 00
Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf e.V.
Übrigens: Da der Diskussionsbedarf bei unserer Veranstaltung im April sehr hoch war und in der
geplanten Zeit nicht bewältigt werden konnte, schlug das Amt vor, zeitnah einen Fortsetzungstermin
anzubieten. Wie manche von uns seit gestern wissen, wird es einen Termin in der nächsten Woche
am Dienstag, 7.6.16 ab 13 Uhr geben. Andere Eltern haben bis heute keine Einladung erhalten. Dies
stärkt nicht gerade das Vertrauen in Stadtverwaltung und Stadt!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Geisel, Sie sind Verwaltungschef und damit für dieses
Vorgehen verantwortlich.
Wir fordern von Ihnen:
1) das Pooling bis zum Entscheid des Hauptverfahrens auszusetzen, mind. jedoch um ein Jahr zu
verschieben
2) in dieser Zeit ein praktikables Konzept unter tatsächlicher Einbeziehung der Betroffenen und deren
Verbänden zu erarbeiten (z.B. Runder Tisch analog Vorgehen in Bonn), das u.a. auch die
folgenden Voraussetzungen erfüllt:
A) Transparenz
B) realistischer Zeitplan mit ausreichend Vorlauf
C) Teilhabe und Einbeziehung der Betroffenen
3) Zentrales Inklusionsbüro analog dem Gleichstellungsbüro, das darüber wacht, dass Verwaltung
und Politik nicht ohne Menschen mit Beeinträchtigung über sie Fakten schafft!
Zudem möchten wir auf folgendes hinweisen: Bitte beachten Sie, dass die von Ihnen bevorzugte
Umsetzung von Inklusion durch derart schlecht geplantes Pooling sich als schädlich für unsere Kinder
erweisen wird. Damit könnten sich auch Amtshaftungsansprüche gegenüber dem Stadtrat ergeben.
Gerne erwarten wir Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Berkemeier + Heike Götz
Dieser Brief wird mitgetragen von der Elternschaft Düsseldorfer Schulen.
Kopien an:
- Vorsitzende der Ratsfraktionen
- Beigeordneter Burkhard Hintzsche
- Behindertenbeirat der Stadt Düsseldorf
- Landesbehindertenbeauftragte NRW Frau Veldhues
- Schulministerin Sylvia Löhrmann
- Inklusionsbeirat der Landesregierung NRW
- UN-Monitoringstelle
- Medien in Düsseldorf und Umgebung
Vorsitzender Ingo Berkemeier
Stellv. Vorsitzende Heike Götz
VR Nr. 9325 Amtsgericht Düsseldorf
Deutsche Bank Düsseldorf, IBAN DE 15 3007 0024 0812 9595 00