Dieses Manuskript stimmt nicht unbedingt mit dem Wortlaut der Sendung überein. Es darf nur zur Presse- und Hörerinformation verwendet und nicht vervielfältigt werden, auch nicht in Auszügen. Eine Verwendung des Manuskripts für Lehrzwecke sowie seine Vervielfältigung und Weitergabe als Lehrmaterial sind nur mit Zustimmung der Autorin/des Autors zulässig. Clemens Scheitza, Frankfurt hr1-Sonntagsgedanken am 29. Mai 2016 Macht Religion die Seele gesund? Es gibt kaum eine Stelle im katholischen Gottesdienst, die mich als kleines Kind mehr beeindruckt hat als dieser Moment: wenn ich mit der Faust auf die Brust schlage und murmele: “Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Dieser Satz wird im katholischen Gottesdienst gebetet, kurz bevor man zur Kommunion geht, Gott ganz nah ist. Mit dem Schlag auf die Brust wurde für mich die Frage körperlich spürbar: „Kann ich wirklich zur Kommunion gehen? Bin ich dazu würdig. Ist meine Seele gesund?“ Meine Mutter hat mir dazu erklärt: „Seele, das ist ein ganz wertvoller und wichtiger Teil in dir, dein Mittelpunkt“. Dieser Spruch aus dem Gottesdienst: Er stammt aus einer Geschichte in der Bibel. Und diese Geschichte wird heute im katholischen Gottesdienst vorgelesen. (Lukas 7,1-10) Eigentlich heißt der Satz da nicht „mach meine Seele gesund“, sondern: „mach meinen Diener gesund“. Ein römischer Hauptmann spricht ihn. Sein Diener ist todkrank. Der heidnische Hauptmann lässt Jesus bitten, zu ihm zu kommen. Er soll den Diener gesundmachen. Der Hauptmann weiß, ein frommer Jude darf nicht das Haus eines Heiden betreten. Er würde unrein. Das will er Jesus ersparen. So schickt er Freunde zu ihm. Die richten aus: „Du musst nicht in mein Haus kommen. Ich bin nicht würdig. Dein Wort von dort, wo du bist, reicht. Mehr ist nicht notwendig“. Und wirklich: der Diener wird gesund. Dieser hochrangige römische Soldat, ein Andersgläubiger, hatte grenzenloses Vertrauen zu Jesus, einem Juden. Und auf dieses Vertrauen kommt es an, betont Jesus. Bei mir war es - als Kind - nicht Vertrauen, was beim Schlag auf meine Brust aufkam, sondern die Angst. Angst: meine Seele ist nicht rein. Ich bin nicht würdig. Angst vor die Begegnung mit dem „lieben“ Gott, in der Kommunion. Bestätigt wurde diese Angst nicht zuhause, sondern in den Predigten im Gottesdienst, im Kommunion- und Religionsunterricht. Da sprachen Pfarrer und Lehrer viel von den Verfehlungen, den Sünden. Sie zählten auf: fehlender Gehorsam den Eltern und Autoritäten gegenüber, Streit mit den Geschwistern, unkeusche Gedanken, fehlende Andacht beim Beten oder gar das Ver1 säumen des Sonntagsgottesdienstes. All dies, so hieß es damals, wird mit schmerzlichen Strafen geahndet: dem Fegefeuer und im schlimmsten Fall der Hölle. Ein gottgefälliger Mensch ist gehorsam, konfliktscheu, möglichst ohne Sexualität. Das blieb bei mir hängen. Keine schönen Aussichten. Da hilft nur beichten. So hat es damals die Kirche empfohlen. Oder aber – ich muss diesen mir von der Kirche vermittelten Gott meiden. Das machen viele meiner Freunde bis heute. Musik Es gibt religiöse Vorstellungen, die machen anscheinend Seelen nicht nur gesund. Im Gegenteil: Religion macht da Angst, macht Seelen krank. Manche meiner Bekannten sehen das bei jeder Religion so. Manche sehen dieses Angstmachen durch die Praktiken und Vorschriften der christlichen Religionsgemeinschaften. Bei anderen ist es zurzeit der fundamentalistische Islam. Er macht vielen Angst. Diese Freunde und Bekannten versprechen sich deshalb kein Seelenheil mehr von Religion. Sie haben daraus die Konsequenz gezogen und suchen ihr Seelenheil woanders. Zum Beispiel in der Psychotherapie, der Wissenschaft, die sich auf das Seelenheilen versteht. Oder sie treiben Sport, denn Körper und Seele hängen ja zusammen. Andere finden ihr Seelenheil in der Arbeit: Anerkennung, Wertschätzung ihrer Arbeit macht selig. Meine Konsequenz war eine andere. Ich bin dem Gottesbild auf den Grund gegangen, das mir die Kirche bis dahin vermittelt hatte. Ich habe Theologie studiert. Dabei hab ich meinen Gott neu gefunden. Ich entdeckte ein erwachsenes Gottesbild: ein Gott, der sich um den Einzelnen kümmert, bei dem der Einzelne etwas wert ist. In seinem Namen durchbricht Jesus religiöse Gesetze, um dem Einzelnen gerecht zu werden. Nicht die Verbote und Gebote sind es, die Religion prägen. Es ist die Hoffnung, die sie verbreitet. Eine Hoffnung, dass jeder einzelne Mensch aufgehoben ist, ein Gegenüber hat, das ihn versteht, das ihn liebt. Dieses Gegenüber gibt ihm die Hoffnung: du bist keine Eintagsfliege, gerade du bist ganz wichtig. Du hast Bedeutung über den Tod hinaus. Dieses Gottesbild hat mir geholfen, es macht wirklich meine Seele gesund. Musik Ich erinnere mich noch genau. Es war in den Ferien. Meine Familie und ich hatten gerade das wunderschöne Venedig erlebt. Jetzt wohnten wir in einer Pension in Österreich mit einem herrlichen Ausblick auf die Berge. Es ging mir gut, sehr gut: von der Familie her, gesundheitlich, beruflich. Und plötzlich: In mir stieg Trauer auf, eine unerklärliche Melancholie. Ängste, die auch nach Tagen nicht verschwanden. Ich wurde zornig auf mich. Es änderte nichts. Ich versank in eine diffuse Traurigkeit. Es gab keinen Anlass dafür. Es war doch alles schön. Ein perfekter Urlaub. 2 In meiner Hilflosigkeit griff ich zu einem Buch über den Tod. Da las ich von der Endlichkeit gerade der schönen Augenblicke. Vom Negativen des Zeitlichen: Ich fühlte deutlich: all das Schöne um mich herum: meine Familie, meine Kinder, die schöne Landschaft, die Ferienstimmung – all das ist endlich, geht vorbei. Ich begriff: Da muss ich hinschauen, nicht wegschauen. Das ist ein ganz wichtiger Teil meines Erlebens. Alles geht zu Ende. Und am Ende steht der Tod. Dass der Tod das Ende ist: Viele können damit leben. Ich kann es nicht. Ich kann nur leben, wenn ich mir sage: „Der Tod ist eben nicht der Tod.“. Diese Ausdehnung von mir ins Unendliche hat mich zurück ins Endliche führt. Diese Teilhabe an etwas Größerem hat meine Depression geheilt, meine Seele gesundgemacht. Natürlich kann man sagen, das sind Größenfantasien, Wunschträume, die muss man hinter sich lassen, um erwachsen zu werden. Bei mir sind es gerade diese Wunschträume, diese Hoffnung, die mir Leben geben. Sie brauche ich dringend, um mein Leben anzugehen. Eine Hoffnung, dass ich umgeben bin von einer Macht, ich nenne sie Gott, die mich weiterführt und beschützt. Sie gibt mir Kraft. Sie macht mir die Welt erträglich. Ich muss nicht die Angst haben: Tue ich für meine Familie genügend? Versage ich im Beruf? Bin ich im Alter genügend abgesichert? Werden die politischen Verhältnisse immer schlechter? Ja, ich trage Verantwortung. Aber: Ich muss nicht alles richten, ich bin nicht letztverantwortlich. Das macht mich angstfrei. Lässt mich erwachsen werden. Ich kann die Menschen um mich herum wahrnehmen, ihnen Aufmerksamkeit geben. Ich kann die schönen Augenblicke genießen und nicht nach mehr schielen. Mut zu dieser Haltung gibt mir Jesus. Sein Umgang mit Krankheit und Tod zeigen mir: Für ihn haben Ängste und tödliche Krankheiten ihre Macht verloren. Unüberwindliche Grenzen spielen für ihn keine Rolle, nur die Not des Einzelnen: Er heilt den totkranken Diener des Hauptmanns der Besatzungsmacht. Das geschieht, weil der Hauptmann auf das Wort Jesu vertraut, einem jüdischen Prediger, der Gott seien Vater nennt. Für mich zeigt sich darin das Vertrauen, dass wir im Leben, wie im Sterben bei Gott ganz geborgen sind. So sage ich heute im Gottesdienst in abgewandelter Form: „Herr du kommst zu mir, in meine Wohnung, unter mein Dach. Hältst mich für so wichtig. Du gibst mir Würde. So machst du meine Seele gesund.“ 3
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