Hudi Eiseli Soll es ein Schwank sein? Ein Klassiker der Weltliteratur? Ein Mundartstück mit mehr oder weniger Tiefgang? Oder gar ein Musical, ein Film? Nehmen wir ein bestehendes Stück oder schreiben wir das Stück selber? Diese (oder ähnliche) Fragen beschäftigen Jahr für Jahr die Lehrpersonen der Abschlussklassen. Eine echte Herausforderung – so ein gemeinsames Projekt. Das war auch in diesem Jahr nicht anders. Obwohl – die Vorzeichen waren doch etwas an ders: Da stand ein Projekt zur Diskussion, das in den Köpfen der Initianten schon recht ausgereift war. Aber auf dem Papier stand zu diesem Zeit punkt noch nichts. Die Auseinandersetzung mit Fragen der Ortsge schichte, der anspruchsvollen Sprache (ja ja, auch die Mundart hat ihre Tücken!), der Verdingkinder und der Situation der Bauern im 19. Jahrhundert erforderte eine sorgfältige Abwägung und mehre re Gespräche mit den Jugendlichen. Wohlverstan den: Mit dem Stück «Hudi Eiseli» tauchen die 9. Klässler in eine für sie völlig fremde Welt und Sprache ein. Nicht Überredungskünste waren gefragt, sondern Überzeugungsarbeit. Und so stand denn im Janu ar fest: Die 9. Klassen werden aus dem längst vergriffenen Buch von Adolf Gerber, «Chonolfin ger Gschichtli», die Geschichte des Verdingkindes «Hudi Eiseli» aufführen. Pardon: Uraufführen! In der Tat: Es ist einer glücklichen Fügung zu ver danken, dass der ehemalige Sekundarlehrer Wer ner Weber das Stück, das einen direkten Bezug zu Gysenstein hat, in eine Theaterfassung umge schrieben hat. Die wahre Geschichte vom unehelichen Verding kind «Hudi Eiseli» zeigt das Schicksal eines Men schen, der aufgrund seiner Herkunft für die Ge meinschaft eine grosse Belastung darstellt und deshalb ausgestossen wird. Wenn «Eiseli» seinem schweren Dasein entfliehen will, wird es an ein «Holztütschi» angekettet und am Entkommen gehindert. Das Tütschi ist sein Schicksal und die Flucht in den Alkohol ausweglos. Trotz allem findet es den Weg zum Zirkus, den Weg in die weite Welt. Durch diesen Kraftakt – den Marsch mit dem schweren Tütschi nach Bern – findet es Zufrieden heit und Lebensmut. Ein Stück über das Schicksal der Verdingkinder, über eine vermeintlich «heile Welt» auf dem Lande und über die ausweglose Flucht vor sich selbst. Aufführungsdaten Mittwoch, 8. Juni 2016, 20 Uhr Donnerstag, 9. Juni 2016, 20 Uhr Samstag, 11. Juni 2016, 14.30 jeweils im Kirchgemeindehaus Konolfingen Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage www.hudi-eiseli.ch. Reservieren Sie Ihre (Gratis-)Sitzplätze bereits heute über diese Adresse! 58 Allerlei Werner Weber Der ehemalige langjährige Konolfinger Lehrer Werner Weber setzt sich – fasziniert von der Geschichte Konolfingens – seit Jahren für die Erhaltung wichtiger Kulturgüter ein. Einen Namen weit über die Region hinaus machte er sich mit der Herausgabe verschiede ner Eisenbahnbücher und einer «Regionalmappe» mit geschicht lichen und geografischen Informationen zu unserer Gegend. Zu dem war er massgeblich an der Herausgabe einer geologischen Karte der Region beteiligt. Mit seinem Engagement im Dorfmuseum «Alter Bären» ist Werner Weber die Verpflichtung eingegangen, der Nachwelt wesentliche Kulturgüter aus unserer Gemeinde zu erhalten. Dazu gehört das längst vergriffene Buch von Adolf Gerber «Chonolfinger Gschicht li». In unzähligen Stunden hat Werner Weber die Geschichte von «Hudi Eiseli», die zur Hauptsache in Gysenstein spielt und das traurige Schicksal eines Verdingkindes im 19. Jahrhundert auf zeigt, in ein Theaterstück umgeschrieben. Am 8. Juni 2016 wird das Stück im Kirchgemeindehaus uraufgeführt. Im Interview erläutert Werner Weber, was ihn an dieser Aufgabe fasziniert hat. 2 | 2016 Chonufinger Adolf Gerbers Buch umfasst mehrere (Kurz-) Geschichten. Weshalb hat dich «Hudi Eiseli» besonders interessiert? WW: Die «Chonolfinger Gschichtli» haben mich bereits in jungen Jahren fasziniert. Je mehr ich mich mit der Vergangenheit Konolfingens befass te, desto grösser wurde meine Faszination über die umfangreichen Recherchen des Buchautors Adolf Gerber. Seine Beschreibungen der Geschich te Konolfingens sind einmalig. Eine dieser Ge schichten, das Hudi Eiseli, hatte ich schon früh in meinen Geschichtsunterricht aufgenommen. Dies obwohl das Thema «Verdingkinder» erst in den letzten Jahren von der Öffentlichkeit wahrgenom men worden ist. Adolf Gerber hat ein solches Schicksal nachgezeichnet in einer Zeit, als es noch sehr viele Verdingkinder gab. Welche Parallelen hat diese Geschichte mit der heutigen Zeit? WW: Die Reaktionen der Menschen waren früher wie heute gleich. Früher war es das Bettelpack der eigenen Dorfbevölkerung oder die armen Ober länder die man aufnehmen musste, heute sind es die Flüchtlinge. Die Reaktionen der einzelnen Leute verändern sich, sobald sie hinter dem «Aus gegrenzten» den Menschen erkennen und das persönliche Schicksal zum Vorschein kommt. Worin bestand die grösste Herausforderung beim Umsetzen der Geschichte in eine Theaterfassung? WW: Der Geschichte in den grossen Linien gerecht zu werden, ohne dass es langweilig wird. Hier hat mein Kollege Peter Glatz tatkräftig mitgeholfen. Er als Theaterfachmann führt Regie und er hat ‘mein’ Stück so umgeändert, dass es für die Schülerinnen und Schüler – und hoffentlich auch für das Publi kum – ein bleibendes Erlebnis wird. Was hat dich bei der intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte am meisten berührt? WW: Wie Adolf Gerber es verstanden hat, Men schen und ihr Schicksal nachzuzeichnen. Trotz al ler Not, trotz der eigentlich brutalen Wirklichkeit zerbricht Eiseli nicht an ihrem harten Leben. Es ist ein Mensch auf der Schattenseite des Lebens. Trotzdem gelingt es ihm immer wieder, irgendwo einen Sonnenstrahl zu erhaschen – letztlich auch dank der Güte und Grosszügigkeit einzelner Men schen. Was hast du in deiner Theaterfassung gegenüber der ursprünglichen Geschichte geändert? WW: Viele schöne Teile mussten weggelassen werden. Andere – wie der Zirkus – wurden aus gebaut. Die Hauptaussage des Stücks ist geblie ben. Hudi Eiseli war im Stück von Adolf Gerber erst nach mehreren Anläufen wirklich ans Tütschi gekettet worden. Auch sein Zirkusbesuch gelang ihm erst im zweiten Anlauf. Hier musste gestrichen und verändert werden. Doch, schauen Sie sich unser Stück an und lesen Sie anschliessend die Originalgeschichte. Im Museum sind Sie willkom men, heben Sie das Original-„Tütschi“ hoch! Dann spüren Sie, was verändert wurde. Chonolfinger-Gschichtli «Schleg, bösi Wort, mageri Choscht, es herts Gliger, schitteri Chleidli… Mir sy no nid fertig mit Ufzelle: es isch non es angersch Übel derzue cho, u a däm het ds Eiseli syr Läbtig gha z’trage: Schlotter Peek het ohni Brönnts nid chönne läbe». Ein kleiner Vorgeschmack der Geschichte «Hu di Eiseli» aus dem Buch. Die Chonolfinger Gschichtli von Adolf Gerber sind seit Langem vergriffen. Die einzelnen, sprachlich sehr schön formulierten Geschich ten, basieren auf Gemeinderatsprotokollen der Gemeinden Gysenstein und Stalden sowie auf Chorgerichtsmanualen der Kirchgemeinde Münsingen. Sie vermitteln einen eindrückli chen Einblick in das frühere Leben der Leute in der Region Konolfingen. Der Verein alter Bären hat dieses Kulturgut für die Bevölkerung erhalten. Die Gschichtli liegen ab Juni 2016 in aktueller Schrift, ohne Änderung des Textes, mit zusätzlichen wertvollen Hintergrundinfor mationen ergänzt, neu auf. Das Buch kann unter www.chonolfinger-gschichtli.ch oder per Telefon 031 791 25 52 (W. Blaser) bestellt werden. Chonufinger 2 | 2016 Allerlei 59
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