Beitrag im Chonufinger, Juni 2016 - Theaterfassung von W. Weber

Hudi Eiseli
Soll es ein Schwank sein? Ein Klassiker der Weltliteratur? Ein Mundartstück mit mehr oder weniger Tiefgang?
Oder gar ein Musical, ein Film? Nehmen wir ein bestehendes Stück oder schreiben wir das Stück selber?
Diese (oder ähnliche) Fragen beschäftigen Jahr für
Jahr die Lehrpersonen der Abschlussklassen. Eine
echte Herausforderung – so ein gemeinsames
Projekt. Das war auch in diesem Jahr nicht anders.
Obwohl – die Vorzeichen waren doch etwas an­
ders: Da stand ein Projekt zur Diskussion, das in
den Köpfen der Initianten schon recht ausgereift
war. Aber auf dem Papier stand zu diesem Zeit­
punkt noch nichts.
Die Auseinandersetzung mit Fragen der Ortsge­
schichte, der anspruchsvollen Sprache (ja ja, auch
die Mundart hat ihre Tücken!), der Verdingkinder
und der Situation der Bauern im 19. Jahrhundert
erforderte eine sorgfältige Abwägung und mehre­
re Gespräche mit den Jugendlichen. Wohlverstan­
den: Mit dem Stück «Hudi Eiseli» tauchen die 9.
Klässler in eine für sie völlig fremde Welt und
Sprache ein.
Nicht Überredungskünste waren gefragt, sondern
Überzeugungsarbeit. Und so stand denn im Janu­
ar fest: Die 9. Klassen werden aus dem längst
vergriffenen Buch von Adolf Gerber, «Chonolfin­
ger Gschichtli», die Geschichte des Verdingkindes
«Hudi Eiseli» aufführen. Pardon: Uraufführen!
In der Tat: Es ist einer glücklichen Fügung zu ver­
danken, dass der ehemalige Sekundarlehrer Wer­
ner Weber das Stück, das einen direkten Bezug zu
Gysenstein hat, in eine Theaterfassung umge­
schrieben hat.
Die wahre Geschichte vom unehelichen Verding­
kind «Hudi Eiseli» zeigt das Schicksal eines Men­
schen, der aufgrund seiner Herkunft für die Ge­
meinschaft eine grosse Belastung darstellt und
deshalb ausgestossen wird. Wenn «Eiseli» seinem
schweren Dasein entfliehen will, wird es an ein
«Holztütschi» angekettet und am Entkommen
gehindert. Das Tütschi ist sein Schicksal und die
Flucht in den Alkohol ausweglos. Trotz allem findet
es den Weg zum Zirkus, den Weg in die weite Welt.
Durch diesen Kraftakt – den Marsch mit dem
schweren Tütschi nach Bern – findet es Zufrieden­
heit und Lebensmut. Ein Stück über das Schicksal
der Verdingkinder, über eine vermeintlich «heile
Welt» auf dem Lande und über die ausweglose
Flucht vor sich selbst.
Aufführungsdaten
Mittwoch, 8. Juni 2016, 20 Uhr
Donnerstag, 9. Juni 2016, 20 Uhr
Samstag, 11. Juni 2016, 14.30
jeweils im Kirchgemeindehaus Konolfingen
Weitere Informationen finden Sie auf unserer
Homepage www.hudi-eiseli.ch. Reservieren Sie
Ihre (Gratis-)Sitzplätze bereits heute über diese
Adresse!
58 Allerlei
Werner Weber
Der ehemalige langjährige Konolfinger Lehrer Werner Weber setzt
sich – fasziniert von der Geschichte Konolfingens – seit Jahren für
die Erhaltung wichtiger Kulturgüter ein. Einen Namen weit über
die Region hinaus machte er sich mit der Herausgabe verschiede­
ner Eisenbahnbücher und einer «Regionalmappe» mit geschicht­
lichen und geografischen Informationen zu unserer Gegend. Zu­
dem war er massgeblich an der Herausgabe einer geologischen
Karte der Region beteiligt.
Mit seinem Engagement im Dorfmuseum «Alter Bären» ist Werner
Weber die Verpflichtung eingegangen, der Nachwelt wesentliche
Kulturgüter aus unserer Gemeinde zu erhalten. Dazu gehört das
längst vergriffene Buch von Adolf Gerber «Chonolfinger Gschicht­
li».
In unzähligen Stunden hat Werner Weber die Geschichte von
«Hudi Eiseli», die zur Hauptsache in Gysenstein spielt und das
traurige Schicksal eines Verdingkindes im 19. Jahrhundert auf­
zeigt, in ein Theaterstück umgeschrieben. Am 8. Juni 2016 wird
das Stück im Kirchgemeindehaus uraufgeführt.
Im Interview erläutert Werner Weber, was ihn an dieser Aufgabe
fasziniert hat.
2 | 2016 Chonufinger
Adolf Gerbers Buch umfasst mehrere (Kurz-)
Geschichten. Weshalb hat dich
«Hudi Eiseli» besonders interessiert?
WW: Die «Chonolfinger Gschichtli» haben mich
bereits in jungen Jahren fasziniert. Je mehr ich
mich mit der Vergangenheit Konolfingens befass­
te, desto grösser wurde meine Faszination über
die umfangreichen Recherchen des Buchautors
Adolf Gerber. Seine Beschreibungen der Geschich­
te Konolfingens sind einmalig. Eine dieser Ge­
schichten, das Hudi Eiseli, hatte ich schon früh in
meinen Geschichtsunterricht aufgenommen. Dies
obwohl das Thema «Verdingkinder» erst in den
letzten Jahren von der Öffentlichkeit wahrgenom­
men worden ist. Adolf Gerber hat ein solches
Schicksal nachgezeichnet in einer Zeit, als es noch
sehr viele Verdingkinder gab.
Welche Parallelen hat diese Geschichte mit der
heutigen Zeit?
WW: Die Reaktionen der Menschen waren früher
wie heute gleich. Früher war es das Bettelpack der
eigenen Dorfbevölkerung oder die armen Ober­
länder die man aufnehmen musste, heute sind es
die Flüchtlinge. Die Reaktionen der einzelnen
Leute verändern sich, sobald sie hinter dem «Aus­
gegrenzten» den Menschen erkennen und das
persönliche Schicksal zum Vorschein kommt.
Worin bestand die grösste Herausforderung
beim Umsetzen der Geschichte in eine
Theaterfassung?
WW: Der Geschichte in den grossen Linien gerecht
zu werden, ohne dass es langweilig wird. Hier hat
mein Kollege Peter Glatz tatkräftig mitgeholfen. Er
als Theaterfachmann führt Regie und er hat ‘mein’
Stück so umgeändert, dass es für die Schülerinnen
und Schüler – und hoffentlich auch für das Publi­
kum – ein bleibendes Erlebnis wird.
Was hat dich bei der intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte am meisten berührt?
WW: Wie Adolf Gerber es verstanden hat, Men­
schen und ihr Schicksal nachzuzeichnen. Trotz al­
ler Not, trotz der eigentlich brutalen Wirklichkeit
zerbricht Eiseli nicht an ihrem harten Leben. Es ist
ein Mensch auf der Schattenseite des Lebens.
Trotzdem gelingt es ihm immer wieder, irgendwo
einen Sonnenstrahl zu erhaschen – letztlich auch
dank der Güte und Grosszügigkeit einzelner Men­
schen.
Was hast du in deiner Theaterfassung
gegenüber der ursprünglichen Geschichte
geändert?
WW: Viele schöne Teile mussten weggelassen
werden. Andere – wie der Zirkus – wurden aus­
gebaut. Die Hauptaussage des Stücks ist geblie­
ben. Hudi Eiseli war im Stück von Adolf Gerber
erst nach mehreren Anläufen wirklich ans Tütschi
gekettet worden. Auch sein Zirkusbesuch gelang
ihm erst im zweiten Anlauf. Hier musste gestrichen
und verändert werden. Doch, schauen Sie sich
unser Stück an und lesen Sie anschliessend die
Originalgeschichte. Im Museum sind Sie willkom­
men, heben Sie das Original-„Tütschi“ hoch!
Dann spüren Sie, was verändert wurde.
Chonolfinger-Gschichtli
«Schleg, bösi Wort, mageri Choscht, es herts
Gliger, schitteri Chleidli… Mir sy no nid fertig
mit Ufzelle: es isch non es angersch Übel
derzue cho, u a däm het ds Eiseli syr Läbtig
gha z’trage: Schlotter Peek het ohni Brönnts
nid chönne läbe».
Ein kleiner Vorgeschmack der Geschichte «Hu­
di Eiseli» aus dem Buch.
Die Chonolfinger Gschichtli von Adolf Gerber
sind seit Langem vergriffen. Die einzelnen,
sprachlich sehr schön formulierten Geschich­
ten, basieren auf Gemeinderatsprotokollen
der Gemeinden Gysenstein und Stalden sowie
auf Chorgerichtsmanualen der Kirchgemeinde
Münsingen. Sie vermitteln einen eindrückli­
chen Einblick in das frühere Leben der Leute
in der Region Konolfingen. Der Verein alter
Bären hat dieses Kulturgut für die Bevölkerung
erhalten. Die Gschichtli liegen ab Juni 2016 in
aktueller Schrift, ohne Änderung des Textes,
mit zusätzlichen wertvollen Hintergrundinfor­
mationen ergänzt, neu auf. Das Buch kann
unter www.chonolfinger-gschichtli.ch oder per
Telefon 031 791 25 52 (W. Blaser) bestellt
werden.
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