Die allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik aus juristischer Sicht Rechtsanwalt Bernd Kimmich: Sozietät Witt-Roschkowski-Dieckert (kurz WRD) in Berlin - Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten in Tübingen und Berlin - Referendariat beim Kammergericht Berlin - Rechtsanwalt in Berlin seit 1995 Tätigkeitsschwerpunkte: - Privates Baurecht - Baubegleitende Rechtsberatung - Gestaltung von Bau- und Nachunternehmerverträgen - Vorträge und Seminare zum Bau- und Architektenrecht Veröffentlichungen: - Mitherausgeber des Unternehmerhandbuches „Der Baubetrieb“ - Mitautor des Handbuches „VOB für Bauleiter“ (Werner Verlag, 5. Auflage 2013) - Urteilsbesprechungen in den Zeitschriften IBR und Baurecht 1 Der Mangelbegriff nach § 633 Abs. 2 BGB und § 13 Abs. 1 VOB/B • Ein Mangel der Werkleistung liegt vor, − bei Fehlen der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit; bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung muss sich die Leistung für die vertraglich vorausgesetzte oder gewöhnliche Verwendung eignen − wenn die Gebrauchs- oder Funktionstauglichkeit konkret beeinträchtigt wird − bei einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik • Die Erscheinungsformen des Mangels sind voneinander unabhängig. • Für die Beurteilung der Mangelfreiheit kommt es auf den Zeitpunkt der Abnahme an. Der Begriff der anerkannten Regeln der Technik (aRdT) • Die Regel muss theoretisch (wissenschaftlich) richtig sein und • sich aufgrund dauerhafter Erfahrungen in der Praxis bewährt haben und • der überwiegenden Anzahl (Mehrheit) der technischen Fachleute bekannt und von diesen als aRdT akzeptiert werden. Damit geht der Begriff aRdT über den der DIN-Normen oder anderer schriftlich technischer Regelwerke (beispielsweise VDI-Richtlinien oder VDE-Vorschriften) hinaus. Die Einhaltung der aRdT ist in Bau- und Architekten- oder Ingenieurverträgen als Mindeststandard geschuldet, falls keine davon abweichende vertragliche Vereinbarung nach vorheriger Aufklärung des Vertragspartners erfolgt. Vermutungswirkung schriftlich technischer Regelwerke • Entspricht die Leistung einem schriftlich technischen Regelwerk, z. B. DIN-Normen, spricht eine widerlegliche Vermutung dafür, dass diese Normen die aRdT zutreffend wiedergeben. • Sowohl der Auftragnehmer als auch der Auftraggeber können diese Vermutung im Rahmen eines Bauprozesses widerlegen. Die Beweispflicht liegt bei demjenigen, der behauptet, die schriftlich technischen Regelwerke gäben die aRdT nicht zutreffend wieder. • In Ausnahmefällen kann eine Leistung trotz eines Verstoßes gegen DIN-Normen mangelfrei sein, selbst wenn die Richtigkeitsvermutung nicht widerlegt worden ist. • Sind die aRdT beachtet worden, scheidet eine Schadenersatzpflicht wegen eventueller Mangelfolgeschäden in der Regel aus, weil diese ein Verschulden voraussetzt. Zur Beseitigung des Mangels selbst bleibt ein ausführender Unternehmer dagegen verpflichtet, weil die Nachbesserung vom Verschulden unabhängig ist. • Auch Architekten und Ingenieure sind aufgrund fehlenden Verschuldens regelmäßig von der Schadenersatzpflicht frei, wenn sie die aRdT beachtet haben, aber gleichwohl ein Mangel oder Schaden am Bauwerk entsteht. Zur Nachbesserung der Planung bleiben sie aber auch in solchen Fällen verpflichtet. Änderung der anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsabschluss und der rechtsgeschäftlichen Abnahme • Ändern sich die aRdT zwischen dem Vertragsabschluss und dem Zeitpunkt der Abnahme, besteht eine Informations- und Beratungspflicht des Auftragnehmers. Dabei muss der Auftraggeber auf die veränderte Situation und die daraus resultierenden technischen Konsequenzen in unmissverständlicher Art und Weise hingewiesen werden. • Entscheidet sich der Auftraggeber danach für eine Ausführung der Leistung nach der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gültigen Fassung des technischen Regelwerks, sollte dies sowie die zuvor erfolgte Aufklärung aus Beweisgründen schriftlich festgehalten bzw. vereinbart werden. • Verlangt der Auftraggeber dagegen eine Ausführung, die den im Zeitpunkt der Abnahme geltenden aRdT entspricht und führt dies zu aufwändigeren Leistungen, muss der Auftraggeber nach einer entsprechenden Anordnung die dadurch entstehenden Mehrkosten vergüten. Im VOB/B-Vertrag begründen solche Anordnungen Nachtragsansprüche gemäß § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B. Ist die VOB/B nicht Vertragsbestandteil geworden, schuldet der Auftraggeber eine angemessene und ortsübliche Vergütung nach § 632 Abs. 2 BGB. • Auch Architekten und Ingenieure sind zu entsprechenden Hinweisen verpflichtet. Verlangt der Auftraggeber daraufhin eine Planungsänderung können zusätzliche Honoraransprüche unter den Voraussetzungen des § 10 HOAI 2013 entstehen. Prüfungs- und Bedenkenhinweispflichten des AN nach § 4 Abs. 3 VOB i. V. m. § 13 Abs. 3 VOB/B • Wogegen? ■ ■ ■ vorgesehene Art der Ausführung (LV, Pläne, Anordnungen etc.) ungeeignetes Material Vorunternehmerleistungen, auf welche die Leistung des AN funktional aufbaut • Wie? Wogegen genau? Inhaltlich konkret Weshalb? Tragweite der Nichtbefolgung des Hinweises; keine Verpflichtung zur Unterbreitung von Verbesserungs- oder Abhilfemaßnahmen (Haftungsgefahr!) ■ ■ ■ Unverzüglich Schriftlich!!! (möglichst keine E-Mail) Richtiger Adressat: Auftraggeber, eventuell: Durchschrift der Bedenkenmitteilung an Architekt/Ingenieur • Rechtsfolge: Befreiung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen des AG nach § 13 Abs. 3 VOB/B
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